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Wann ist eine Brusterhaltung nicht mehr indiziert?
Leading Opinions
Autor:
Dr. med. Federica Chiesa
Leitende Ärztin<br> Brust-Zentrum Zürich<br> E-Mail: f.chiesa@brust-zentrum.ch
30
Min. Lesezeit
29.09.2016
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<p class="article-intro">Die Behandlung des primären Mammakarzinoms ist eine interdisziplinäre Herausforderung. Dabei nimmt noch immer die Chirurgie eine zentrale Rolle ein. Inzwischen werden die meisten Patientinnen brusterhaltend operiert. Doch bei etwa einem Drittel ist dies nicht möglich – eine Übersicht.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>Brusterhaltende Operationen sind der Standard in der Chirurgie des Mammakarzinoms im Frühstadium.</li> <li>R0-Resektion ist heute als «no ink on tumor» definiert.</li> <li>Eine Mastektomie ist empfohlen bei einem ungüns­tigen kosmetischen Ergebnis der Brusterhaltung und beim inflammatorischen Karzinom.</li> <li>Eine Mastektomie ist nicht zwingend erforderlich bei ausgewählten Lokalrezidiven und in Fällen mit BRCA1/BRCA2-Mutation.</li> </ul> </div> <p>Bei Brustkrebs im Frühstadium gilt international die brusterhaltende Therapie (BET) mit anschliessender Bestrahlung als etablierte lokoregionäre Behandlung. Die Mastektomie, früher die Standardoperation, sollte dabei inzwischen einer Minderheit der Fälle vorbehalten sein. Im europäischen Vergleich werden dementsprechend über 70 % der operablen Mammakarzinomfälle brusterhaltend operiert.<sup>1</sup></p> <h2>Mehr Frauen können brusterhaltend operiert werden</h2> <p>Aktuell erfahren die Indikationen zur BET sogar eine Ausweitung. Dazu tragen insbesondere drei Faktoren bei:</p> <ul> <li><strong>Der zunehmende Einsatz moderner onkoplastischer Operationstechniken</strong><br /> Traditionelle onkologische Tumorresektionen werden mit plastisch-chirurgischen Operationsverfahren kombiniert, um die Deckung auch grösserer Volumendefekte mit guten ästhetischen Resultaten zu ermöglichen. Dabei wird die Segmentresektion z.B. im Rahmen von tumoradaptierten Mammareduktionsplastiken oder Mas­topexien durchgeführt. Es sind meis­tens relativ einfache zusätzliche Verfahren, die nicht zwingend eine plas­tisch-chirurgische Ausbildung erfordern. Es besteht allerdings die Möglichkeit, die Techniken für jeden Fall individuell und «massgeschneidert» zu modifizieren und zu adaptieren. Die passende onkoplastische Strategie hängt von der Tumorlokalisation in der Brust, vom Volumen der geplanten Tumorektomie und von der Brustgrösse und -form ab. Die präoperative interdisziplinäre Planung spielt daher eine wichtige Rolle.</li> <li><strong>Die Etablierung der präoperativen (neoadjuvanten) Chemotherapie</strong><br /> Bei entsprechend aggressiver Tumorbiologie, z.B. einem tripelnegativen Karzinom, kann in vielen Fällen mittels neoadjuvanter Systemtherapie eine eindrucksvolle Tumorverkleinerung erzielt werden. Diese kann bis hin zur kompletten Tumorremission reichen. Bei gutem Ansprechen auf die präoperative Behandlung darf heute die Operation in den «neuen Tumorgrenzen» durchgeführt werden, d.h., die Tumorgrösse nach der Systemtherapie ist ausschlaggebend für die Schnittführung und das Resektatvolumen. Die Operation in den «alten Tumorgrenzen», d.h., eine Resektion, die dem Tumor vor der Systemtherapie entspricht, ist nicht mehr immer notwendig.<sup>2</sup> Zur Abschätzung des Therapieansprechens kann eine Magnetresonanzuntersuchung (MR) vor und nach der neoadjuvanten Chemotherapie hilfreich sein.</li> <li><strong>Die Akzeptanz schmalerer tumorfreier Resektatränder (R0-Resektion)</strong><br /> In den letzten Jahren hat sich die Datenlage über die Breite der als akzeptabel geltenden Resektionsränder dahingehend verändert, dass an der St. Gallen Early Breast Cancer Conference 2015 erstmals ein evidenzbasierter Konsensus bezüglich der Definition der R0-Resektion gefunden werden konnte: Die Mehrheit der Panelteilnehmer war der Meinung, dass eine Tumorentfernung schon mit sehr geringem tumorfreiem Gewebssaum («no ink on tumor») eine genügend hohe onkologische Sicherheit bietet. Das bedeutet, dass mikroskopisch kein Kontakt zwischen dem Tusche-markierten Präparatrand und dem Tumor bestehen darf.<sup>3</sup> Das chirurgische Grundprinzip einer kompletten, radikalen Tumorexzision bleibt weiter bestehen. Es konnte aber gezeigt werden, dass ausgedehntere Resektionen mit breiterem tumorfreiem Gewebssaum, dann allerdings auch unter Inkaufnahme grösserer Gewebsdefekte, weder die Lokalrezidivrate noch das Überleben verbessern. Diese Ergebnisse waren unabhängig von Faktoren wie histologischer Tumorentität (z.B. lobulärer Subtyp), ausgedehnter Carcinoma-in-situ-Begleitkomponente, Alter der Patientin und Tumorbiologie.<sup>4</sup></li> </ul> <h2>Wann eine Mastektomie besser ist</h2> <p>Trotz steigender Indikation für die BET wird in etwa 30 % der operablen Mammakarzinome eine Mastektomie empfohlen. Bei folgenden Fallkonstellationen sind die Grenzen zwischen den Möglichkeiten der BET und der Indikation zur Mastektomie fliessend. Eine klare Kontraindikation zur Brusterhaltung ist immer dann gegeben, wenn durch den Eingriff kein zufriedenstellendes kosmetisches Ergebnis zu erwarten ist. Sofern eine ungünstige Relation von Tumorgrösse zu Brustvolumen weder mit onkoplastischen Techniken noch mittels neoadjuvanter Behandlung ausgeglichen werden kann, ist die Planung einer Up-front-Mastektomie, wenn möglich mit einzeitigem Wiederaufbau, durchaus eine vernünftige Option.<br /> Kontrovers wird dagegen die chirurgische Indikationsstellung bei der Behandlung von Lokalrezidiven nach stattgehabter BET und Bestrahlung diskutiert. Zehn Jahre nach Primärbehandlung beträgt die kumulative Inzidenz von Lokalrezidiven 5–10 % . Bei brusterhaltender Behandlung des Lokalrezidivs ist nach fünf Jahren ein erneutes Lokalrezidiv in circa 20–30 % der Fälle zu erwarten; bei Behandlung des ersten Lokalrezidivs mittels Mastektomie liegt diese Rate hingegen nur bei 4 % . Trotz offensichtlich unterschiedlicher Lokalkontrolle ist das Überleben in den zwei Gruppen vergleichbar.<sup>6</sup> In Anbetracht dieser Daten ist es nachvollziehbar, dass sich allgemein ein Trend abzeichnet, in ausgewählten Fällen Lokalrezidive erneut mit brusterhaltender Operation zu behandeln. Die geeigneten Kandidatinnen dafür sind ältere Patientinnen mit kleinen, unifokalen Rezidiven, die im Idealfall frühestens zwei bis drei Jahre nach Ende der Primärtherapie auftreten.<sup>7</sup></p> <h2>Besondere Herausforderungen</h2> <p>Mammakarzinompatientinnen mit BRCA1/BRCA2-Mutation (ungefähr 10 % der neu diagnostizierten Patientinnen) sind für die primäre chirurgische Behandlung eine ganz spezielle Herausforderung. In diesem Kollektiv besteht nach BET und adjuvanter Bestrahlung mit 20–25 % eine signifikant erhöhte Lokalrezidivrate. Die Mastektomie ist mit einer Lokalrezidivrate von 5–6 % der BET hier überlegen. Das Gesamtüberleben ist allerdings in beiden Gruppen vergleichbar.<sup>8</sup> Die BRCA1/BRCA2-Mutation geht mit einer reduzierten Reparaturkapazität von DNA-Doppelstrangbrüchen einher. Dies führt auf der einen Seite zu einer hohen Strahlensensibilität der Tumoren, auf der anderen Seite ist aber das Risiko von Langzeitfolgeschäden im umgebenden gesunden Gewebe schwer einschätzbar.<sup>9</sup> Die BET ist auch bei Vorliegen einer Genmutation möglich, die Mastektomie muss aber, sicher auch aus prophylaktischen Gründen, offensiv diskutiert werden.<br /> Ein chirurgischer Spezialfall ist das inflammatorische Mammakarzinom. Diese per definitionem lokal fortgeschrittene Brustkrebsform stellt eine absolute Kontraindikation zur BET dar. Die internationalen Leitlinien empfehlen bei dieser besonders ungünstigen und aggressiven Form von Brustkrebs ein multimodales Therapiekonzept mit neoadjuvanter Chemotherapie, gefolgt von einer Mastektomie mit axillärer Lymphonodektomie und der adjuvanten Bestrahlung.<sup>5</sup></p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Lafortune G et al: Final report on work package II: comparing activities and performance of the hospital sector in Europe: how many surgical procedures performed as inpatient and day cases? OECD Health Division, Directorate for Employment, Labour and Social Affairs 2012 (<a href="http://www.oecd.org/health/Comparing-activities-and-performance-of-the-hospital-sector-in-Europe_Inpatient-and-day-cases-surgical-procedures.pdf" target="_blank">www.oecd.org/health/Comparing-activities-and-performance-of-the-hospital-sector-in-Europe_Inpatient-and-day-cases-surgical-procedures.pdf</a>) <strong>2</strong> Coates AS et al: Tailoring therapies – improving the management of early breast cancer: St Gallen International Expert Consensus on the Primary Therapy of Early Breast Cancer 2015. Ann Oncol 2015; 26: 1533-46 <strong>3</strong> Houssami N et al: The association of surgical margins and local recurrence in women with early-stage invasive breast cancer treated with breast-conserving therapy: a meta-analysis. Ann Surg Oncol 2014; 21: 717-30 <strong>4</strong> Moran MS et al: Society of Surgical Oncology – American Society for Radiation Oncology consensus guideline on margins for breast-conserving surgery with whole-breast irradiation in stages I and II invasive breast cancer. J Clin Oncol 2014; 32: 1507-15 <strong>5</strong> Interdisziplinäre S3-Leitlinie für die Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Mammakarzinoms. Leitlinienprogramm Onkologie der AWMF, Deutschen Krebsgesellschaft e.V. und Deutschen Krebshilfe e.V. 2012 <strong>6</strong> Vila J et al: Conservative surgery for ipsilateral breast tumor recurrence. J Surg Oncol 2014; 110: 62-7 <strong>7</strong> Gentilini O et al: Repeating conservative surgery after ipsilateral breast tumor reappearance: criteria for selecting the best candidates. Ann Surg Oncol 2012; 19: 3771-6 <strong>8</strong> Pierce LJ et al: Local therapy in BRCA1 and BRCA2 mutation carriers with operable breast cancer: comparison of breast conservation and mastectomy. Breast Cancer Res Treat 2010; 121: 389-98 <strong>9</strong> Drooger JC et al: Diagnostic and therapeutic ionizing radiation and the risk of a first and second primary breast cancer, with special attention for BRCA1 and BRCA2 mutation carriers: A critical review of the literature. Cancer Treat Rev 2015; 41: 187-96</p>
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