
©
Getty Images/iStockphoto
Wann Progesterontherapie und wann Zervixcerclage?
Leading Opinions
Autor:
Prof. Dr. med. Daniel Surbek
Ordinarius und Chefarzt<br> Universitäts-Frauenklinik<br> Inselspital Bern<br> E-Mail: daniel.surbek@insel.ch
30
Min. Lesezeit
14.06.2018
Weiterempfehlen
<p class="article-intro">Dank grosser randomisierter Studien in den letzten 5 Jahren wurden viele Fortschritte bei der Prävention der Frühgeburtlichkeit erreicht. Die zwei Hauptpfeiler der Therapie sind die Gabe von Progesteron und die Zervixcerclage. Bei Versagen einer Cerclage gilt der totale Muttermundverschluss als Erfolg versprechend. Die laparoskopische Cerclage ist experimentell und invasiv und deshalb nicht empfohlen. Pessare halten gemäss randomisierten Studien nicht das, was sie ursprünglich versprochen haben, und werden aktuell mangels Wirksamkeitsnachweises nicht empfohlen.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Die Frühgeburtlichkeit mit der damit verbundenen perinatalen Morbidität und Mortalität ist immer noch die grösste Herausforderung in der fetomaternalen Medizin. Nachdem die Prävalenz der Frühgeburt über Jahre angestiegen ist, zeigen neuste epidemiologische Studien, dass nun dank der neuen Präventions- und Therapiemöglichkeiten ein umgekehrter Trend eingesetzt hat. Grundlage dafür bilden insbesondere die vielen grossen randomisierten Studien, welche in den letzten Jahren durchgeführt worden sind. Zudem sind prädiktive Methoden breit eingeführt worden oder befinden sich in eben dieser Einführungsphase, womit die Selektion derjenigen Patientinnen möglich wurde, welche effektiv von einer Therapie profitieren. Dazu gehören vorwiegend die sonografische Messung der Zervixlänge und der neue Biomarker plazentäres Alpha- Mikroglobulin 1 (PAMG-1), das im Zervikovaginalsekret bestimmt werden kann.<br /> Folgende Massnahmen, welche für die Reduktion der Frühgeburtlichkeit verantwortlich sind, sind erwiesenermassen wirksam: Progesterontherapie, Zervixcerclage, Reduktion des Nikotinabusus, Reduktion der transferierten Embryonen bei IVF, Screening und Therapie vaginaler Infektionen, Präeklampsieprophylaxe mit niedrig dosierter ASS und die Reduktion der Zahl der iatrogenen Frühgeburten. Bei welcher Patientin aber welche dieser Therapien erfolgreich ist, d.h., wann die Indikation für welche Massnahme gegeben ist, war lange nicht definiert. Nachdem in den letzten 10 Jahren eine Plethora qualitativ hochstehender klinischer Studien publiziert worden ist, besteht teilweise Verwirrung und Unklarheit, in welcher klinischen Situation welche Therapie angewendet werden sollte. Insbesondere bei Zwillingsschwangerschaften bestehen diesbezüglich Unsicherheiten. Im Folgenden soll hier klar und als Handlungsempfehlung dargestellt werden, was gemäss der aktuellen Evidenz aus Studien wirksam ist und deshalb durchgeführt werden sollte und was der Evidenz entbehrt und somit nicht indiziert ist.</p> <h2>Therapie mit Progesteron</h2> <p>In den 1980er-Jahren wurde postuliert, dass eine Therapie mit Progesteron Frühgeburten verhindern könnte. Damals wurde dessen möglicher Wirkmechanismus auf die relaxierende Wirkung im Myometrium zurückgeführt. Insgesamt 6 klinische Studien zeigten klare Evidenz für die Wirksamkeit von Progesteron zur Frühgeburtsverringerung um 50 % . Gleichzeitig wurde erkannt, dass die Nebenwirkungsrate dieser Therapie sehr gering war. Dennoch dauerte es – unter anderem mangels Interesse der pharmazeutischen Industrie an einem kaum patentierbaren Wirkstoff – rund zwanzig Jahre, bis die Progesterontherapie erneut aufgegriffen wurde und nunmehr in grossen randomisierten klinischen Studien auf ihre Wirksamkeit geprüft wurde. Basis dafür war die Erkenntnis, das verschiedene Mechanismen des Progesterons wirksam sind. Diese umfassen insbesondere die folgenden: Endometriumsdezidualisierung, Myometriumsrelaxation durch Downregulation der «gap junctions», Immunmodulation – Suppression der inflammatorischen Reaktion und Entzündungshemmung in der Zervix – und Relaxation der glatten Muskulatur (direkte Wirkung).<br /> Die wichtigsten «landmark studies» haben die beiden Indikationen vorausgegangene Frühgeburt und Zervixverkürzung untersucht. Es kamen dabei unterschiedliche Formen der Progesterontherapie zur Anwendung: Bei Frauen mit St.p. Sectio wurde 17-alpha-Hydroxyprogesteron 1x wöchentlich i.m. verabreicht, bei den anderen ein vaginales Progesteronpräparat. Beide Therapien konnten die Frühgeburtlichkeit signifikant und klinisch bedeutsam reduzieren. Es folgten weitere Studien, u.a. bei Zwillingen und Drillingen und mit verschiedenen Progesterondosen. Im weiteren Verlauf wurden Daten in Metaanalysen zusammengefasst, teilweise im Sinne einer «individual patient data metaanalysis ». Letztendlich wurden auch die Daten der Studien mit 17-alpha-Hydroxyprogesteron mit denjenigen mit vaginaler Progesterontherapie verglichen. Die folgenden Empfehlungen basieren auf diesen neusten Studien.</p> <h2>Wann Progesterontherapie?</h2> <p>Grundsätzlich sollte bei der Indikationsstellung (Tab. 1) immer zwischen Einlings- und Zwillingsschwangerschaft unterschieden werden. Bei Einlingsschwangerschaften sind die beiden Hauptindikationen für eine Progesterontherapie die vorausgegangene Frühgeburt/der Spätabort und die sonografisch gemessene (asymptomatische) Zervixverkürzung. Bei vorzeitigen Wehen ist eine Progesterontherapie (z.B. parallel zu einer Tokolyse) gemäss einer grossen randomisierten Schweizer Studie nicht indiziert. Auch nach einer durchgeführten Tokolyse, in stabiler Situation, ist eine Nachbehandlung mit Progesteron nicht effektiv.<br /> Hinsichtlich des Cut-offs bei Zervixverkürzung ist zu beachten, dass es unterschiedliche Empfehlungen gibt. Die normale Zervixlänge beträgt über 30mm zwischen der 20. und 34. SSW. 20–30mm Zervixlänge ist die Grauzone, in der eine Progesterontherapie eingeleitet werden kann. Allenfalls ist eine Zusatzdiagnostik mittels wiederholter Bestimmung eines Biomarkers sinnvoll, am besten PAMG-1, welches den höchsten positiv prädiktiven Wert aller Biomarker im Vaginalsekret hat und als kommerzieller Bedside-Test erhältlich ist (Partosure<sup>®</sup>). Bei einer Zervixlänge unter 20mm ist in jedem Falle eine Progesterontherapie indiziert.<br /> Eine Zwillingsschwangerschaft per se ist keine Indikation für eine Progesterontherapie, da sie nicht generell bei Zwillingsschwangerschaften wirksam ist. Bestehen jedoch bei einer Zwillingsschwangerschaft eine Zervixverkürzung oder eine Frühgeburt/ ein Spätabort in der Vorgeschichte, sollte eine Therapie durchgeführt werden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Gyn_1802_Weblinks_s20_tab1.jpg" alt="" width="1417" height="696" /></p> <h2>Wie soll die Progesterontherapie durchgeführt werden?</h2> <p>Grundsätzlich stehen zwei Präparate zur Verfügung: das natürliche Progesteron und das 17-alpha-Hydroxyprogesteron (siehe oben). Das natürliche Progesteron wird intravaginal verabreicht, und zwar in einer Dosierung von 200mg 1x tgl. abends (Utrogestan<sup>®</sup>). Das 17-alpha-Hydroxyprogesteron wird in Form eines Depotpräparates 1x wöchentlich i.m. verabreicht, ist jedoch in dieser Form in der Schweiz nicht als zugelassenes Präparat erhältlich.<br /> Die Frage, welches Präparat angewendet werden soll, ist mittlerweile auch geklärt, Gewisse Autoren behaupteten initial, dass bei vorausgegangener Frühgeburt ausschliesslich das 17-alpha-Hydroxyprogesteron wirksam sei. Obwohl es keine direkt vergleichenden Studien zwischen diesen beiden Präparaten hinsichtlich ihrer Wirksamkeit zur Frühgeburtsreduktion gibt, zeigen indirekte Vergleichsstudien jedoch klar, dass in beiden relevanten klinischen Situationen vaginales Progesteron zumindest gleich gut wirksam ist wie das 17-alpha- Hydroxyprogesteron. Daher wird heute (zumindest in europäischen Ländern) klar das vaginale Progesteron bevorzugt.<br /><br /> <strong>Beginn und Dauer der Therapie</strong><br /> Je nach klinischer Situation ist der empfohlene Zeitpunkt für den Beginn der Therapie unterschiedlich. Bei vorausgegangener Frühgeburt oder Spätabort empfehlen wir, bereits in der 12. SSW mit der Therapie zu beginnen und diese bis zur 37. SSW weiterzuführen. Im Falle einer Zervixverkürzung sollte die Progesterontherapie bei Diagnosestellung begonnen werden und ebenfalls bis in die 37. SSW weitergeführt werden. Gemäss der Studienlage inklusive Langzeit-Follow-up beim Kind über eine mittlere Dauer von 2 Jahren sind keine unerwünschten Nebenwirkungen bekannt. Die Kosten einer Therapie sind sehr günstig (Therapiekosten ca. CHF 1.– pro Tag), somit besteht ein extrem günstiges Kosten-Nutzen-Verhältnis.<br /><br /> <strong>Empfohlenes Präparat</strong> Natürliches (mikronisiertes) Progesteron (Utrogestan<sup>®</sup>) Dosierung: einmal täglich 200mg intravaginal (abends)<br /> Dauer: ab der 12. SSW oder bei Diagnosestellung einer Zervixverkürzung, bis zur 36. SSW</p> <h2>Zervixcerclage</h2> <p>Die Cerclage ist ein altes Verfahren, welches in den 1960er- und 1970er-Jahren breit zur Prophylaxe der Frühgeburt eingesetzt wurde, allerdings damals ohne klare Evidenz. Prinzipiell ist sie ausschliesslich bei der sogenannten primären Zervixinsuffizienz wirksam, wobei diese schwierig zu diagnostizieren ist und man heute weiss, dass auch immunologische Faktoren (Infektabwehr, Inflammation usw.) in der Zervixfunktion eine wichtige Rolle spielen.<br /><br /> <strong>Wann Cerclage?</strong><br /> Erst die wichtige randomisierte «Medical Research Councel»(MRC)-Studie in den 1980er-Jahren hat gezeigt, dass die Cerclage zur Reduktion der Frühgeburtlichkeit lediglich bei Frauen mit mindestens 2 vorausgegangenen Spätaborten und frühen Frühgeburten wirksam ist (Tab. 2). Diese Indikation zur sogenannten prophylaktischen Cerclage (d.h., bevor eine Verkürzung der Zervix eintritt) besteht heute noch im gleichen Umfang.<br /> Auf der Basis der in jüngster Zeit entwickelten Möglichkeiten, die Zervix auch morphologisch (Ultraschall) und biochemisch (Biomarker) besser zu beurteilen, wurden neue Indikationen zur Cerclage (Ultraschall-indizierte Cerclage) definiert. Eine grosse randomisierte Studie in England zeigte allerdings, dass eine reine Zervixverkürzung ohne weitere Vorgeschichte keine Indikation zur Cerclage darstellt, da sie unwirksam ist. Gab es hingegen gleichzeitig eine Frühgeburt oder einen Spätabort und eine Zervixverkürzung in der Vorgeschichte, dann ist die sogenannte Ultraschall-indizierte Cerclage wirksam. Dies gilt (vermutlich) auch bei Frauen, bei denen in der Vorgeschichte eine resezierende Operation an der Zervix vorgenommen wurde (Konisation, LEEP usw.) und eine Zervixverkürzung besteht, wobei hier die Evidenz nicht im selben Masse gegeben ist. Zu beachten ist allerdings, dass diese Indikation nur bei Einlingsschwangerschaften gilt, da sie sich bei Zwillingen als unwirksam erwiesen hat. Dies heisst aber auch, dass bei Frauen mit einer Frühgeburt oder einem Spätabort in der Vorgeschichte die erste Zervixlängenmessung mittels Ultraschall bereits früh durchgeführt werden sollte (ab der 16. SSW) und im Verlauf die Untersuchungen wiederholt werden sollten.<br /> Schliesslich gibt es noch eine dritte klinische Situation, bei der eine Cerclage indiziert ist: die bereits eingetretene Zervixinsuffizienz, bei welcher im 2. Trimester die Fruchtblase mittels Spekulumuntersuchung im Muttermund oder gar in der Vagina oder am Introitus sichtbar ist. Hier ist die sogenannte Notfallcerclage indiziert, vorausgesetzt, es bestehen keine aktiven Wehen und keine klinisch manifeste Infektion.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Gyn_1802_Weblinks_s20_tab2.jpg" alt="" width="1417" height="1183" /></p> <h2>Wie soll die Cerclage durchgeführt werden?</h2> <p>Als die am häufigsten verwendeten Methoden sind die Cerclage nach McDonald und die Cerclage nach Shirodkar zu nennen. Erstere ist technisch einfacher, birgt weniger operative Risiken und ist vermutlich gleich wirksam wie Letztere. Aus diesem Grund empfehlen wir prinzipiell die Cerclage nach McDonald. Bei der Notfallcerclage muss je nach Befund und je nach Protrusion der Fruchtblase diese sorgfältig hinter den inneren Muttermund reponiert werden. Die kann am besten mit einem Foley-Ballonkatheter bewerkstelligt werden, wobei eine Harnblasenfüllung und evtl. eine vorgängige transabdominale Amniozentese mit Fruchtwasserreduktion hilfreich sein kann. Perioperativ werden eine Tokolyse mit Indomethacin und eine Antibiotikagabe durchgeführt. Der späteste sinnvolle Zeitpunkt für eine Cerclage ist die 24. SSW.<br /> Bei Versagen einer dieser Methoden, d.h. bei einer folgenden frühen Frühgeburt trotz Cerclage, kommt der totale Muttermundverschluss nach Sahling infrage. Ziel ist es, eine Gewebsbarriere gegen aszendierende Infektionen zu erreichen. Dabei wird das Portioepithel scharf angefrischt und der äussere Muttermund mit einer doppelten Nahtreihe verschlossen. In der Regel kombinieren wir dies mit einer Cerclage nach McDonald.<br /> Die laparoskopische Cerclage ist eine experimentelle Technik, welche ungleich invasiver ist als die transvaginalen Methoden und mit relevanten Komplikationen verbunden sein kann. Zudem existieren hierzu nur kleine publizierte Fallserien. Deshalb wird sie nicht empfohlen bzw. sollte sie nur im Rahmen von klinischen Studien durchgeführt werden.<br /><br /> <strong>Sollen Cerclage und Progesterontherapie kombiniert werden?</strong><br /> Bei sehr hohem Frühgeburtsrisiko (beispielsweise aufgrund wiederholter Frühgeburten/ Spätaborte in der Vorgeschichte kombiniert mit einer Zervixverkürzung) kann eine kombinierte Therapie mit Zervixcerclage und Progesterongabe angewendet werden, wobei hierzu keine aussagekräftigen Daten vorhanden sind.</p> <h2>Pessartherapie: einfach, aber unwirksam</h2> <p>Die Idee der Einlage eines Zervixpessars nach Arabin ist ebenfalls keine neue Methode. Basierend auf einer ersten spanischen Studie waren die Hoffnungen gross, dass eine Wirksamkeit hinsichtlich der Verringerung der Frühgeburtlichkeit besteht. Mittlerweile gibt es jedoch mehrere grosse, prospektiv randomisierte Studien, welche sowohl bei Einlingsschwangerschaften wie auch bei Zwillingen keine Wirksamkeit zeigen. Da es sich beim Pessar um einen Fremdkörper handelt und damit die Vaginalflora naturgemäss gestört wird, wodurch das Risiko für Infektionen steigt, ist die Verwendung eines Pessars zurzeit nicht indiziert.</p> <div id=""fazit"> <h2>Fazit</h2> Nach jahrzehntelangem Anstieg der Frühgeburtenrate kommen nun endlich Früchte von Forschungsanstrengungen zum Tragen, indem wirksame Methoden zur Frühgeburtsreduktion definiert werden konnten und auch die Frühgeburtenzahl bereits etwas zurückgegangen ist. Um den vollen Effekt dieser Massnahmen in der Schweiz zu erreichen, ist es wichtig, dass die Indikationen in der klinischen Praxis richtig gestellt und die Therapien, vor allem die Progesterontherapie und die Zervixcerclage, korrekt angewendet werden. Der vorliegende Artikel versucht einen entsprechenden Beitrag dazu zu leisten.</div></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p>beim Verfasser</p>
</div>
</p>
Das könnte Sie auch interessieren:
«Fire Drill» im Kreisssaal
Ein sorgfältig durchgeführter «Fire Drill» kann Leben retten und stellt sicher, dass alle Beteiligten auf den Ernstfall vorbereitet sind. Die Einführung eines «Fire Drill» im Kreisssaal ...
Verbesserung der Ästhetik ohne onkologische Kompromisse
In der Brustchirurgie existiert eine Vielzahl an unterschiedlich komplexen onkoplastischen Operationstechniken mit verschiedenen Klassifikationen. Die kritische Selektion der Patient: ...
Morbus Paget der Vulva
Nach Definition der WHO stellt der Morbus Paget der Vulva eine intraepitheliale Neoplasie und obligate Präkanzerose dar, die von pluripotenten Stammzellen der interfollikulären Epidermis ...