Verletzungen nach E-Bike-Unfällen ähnlich schwer wie nach Motorrad-Unfällen
Bericht:
Dr. med. Felicitas Witte
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E-Bikes sind gefährlicher als normale Velos. Forscher vom Universitätsspital Zürich und von der Medizinischen Unversität Wien haben das Verletzungsmuster von Schädel-Hirn-Traumata nach E-Bike-Unfällen untersucht.
In den USA gab es von 2017 bis 2022 45586 Unfälle mit dem E-Bike; 2022 waren es 30-mal so viele wie im Jahr 2017. Besonders Kopfverletzungen nahmen zu: 2022 wurden 7922 dokumentiert, das war fast 50-mal so viel wie 2017. Die Daten stammen aus dem National Electronic Injury Surveillance System, in welches Daten der Notfallstationen einfliessen.1
Ein Forscherteam um Dr. med. Thomas Rauer, Oberarzt an der Klinik für Traumatologie im Universitätsspital Zürich, untersucht seit einigen Jahren, wie sich das Verletzungsmuster von E-Bike-Fahrern von dem von Velofahrern und Motorradfahrern unterscheidet. 2021 fanden die Wissenschaftler in einer Studie mit 1796 Patienten aus dem Unispital Zürich heraus, dass auf alle Verletzungen betrachtet «normale» Velofahrer ähnliche Verletzungen erlitten wie E-Biker.2 Schon damals fiel aber auf, dass E-Biker häufiger Schädel-Hirn-Traumata hatten. Dies wollte die Forschergruppe genauer untersuchen; im April 2024 wurden die Ergebnisse publiziert.3
Diese bestätigen, worauf schon die Studie aus dem Jahr 2021 hinwies: E-Biker sind gefährdeter als «normale» Velofahrer. Die Schädel-Hirn-Traumata ähnelten in ihrer Schwere und Häufigkeit eher denen von Motorradfahrern als denen von Velofahrern. Die Forscher aus Zürich analysierten 1086 Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma nach einem Unfall mit einem Zweirad, darunter waren 48 Unfälle mit einem E-Bike, 280 mit einem Motorrad oder Moped und 740 mit einem normalen Velo. Die Patienten waren zwischen 2009 und 2019 verunfallt, alle Daten erhielten die Forscher aus den Patientenakten. Die E-Bike-Gruppe umfasste Velos mit Spitzengeschwindigkeiten zwischen 25km/h und 45km/h, die E-Bike-Fahrer waren mit 55 Jahren im Schnitt deutlich älter als die normalen Velofahrer mit 42,5 Jahren und als die Motorradfahrer mit 40 Jahren, vier von zehn E-Bike-Fahrern waren sogar 60 Jahre alt oder älter. Neun von zehn Motorradfahrern hatten einen Helm getragen, sieben von zehn E-Bikern und einer von drei Velofahrern.
Abb. 1: Computertomografie-Bild eines Epiduralhämatoms linksseitig
In allen drei Gruppen traten mit mehr als 70% am häufigsten milde Schädel-Hirn-Traumata auf. Das Verletzungsmuster von E-Bikern ähnelte mehr dem von Motorradfahrern als dem von Velofahrern. So hatten E-Biker im Schnitt ähnlich geringe Punktwerte auf der Glasgow-Coma-Scale wie Motorradfahrer, also ein schwereres Schädel-Hirn-Trauma. E-Biker erlitten häufiger ein subdurales Hämatom als Velofahrer und als Motorradfahrer. Eine grosse Rolle bei der Schwere der Verletzung spielte das Tragen eines Helmes: Das Risiko einer intrazerebralen Blutung war sechsmal höher, wenn ein E-Biker keinen Helm getragen hatte, für ein subdurales Hämatom war das Risiko fast 14-mal so hoch. In der Studie traten bei den E-Bikern außerdem Mittelgesichtsverletzungen häufiger auf als in den anderen beiden Gruppen.
Wie häufig es zu Mittelgesichtsfrakturen, Weichteil- und Zahnverletzungen bei E-Bikern im Vergleich zu anderen Zweiradfahrern kommt, ist bisher kaum systematisch untersucht worden. Eine der bisher umfangreichsten Studien stammt von der Uni in Tel Aviv mit retrospektiv erhobenen Daten zu 3686 Patienten, die einen Unfall mit einem E-Scooter oder einem E-Bike erlitten hatten.4 In jedem zehnten Fall war es zu einer Zahnverletzung oder einer Mittelgesichtsverletzung gekommen, mehr als 80% davon betrafen die E-Bike-Fahrer. Eine weitere Arbeitsgruppe aus Israel fand in einer Datenanalyse von 238 E-Scooter-Fahrern und 82 E-Bikern, die alle maxillofaziale Verletzungen erlitten hatten, heraus, dass bei den E-Bikern deutlich häufiger komplexe Jochbeinfrakturen und nasoethmoidale Frakturen aufgetreten waren.5 «Das überrascht mich nicht», sagt Prof. Bernd Stadlinger, stellvertretender Direktor der Poliklinik für Oralchirurgie an der Universität Zürich. «Mit dem E-Bike ist man oft schneller als mit dem E-Scooter.» In der E-Bike-Gruppe wurden mehr Helme getragen als in der E-Scooter-Gruppe. «Das schützt zwar vor intrazerebralen Verletzungen, aber kaum vor Gesichtsverletzungen.»
Dr. med. Raphael Ferrari, Oberarzt an der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie am Universitätsspital Zürich, sammelt seit einiger Zeit ebenfalls Daten zum Verletzungsmuster nach E-Bike- und E-Scooter-Fahrern. «Ich habe unsere Daten zwar noch nicht ausgewertet, aber wir beobachten Ähnliches», sagt er. «Ich kann mir gut vorstellen, dass durch die kleinen Räder beim E-Scooter ein Sturz über den Lenker direkt aufs Kinn der häufigere Unfallmechanismus ist als die seitlichen Stürze mit Anprall des Jochbeinkomplexes, wie sie beim Velo häufiger zu sein scheinen.» Dies erkläre jedoch nicht die nasoethmoidalen Frakturen, die Ferrari auf die im Schnitt höheren Geschwindigkeiten der E-Biker zurückführt. Vom Verletzungsmechanismus hält Ferrari aus zahnärztlicher Sicht die Alveolarfortsatzfrakturen für schwerwiegend, da diese unbehandelt zu ausgedehnten Zahn- und Knochenverlusten führen könnten. «Aber zum Glück bleiben solche Verletzungen aufgrund der Schmerzen und Okklusionsstörung selten unbemerkt.» Viel schwieriger zu entdecken sei eine Zahnintrusion. «Denn eine Lockerung oder deutliche Okklusionsstörung tritt dabei meist nicht auf. Unbehandelt hat die Zahnintrusion ein schlechtes Outcome.» Das ist auch der Fall, wenn Unterkieferfrakturen nicht erkannt werden und sich eine Pseudoarthrose oder eine Bruchspaltosteomyelitis entwickelt.
Ob es eine Helmpflicht für E-Biker brauche, sei eine politische Diskussion, sagt Unfallchirurg Rauer. «Ich würde es aber dringend empfehlen.» Jedem E-Biker würde er zudem zu einem Fahrsicherheitstraining raten, ähnlich wie es für Motorradfahrer angeboten wird. In der Schweiz müssen Fahrer eines E-Bikes mit Tretunterstützung von mehr als 25km/h einen Velohelm tragen, für langsamere E-Bikes gibt es keine Verpflichtung. Die Schweizerische Unfallversicherung Suva rät jedoch jedem Velofahrer zu einem Helm, egal ob E-Bike oder normales Velo.
Literatur:
1 Fernandez AM et al.: Electric bicycle injuries and hospitalizations. JAMA Surg 2024; 159(5): 586-8 2 Spörri E et al.: Comparison of injury patterns between electric bicycle, bicycle and motorcycle accidents. J Clin Med 2021; 10(15): 3359 3 Rauer T et al.: Eur J Trauma Emerg Surg 2024, online 9.4.2024. doi: 10.1007/s00068-024-02510-1 4 Lin S et al.: Dental and maxillofacial injuries associated with electric-powered bikes and scooters in Israel: a report for 2014-2019. Dent Traumatol 2020; 36(5): 533-7 5 Arbel S et al. Int J Environ Res Public Health 2022; 19: 15183. doi: 10.3390/ijerph192215183
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