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Der humane Superorganismus: das Mikrobiom als Schutz vor Allergien
<p class="article-intro">Auf dem Jahreskongress der EAACI im Juni in Helsinki tauschten sich mehr als 7000 Teilnehmer über jüngste Entwicklungen, Forschungsergebnisse und bewährte Methoden bei der Behandlung von allergischen Erkrankungen und Asthma aus. Das Motto des Kongresses: „Auf dem Weg zu Prävention und gesunder Lebensweise“. Das Mikrobiom spielt dabei eine wesentliche Rolle.</p>
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<p class="article-content"><p>Der jährlich stattfindende Kongress der EAACI<sup>1</sup> (European Academy of Allergy and Clinical Immunology) lebt vom Austausch zwischen Grundlagenforschern, die Regulationsmechanismen des Immunsystems untersuchen, und klinischen Praktikern, die Menschen mit Allergien behandeln. Das Motto des diesjährigen Kongresses hatte die aktuelle Entwicklung aufgegriffen: von der Therapie allergischer Erkrankungen hin zur Prävention. Immunologische Studien zeigen, dass bei Kindern das Immunsystem durch frühe Interventionen beeinflusst werden kann. Im ersten Lebensjahr lernt das Immunsystem, als Antwort auf Allergene eine Antwort mit Immunglobulin G (IgG) gegenüber IgE zu favorisieren. Bei Kindern mit atopischem Hintergrund eröffnen diese Erkenntnisse Möglichkeiten zur Intervention, sei es durch gezielten Allergenkontakt, durch eine Förderung der Diversität des Mikrobioms oder durch eine spezifische Immuntherapie.</p> <h2>Modifizierte Hygienehypothese</h2> <p>Prof. Erika von Mutius, Leiterin Asthma- und Allergieambulanz an der LMU München, hatte in einer Langzeitbeobachtung zu traditioneller Landwirtschaft beschrieben, dass Kinder, die sich auf dem Land in Ställen aufhalten und Rohmilch konsumieren, seltener an Asthma erkranken als Stadtkinder ohne solche Kontakte. Im Rahmen der „Hygienehypothese“ gibt es viele Untersuchungen zu potenziell protektiven Bakterien und Schimmelpilzen, mit denen Kinder auf dem Land in Berührung kommen. In Helsinki erläuterte von Mutius, wie das Leben auf einem traditionellen Bauernhof die Diversität des Mikrobioms fördert und einen Schutz gegen eine fehlgeleitete Immunreaktion bietet: Bakterien in den oberen Atemwegen, besonders die nasale Mikroflora, sind hier ein Schlüsselfaktor. Bei hoher Artenvielfalt sinkt das Asthmarisiko, bei Kindern mit Asthma fand man hingegen eine geringere bakterielle Diversität und eine positive Assoziation mit <em class="Copy-italic">Moraxella spp.</em> Für Kinder mit Asthmarisiko könnten Präventionsstrategien in Zukunft also auch an der Nase ansetzen.<sup>1</sup></p> <h2>Von der Toleranz zur Allergie</h2> <p>Eine wichtige Grundannahme in der Immunologie war bisher, dass bei Allergikern die Toleranz des Immunsystems gegenüber Allergenen verloren gegangen ist. Man findet jedoch auch bei Allergikern funktionelle regulatorische T-Zellen, die Toleranz vermitteln, wie die Arbeitsgruppe um Dr. Petra Bacher, Charité – Universitätsmedizin Berlin, beim Vergleich von T-Zellen von Allergikern und denen von Gesunden zeigen konnte.<sup>2</sup> <br /> Bisher wurde vermutet, dass diese T-Zellen hauptsächlich körpereigene Bestandteile erkennen und diese vor dem Angriff anderer Zellen des Immunsystems schützen. Sie spielen jedoch auch bei der Entstehung von Allergien eine Rolle: Zur Entwicklung einer Toleranz sind wohl Allergene nötig, die an Partikel gekoppelt sind – also die typischen Inhalationsallergene wie Pollen-, Hausstaubmilben-, Tier- und Schimmelpilzproteine. Lösliche Allergene können sich in der Schleimhaut der Kontrolle durch regulatorische T-Zellen entziehen. Wenn Allergene dieser Kontrolle entgehen, kann sich über eine Th2-Antwort eine Allergie ausbilden.</p> <h2>Molekulare Allergiediagnostik</h2> <p>Mittels molekularer Allergiediagnostik werden bei polysensibilisierten Patienten Allergenquellen identifiziert, um daraufhin eventuell spezifische Allergene zur Immuntherapie (Hyposensibilisierung) einzusetzen. Solche Markerallergene bei pansensibilisierten Patienten sind etwa Profilin und Polcalcin, die in allen Pollen vorkommen. Mit einem IgE-Nachweis gegen 1 Profilin (Bet v 2 oder Phl p 12) und 1 Polcalcin (Bet v 4 oder Phl p 7) kann eine Verdachtsdiagnose bestätigt werden. Bei positivem Befund ist der IgE-Nachweis gegen Markerallergene notwendig, um die primären Sensibilisierungen aufzudecken. Prof. Jörg Klein-Tebbe, Allergie- und Asthma-Zentrum Westend Berlin, erläuterte, dass nur bei positivem Nachweis eines wichtigen Markerallergens eine Hyposensibilisierung gegen die zugehörige Allergenquelle sinnvoll sei.<br /> Auch bei Insekten gibt es solche Panallergene, wie etwa das hochkonservierte Tropomyosin, das man bei der Denguemücke Aedes aegypti und auch bei der Hausstaubmilbe Dermatophagoides pteronyssinus findet. Ein internationales Team mit Beteiligung von PD Mag. Dr. Stefan Wöhrl vom Floridsdorfer Allergiezentrum Wien hat gezeigt, dass die Kreuzreaktivität auf B- und T-Zell-Epitopen beruht.<sup>3</sup></p> <h2>EAACI-Leitlinien zur Allergen-Immuntherapie</h2> <p>Die Allergen-Immuntherapie (AIT) spielt in der Therapie vieler allergischer Erkrankungen eine wichtige Rolle. Nicht nur bei Gräserpollen, sondern auch bei der Immuntherapie gegen Hausstaubmilben hat sie inzwischen als Tablettentherapie den Weg in die breite klinische Praxis gefunden. Die EAACI-Guidelines zur AIT sind nun fast vollständig erschienen und online verfügbar.<sup>4</sup> Teil zwei der AIT-Leitlinien mit Empfehlungen für die Praxis soll im Oktober veröffentlicht werden.</p> <h2>Mikrobiom bei Atemwegen und Haut</h2> <p>Das Mikrobiom wird derzeit in zahlreichen Studien im Bereich der Allergien untersucht. Heiß diskutiertes Thema vieler Symposien in Helsinki waren Bakterien und Pilze. Prof. Benjamin Marsland vom Universitätskrankenhaus Lausanne beschrieb die Kombination aus Mensch plus Mikrobiom als eine Art von „humanem Superorganismus“.<br /> Einige Beobachtungen zur Rolle des Mikrobioms bei der Entwicklung von Asthma stammen aus Tiermodellen: Keimfrei aufgewachsene Mäuse zeigen in einem Asthmamodell eine erhöhte allergische Entzündung. Eine artenreiche Bakterienbesiedlung zeigt demnach einen protektiven Effekt. Die Auseinandersetzung mit Mikroorganismen ist für die Ausbildung des Immunsystems der Atemwege essenziell.<sup>5</sup> Das Mikrobiom wird auch durch das Verhalten und durch die Ernährung beeinflusst: Ballaststoffreiche Ernährung hat sich bei Mäusen als vorteilhaft erwiesen. Werden Mäuse mit ballaststoffarmer Kost ernährt, verstärkt sich hingegen z.B. die durch Hausstaubmilben hervorgerufene allergische Inflammation in den Atemwegen. Doch die Daten reichen über Tiermodelle hinaus. Das Zu-sich-Nehmen ballaststoffreicher Nahrung reduziert die Schwere einer Influenzainfektion, verringert die pulmonale neutrophile Entzündung und verändert den pulmonalen Makrophagenphänotyp in Richtung einer Wundheilung und steigert die CD8-T-Zell-Antwort und die Virusclearance.<sup>6</sup><br /> Die Basis dieser Effekte ist laut Marsland die Darm-Knochenmark-Lungen-Achse der Inflammation. Dass Parasiten wie Helminthen mit einem geringeren Grad allergischer Erkrankungen assoziiert sind, beobachtet man schon lange. Ein Transfer von Bakterien aus Mäusen mit Wurmbefall auf wurmfreie Mäuse zeigt, dass auch hier das Mikrobiom eine Rolle spielt: Diese „wurmadaptierten“ Bakterien konnten Mäuse vor Allergien schützen, wobei wohl kurzkettige Fettsäuren als Mediator fungierten, wie Marsland erläuterte.</p> <h2>Kommensalen schützen bei atopischem Ekzem</h2> <p>In der Dermatologie gibt es eine breite Datenbasis aus klinischen Studien über das Mikrobiom. Bei Patienten mit atopischem Ekzem dominiert Staphylococcus aureus.7 Es konnte auch gezeigt werden, dass rückfettende Hautpflege, die klassische Basispflege mit Emollienzien, den Zustand der Haut auch bezüglich des Mikrobioms verbessern kann: Man beobachtet eine geringere Besiedelungsrate mit S. aureus. Ein wichtiger Faktor ist der protektive Effekt von Kommensalen der Haut. So wurde in vitro für Stämme von S. epidermidis eine Schutzfunktion für die Haut gezeigt. Die „guten“ Bakterien unter den Kommensalen sezernieren antimikrobielle Peptide, die „lantibiotics“, und erhalten damit einen gesunden Hautphänotyp.8 Bei atopischer Dermatitis begünstigen Läsionen das Überleben von S. aureus; wie Prof. Donald Leung, University of Colorado Denver, erläuterte, kann der Transfer des Mikrobioms von gesunder Haut die Dichte von S. aureus in AD-Läsionen verringern. In ersten experimentellen Ansätzen wird auch eine Creme mit protektivem Mikrobiom als Transfervehikel untersucht.</p> <h2>Status quo der Kontrolle von schwerem Asthma in Europa</h2> <p>Eine Onlineumfrage bei fast 1000 Patienten in Europa – etwa die Hälfte davon mit nicht allergischem Asthma – zeigt, dass die Kontrolle von schwerem Asthma noch unbefriedigend ist.<sup>9</sup> Die GINA-Empfehlungen würden gerade bei Patienten mit schwerem Asthma noch ungenügend umgesetzt. Beim schweren Asthma muss vor dem Einsatz systemischer Steroide geprüft werden, ob Biologika oder Theophyllin eingesetzt werden können. Bei Patienten mit schwerem Asthma sollte die Differenzialdiagnostik auch die Sensibilisierung auf Allergene und die Eosinophilenzahl umfassen. Die Ergebnisse des IDENTIFY-Projekts zeigen, dass man bei schwerem Asthma genauer hinsehen sollte, ob es sich wirklich um ein atopisches Asthma handelt. Bei mehr als der Hälfte der Patienten (51,4 % ) konnte die Arbeitsgruppe von Prof. Jens Schreiber, Direktor der Universitätsklinik für Pneumologie, Magdeburg, eine oder mehr – teilweise bis zu zehn verschiedene – Sensibilisierungen nachweisen: „Die Häufigkeit nicht allergischen Asthmas wird möglicherweise überschätzt; eine genaue Bestimmung des allergenen Status ist für eine optimale Therapie unabdinglich“, resümierte Schreiber.<sup>10</sup></p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: EAACI Congress 2017, 17.–21. Juni 2017, Helsinki
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> von Mutius E et al.: JACI 2016; 137(3): 680-9 <strong>2</strong> Bacher P et al.: Cell 2016; 167: 1067-78 <strong>3</strong> Cantillo JF et al.: EAACI 2017, #0091 <strong>4</strong> EAACI Allergen Immunotherapy (AIT) Guide­lines: <a href="http://www.eaaci.org/resources/guidelines/ait-guidelines-part-1.html">http://www.eaaci.org/resources/guidelines/ait-guidelines-part-1.html</a> <strong>5</strong> Lloyd CM et al.: Immunity 2017; 46(4): 549-61 <strong>6</strong> Wypych TP et al.: Nutrients 2017; 9(6). pii: E537 <strong>7</strong> Kennedy EA et al.: J Allergy Clin Immunol 2017; 139(1): 166-72 <strong>8</strong> Nakatsuji T et al.: Sci Transl Med 2017; 9(378). pii: eaah4680 <strong>9</strong> Katsaounou P et al.: EAACI 2017, #0616 <strong>10</strong> Schreiber J et al.: EAACI 2017, #0615</p>
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