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Prävalenz der Fossa supraacetabularis nach azetabulärer Überdachung des Femurkopfes

Die Magnetresonanz-Arthrografie (MRA) hat sich für die Beurteilung des femoroazetabulären Impingements durchgesetzt, da sie unter anderem erlaubt, die Qualität des Knorpels und mögliche Läsionen des Labrums festzustellen. Bei manchen Patienten liegt gelegentlich eine Fossa supraacetabularis (FSA) vor. Diese Struktur entsteht womöglich durch einen inkompletten Schluss der Wachstumgsfuge am triradiären Knorpel und sollte bei der Evaluierung der Hüft-MRA und der chirurgischen Planung berücksichtigt werden.

Keypoints

  • Die Fossa supraacetabularis (FSA) ist eine Aussackung der Fossa acetabuli in der 12-Uhr-Position, die sich somit im lasttragenden Teil des Hüftgelenks befindet. Sie liegt bei 12% der Patienten mit Hüftschmer-zen vor.

  • Die Prävalenz der FSA korreliert mit der azetabulären Überdachung: Sie ist fast zehnmal höher in Protrusionshüften als bei Hüftdysplasien aufzufinden.

  • Patienten mit einer FSA sollen identifiziert werden, um eine übermässige Trimmung des lateralen Acetabulumdaches bei Pincer- oder Protrusionshüften zu vermeiden und somit einen kritischen Verlust der lateralen lasttragenden Gelenkfläche zu verhindern.

Entwicklung des Acetabulums

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Abb. 1: Blick auf das Acetabulum während des Wachstums. Der triradiäre Knorpel bildet eine Y-förmige Struktur

Das Acetabulum entsteht durch die Ossifikation von drei Knochen: kranial dem Ilium, kaudal dem Ischium und medial dem Pubis. Bei Kindern, bei denen die Ossifikation noch nicht stattgefunden hat, werden diese drei Knochen durch den triradiären Knorpel (engl. «triradiate cartilage») verbunden. Es handelt sich um hyalinen Knorpel, der durch seine drei Teile als Y-förmige Struktur erscheint (Abb. 1).

Der erste Flügel, zwischen Ilium und Ischium liegend, verläuft horizontal nach dorsal. Der zweite, zwischen Pubis und Ilium liegend, verläuft nach kranioventral. Der Letzte ist nahezu vertikal zwischen Pubis und Ischium. Die Verknöcherung des Acetabulums erfolgt von der Schnittstelle der drei Flügel des triradiären Knorpels aus. Dieses Wachstum erweitert den äusseren Durchmesser des Acetabulums. Um eine korrekte Konkavität des Acetabulums zu erreichen, braucht es aber die Interaktion zwischen dem runden Femurkopf und dem Acetabulum während der Wachstumsphase. Das Tiefenwachstum des Acetabulums wird nämlich durch den Druck des Femurkopfes stimuliert.1,2 Verletzungen des triradiären Knorpels, die meist auf ein Hochenergietrauma zurückzuführen sind, können zur Beeinträchtigung der Blutversorgung führen, welche zum vorzeitigen Verschluss der Epiphysenfugen führt. Es entsteht ein flaches Acetabulum und das Hüftgelenk wird lateralisiert, was zur Hüftdysplasie führt.3–5 Die Entwicklung und Morphologie des Acetabulums wird demnach überwiegend vom triradiären Knorpel bestimmt.3

Die Schliessung des triradiären Knorpels erfolgt bei Frauen im Alter zwischen 12 und 14 Jahren und bei Männern zwischen 13 und 14 Jahren,6 wobei die posteriore Fuge zuerst fusioniert. Dieser Vorgang stellt einen wichtigen Schritt in der Entwicklung des Acetabulums dar und wird klinisch als Reifemarker des Acetabulums bei der Indikationsstellung der periazetabulären Osteotomie verwendet.7

Fossa supraacetabularis (FSA)

Die Fossa supraacetabularis (FSA) wurde als normale anatomische Variante des Acetabulumdaches beschrieben.8 Es handelt sich um eine Aussackung der Fossa acetabuli, die sich am häufigsten im lasttragenden Teil des Acetabulums in der 12-Uhr-Position befindet. Man unterscheidet eine FSA vom Typ 1, die keinen oder nur sehr wenig Knorpel enthält und daher hauptsächlich leer ist, und eine FSA vom Typ 2, die mit Knorpel gefüllt ist (Abb. 2). Die Unterscheidung zwischen diesen beiden Typen kann mittels Magnetresonanz-Arthrografie (MRA) der Hüfte erfolgen, bei der intraartikulär Kontrastmittel injiziert wird. Die FSA vom Typ 1 (ohne Knorpel) ist mit Kontrastmittel gefüllt und zeigt ein hyperintenses Signal. Die FSA vom Typ 2 (mit Knorpel gefüllt) erzeugt kein hyperintenses Signal, das Eindringen des Kontrastmittels wird verhindert.9 Es ist wichtig, die FSA bei der MRA korrekt zu identifizieren, da sie fälschlicherweise als Knorpeldefekt der Facies lunata oder sogar als Acetabulumfraktur diagnostiziert werden kann. Im Gegensatz zu einer osteochondralen Läsion weist die FSA glatte Ränder und kein zusätzliches Knochenödem auf.10

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Abb. 2: A. Normales, reifes Acetabulum. B. Fossa supraacetabularis vom Typ 1, welche als leere, knöcherne Grube definiert ist. C. Fossa supraacetabularis vom Typ 2, welche mit Knorpel gefüllt ist

Prävalenz der FSA

In unserer Studie haben wir MRAs von 600 konsekutiven Patienten, welche sich aufgrund von Hüftschmerzen in der Sprechstunde vorgestellt haben, analysiert. Eine FSA wurde bei einem Zehntel (12%) der Patienten ermittelt. FSA vom Typ 2 waren deutlich häufiger anzutreffen und machten drei Viertel aller FSA aus. Um einen möglichen Zusammenhang zwischen dem Vorhandensein einer FSA und einer bestimmten Acetabulummorphologie zu ermitteln, wurde die Studienkohorte in fünf Gruppen eingeteilt (Abb. 3). Die höchste Prävalenz lag bei Patienten mit Protrusio acetabuli vor. Diese Morphologie ist die schwerwiegendste Form der Acetabulumüberdachung und wird in der konventionellen Beckenübersicht definiert als eine Überschreitung der Ilioischial-Linie durch den Femurkopf. Etwa ein Drittel der Patienten mit Protrusio acetabuli wiesen eine FSA auf (Abb. 4). Bei Patienten mit einer verringerten Acetabulumüberdachung, einer sogenannten Dysplasie, wurde mit 3,4% wiederum die geringste FSA-Prävalenz gefunden. Patienten mit normaler azetabulärer Morphologie wiesen in 11% der Fälle eine FSA auf. Zusammenfassend konnten wir feststellen, dass je höher die azetabuläre Überdachung, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass diese eine FSA aufweist.

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Abb. 3: Darstellung der Studiengruppen entsprechend der Acetabularabdeckung des Femurkopfes. Der LCE-Winkel («lateral center edge») ist der Winkel zwischen einer vertikalen Linie vom Zentrum des Femurkopfes und einer Linie vom Zentrum des Femurkopfes zum lateralen Punkt des Acetabulums. Die Protrusio acetabuli wird als eine Überschreitung der Ilioischial-Linie durch den Femurkopf definiert

Abb. 4: Die Prävalenz der Fossa supraacetabularis steigt bei steigender azetabulärer Überdachung des Femurkopfes

Bei der Analyse der Prävalenzverteilung nach Alter konnten wir ausserdem feststellen, dass fast die Hälfte aller FSA bei Patienten unter 20 Jahren anzutreffen waren, und bei etwas mehr als einem Fünftel der 20–25-Jährigen (Abb. 5). Bei Patienten über 40 Jahre war die Prävalenz sehr gering (4%). Die FSA vom Typ 1, die keinen Knorpel enthalten, kamen in der Altersgruppe der unter 20-Jährigen fast doppelt so häufig vor wie in allen anderen Gruppen zusammen und waren bei Patienten über 40 nicht mehr zu finden (Abb.5). Vaeth et al. haben die Hypothese aufgestellt, dass die FSA des Typs 1 zu FSA des Typs 2 reifen und sich dann vollständig schliessen könnten. Dies würde erklären, warum die Häufigkeit mit dem Alter abnimmt.11

Abb. 5: Verteilung der Fossa supraacetabularis nach Altersgruppe. Am häufigsten tritt sie bei jungen Patienten auf und wird mit zunehmendem Alter immer seltener

Ursprung derFossa supraacetabularis

Die genaue Ätiologie der FSA bleibt bisher unbekannt. Die wahrscheinlichste Hypothese ist, dass es sich um einen Entwicklungsrest des triradiären Knorpels handelt, da die FSA sich ungefähr an der Stelle des triradiären Knorpels und insbesondere an der Kreuzung der drei Flügel befindet.

Die höhere Prävalenz bei jungen Menschen, die progressiv mit dem Alter abzunehmen scheint, könnte ein zusätzlicher Hinweis darauf sein, dass die FSA durch eine Verzögerung oder einen Stillstand der Schliessung des triradiären Knorpels verursacht wird. Eine experimentelle Tierstudie hat gezeigt, dass eine vorzeitige Schliessung des triradiären Knorpels zu einer Hüftdysplasie mit Subluxation des Femurkopfes führt.1

Die Ergebnisse unserer Studie ergaben eine sehr niedrige FSA-Prävalenz bei Patienten mit Hüftdysplasie. Im Gegensatz dazu ist eine FSA bei Patienten mit einer Protrusionshüfte sehr viel häufiger anzutreffen. Die unvollständige Schliessung des triradiären Knorpels könnte demnach zu einem stärkeren Wachstum des Acetabulums führen.

Klinische Bedeutung

Die chirurgische Behandlung des femoroazetabulären Impingements von Pincer- oder Protrusionshüfte besteht in einer Trimmung des Acetabulums. So wird die exzessive Überdachung verringert und ein verfrühter Kontakt des Femurkopfes mit dem Acetabulum in Alltagsbewegungen vermieden.

Je nach Umfang der benötigten Korrektur und dem eventuellen Vorliegen von assoziierten Schäden des Knorpels und Labrums wird ein arthroskopisches oder offenes Vorgehen mittels chirurgischer Hüftluxation verwendet. Letztere hat den Vorteil, dass sie eine direkte und vollständige Sicht auf das Acetabulum und den Femurkopf sowie eine dynamische intraoperative Untersuchung des Impingement-Mechanismus ermöglicht.

Bei dem Trimmen des Acetabulums sollte besonderer Wert darauf gelegt werden, dass nicht zu viel des lateralen Acetabulums und somit der lasttragenden Gelenkfläche entfernt wird. Dies würde nämlich eine iatrogene dysplastische Morphologie erzeugen mit einer exzessiven Knorpelbelastung durch die Verringerung der Knorpeloberfläche. Die künftige Beurteilung sollte die individuelle Knorpeloberfläche unter Berücksichtigung der FSA beinhalten. Basierend darauf sollte eine chirurgische Empfehlung erfolgen mit dem Ausmass der potenziellen Pfannenrandtrimmung.

1 Hallel T, Salvati EA: Premature closure of the triradiate cartilage. A case report and animal experiment. Clin Orthop Relat Res 1977; 124: 278-81 2 Tönnis D, Remus W: Development of hip dysplasia in puberty due to delayed ossification of femoral nucleus, growth plate and triradiate cartilage. J Pediatr Orthop B 2004; 13(5): 287-92 3 Dong Y et al.: Retrospective analysis of traumatic triradiate cartilage injury in children. BMC Musculoskelet Disord 2021; 22(1): 674 4 Liporace FA et al.: Development and injury of the triradiate cartilage with its effects on acetabular development: review of the literature. J Trauma 2003; 54(6): 1245-9 5 Ponseti IV: Growth and development of the acetabulum in the normal child. Anatomical, histological, and roentgenographic studies.J Bone Joint Surg Am 1978; 60(5): 575-85 6 Dimeglio A: Growth in pediatric orthopaedics. J Pediatr Orthop 2001; 21(4): 549-55 7 Matta JM et al.: Periacetabular osteotomy through the Smith-Petersen approach. Clin Orthop Relat Res 1999; 363: 21-32 8 Byrd JWT: [Hip arthroscopy. Portal technique and arthroscopic anatomy]. Orthopade 2006; 35(1): 41-53 9 Dietrich TJ et al.: Supraacetabular fossa (pseudodefect of acetabular cartilage): frequency at MR arthrography and comparison of findings at MR arthrography and arthroscopy. Radiology 2012; 263(2): 484-91 10 DuBois DF, Omar IM: MR imaging of the hip: normal anatomic variants and imaging pitfalls. Magn Reson Imaging Clin N Am 2010; 18(4): 663-74 11 Vaeth D et al.: Age dependent prevalence of the supraacetabular fossa in children, adolescents and young adults. Insights Imaging 2022; 13(1): 91

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