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Entscheidungsfindung und Therapiekonzepte bei Typ-A-Frakturen der thorakolumbalen Wirbelsäule
Jatros
Autor:
Dr. Waclaw Urbanski
Klinische Abteilung für Unfallchirurgie und<br> Sporttraumatologie,<br> Universitätsklinikum St. Pölten,<br> Karl Landsteiner Privatuniversität<br> E-Mail: waclaw.urbanski@stpoelten.lknoe.at
Autor:
Dr. Paul Siegert
Autor:
Prof. Dr. Patrick Platzer
30
Min. Lesezeit
22.03.2018
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<p class="article-intro">Die richtige Therapiewahl bei einer Typ-A-Wirbelfraktur ist von vielen Faktoren abhängig. Angefangen mit der richtigen Klassifizierung sind insbesondere patientenabhängige Faktoren und die Dynamik über die Zeit zu beachten. In diesem Artikel wollen wir einen Überblick über Entscheidungsfindung und Therapiekonzepte an der Abteilung für Unfallchirurgie und Sporttraumatologie am Universitätsklinikum St. Pölten vorstellen.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Eine klinische Untersuchung mit Erhebung des neurologischen Status ist obligat.</li> <li>Richtige Klassifikation (CT, MRT)</li> <li>Ab der Typ-A3-Verletzung zeigt sich eine Instabilität.</li> <li>Nicht jede instabile Fraktur muss operativ versorgt werden.</li> <li>Patientenabhängige Faktoren sind entscheidend für den Erfolg.</li> <li>N=1 stellt eine eindeutige OP-Indikation dar.</li> </ul> </div> <h2>Diagnostischer Algorithmus</h2> <p>Um die optimale Entscheidung zu treffen, sind eine ausführliche Anamnese und klinische Untersuchung unumgänglich. Neben dem Unfallmechanismus und der Lokalisation der Schmerzen sollte auch besonders auf Vorerkrankungen des Patienten eingegangen werden: Ist eine degenerative Erkrankung bekannt? Lässt der Allgemeinzustand des Patienten eine operative Therapie zu?<br /> Bei einem wachen und ansprechbaren Patienten wird zuerst eine klinische Untersuchung mit Erhebung des neurologischen Status durchgeführt zur Beurteilung der Höhenlokalisation mit entsprechenden Kennmuskeln und zum Ausschluss einer medullären oder radikulären Symptomatik. Entsprechend der Schmerzlokalisation werden konventionelle Röntgenaufnahmen in zwei Ebenen angefertigt. Bei einer radiologisch und anamnestisch gesicherten, frischen Fraktur stellt sich zur besseren Beurteilung je nach Klassifikation die Indikation zur CT-Aufnahme im betroffenen Segment. Ist aufgrund des Zustands des Patienten eine Untersuchung nicht möglich, ist ein Schockraum- Spiral-CT der gesamten Wirbelsäule obligat.<br /> Die Fraktur kann nun entsprechend der AO-Klassifikation eingeteilt werden. Bei Verdacht auf eine diskoligamentäre Verletzung wird zusätzlich ein MRT mit besonderem Augenmerk auf die STIR-Frequenz durchgeführt. Diese Untersuchungstechnik gibt besonders bei osteoporotischen Frakturen wichtige Informationen über die Beteiligung benachbarter Wirbel.</p> <h2>Klassifikation</h2> <p>Nach heutigem Standard wird eine modifizierte Version der AO-Klassifikation nach Magerl et al. unter Berücksichtigung des Kraftvektors durch den Unfallmechanismus und des neurologischen Status zur Beurteilung thorakolumbaler Verletzungen herangezogen. Unter Typ A werden Verletzungen zusammengefasst, die aus einer Kompression der Wirbelkörper, Quer- und Dornfortsätze hervorgehen. Diese werden wiederum in 4 Subtypen unterteilt, zusätzlich wird der neurologische Status einbezogen:</p> <ul> <li>Typ A1: Deckplatten- und Bodenplattenimpressionen</li> <li>Typ A2: Spaltbruch und Kneifzangenfraktur („Pincer“)</li> <li>Typ A3: inkompletter Berstungsbruch</li> <li>Typ A4: kompletter Berstungsbruch</li> <li>N0–N4: Graduierung neurologischer Defizite</li> </ul> <p>Die durch die Krafteinwirkung hervorgerufenen knöchernen und diskoligamentären Verletzungen werden zusätzlich hinsichtlich der Stabilität nach Blauth et al. in stabil und instabil unterteilt. Definitionsgemäß werden Frakturen des Typs A ab dem Subtyp A3 aufgrund der Hinterkantenbeteiligung als instabil gewertet. Unter Berücksichtigung der Dynamik über die Zeit kann jedoch eine stabile in eine instabile Fraktur übergehen.</p> <h2>Entscheidungsfindung</h2> <p>Am Universitätsklinikum St. Pölten wurden in den Jahren 2016 und 2017 insgesamt 142 Verletzungen der subaxialen Wirbelsäule operativ versorgt. Mit 55,9 % stellt der thorakolumbale Übergang (TLÜ) die am häufigsten betroffene Region dar. Im Laufe dieser zwei Jahre wurden insgesamt 39 HWS-Verletzungen operativ therapiert.<br /> Eine klare Indikation zur operativen Therapie stellen Verletzungen der Wirbelsäule mit einhergehender inkompletter beziehungsweise kompletter Querschnittssymptomatik dar (N=1), die einer raschen Dekompression des betroffenen Segments bedürfen. Auch instabile Frakturen vom Typ B und Typ C werden in der Regel operativ versorgt.<br /> Reine Typ-A1-Frakturen sind per Definition als stabil zu werten. Werden diese daher immer konservativ behandelt? Neben der Stabilität der Wirbelsäule ist die Integrität der Wirbelsäulenkrümmung, vor allem im sagittalen Profil, zu gewährleisten. So empfehlen wir bei Impressionsfrakturen mit einer zunehmenden Abweichung des Grund-Deckplatten-Winkels (GDW) >20°, zur Vermeidung einer posttraumatischen Kyphose, eine operative Therapie mittels Kyphoplastie und gegebenenfalls dorsaler Instrumentierung.<br /> Bei einer „Pincer“-Fraktur (Typ A2) zeigt sich eine Beteiligung der Deck- und Bodenplatte mit konsekutiver Bandscheibenverletzung (Abb. 1). Es kann zu einer sekundären Instabilität kommen. Durch die mögliche Luxation der Bandscheiben in die Fraktur erhöht sich auch die Pseudarthrosengefahr erheblich. Deshalb bedarf es auch hier in der Regel einer operativen Reposition und Stabilisierung. In den Jahren 2016 und 2017 wurden an unserer Klinik 59 dorsale Stabilisierungen durchgeführt.<br /> An unserer Klinik werden inkomplette Berstungsbrüche (Typ A3) einer operativen Therapie zugeführt, wenn ein GDW von >20°, eine Destruktion des Wirbelkörpers über 1/3 nach McCormack oder die Gefährdung neurologischer Strukturen aufgrund von dislozierten Frakturfragmenten vorliegt.<br /> Bei inkompletten Berstungsbrüchen (Typ A3) ohne Dislokation von Knochenfragmenten und einem GDW von <15° ohne Verletzung des PLC („posterior ligament complex“) kann unter Berücksichtigung individueller Parameter des Patienten (Alter, Morbidität, Operations-Kontraindikationen) und bei engmaschigen Röntgenkontrollen zunächst zugewartet und eine konservative Therapie angestrebt werden. Hier kann jedoch bei prolongierter Beschwerdesymptomatik, weiterem Einsinken oder Dislokation des frakturierten Wirbels sekundär eine operative Therapie erforderlich sein (Abb. 2).<br /> Ein konservativer Therapieversuch bei Typ-A4-Verletzungen kann sich als kompliziert erweisen, da aufgrund der Instabilität und Zerstörung des Wirbelkörpers von einer weiteren Fehlstellung in frontaler und sagittaler Ebene auszugehen ist.<br /> Zusätzlich ist die genaue Evaluation der Frakturmorphologie durchzuführen. Bei ausgeprägter Destruktion der Hinterkante bei (in)kompletten Berstungsfrakturen sind die Dislokation der Frakturfragmente und eine Spinalkanaleinengung sehr wahrscheinlich, jedoch wird die Indikation zur Dekompression des Spinalkanals bei signifikant dislozierten Hinterkantenfragmenten, aber gleichzeitiger Abwesenheit einer neurologischen Symptomatik kontrovers diskutiert.<br /> Bei Berstungsfrakturen mit hohem Substanzverlust, häufig bei Hochrasanztraumen junger Patienten, besteht die Indikation zu kombinierten dorsoventralen Verfahren. Sie können meist zweizeitig operiert werden. Mit dorsalem Fixateur interne und ventraler Verplattung oder Wirbelkörperersatz mit Knochenspänen und verschiedenen soliden oder expandierbaren Cages (z.B. Hydrolift<sup>®</sup>) können diese Frakturen versorgt werden. Der Einsatz der verschiedenen Implantate und die Operationstechnik („miniopen“ vs. thorakoskopisch) sind jeweils individuell zu bestimmen und hängen von der Destruktion des Wirbelkörpers, der Knochenqualität, dem Zustand der Bandscheibe und nicht zuletzt von der Expertise und Erfahrung des Operateurs ab. In den vergangenen zwei Jahren wurde zweimal ein zweizeitiger Wirbelkörperersatz am Universitätsklinikum St. Pölten durchgeführt (Abb. 3).<br /> Bei stabilen Wirbelkörperkompressionsfrakturen osteoporotischer Genese und insuffizienter konservativer Therapie kommt eine perkutane Wirbelkörperaugmentation wie die Ballonkyphoplastie zum Einsatz. Dieser Eingriff wurde in den letzten zwei Jahren 55 Mal durchgeführt. In 20 Fällen wurde eine dorsale Stabilisierung zusammen mit einer Kyphoplastie durchgeführt. Aufgrund der verminderten Knochenqualität bei Patienten fortgeschrittenen Alters kann die Verwendung einer dorsalen Instrumentierung problematisch sein. Um die Stabilität des Fixateur interne zu verbessern, kann eine Zementaugmentierung der Schrauben den Halt im Knochen deutlich verbessern und das Risiko eines Schraubenausrisses verringern.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1802_Weblinks_s30_abb1.jpg" alt="" width="1051" height="1040" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1802_Weblinks_s30_abb2.jpg" alt="" width="1418" height="965" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1802_Weblinks_s30_abb3.jpg" alt="" width="1418" height="965" /></p> <h2>Schlussfolgerung</h2> <p>Für die optimale Therapie einer Typ-A-Wirbelkörperfraktur müssen viele Fakten evaluiert werden. Jede Behandlung beginnt mit einer lückenlosen Anamnese und der entsprechenden Bildgebung. Die korrekte Klassifikation, unter Berücksichtigung der Dynamik über die Zeit, stellt die Weichen für jede Therapieentscheidung. Entscheidend für den Erfolg ist es jedoch, die Therapie entsprechend der jeweiligen Erwartung des Patienten bezüglich der privaten und beruflichen Situation sowie unter Berücksichtigung des Allgemeinzustandes anzupassen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1802_Weblinks_s30_abb4.jpg" alt="" width="2187" height="1157" /></p></p>
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<p>bei den Verfassern</p>
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