
«Auch Patienten mit Demenz profitieren von einer chirurgischen Stabilisierung»
Unser Gesprächspartner:
Prof. Dr. med. Andreas Seekamp
Direktor der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel
Präsident der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie
Das Interview führte Dr. med. Felicitas Witte
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Patienten mit Hüftfraktur und einer leichten, mittelschweren oder schweren Demenz haben ein geringeres Risiko zu sterben, wenn sie operiert werden – vor allem wenn es sich um Kopf-Hals-Frakturen handelt. Dies bestätigt eine Studie aus Boston für Menschen mit Demenz, die noch zu Hause leben.1 Was Prof. Dr. med. Andreas Seekamp aus Kiel an der Studie überrascht hat, welche Limitierungen er sieht und was das Wichtigste bei der Versorgung von Patienten mit Hüftfraktur und Demenz ist, erklärt er im Interview.
Herr Professor Seekamp, welche Konsequenzen ziehen Sie aus der Studie?
A. Seekamp: Man sollte Patienten mit hüftgelenksnahen Frakturen trotz Demenz einer operativen Therapie zuführen, wenn die Fraktur das für notwendig erscheinen lässt. Dieses Vorgehen gilt nicht nur für Patienten mit Demenz, sondern auch solchen mit anderen Vorerkrankungen wie Herz- oder Niereninsuffizienz – es sei denn, die Kollegen aus der Anästhesie halten den Patienten für nicht operabel. Für mich ändert sich in der klinischen Praxis durch diese Studie nichts, denn ich plädiere schon seit Jahren für diese Strategie, und in meiner Klinik gehen wir auch so vor. Selbst bei einem demenzkranken, überwiegend bettlägerigen Patienten wird eine Schenkelhalsfraktur bei uns operiert, um einerseits den Patienten möglichst rasch wieder zu mobilisieren und damit die Pflege zu erleichtern und um andererseits seine Schmerzen zu lindern. Zwar brauchen Patienten mit einer Demenz einen höheren Pflegeaufwand und die postoperative Mobilisierung dauert länger. Dennoch gelingt es nach meiner Erfahrung in der überwiegenden Zahl, die Patienten auch mit Demenz nach operativer Versorgung zumindest wieder in einen annähernd gleichen Zustand zurückzuführen, den sie präoperativ hatten.
Operieren Sie bestimmte Patienten nicht?
A. Seekamp: Das hängt massgeblich von der Frakturmorphologie ab. So können beispielsweise eingestauchte mediale Schenkelhalsfrakturen einem konservativen Behandlungsversuch zugeführt werden. Aber auch dies wird allein nach Art der Fraktur entschieden und nicht nach dem gesamtgesundheitlichen Zustand des Patienten. Eine weitere Ausnahme einer zeitnahen operativen Behandlung besteht bei Patienten mit Antikoagulation und nach einem akuten Herzinfarkt oder einem akuten Schlaganfall. Einzig bei diesen Patienten ist es medizinisch vertretbar, den Operationszeitpunkt nach hinten zu verschieben, bis die Vitalparameter des Patienten stabilisiert sind.
Haben die Ergebnisse der Studie Sie überrascht?
A. Seekamp: Überrascht hat mich, dass in dem Kollektiv nur 59% der Patienten einer operativen Therapie zugeführt wurden und 41% konservativ behandelt wurden. Das ist ein sehr hoher Anteil und widerspricht völlig unserem Vorgehen und auch den Statistiken anderer Studien. Die Kollegen hätten erklären sollen, was für Patienten das waren. Vielleicht standen bei diesen Patienten andere gesundheitliche Probleme im Vordergrund, weshalb sie nicht operiert werden konnten, und die dann womöglich zur erhöhten Mortalität geführt haben. Mich hat aber nicht gewundert, dass die Mortalität bei den konservativ behandelten Patienten in beiden Demenzgruppen höher war und auch die errechnete Wahrscheinlichkeit, ohne operative Massnahmen zu versterben, ebenfalls signifikant höher war. Ziele einer operativen Behandlung sind Schmerzlinderung und Mobilisation. Nur so gelingt es, Komplikationen wie eine Thrombose oder eine Lungenentzündung zu vermeiden. Dieses ist in vorangegangenen Studien der letzten Jahrzehnte nachdrücklich nachgewiesen worden. Letzten Endes geht auf diese Studien auch die gesetzliche Regel bei uns in Deutschland zurück, dass ältere Patienten mit hüftgelenksnahen Frakturen zeitnah operativ zu versorgen sind. Der Unterschied der Mortalität von 31,8% der operierten gegenüber 45,7% der nicht operierten Patienten erscheint zunächst gering, ist aber signifikant und allein aufgrund der umfangreichen Zahl von Patienten aussagekräftig.
Operierte Patienten hatten aber ein höheres Risiko für ein Delir, was auch mit Komplikationen einhergehen kann.
A. Seekamp: Das wundert mich ebenfalls nicht, denn das ist auch schon länger bekannt. Unsere klinische Erfahrung ist, dass das Delir innerhalb weniger Tage beziehungsweise spätestens nach Wochen zurückgeht und also nur vorübergehend ist. In der Studie ist leider nicht angegeben, wann sich das postoperativ aufgetretene Delir bei den Betroffenen gebessert hatte und wovon das abhing. Angehörige von Patienten mit Demenz berichten mir immer wieder, der kognitive Zustand habe sich durch die Operation verschlechtert. Dies lässt sich aber mit adäquater Betreuung und therapeutischen Massnahmen innerhalb von wenigen Tagen oder Wochen meist wieder kompensieren. Entscheidend ist, dass die Patienten möglichst rasch wieder zurück in die ihnen vertraute Umgebung kommen, egal ob nach Hause oder in ein Pflegeheim.
Welche Limitierungen hat die Studie?
A. Seekamp: Einige. Erst einmal wie erwähnt die hohe Zahl an konservativ behandelten Patienten. Die Autoren begründen das nicht und es gibt auch keine Erklärungsansätze. Vielleicht waren die konservativ behandelten Patienten per se kränker und hatten deshalb ein höheres Mortalitätsrisiko. Zweitens stammten die Daten aus Krankenakten, was das Risiko für Fehler birgt – etwa durch fehlende oder nicht komplette Daten oder unterschiedliche Praktiken, die Krankenakten auszufüllen. Drittens konnte aus den Daten nicht entnommen werden, wie schnell sich die Patienten erholt haben und welche Faktoren zu einer schnelleren Erholung oder andersherum zu Komplikationen beigetragen haben. Möglicherweise hat sich dies auf das Mortalitätsrisiko ausgewirkt. Auch erfuhren wir nichts darüber, was Patienten und Angehörige wollten – vielleicht wurde mitunter aus persönlichen Gründen eine Operation abgelehnt. Insgesamt halte ich die Qualität der Studie für nicht herausragend und ich habe mich gewundert, dass die Zeitschrift die Publikation angenommen hat. Ich hätte gerne auch Daten eines Vergleichskollektivs von Patienten gesehen, die präoperativ nicht an einer Demenzerkrankung gelitten haben. Die Kollegen hätten auch ein historisches Kollektiv, zusammengestellt aus vorangegangenen Studien, zum Vergleich heranziehen können. Vielleicht kann die Studie aber dazu dienen, sich nochmals bewusst zu machen: Patienten mit Hüftfrakturen primär immer operieren, auch die mit Demenz.
Literatur:
1 Adler RR et al.: JAMA Netw Open 2024; 7(5): e2413878
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