<p class="article-intro">Bis vor einigen Jahren galt die Cochleaimplantation bei Patienten mit kontralateralem Normalgehör noch als kontraindiziert, doch die Forschungsergebnisse der letzten Jahre zeigen eindeutige Vorteile für die Betroffenen auf. Jenen Patienten, für die ein CI nicht infrage kommt, kann durch geeignete Verfahren ebenfalls ein besseres Sprachverstehen im Störlärm ermöglicht werden, nicht jedoch das Richtungshören.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>Die Auswirkungen einer erworbenen einseitigen Ertaubung auf den beruflichen und privaten Alltag eines Betroffenen werden sehr oft unterschätzt.</li> <li>In Abhängigkeit von der Genese, dem Zeitpunkt und der Dauer der Ertaubung sowie den individuellen Wünschen und Bedürfnissen des Patienten können auf den Einzelfall zugeschnittene Ansätze zur Hörrehabilitation angeboten werden.</li> <li>Durch die frühzeitige Wiederherstellung eines binauralen Hörens einseitig taub geborener Kinder kann eine monaural kortikale Organisation vermieden werden.</li> </ul> </div> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros Digital_Pneumo_1701_Weblinks_istock-nicht_verstehen-web.jpg" alt="Bild" width="820" height="358" /></p>
<p class="article-intro">Bis vor einigen Jahren galt die Cochleaimplantation bei Patienten mit kontralateralem Normalgehör noch als kontraindiziert, doch die Forschungsergebnisse der letzten Jahre zeigen eindeutige Vorteile für die Betroffenen auf. Jenen Patienten, für die ein CI nicht infrage kommt, kann durch geeignete Verfahren ebenfalls ein besseres Sprachverstehen im Störlärm ermöglicht werden, nicht jedoch das Richtungshören.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>Die Auswirkungen einer erworbenen einseitigen Ertaubung auf den beruflichen und privaten Alltag eines Betroffenen werden sehr oft unterschätzt.</li> <li>In Abhängigkeit von der Genese, dem Zeitpunkt und der Dauer der Ertaubung sowie den individuellen Wünschen und Bedürfnissen des Patienten können auf den Einzelfall zugeschnittene Ansätze zur Hörrehabilitation angeboten werden.</li> <li>Durch die frühzeitige Wiederherstellung eines binauralen Hörens einseitig taub geborener Kinder kann eine monaural kortikale Organisation vermieden werden.</li> </ul> </div> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros Digital_Pneumo_1701_Weblinks_istock-nicht_verstehen-web.jpg" alt="Bild" width="820" height="358" /></p> <p>Definitionsgemäß beschreibt der Begriff der einseitigen Taubheit („single-sided deafness“, SSD) eine unilaterale hochgradige Schwerhörigkeit (funktionelle Ertaubung) bei gleichzeitig uneingeschränkt bis maximal leichtgradig reduziertem Hörvermögen des Gegenohres. Es ist dies die Maximalvariante einer asymmetrischen Stimulation des auditorischen Systems.</p> <p>Die Konsequenz ist ein Verlust der Fähigkeit des Filterns von Sprachinformation und des Ausblendens von Umgebungslärm in geräuschvollen Hörsituationen („squelch effect“). Weiters fehlt der Effekt der binauralen Verstärkung. Durch den Verlust des Kopfschatteneffekts ist es einem einseitig tauben Patienten nicht mehr möglich, die Richtung einer Schallquelle zu lokalisieren. All diese Defizite haben Auswirkungen auf das tägliche Leben, führen letztendlich zu einer Verringerung an Lebensqualität und können in weiterer Folge auch sozioökonomische Folgen für den Betroffenen haben.</p> <p>Ursächlich für das Auftreten dieser Form der Hörstörung können neben Schädeltraumen Infektionen des Mittelohres sein, die auf das Innenohr übergreifen. Die Störung kann auch die Folge einer Meningitis oder einer fortgeschrittenen Menière’schen Erkrankung sein. Sehr oft lässt sich bei einer einseitigen Ertaubung aber keine bestimmte Ätiologie erkennen.</p> <p>Circa 19 % der Menschen weltweit sind von einem Hörverlust von mehr als 20dB betroffen. Über die Anzahl einseitig tauber Menschen gibt es nur Schätzungen. In den USA wird von 60.000 Neuerkrankungen pro Jahr ausgegangen.</p> <p>Aber nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder sind durch eine einseitige Ertaubung negativ beeinflusst. So konnte in Studien gezeigt werden, dass eine einseitige Ertaubung bei Kindern die Entwicklung des Gehirns beeinflussen kann.<sup>1</sup> Weiters kann eine einseitige Ertaubung auch einen negativen Einfluss auf die Sprachentwicklung sowie auf die soziale Entwicklung des Kindes haben. Kinder mit einseitiger Ertaubung beginnen oft etwas später zu gehen, da eine veränderte Raumorientierung besteht.</p> <h2>Möglichkeiten der Defizitkompensation</h2> <p>In Abhängigkeit von der Genese, dem Zeitpunkt und der Dauer der Ertaubung sowie von den individuellen Wünschen und Bedürfnissen des Patienten gibt es unterschiedliche Therapieansätze. Eine Kompensationsmöglichkeit ist die Transposition akustischer Information von der ertaubten Seite auf die hörende Seite. Dies kann in Form einer Hörgeräteversorgung erfolgen, wobei der Patient auf beiden Seiten – das heißt auch auf der normal hörenden Seite – ein Hörgerät tragen muss. Die akustische Information wird dann entweder mittels einer Kabelverbindung zwischen den beiden Hörgeräten oder per Funk von der ertaubten Seite auf die hörende Seite übertragen. Diese Versorgungsform wird als „Contralateral routing of signal“(CROS)-Versorgung bezeichnet.</p> <p>Eine weitere Möglichkeit besteht in einer transkraniellen CROS-Versorgung. Hierbei wird der Schall von der ertaubten Seite über ein knochenverankertes Implantat, welches den Schädelknochen in Schwingung versetzt, auf die hörende Schnecke übertragen. Dabei gibt es wiederum zwei Möglichkeiten, diese Übertragung herzustellen: einerseits mittels einer perkutanen Übertragung über eine im Mastoid verankerte Schraube, wobei der Sprachprozessor auf die Schraube aufgesteckt wird. Die zweite Möglichkeit, den Schall über die Knochenleitung zu übertragen, ist eine transkutane CROS-Versorgung. Bei dieser wird der semiimplantierbare Teil, der den Knochen in Schwingung versetzt, ins Mastoid bzw. die Schädeldecke eingefräst und der Schall vom Sprachprozessor transkutan auf das Implantat übertragen.</p> <p>Die Funk-/Kabel-CROS-Versorgung unterscheidet sich von der transkraniellen CROS-Versorgung einerseits dadurch, dass bei der transkraniellen Versorgung ein chirurgischer Eingriff notwendig ist, andererseits aber auch in der Übertragungsgeschwindigkeit. Der zeitliche Delay der Informationsübertragung bei einer Hörgeräte-CROS-Versorgung ist über viele Jahre die limitierende Größe in der Akzeptanz dieser Versorgungsform beim Patienten gewesen. Durch eine Verkürzung der Überleitungszeit zwischen den beiden Hörgeräten konnte dieses Problem deutlich verringert werden. Braucht der Schall, wenn er über Luft übertragen wird, aufgrund des Kopfschatteneffektes 0,65ms, um das der Schallquelle abgewandte Ohr zu erreichen, so wird der Schall bei Übertragung über die Knochenleitung für Frequenzen über 0,8kHz in 0,2ms auf die hörende Seite übertragen. Hohe Frequenzen erfahren eine größere Verstärkung als tiefe Frequenzen.</p> <p>Eine im Jahr 2015 publizierte Pilotstudie der Universität Dalhousie in Halifax (Kanada) verglich die Verwendung einer kabellosen CROS-Versorgung mit knochenverankerten Hörgeräten bei einseitig tauben Patienten.<sup>2</sup> In dieser Studie konnte gezeigt werden, dass das Sprachverstehen in ruhiger Umgebung für alle 3 untersuchten Testsituationen – nämlich unversorgt, versorgt mit einer Funk-CROS-Versorgung oder versorgt mit einem knochenverankerten Hörimplantat („bone-anchored hearing aid“, BAHA) – annähernd gleich ist. Trifft Störschall auf das hörende Ohr, so zeigt sich im Vergleich mit der unversorgten Situation eine deutliche Verbesserung des Sprachverstehens in der versorgten Situation, dies sowohl mit dem knochenverankerten Hörgerät als auch dem Funkhörgerät. Trifft Störschall allerdings das ertaubte Ohr, so zeigt die BAHA-Versorgung einen deutlichen Benefit gegenüber der Funk-CROS-Versorgung.</p> <p>Beide Versorgungsformen führen zu einer Verbesserung des Sprachverstehens in geräuschvoller Umgebung. Die Restitution eines binauralen Hörvermögens ist mit dieser Versorgungsform allerdings nicht möglich. Eine Restitution des ertaubten Ohres und das Wiedererlangen eines binauralen Hörens sind nur durch die Verwendung eines Cochleaimplantats (CI) möglich. Cochleaimplantate werden seit ca. 30 Jahren in der Versorgung von Patienten mit an Taubheit grenzender Innenohrschwerhörigkeit bzw. ertaubten Patienten mit Erfolg eingesetzt. Bis vor einigen Jahren galt es als kontraindiziert, diese Versorgungsform Patienten mit kontralateralem Normalgehör anzubieten. Die Forschungsergebnisse der letzten Jahre zeigten jedoch, dass einseitig taube Patienten mit kontralateralem Normalgehör sehr von einer CI-Versorgung profitieren können.<sup>3–7</sup></p> <p>Die Ergebnisse der bisher publizierten Studien erschienen vielversprechend, weshalb wir 2015 an unserer Abteilung eine Studie initiierten, in die wir 26 einseitig ertaubte Patienten einschließen konnten – wobei eine Gruppe mit dem knochenverankerten, semiimplantierbaren, transkutanen Knochenleitungsimplantat Bone Bridge versorgt wurde und die zweite Gruppe mit einem Cochleaimplantat. Es wurden ausschließlich erwachsene Patienten in die Studie eingeschlossen. Beide Gruppen wurden im Hinblick auf eine Verbesserung des Sprachverstehens bei Störlärm sowie ein Wiedererlangen des Richtungshörens verglichen, und es wurde die Auswirkung auf die Lebensqualität abgefragt (Tab. 1 bzw. Tab. 2). <img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros Digital_Pneumo_1701_Weblinks_seite2_2.jpg" alt="Tab.1" /> <img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros Digital_Pneumo_1701_Weblinks_seite3_1.jpg" alt="Tab.2" /></p> <p>Die Taubheitsdauer betrug in der CI-Gruppe 1 bis 24 Jahre, in der Bone-Bridge-Gruppe 1 bis 62 Jahre. Die Implantaterfahrung zum Untersuchungszeitpunkt betrug in der CI-Gruppe 1 bis 6 Jahre, in der Bone-Bridge-Gruppe 4 Monate bis 3 Jahre. Das Sprachverstehen im Störlärm wurde mit dem OLSA-Satztest sowie dem HSM-Test abgefragt. Die Veränderung des Richtungshörens wurde mit dem ISVR-5-Lautsprecher-Test bestimmt. Zur Ermittlung der „quality of life“ wurden der SSQ-Fragebogen sowie der „Bern benefit in single-sided deafness“(BBSS)-Fragebogen verwendet.</p> <p>Die Ergebnisse sowohl in der CI-Gruppe als auch in der Bone-Bridge-Gruppe zeigten eine statistisch signifikante Verbesserung des Sprachverstehens im Störlärm (Abb. 1 und 2). Weiters zeigte sich eine deutliche Verbesserung des Richtungshörens in der CI-Gruppe und keinerlei Benefit in der Gruppe der Bone-Bridge-Patienten (Abb. 3). In Bezug auf das Sprachverstehen, das räumliche Hören und die Hörqualität gaben sowohl die CI-Patienten als auch die Bone-Bridge-Patienten eine statistisch signifikante Verbesserung der Lebensqualität an (Abb. 4). Dies spiegelte sich auch im BBSS-Fragebogen für einseitig ertaubte Patienten wider. <img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros Digital_Pneumo_1701_Weblinks_seite1.jpg" alt="Abb.1" /> <img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros Digital_Pneumo_1701_Weblinks_seite2_1.jpg" alt="Abb.2" /> <img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros Digital_Pneumo_1701_Weblinks_seite3_2.jpg" alt="Abb.3" /> <img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros Digital_Pneumo_1701_Weblinks_seite4.jpg" alt="Abb.4" /></p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>Eine im Erwachsenenalter erworbene oder bereits in der Kindheit aufgetretene einseitige Ertaubung ist für den Betroffenen mit einer Reihe von Einschränkungen im täglichen Leben verbunden. Mit dem Cochleaimplantat können eine Verbesserung des Sprachverstehens in geräuschvoller Umgebung sowie eine Verbesserung des Richtungshörens und der Fähigkeit, auch weiter entfernte Sprecher zu verstehen, erzielt werden. Damit kommt es zu einer deutlichen Reduktion der Höranstrengung für den Betroffenen. Jenen Patienten, deren Hörvermögen nicht mit einem CI wiederhergestellt werden kann, kann mit einer CROS-Versorgung ein besseres Sprachverstehen im Störlärm ermöglicht werden. Eine Wiedererlangung des Richtungshörens ist damit allerdings nicht möglich. Für Kinder ist eine frühzeitige Wiederherstellung eines binauralen Hörens von großer Bedeutung, um eine monaurale kortikale Organisation zu vermeiden.</p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Kral A et al: Single-sided deafness leads to unilateral aural preference within an early sensitive period. Brain 2013; 136: 180-93 <strong>2</strong> Finbow J et al: A comparison between wireless CROS and bone-anchored hearing devices for single-sided deafness: A pilot study. Otol Neurotol 2015; 36(5): 819-25 <strong>3</strong> Rahne T et al: Functional result after cochlear implantation in children and adults with single-sided deafness. Otol Neurotol 2016; 37(9): e332-40 <strong>4</strong> Laske RD et al: Functional results and subjective benefit of a transcutaneous bone conduction device in patients with single-sided deafness. Otol Neurotol 2015; 36(7): 1151-6 <strong>5</strong> Firszt JB et al: Auditory abilities after cochlear implantation in adults with unilateral deafness: A pilot study. Otol Neurotol 2012; 33: 1339-46 <strong>6</strong> Rösli M et al: The impact of cochlear implants on the quality of life of patients with single-sided deafness. HNO 2015; 63(3): 182-8 <strong>7</strong> Friedmann DR et al: Single-sided deafness cochlear implantation: candidacy, evaluation, and outcomes in children and adults. Otol Neurotol 2016; 37(2): e154-60</p>
</div>
</p>