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Wann Vertebroplastie, wann Kyphoplastie?
Leading Opinions
Autor:
Dr. med. Regula Teuscher
Autor:
Prof. Dr. med. Paul F. Heini
Wirbelsäulenchirurgie, Orthopädie Sonnenhof, Bern <br> E-Mail: paulheini@sonnenhof.ch
30
Min. Lesezeit
06.10.2016
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<p class="article-intro">Die Zementaugmentation bei pathologischen Wirbelfakturen – sei es bei Osteoporose oder bei metastatischen Läsionen – ist und bleibt bei gegebener Indikation eine effektive und einfache Behandlungsmethode. Die Diskussion über die Behandlungstechnik (Vertebroplastik versus Kyphoplastik) bleibt offen. Vorwegnehmend kann man festhalten, dass in der Literatur über Jahre wiederholt Übersichtsartikel zum Thema verfasst worden sind, die keinen Vorteil der einen Methode gegenüber der anderen zeigen. Es gibt aber durchaus Unterschiede, die eine kritische Beurteilung verdienen. </p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>Vertebroplastie und Kyphoplastie sind gleichwertige Verfahren zur Stabilisierung von pathologischen Wirbelfrakturen.</li> <li>Es gibt keine «sichere» Methode – entscheidend sind die sorgfältige Operationstechnik und die Verwendung eines hochviskösen Knochenzementes.</li> <li>In der Schweiz sind die Kosten der Kyphoplastie im Vergleich zur Vertebroplastie etwa 8-mal höher.</li> </ul> </div> <p>Die Kyphoplastik hat sich als Methode etabliert und dient häufig als Überbegriff für verschiedene Techniken, die einen Ballon oder ein anderes expandierbares Device im Wirbel platzieren (Tab. 1), im Gegensatz zur Vertebroplastik, wo eine direkte Zementinjektion ohne Zwischenschritte erfolgt. Kyphon war die erste Firma, die mit dieser Technik auf den Markt gegangen ist. Sie ist ein Paradebeispiel dafür, wie sich eine Methode mit gutem Marketing und konsequenter Schulung als «Standard» etablieren kann. Das Prinzip war einleuchtend und hat vor allem die Chirurgen mehr angesprochen als die Radiologen. Zusammen mit dem Ballon stand von Beginn an ein hochvisköser Zement zur Verfügung, der für diesen Zweck adaptiert wurde und auch eine hohe Röntgendichte aufwies. <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Ortho_1603_Weblinks_seite12.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <h2>Technik</h2> <p>Technisch wird bei beiden Methoden der Wirbelkörper mono- oder bilateral mittels einer Kanüle punktiert. Bei der Vertebroplastik sind die Kanülen dünner (zwischen 8 und 13 Gauge). Die dünnen Kanülen werden vor allem bei der interventionellen Radiologie gebraucht. Bei der Kyphoplastie wird eine Arbeitskanüle mit einem Durchmesser von 4mm platziert. Vor der Zementinjektion wird mit einem Ballon eine Höhle im Wirbelkörper kreiert. Mit dem Ballon kann ein Wirbel auch partiell aufgerichtet werden.</p> <h2>Zementextravasation</h2> <p>Das Risiko einer Zementextravasation ist und bleibt mit jeder Methode, die in irgendeiner Form einen (dickflüssigen) Zement in den Wirbel einbringt, bestehen. Es konnte anhand von In-vitro-Modellen relativ klar gezeigt werden, dass die Zementviskosität der kritische Parameter ist.<sup>1</sup> Mittlerweile stehen spezielle Zemente für diesen Zweck zur Verfügung, die betreffend Viskosität und Röntgendichte optimiert worden sind. Wie erwähnt wurde bei der Kyphoplastik immer ein hochvisköser Zement verwendet. Damit und mit der Kavität, die durch den Ballon kreiert wird, zeigt sich im Vergleich zur Vertebroplastik eine klar niedrigere Rate von Zementextravasationen.<sup>2</sup> Diese scheinen aber klinisch nicht kritisch zu sein. Bei beiden Techniken sind auch schwere/fatale Komplikationen in Zusammenhang mit Extravasaten publiziert.<sup>3</sup> Aufgrund der langjährigen eigenen Erfahrung mit einer hohen Patientenzahl mit beiden Techniken können wir festhalten, dass die Problematik der Extravasation identisch ist. Schlüsselfaktoren bleiben die Zementviskosität und eine sorgfältige Operationstechnik. Auch mit der sogenannten Radiofrequenz-Kyphoplastik, bei der ein hochvisköser Zement mit Ultraschall appliziert wird, zeigt sich kein Unterschied hinsichtlich Extravasation.<sup>4</sup></p> <h2>Höhenrestauration</h2> <p>Die Idee, mit dem Ballon die Wirbelhöhe wiederherzustellen, war initial ein gewichtiges Verkaufsargument bei der Kyphoplastik. Es zeigte sich aber rasch, dass dies nur in einem sehr geringen Ausmass möglich ist und für das klinische Resultat irrelevant erscheint.<sup>5</sup> Man kann bei der Kyphoplastik einen leichten Höhengewinn nachweisen, der zwar radiologisch statistisch signifikant ist, aber auf das klinische Resultat keinen Einfluss zeigt.</p> <h2>Klinische Resultate</h2> <p>Verschiedene randomisiert-kontrollierte Studien sind mittlerweile publiziert, welche die beiden Methoden miteinander vergleichen. Daraus zeigt sich, dass beide Methoden effektiv und erfolgreich sind und mit einer signifikanten Schmerzreduktion einhergehen. Ein wirklicher Unterschied im Outcome betreffend Schmerzen oder Behinderung im Alltag kann nicht nachgewiesen werden.<sup>6</sup> <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Ortho_1603_Weblinks_seite13.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <h2>Wirbelmetastasen/multiples Myelom</h2> <p>Die Zementaugmentation bei pathologischen Frakturen in Zusammenhang mit Metastasen und speziell beim multiplen Myelom ist sehr effektiv. Auch hier gilt festzuhalten, dass es keine klaren Fakten gibt, welche die Kyphoplastik gegenüber einer Vertebroplastik favorisieren würden. Beide Methoden sind effektiv. Eine kürzlich publizierte Übersichtsarbeit aus Kanada, welche die Literatur der letzten 20 Jahre zusammenfasst, kommt im Rahmen eines sog. «health technology assessment» zum Schluss, dass Vertebroplastik und Kyphoplastik gleichwertig eine signifikante Schmerzreduktion bringen. Der Morphinbedarf der Patienten kann reduziert werden, ebenso die funktionelle Einschränkung im Alltag. Die Behandlungen werden als sicher und effektiv beurteilt.<sup>7</sup></p> <p>Bei der Behandlung von pathologischen Frakturen in Zusammenhang mit Metastasen/Myelom ist die Knochensituation häufig sehr inhomogen und die Zementaugmentation ist in diesen Fällen schwieriger zu kontrollieren als bei Osteoporosefrakturen. Von daher kann die Verwendung eines Ballons hilfreich sein, um eine definierte Höhle zu kreieren, wo dann der Zement kontrolliert appliziert wird. In unseren Händen bevorzugen wir in diesen Situationen ggf. einen Stent, der nach der Expansion des Ballons die Stellung besser kontrolliert.<sup>8</sup></p> <h2>Anschlussfrakturen</h2> <p>Das Frakturrisiko bei Osteoporose ist abhängig von mehreren Parametern. Der natürliche Verlauf bei einer hochgradigen Osteoporose zeigt nach der ersten Wirbelfraktur ein Risiko von ca. 20 % für eine weitere Fraktur im Verlauf eines Jahres. Das Frakturrisiko steigt auch mit der Anzahl vorbestehender Wirbelfrakturen. Die Debatte hinsichtlich eines erhöhten Risikos für eine Anschlussfraktur nach einer Zementaugmentation ist nicht schlüssig. Dagegen kann man klar zeigen, dass es keine Unterschiede zwischen Vertebroplastie und Kyphoplastie bezüglich des Anschlussfrakturrisikos gibt.<sup>9</sup> Die neueste Studie dazu wurde im Rahmen einer FDA-Zulassung für das Kiva-System publiziert und ist entsprechend unter einem strikten Protokoll abgewickelt worden. Man kann dort eine Anschlussfrakturrate von 20 % feststellen.<sup>10</sup></p> <h2>Sonderfall traumatische Frakturen</h2> <p>Die Behandlung von traumatischen Wirbelfrakturen vom AO-Typ A.3.1 (superiore Berstungsfraktur) wird zunehmend mittels einer Zementaugmentation durchgeführt, wobei die vorgängige Aufrichtung des Wirbels mittels Ballon oder Stent effektiver ist als bei osteoporotischen Frakturen, da das Einsinken des Ballons weniger oft stattfindet.<sup>11, 12</sup> <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Ortho_1603_Weblinks_seite14.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <h2>Schlussfolgerung</h2> <p>Die Benutzung eines Ballons für die Behandlung von osteoporotischen Wirbelfrakturen zeigt in der Übersicht der Literatur und nach der Erfahrung des Autors keinen Vorteil gegenüber der einfachen Vertebroplastik. Letztlich ist es eine Frage der persönlichen Präferenz, welche Methode angewendet wird. Es gibt keine «bessere» oder sicherere Methode – entscheidend bleibt die sorgfältige chirurgische Technik. In der Indikationsstellung der Methodenwahl sollten aber die Kosten der jeweiligen Behandlung berücksichtigt werden.</p> <p>Verschiedene andere Techniken und Tools sind auf dem Markt, die sich als bessere Alternativen präsentieren, allerdings sind diesbezüglich nur sehr limitierte klinische Daten vorhanden. Man muss sogar darauf hinweisen, dass ein solides Implantat, das im Wirbel platziert wird, die Möglichkeit verbaut, sekundär allenfalls noch eine Instrumentierung durchzuführen. Oft sind die Versprechungen aus In-vitro-Tests und biomechanischen Studien mehr Wunsch als Realität – hier muss man erkennen, dass eine Vielzahl der Produkte «industry-driven» ist. Man findet im Internet denn häufig auch mehr Informationen von Business-Journals über diese Techniken als wirklich harte klinische Daten (Tab. 1).</p> <p>Dagegen gilt es, die Kosten der beiden Methoden gegenüberzustellen. Eine Frakturaufrichtung mit der erweiterten Technik mit einem Stent kann in selektiven Fällen helfen, auch eine komplexe Fraktur zu behandeln, ohne eine Instrumentierung mit Schrauben und Stangen durchzuführen (Abb. 1, 2).</p> <p>Im stationären Setting werden Vertebroplastik und Kyphoplastik identisch kodiert. Bei einer aktuellen Baserate von CHF 9590.– und einem Kostengewicht von 1.068 ist der Erlös für das Spital definiert, die reinen Materialkosten für den Eingriff (ohne Abdeckung/Anästhesie etc.) betragen CHF 590.– für die Vertebroplastik und CHF 4470.– für die Stentoplastik. Das soll uns in der Indikationsstellung zu denken geben. Es zeigt aber auch, dass die pauschalen Abgeltungen oft völlig insuffizient sind, denn bei gegebener Indikation müssen wir Behandlungen durchführen, die bei Weitem nicht kostendeckend sind.</p></p>
<p class="article-footer">
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<p><strong>1</strong> Bohner M et al: Biomaterials 2003; 24(16): 2721-30 <strong>2</strong> Taylor RS et al: Spine 2006; 31(23): 2747-55 <strong>3</strong> Nussbaum DA et al: J Vasc Interv Radiol 2004; 15(11): 1185-92 <strong>4</strong> Riesner HJ et al: Z Orthop Unfall 2016; 154(4): 370-6 <strong>5</strong> Voggenreiter G: Spine 2005; 30(24): 2806-12 <strong>6</strong> Ma XL et al: Eur Spine J 2012; 21(9): 1844-59 <strong>7</strong> Health Quality Ontario: Ont Health Technol Assess Ser 2016; 16(11): 1-202 <strong>8</strong> Heini PF et al: Orthopade 2009; 38(4): 335-6, 338-42 <strong>9</strong> Chang X et al: Int Orthop 2015; 39(3): 491-500 <strong>10</strong> Tutton SM et al: Spine 2015; 40(12): 865-75 <strong>11</strong> Hartmann F et al: Injury 2012; 43(4): 409-15 <strong>12</strong> Hartmann F et al: Minim Invasive Ther Allied Technol 2015; 24(3): 161-6 <strong>13</strong> Flors L et al: Am J Roentgenol 2009; 193(1): 218-26 <strong>14</strong> Anselmetti et al: Cardiovasc Intervent Radiol 2014; 37(1): 193-202 <strong>15</strong> Ender SA et al: PloS One 2013; 8(6): e65119 <strong>16</strong> Noriega DC et al: Osteoporos Int 2016; 27(6): 2047-55 <strong>17</strong> Korovessis P et al: Spine 2013; 38(4): 292-9 <strong>18</strong> Werner CML et al: J Bone Joint Surg Am 2013; 95(7): 577-84 <strong>19</strong> Diel P et al: Eur Spine J 2012; 21(Suppl 6): S792-9</p>
</div>
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