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Einsatz von Cannabis-basierten Medikamenten in der Neurologie und Psychiatrie

<p class="article-intro">Seit Inkrafttreten des „Cannabis als Medizin“-Gesetzes im Jahr 2017 in Deutschland hat die Verschreibung von Cannabis-basierten Medikamenten einschließlich Medizinalcannabisblüten kontinuierlich zugenommen. Mittlerweile sind Cannabis-basierte Medikamente fester Bestandteil des Therapiespektrums bei verschiedenen Erkrankungen. Ihr Stellenwert bei neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen ist – abgesehen von der Behandlung der Spastik bei Multipler Sklerose – allerdings noch weitestgehend ungeklärt.</p> <hr /> <p class="article-content"><h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Besteht nach &auml;rztlicher Einsch&auml;tzung eine Indikation f&uuml;r eine Cannabis-basierte Behandlung, sollte gepr&uuml;ft werden, ob auch die Voraussetzungen f&uuml;r eine Kosten&uuml;bernahme durch die gesetzliche Krankenkasse erf&uuml;llt sind.</li> <li>Die therapieresistente mittelschwere oder schwere Spastik bei Multipler Sklerose ist die einzige Indikation im Bereich Neurologie/Psychiatrie, f&uuml;r die mit dem Cannabisextrakt Nabiximols (Sativex<sup>&reg;</sup>) ein bet&auml;ubungsmittelgesetzpflichtiges Cannabis-basiertes Medikament zugelassen ist.</li> <li>Seit Kurzem ist der Cannabidiol(CBD)-Extrakt Epidyolex<sup>&reg;</sup> f&uuml;r die Behandlung des Lennox-Gastaut- und Dravet- Syndroms zugelassen. F&uuml;r ihn gelten aber nicht die Regelungen des &bdquo;Cannabis als Medizin&ldquo;-Gesetzes und er unterliegt auch nicht der Bet&auml;ubungsmittelverschreibungsverordnung.</li> <li>F&uuml;r zahlreiche weitere psychiatrische und neurologische Erkrankungen wird eine Wirksamkeit Cannabis-basierter Medikamente diskutiert.</li> </ul> <h2>Wie ist der rechtliche Rahmen?</h2> <p>Im Rahmen des im M&auml;rz 2017 in Kraft getretenen &bdquo;Cannabis als Medizin&ldquo;-Gesetzes wurden Medizinalcannabisbl&uuml;ten und daraus hergestellte Extrakte von Anlage I in Anlage III des Bet&auml;ubungsmittelgesetzes (BtmG) umgestuft und dadurch &uuml;berhaupt erst verschreibungsf&auml;hig. Parallel wurde im Sozialgesetzbuch (SGB) V &sect; 31 Abs. 6 festgelegt, unter welchen Voraussetzungen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten f&uuml;r diese Therapie &uuml;bernehmen m&uuml;ssen (Tab. 1).<br /> Diese gesetzlichen Regelungen beziehen sich auf alle Medizinalcannabisbl&uuml;ten (unabh&auml;ngig vom Gehalt an Tetrahydrocannabinol [THC] und Cannabidiol [CBD]) sowie alle THC-haltigen Medikamente inklusive Cannabisextrakten und des THC-Analogons Nabilon. Hingegen gelten das &bdquo;Cannabis als Medizin&ldquo;-Gesetz sowie die genannten Regelungen zur Kostenerstattung nicht f&uuml;r das (Rezeptur-)Arzneimittel CBD und CBD-Extrakte.<br /> Nur zwei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes &ndash; am 6. Juni 2019 &ndash; hat der Deutsche Bundestag ein weiteres Gesetz verabschiedet mit dem Ziel, den b&uuml;rokratischen Aufwand in Zusammenhang mit der Verschreibung Cannabis-basierter Medikamente sowie die Kosten zu reduzieren (Tab. 2).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Neuro_1906_Weblinks_s37_tab1.jpg" alt="" width="1299" height="537" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Neuro_1906_Weblinks_s37_tab2.jpg" alt="" width="1299" height="689" /></p> <p>&nbsp;</p> <h2>Verschreibungsf&auml;hige Cannabisbasierte Medikamente</h2> <p>Alle THC-haltigen Cannabis-basierten Medikamente sowie alle Medizinalcannabisbl&uuml;ten (unabh&auml;ngig vom THC-Gehalt) unterliegen der Bet&auml;ubungsmittelverschreibungsverordnung. In Deutschland zugelassen sind aktuell lediglich drei Pr&auml;parate auf Cannabisbasis in folgenden Indikationen:</p> <ul> <li>der Cannabisextrakt Nabiximols (Sativex<sup>&reg;</sup>) f&uuml;r die Behandlung der therapieresistenten mittelschweren oder schweren Spastik bei Multipler Sklerose (MS)</li> <li>das THC-Analogon Nabilon (Canemes<sup>&reg;</sup>) f&uuml;r die Behandlung von &Uuml;belkeit und Erbrechen im Rahmen einer Krebschemotherapie</li> <li>der CBD-Extrakt Epidyolex&reg; f&uuml;r die Begleitbehandlung zu Clobazam bei Kindern ab zwei Jahren bei Krampfanf&auml;llen im Zusammenhang mit dem Lennox- Gastaut-Syndrom und dem Dravet-Syndrom</li> </ul> <p>Dar&uuml;ber hinaus sind weitere (nicht zugelassene) Cannabis-basierte Medikamente verschreibungsf&auml;hig, darunter Medizinalcannabisbl&uuml;ten mit unterschiedlichen Gehalten an THC und CBD (Stand 11/2019: 42 verschiedene Bl&uuml;tensorten mit THC-Gehalten zwischen 1 und 25 % und CBD-Gehalten zwischen &lt; 1 % und 12,5 %), die Reinsubstanzen THC und CBD sowie seit Kurzem in zunehmender Anzahl Cannabis- Vollspektrum-Extrakte (mit unterschiedlichen THC- und CBD-Gehalten) in Tropfenform zur oralen Einnahme (Tab. 3).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Neuro_1906_Weblinks_s37_tab3.jpg" alt="" width="1299" height="800" /></p> <h2>Einsatz in der Neurologie</h2> <p><strong>Spastik bei MS</strong> <br />Nicht nur wegen der Zulassung von Nabiximols in dieser Indikation k&ouml;nnen keine begr&uuml;ndeten Zweifel an der Tatsache bestehen, dass THC-haltige Cannabis-basierte Medikamente zu einer Reduktion der Spastik in dieser Patient(inn)engruppe f&uuml;hren k&ouml;nnen. Oft wirken sich weitere Wirkungen positiv auf das Behandlungsergebnis aus, etwa eine Reduktion von Schmerzen, &Auml;ngsten und &Uuml;belkeit oder eine Verbesserung von Schlaf, Stimmung, Appetit und Gewicht. Unklar ist hingegen, ob Cannabisbasierte Medikamente auch bei einer Spastik aus anderer Ursache wirksam sind.</p> <p><strong>Bewegungsst&ouml;rungen</strong> <br />Auch wenn zahlreiche pr&auml;klinische Studien Hinweise darauf erbrachten, dass Cannabis-basierte Medikamente in der Behandlung extrapyramidal-motorischer Bewegungsst&ouml;rungen (etwa M. Parkinson, M. Huntington, Dystonie, Tremor) wirksam sein k&ouml;nnten, so fehlen bis heute aussagekr&auml;ftige klinische Studien, die dies eindeutig kl&auml;ren konnten. In Einzelf&auml;llen wurde &uuml;ber eine deutliche Symptomverbesserung beim Restless-Legs-Syndrom berichtet.</p> <p><strong>Epilepsie</strong> <br />Der CBD-Extrakt Epidyolex<sup>&reg;</sup> f&uuml;hrt mehreren gro&szlig;en kontrollierten Studien zufolge zu einer zum Teil erheblichen Anfallsreduktion bei Kindern mit schwerer Epilepsie bei Dravet- und Lennox-Gastaut-Syndrom. Inwieweit Cannabis-basierte Medikamente auch zur Behandlung anderer Epilepsien geeignet sind, ist nicht bekannt. Einzelne Patient(inn)en berichten allerdings &uuml;ber erstaunliche Behandlungseffekte mit unterschiedlichen Substanzen einschlie&szlig;lich Medizinalcannabisbl&uuml;ten.</p> <p><strong>Neuroprotektion</strong> <br />Cannabinoide wirken neuroprotektiv. Allerdings ist bis heute unklar, ob dies auch von therapeutischem Nutzen sein k&ouml;nnte, etwa in der Behandlung von neurodegenerativen Erkrankungen einschlie&szlig;lich M. Alzheimer oder nach Schlaganfall.</p> <h2>Einsatz in der Psychiatrie</h2> <p><strong>Tourette-Syndrom</strong> <br />Die beste Datenlage liegt f&uuml;r die Behandlung von Tics im Rahmen eines Tourette- Syndroms vor. Neben Fallberichten mit insgesamt ca. 250 Patienten konnte in zwei kleinen kontrollierten Studien eine Wirksamkeit von THC nachgewiesen werden. Gr&ouml;&szlig;ere Studien mit verschiedenen Cannabis-basierten Medikamenten werden aktuell durchgef&uuml;hrt.</p> <p><strong>Weitere psychiatrische Indikationen</strong> <br />Hierzu z&auml;hlen die Aufmerksamkeitsdefizit- Hyperaktivit&auml;tsst&ouml;rung (ADHS), die posttraumatische Belastungsst&ouml;rung (PTBS), Angstst&ouml;rungen, Schizophrenien, Depression, Schlafst&ouml;rungen, Zwangsst&ouml;rungen, Autismusspektrum-St&ouml;rungen, Suchterkrankungen. <br />F&uuml;r eine Vielzahl weiterer psychiatrischer Erkrankungen gibt es gut begr&uuml;ndete Hinweise auf eine Wirksamkeit Cannabis- basierter Medikamente. Allerdings fehlen in s&auml;mtlichen Indikationen kontrollierte Studien mit ausreichenden Fallzahlen, um eine abschlie&szlig;ende Bewertung zur Wirksamkeit vornehmen zu k&ouml;nnen. So war beispielsweise CBD in kleinen Studien wirksam in der Behandlung von Patient(inn)en mit Schizophrenie und Angstst&ouml;rungen (besonders bei sozialer Phobie). In einer kleinen Studie f&uuml;hrte Nabiximols zu einer Verbesserung von Symptomen der ADHS. In offenen Studien fand sich eine Wirksamkeit sowohl von CBD als auch von Cannabis, Nabilon und THC in der Therapie der PTBS. In Einzelfallberichten wurden zum Teil erstaunliche Behandlungseffekte beschrieben bei zuvor als therapieresistent eingestuften Patient(inn)en mit Zwangserkrankung und Autismusspektrum- St&ouml;rung. In der Behandlung von Patient(inn)en mit somatischen St&ouml;rungen wurde oft eine stimmungsaufhellende Wirkung Cannabis-basierter Medikamente beobachtet und &uuml;ber eine Verbesserung des Schlafes berichtet. Bisher fehlen aber Studien bei Patient(inn)en mit Depression und Schlafst&ouml;rungen als prim&auml;rer Indikation. Aktuell wird intensiv intersucht, ob Cannabis-basierte Medikamente sinnvoll zur Substitution bei Abh&auml;ngigkeitserkrankungen eingesetzt werden k&ouml;nnen, etwa auch im Rahmen einer Opioidabh&auml;ngigkeit.</p> <h2>Das Cannabis-Dilemma</h2> <p>Wegen der ubiquit&auml;ren (illegalen) Verf&uuml;gbarkeit von Cannabis und seines Gebrauchs zu medizinischen Zwecken seit Jahrtausenden blicken wir auf ein umfangreiches Wissen zur potenziellen Wirkung von Cannabinoiden zur&uuml;ck. Daraus resultieren zahlreiche Berichte &uuml;ber positive Wirkungen bei einer gro&szlig;en Vielzahl von Erkrankungen. Dies reicht von Anorexie, Kachexie und chronischen Schmerzst&ouml;rungen &uuml;ber chronisch-entz&uuml;ndliche Erkrankungen wie Colitis ulcerosa und Rheuma bis hin zu psychiatrischen und neurologischen Erkrankungen. Der anzunehmenden therapeutischen Breite Cannabis-basierter Medikamente steht ein eklatanter Mangel an gro&szlig;en kontrollierten Studien gegen&uuml;ber. Dies ist nicht zuletzt in der fehlenden Patentierbarkeit von Cannabis begr&uuml;ndet. Das &bdquo;Cannabis als Medizin&ldquo;-Gesetz hat den Rahmen geschaffen, Cannabis-basierte Medikamente auch heute schon therapeutisch nutzen zu k&ouml;nnen, damit Patient(inn)en, die von einer solchen &bdquo;Off-label&ldquo;-Therapie profitieren, nicht noch Jahre bis zum Vorliegen entsprechender Studien warten m&uuml;ssen.</p> <h2>Das Endocannabinoid-System</h2> <p>Die Wirkung von THC wird prim&auml;r durch spezifische Cannabinoid-1(CB1)- und Cannabinoid-2(CB2)-Rezeptoren vermittelt. Physiologisch binden an diesen Rezeptoren k&ouml;rpereigene (endogene) Liganden, sogenannte Endocannabinoide, darunter Anandamid (N-Arachidonylethanolamid, AEA) und 2-Arachidonylglycerol (2-AG). THC wirkt somit als Agonist im Endocannabinoid-System. CBD hingegen wirkt antagonistisch an CB-Rezeptoren und beeinflusst dar&uuml;ber hinaus zahlreiche weitere Transmittersysteme, etwa das serotonerge System.</p> <h2>Unerw&uuml;nschte Wirkungen und Kontraindikationen</h2> <p>Cannabis-basierte Medikamente gelten als sicher. Nebenwirkungen treten insbesondere zu Therapiebeginn auf, sind meist transient und lassen im Verlauf der Behandlung nach. Kaum je kommt es zu schwerwiegenden Nebenwirkungen. Die h&auml;ufigsten akuten Nebenwirkungen THC-haltiger Pr&auml;parate sind M&uuml;digkeit, Benommenheit, Schwindel, Mundtrockenheit, Angst, &Uuml;belkeit und kognitive Beeintr&auml;chtigungen. Gelegentlich kommt es zu Euphorie, Verschwommen-Sehen und Kopfschmerzen. Als seltene Nebenwirkungen gelten orthostatische Hypotonie, Psychose, Wahnvorstellungen, Depression, Ataxie, Desorientiertheit, Tachykardie, Cannabis- Hyperemesis-Syndrom und Diarrh&ouml;. Als Kontraindikationen gelten eine vorbestehende Psychose, Schwangerschaft und Stillzeit. Sehr streng sollte die Indikation bei Kindern und Jugendlichen gestellt werden. <br />CBD ist selbst in hohen Dosierungen sehr gut vertr&auml;glich. Die h&auml;ufigsten Nebenwirkungen sind Schl&auml;frigkeit, Sedierung, Lethargie, erh&ouml;hte Leberenzyme, verminderter Appetit, Durchfall, Ausschlag, Unwohlsein, Schw&auml;che und Schlafst&ouml;rungen. Einzige Kontraindikation ist eine &Uuml;berempfindlichkeit.</p> <h2>Ausblick</h2> <p>Weltweit sind zahlreiche Studien in Planung oder Durchf&uuml;hrung, um die Wirksamkeit und Sicherheit Cannabis-basierter Medikamente in zahlreichen verschiedenen Indikationen zu untersuchen. Allerdings wird es noch Jahre dauern, bis in allen aktuell diskutierten neurologischen und psychiatrischen Indikationen belastbare Studien vorliegen. Das Spektrum der verschreibungsf&auml;higen Cannabis-basierten Medikamente hat sich in j&uuml;ngster Zeit erheblich erweitert. In naher Zukunft werden weitere Cannabisextrakte verf&uuml;gbar sein. Parallel werden sogenannte Endocannabinoid- Modulatoren in ersten klinischen Studien untersucht, die entweder den Abbau oder die Wiederaufnahme der Endocannabinoide Anandamid und 2-AG hemmen. Ob dieser weitaus spezifischere Wirkmechanismus Vorteile in der Behandlung mit sich bringt, bleibt abzuwarten. <br /><br />Webseiten zum Thema: <br />Internetseite der Bundesopiumstelle <br /><a href="http://www.bfarm.de">http://www.bfarm.de <br /></a>Internetseite der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (ACM) <br /><a href="https://www.arbeitsgemeinschaft-cannabismedizin.de/">https://www.arbeitsgemeinschaft-cannabismedizin.de/</a></p> <p>&nbsp;</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>bei der Verfasserin</p> </div> </p>
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