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Schenkelhalsfrakturen bei Menschen mit Demenz
Bericht:
Dr. med. Felicitas Witte
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Patienten mit Hüftfraktur sollten zeitnah operiert werden, wenn es die Indikation zulässt – auch im Falle einer Demenz. Denn ein konservatives Vorgehen geht vor allem bei Kopf-Hals-Frakturen mit einer erhöhten Mortalität einher, wie eine Studie vom Brigham and Women’s Hospital in Boston bestätigt.1
Gemäss internationalen Leitlinien sollte eine peritrochantäre Fraktur innerhalb des ersten Tages beziehungsweise bis 48 Stunden nach stationärer Aufnahme operiert werden.2–5 Menschen mit Demenz, die wegen einer Hüftfraktur operiert werden, haben eine erhöhte Mortalität und ein höheres Risiko für Delirium, postoperative Infektionen, Hüftdislokation, respiratorische Komplikationen und einen höheren Grad an Mobilitätsverlust als Menschen ohne Demenz, die wegen einer Hüftfraktur operiert werden.6, 7 Wenig ist aber bekannt darüber, wie es Patienten mit Hüftfraktur und Demenz geht, die konservativ behandelt werden. Es gibt Hinweise, dass diejenigen mit fortgeschrittener Demenz, die in Pflegeheimen leben und operiert werden, länger leben als Patienten, die nicht operiert wurden.8 Wie das aber bei Senioren mit Demenz ist, die nicht im Heim leben, ist unklar.
In der Schweiz lebt jeder zweite Mensch mit Demenz – rund 58000 Personen – zu Hause, meist von den Angehörigen betreut und/oder gepflegt. Doch auch viele Menschen mit Demenz, nämlich rund 17400, leben allein.9 Welche Strategie für Demenzpatienten, die zu Hause leben, besser ist, untersuchten Forscher um den orthopädischen Chirurgen Dr. med. Andrew Schoenfeld vom Center for Surgery and Public Health im Brigham and Women’s Hospital in Boston.1
Die Autoren führten eine retrospektive Querschnittsstudie mit Krankenkassendaten von 56209 Menschen mit Demenz durch, die zu Hause lebten und eine Hüftfraktur erlitten hatten. Die Daten stammten aus den Jahren 2016 bis 2018. Die Frakturen wurden eingeteilt nach Kopf/Hals, peritrochantär, subtrochantär und multipel mit mehr als einer Frakturlokalisation. Die Patienten waren im Schnitt 86,4 Jahre alt, 73% waren Frauen. 33142 der Betroffenen, also 59,0%, wurden operiert, die übrigen 23067 beziehungsweise 41,0% konservativ behandelt. Die chirurgisch behandelten Patienten hatten mit 24280 Betroffenen (73,3%) am häufigsten eine Kopf-Hals-Fraktur erlitten, und von ihnen hatten 40,2% eine mittelschwere bis schwere Demenz, die übrigen eine milde. Bei den konservativ behandelten Patienten war mit 78,8% am häufigsten eine peritrochantäre Fraktur diagnostiziert worden; von ihnen litten 42,8% unter einer mittelschweren bis schweren Demenz.
Geringeres Mortalitätsrisiko mit OP im Vergleich zu konservativer Therapie
Patienten mit Demenz – egal ob mild oder mittelschwer bis schwer – und Kopf-Hals-Hüftfraktur, die operiert worden waren, hatten 30, 90 und 180 Tage nach Diagnose der Fraktur ein geringeres Mortalitätsrisiko als diejenigen, die konservativ behandelt worden waren. Nach 180 Tagen waren 3063 (31,8%) der operierten Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Demenz gestorben und 620 (45,7%) der konservativ behandelten. Dies entspricht einer nichtadjustierten Odds Ratio von 0,56 (95%-Konfidenzintervall: 0,49–0,62; p < 0,001).
Auch bei denjenigen mit milder Demenz war ein deutlicher Unterschied zu erkennen: Die 180-Tages-Mortalität bei den Operierten betrug 26,5% und 34,9% bei den konservativ behandelten (nichtadjustierte Odds Ratio 0,67, 95%-Konfidenzintervall: 0,60–0,76; p<0,001). Nach der Adjustierung blieben die Mortalitätsraten bei den Operierten weiterhin signifikant geringer als bei den Nichtoperierten. Die Operierten und die konservativ Behandelten hatten aber das gleiche Risiko, nach 180 Tagen in ein Pflegeheim aufgenommen worden zu sein. Im Falle von peri- oder subtrochantären Frakturen oder multiplen Frakturlokalisationen zeigten sich wenige Unterschiede in der Mortalität zwischen den beiden Gruppen.
Patienten mit Kopf- oder Schenkelhalsfrakturen hatten zwar ein geringeres Sterberisiko, aber ein höheres Risiko, ein Delirium im Spital zu erleiden, als die konservativ behandelten. Dieser Unterschied zeigte sich nur bei Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Demenz (adjustierte Odds Ratio 1,23; 95% Konfidenzintervall: 1,06–1,44; p=0,008). Bei denjenigen mit milder Demenz oder anderen Frakturen war kein signifikanter Unterschied in der Delir-Häufigkeit zu verzeichnen.
Patienten mit allen Demenzformen, die wegen einer Kopf-Schenkelhals-Fraktur operiert wurden, mussten zudem seltener in ein Hospiz verlegt werden als die Nichtoperierten (adjustierte Odds Ratio für mittelschwere bis schwere Demenz 0,69; 95%-Konfidenzintervall: 0,61–0,79; p<0,001; adjustierte Odds Ratio für milde Demenz 0,86; 95%-Konfidenzintervall: 0,77–0,97; p= 0,02). Im Falle von peri- und subtrochantären Frakturen war der Unterschied bezüglich Hospizrisiko zwischen operiert und konservativ behandelt nur bei Patienten mit milder Demenz zu erkennen. Ebenso zeigte sich nur bei diesen Patienten und nur im Falle von Kopf-Schenkelhalsfrakturen ein Unterschied in Bezug auf die Notwendigkeit von zusätzlicher Betreuung zu Hause.
Der Anteil von 41% nichtoperierten Patienten in dieser Studie ist sehr hoch. In anderen älteren Studien waren es 8,1% bei Menschen mit fortgeschrittener Demenz, 10,6% bei älteren Erwachsenen, 11,8% bei Menschen in Pflegeheimen und 15,2% bei Menschen in Pflegeheimen mit fortgeschrittener Demenz.8, 10, 11 Die vorliegende Studie aus Boston bestätigt die Ergebnisse einer älteren Untersuchung von 2018, in der ebenfalls eine verringerte Mortalität bei Patienten mit fortgeschrittener Demenz und Hüftfraktur, die operiert wurden, beobachtet wurde. Diese Patienten lebten aber im Pflegeheim. In der aktuellen Studie fanden sich kaum Unterschiede in der Mortalität zwischen operierten und nichtoperierten Patienten im Falle anderer Frakturlokalisationen. Dies könnte gemäss den Autoren an einer unterschiedlichen «Intensität» der Operationsweise liegen, die von der Lokalisation der Fraktur abhängt. Eine andere Erklärung ist, dass verschiedene postoperative Rehabilitationsstrategien angewendet wurden, die zu höheren Risiken und Komplikationen beigetragen haben könnten. Kopf-Hals-Frakturen werden häufig mit einer Prothese versorgt. Dies könnte, so die Autoren, zu einer schnelleren Rehabilitation und geringeren Mortalität in ihrer Studie geführt haben. Der Eingriff scheint aber nicht zu garantieren, dass die Betroffenen seltener in Pflegeheime müssen.
Literatur:
1 Adler RR et al.: Hip fracture treatment and outcomes among community-dwelling people living with dementia. JAMA Netw Open 2024; 7: e2413878 2 Roberts KC et al.: Management of hip fractures in the elderly. J Am Acad Orthop Surg 2015; 23: 131-7 3 NICE: Hip fracture: management. Clinical guideline [CG124]. www.nice.org.uk/guidance/CG124. 4 Chesser TJS, Handley R.: Update of NICE guidance for hip fractures in adults. Hip Int 2017; 27: 413-4 5 Kralewski C et al.: Hip fractures in adults – contemporary clinical management based on international standards. Gesundheitswesen 2022; 84(10): 935-9436 Yoon SH et al.: Influence of comorbidities on functional outcomes in patients with surgically treated fragility hip fractures: a retrospective cohort study. BMC Geriatr 2021; 21: 283 7 Hou M et al.: The effects of dementia on the prognosis and mortality of hip fracture surgery: a systematic review and meta-analysis. Aging Clin Exp Res 2021; 33: 3161-3172 8 Berry SD et al.: Association of clinical outcomes with surgical repair of hip fracture vs nonsurgical management in nursing home residents with advanced dementia. JAMA Intern Med 2018; 178: 774-7809 https://www.alzheimerurischwyz.ch/pdf/leben_mit_demenz_schweiz.pdf . 10 Morrison RS, Siu AL: Survival in end-stage dementia following acute illness. JAMA 2000; 284: 47-52 11 Jain R et al.: Nonoperative treatment of hip fractures. Int Orthop 2003; 27: 11-17 12 Neuman MD et al.: Survival and functional outcomes after hip fracture among nursing home residents. JAMA Intern Med 2014; 174: 1273-1280
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