Was die flusskontrollierte Beatmung alles kann!
Autor:innen:
OÄ Dr. Caroline Dobretzberger1
FÄ Dr. Johanna Lederhilger1
OA Dr. Thorsten Punkenhofer1
OA Dr. Dominik Stumpf1
FÄ Dr. Silja-Maria Trägner1
OA Dr. Andreas Strobl2
1 Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin
2 HNO, Kopf- und Halschirurgie
Barmherzige Schwestern
Ordensklinikum Linz
Korrespondierende Autorin:
OÄ Dr. Caroline Dobretzberger
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„Flow-controlled ventilation“ (FCV®) erschließt neue Möglichkeiten im Bereich der Atemwegssicherung bei schwierigen Atemwegen. Darüber hinaus bietet diese neuartige Beatmungsform einen innovativen Ansatz für lungenprotektive Beatmung.
Keypoints
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Das Prinzip der „flow-controlled ventilation“ (FCV®) und das Beatmungsgerät EVONE® stellen ein neues Beatmungskonzept dar.
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FCV ermöglicht eine individualisierte Optimierung der Lungenmechanik und konsekutiv eine reduzierte mechanische Belastung für die Lunge im Sinne lungenprotektiver Beatmung.
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Aufgrund der Kontrolle von In- und Exspiration ist eine „Strohhalmbeatmung“ über ultradünne Beatmungstuben mit sehr schmalem Lumen möglich.
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Dadurch erweitert sich das Atemwegsmanagement bei Patienten mit engen Atemwegen.
Der Schlüssel liegt in der Kontrolle des Flusses
Wenn wir von kontrollierter Beatmung sprechen, so meinen wir eigentlich die Beeinflussung der Inspiration – volums- oder druckkontrolliert –, wohingegen die Exspiration, abhängig von der Compliance und den Retraktionskräften der Lunge, nach wie vor einen passiven, unkontrollierten Vorgang darstellt. Müsste man nicht korrekterweise von kontrollierter Inspiration sprechen?
Abb. 1: In- und Exspirationsphase unter „flow-controlled ventilation“ mittels Bernoulli-Effekt
Prof. Dr. Dietmar Enk entwickelte mit dem Prinzip der „flow-controlled ventilation“ (FCV®) und dem Beatmungsgerät EVONE® ein neues Beatmungskonzept.1 Der Schlüssel liegt in der Kontrolle des Beatmungsflusses über den kompletten Beatmungszyklus.1 Was bislang unmöglich erschien, lässt sich nun durch Anwendung des Bernoulli-Effektes verwirklichen: eine aktive, kontrollierte Exspiration (Abb. 1).2
Intratracheale Druckmessungen während der Beatmung ermöglichen einen präzisen Blick auf die dynamische Lungenmechanik und somit eine individuelle Anpassung der FCV®-Beatmung nach dem „Best compliance“-Prinzip mit dem Respirator EVONE®.3
Innovativer Ansatz mit neuen Perspektiven für eine lungenprotektive Beatmung
Mehrere Arbeiten einer Forschungsgruppe der Universitätsklinik Innsbruck zeigen unter individualisierter flusskontrollierter Beatmung eine Optimierung der Lungenmechanik und durch Verbesserung der CO2-Elimination auch eine Reduktion des Atemminutenvolumens.
Es konnte somit eine deutliche Minimierung der mechanischen Scherkräfte im Beatmungszyklus („mechanical power“)als geeigneter Indikator für lungenprotektive Beatmung erreicht werden.4–8
Neue Möglichkeiten der Atemwegssicherung bei schwierigen Atemwegen
Was bislang unmöglich erschien, ist nun real. Durch die Kontrolle von In- und Exspiration ist nun eine „Strohhalmbeatmung“ über ultradünne Beatmungstuben mit sehr schmalem Lumen möglich. Aus anästhesiologischer Sicht erweitert sich dadurch das Atemwegsmanagement bei Patienten mit schwierigen Atemwegen.
Der ultradünne Tubus (Tritube®) mit einem Beatmungslumen (ID) von 2,3mm und einem Außendurchmesser (OD) von 4,4mm ermöglicht die Intubation auch bei engen anatomischen Verhältnissen sowie im Bedarfsfall eine schonende fiberoptische Wachintubation nach Vorlage eines Guidewire-Drahtes. Durch die intratracheale Druckmessung direkt an der Tubusspitze können die Beatmungsparameter präzise gemessen und in der Folge optimiert werden.9–11 Die Abbildung 2 zeigt einige Beispiele.
Abb. 2A–F: A: Tritube® (OD 4,4mm, ID 2,3mm); B: Trachealstenose mit Tritube®; C: konventionelle Intubation (Tubus 6,0 ID); D: im Vergleich eine Tritube®-Intubation (ID 2,3mm); E: Abtragung eines subglottischen Granulationsgewebes unter kontinuierlicher FCV®-Beatmung durch OA Dr. Andreas Strobl; F: fiberoptische Atemwegsschienung mittels Guidewire
Postoperativ kann der entcuffte Tritube® zur Sicherung des Atemweges belassen werden,das maximiert die Patientensicherheit.11 Eine Phonation ist auch mit liegendem, aber entcufftem Tritube® möglich.
Gerade bei vermuteter schwieriger Maskenbeatmung ist eine primäre Atemwegsschienung mittels Guidewire unter erhaltener Spontanatmung anzustreben. Sollten sich beispielsweise bei einer geplanten supraglottischen Jetventilation Probleme mit der Larynxeinstellung ergeben, besteht dadurch eine alternative Möglichkeit der Atemwegssicherung.
Die Koniotomiekanüle Cricath® hat ebenso einen dünnen Innendurchmesser von nur 2mm. Sie dient gemeinsam mit dem Handbeatmungsgerät Ventrain® als Notkoniotomie-Tool in einer „Can’t intubate and can’t ventilate“-Situation und ermöglicht eine flusskontrollierte Beatmung bei okkludiertem Atemweg.12 Als obligat werden eine intermittierende Peak- und PEEP-Messung sowie Kapnografie unter Cricath® erachtet.
Eine elektive Koniotomie in Lokalanästhesie kann mit Cricath® für kurze Eingriffe, z.B. bei Patienten mit supraglottischen Tumoren und geplanter Panendoskopie mit Biopsie, in Erwägung gezogen werden. Mit dieser Technik ist es möglich, jegliche anästhesiologische Manipulation im Bereich des oberen Atemweges zu vermeiden. Je nach Grad der Atemwegsokklusion kann eine Sauerstoffinsufflation bis hin zur FCV®-Beatmung über Ventrain® erfolgen.
Die Anwendung von Cricath® und Tritube® erfolgt in speziellen Fällen auch in Kombination (Abb. 3). Nach intraoperativem Entschluss zur Laserresektion mit Tumordebulking auf Glottisebene erfolgten im hier dargestellten Fall die Intubation und weitere flusskontrollierte Beatmung mittels Respirator EVONE®.10,13 Cricath® wurde zwei Stunden postoperativ problemlos entfernt und erhöhte die Patientensicherheit (Abb. 3).
Abb. 3A–D: A: initiale Koniotomie in Lokalanästhesie und anschließender Allgemeinnarkose; B: Kombination aus Cricath® und Tritube®; C: intraoperativer Situs mit Tritube® (OD 4,4mm); D: postoperative Cricath® für den Aufwachraum
Worauf ist bei geringen Beatmungslumina zu achten?
Entscheidend für ein gutes Gelingen ist das Erlangen einer ausreichenden FCV®-Expertise mit dem Respirator EVONE® und seinem Equipment, bevor eine „Strohhalmbeatmung“ durchgeführt wird. Denn nur so kann man die ersten Anzeichen einer potenziell problematischen Sekretansammlung im ultradünnen Tubus erkennen, rasch reagieren und Komplikationen vermeiden.10,14 Pressen oder Husten kann zu einer Dislokation des dünnen Tubus führen. Dementsprechend ist auf eine adäquate Narkoseführung zu achten.15
Weitere Möglichkeiten der Beatmung bei komplexen Pathologien des Larynx
Für die Chirurgie in Mundhöhle/Oropharynx ist die nasale Intubation in aller Regel ausreichend. Anders sieht das im Bereich des Larynx aus. Hier wäre aus HNO-ärztlicher Sicht ein tubusloses Verfahren anzustreben, um maximalen chirurgischen Arbeitsraum zu ermöglichen. Univ.-Prof. Dr. Alexander Aloy, Wien, entwickelte dazu unter anderem die tubuslose supralaryngeale Jetventilation („superimposed high-frequency jet ventilation“; S-HFJV).16
Dieses Verfahren setzt jedoch eine Larynxeinstellung voraus und ist auf einen passiven Backflow angewiesen, um Baro- und Volutrauma zu vermeiden. Das Risiko für kritisch hohe Drücke im Bronchialsystem der Lunge („air trapping“) erhöht sich, je beengter der Atemweg ist, und dies stellt unter Umständen eine relative oder absolute Kontraindikation für dieses Verfahren dar.17,18
Des Weiteren sind Patienten, die sich einer transoralen Laserresektion unterziehen, oft Raucher mit pulmonalen Erkrankungen und geringer respiratorischer Reserve. Für den Chirurgen oft störende Unterbrechungen, um eine ausreichende Oxygenierung aufrechtzuerhalten, stellen keine Seltenheit dar, verlängern die Operationsdauer und erhöhen das Patientenrisiko.2 Oszillationen der Stimmbänder können unter Umständen das Operationsergebnis beeinflussen. Alle tubuslosen Verfahren (ob HFJV oder THRIVE) bieten keinen Aspirationsschutz dar und setzen das Personal einer Aerosolbelastung aus.19,20 Es bleibt also das Spannungsfeld zwischen Patientensicherheit und optimierten chirurgischen Arbeitsbedingungen.
Bewertung des Systems aus Sicht des HNO-Arztes
Prim. Univ.-Prof. Dr. Martin Burian, Abteilungsleiter für HNO-Heilkunde,Kopf- und Halschirurgie, Barmherzige Schwestern Ordensklinikum Linz, stellt seine Einschätzung aus Sicht des HNO-Arztes dar: „In der Phonochirurgie bietet FCV® gegenüber herkömmlicher Intubation und supralaryngealer Jetventilation eindeutige Vorteile. Zudem steigen die Übersichtlichkeit bei vielen laryngoskopischen Eingriffen und die Sicherheit bei endotrachealer Chirurgie.“
Ebenso können Patienten mit offenen Trachealresektionen/Rekonstruktionen von dem Systemprofitieren.21,22
Derzeit besteht für den Tritube® kein Sicherheitszertifikat für den Gebrauch mit Laser. Unter Einhaltung der Sicherheitsmaßnahmen (gute Kommunikation, Reduktion der FiO2, Schutz des Tubus und Cuffs mit feuchter Gaze) wurden jedoch national und international Anwendungen erfolgreich und komplikationslos durchgeführt.2,10,20
Wie die Schilddrüsenchirurgie davon profitiert
Hochgradige Trachealstenosen aufgrund einer Struma per magna stellen unter Umständen nicht nur Anästhesisten vor Herausforderungen, sondern auch Schilddrüsenchirurgen. Durch Modifikation spezieller Klebeelektroden ist es gelungen, ein intraoperatives Neuromonitoring zur Detektierung des Nervus recurrens auch unter Verwendung des Tritube® zu ermöglichen (Abb. 4).
Abb. 4A–D: A: hochgradige Trachealstenose; B: Tritube® mit modifizierten Klebeelektroden; C: Vorschieben des Tritubes® über den Guidewire bei wachem Patienten; D: gesicherter Atemweg, Klebeelektroden auf Stimmbandebene
Gute interdisziplinäre Zusammenarbeit ist entscheidend für eine individualisierte Patientenversorgung. FCV kann in diesem Sinne eine Erweiterung der anästhesiologischen wie auch der chirurgischen Möglichkeiten darstellen.
Literatur:
1 Barnes T, Enk D: Ventilation for low dissipated energy achieved using flow control during both inspiration and expiration. Trends Anaesth Crit Care 2019; 24: 5-12 2 Meulemans J et al.: Evone® Flow-controlled ventilation during upper airway surgery: Aclinical feasibility study and safety assessment. Front Surg 2020; 7:6 3 Barnes T et al.: Minimisation of dissipated energy in the airways during mechanical ventilation by using constant inspiratory and expiratory flows – Flow-controlled ventilation (FCV). Med Hypotheses 2018; 121: 167-76 4 Spraider P et al.: Flow-controlled versus pressure-controlled ventilation in cardiac surgery with cardiopulmonary bypass – A single-center, prospective, randomized, controlled trial. J Clin Anesth 2023; 91: 111279 5 Enk D et al.: Dynamic compliance in flow controlled ventilation. Intensive Care Med Exp 2021; 9(1): 26 6 Abram J et al.: Individualised flow-controlled versus pressure-controlled ventilation in a porcine oleic acid-induced acute respiratory distress syndrome model. Eur J Anaesthesiol 2023; 40(7): 511-20 7 Abram J et al.: Individualised flow-controlled ventilation reduces applied mechanical power and improves ventilation efficiency in a porcine intra-abdominal hypertension model. Intensive Care Med Exp 2024; 12(1): 27 8 Spraider P et al.: Individualized flow-controlled ventilation compared to best clinical practice pressure controlled ventilation: a prospective randomized porcine study. Crit Care 2020; 24(1): 662 9 Enk D: Jet ventilation catheter,inparticular for ventilating a patient. United States Patent 2018. https://patentimages.storage.googleapis.com/72/f2cf/2e2773101bec9d/US10118007.pdf; zuletzt aufgerufen am 15.7.2024 10 Grassetto A et al.: A new perspective during laryngo-tracheal surgery: the use of an ultra-thin endotracheal tube (Tritube®) and flow-controlled ventilation—a retrospective case series and a review of the literature. J Anaesth Analg Crit Care 2022; 2(1): 39 11 Kristensen MS et al.: Ventilation via the 2.4mm internal diameter Tritube® with cuff – new possibilities in airway management. Acta Anaesthesiol Scand 2017; 61: 580-9 12 Enk D: Gasstromumkehrelement (gas flow reversing element). United States Patent 2022. https://patentimages.storage.googleapis.com/de/a7/69/3407a0889f5027/US10543335.pdf ; zuletzt aufgerufen am 15.7.2024 13 Enk D: Verfahren und Vorrichtung zur Beatmung eines Patienten (method and device for ventilating a patient). Canadian Patent Application 2017. https://patentimages.storage.googleapis.com/fe/69/bb/cddd16a62b30a7/CA3016247A1.pdf ; zuletzt aufgerufen am 15.7.2024 14 Mallam L et al.: Near total intrathoracic airway obstruction managed with a Tritube® and flow-controlled ventilation. Anaesth Rep 2022; 10(1): 10.1002 15 Schmidt J et al.: Glottic visibility for laryngeal surgery: Tritube vs. microlaryngeal tube: A randomised controlled trial. Eur J Anaesthesiol 2019; 36: 963-71 16 Aloy A: High frequency ventilation; https://www.aloy.at/high-frequency-ventilation/; zuletzt aufgerufen am 15.7.2024 17 Altun D et al.: High frequency jet ventilation during endolaryngeal surgery: risk factors for complications. Auris Nasus Larynx 2018; 45: 1047-52 18 Ihra G et al.: Supralaryngeal tubeless combined high-frequency jet ventilation for laser surgery of the larynx and trachea. Br J Anaesth 1999; 83(6): 940-2 19 Kim HJ, Asai T: High-flow nasal oxygenation for anesthetic management. Korean J Anesthesiol 2019; 72(6): 527-47 20 Filauro M et al.: Evone® Flow controlled ventilation: a new device for laryngotracheal surgery. Acta Otorhinolaryngol Ital 2022; 42(2): 189-93 21 Bialka S et al.: Flow-controlled ventilation – a new and promising method of ventilation presented with a review of the literature. Anaesthesiol Intensive Ther 2022; 54(1): 62-70 22 Leow TYS et al.: Intubation with a Tritube to avoid peri-operative tracheostomy in open airway surgery. J Laryngol Otol 2022; 136(12): 1333-5
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