Die Rolle der spezialisierten Pflege bei chronischen Lungenerkrankungen
Autorin:
Simone Stickel
Klinische Fachspezialistin Pulmonale Hypertonie Universitätsspital Zürich
Rämistrasse 100, 8091 Zürich
E-Mail: simone.stickel@usz.ch
Mit immer besseren Therapieoptionen nimmt die Zahl der chronisch Erkrankten zu. Das sehen wir am Beispiel der pulmonalen Hypertonie. Diese hat sich in den letzten 20 Jahren von einer Krankheit mit geringer Überlebenserwartung für die Betroffenen zu einer chronischen Erkrankung entwickelt. Im Vergleich zu einer akuten Erkrankung liegt das Gewicht bei chronischen Erkrankungen mehr auf der Betreuung als auf der Behandlung. Der Zeitdruck im Alltag erschwert die ärztliche Betreuung dieser Patienten, weshalb es unglaublich wichtig ist, ein multidisziplinäres Team mit spezialisierten Pflegefachpersonen für chronisch Erkrankte zu haben.
Keypoints
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Die spezialisierten Pflegefachpersonen haben die ganzheitliche Aufgabe, den Patienten zu helfen, das Beste aus der Behandlung herauszuholen.
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Untersuchungen haben gezeigt, dass es Patienten, die ihre Krankheit und die Symptome aktiver überwachen und sich proaktiver selbst versorgen, besser geht und sie bessere Resultate erzielen.4
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Spezialisierte Pflegefachpersonen übernehmen in der Betreuung chronisch kranker Menschen eine wichtige Funktion. Sie sind effiziente Case-Managerinnen, die in komplexen Situationen die verschiedenen Fäden der Betreuung in der Hand halten und die ärztliche Perspektive mit der pflegerischen Sichtweise komplementär ergänzen. Das vereinfacht die ganzheitliche Betreuung der Patienten.5
Was sind die Herausforderungen einer chronischen Krankheit?
Eine chronische Erkrankung hat oft einen unvorhersehbaren Verlauf. Die Betroffenen benötigen Unterstützung, die über einfache physiologische Messungen hinausgeht.1
Die Diagnose kann bei den Patienten und ihren Angehörigen Ängste und grosse Unsicherheit auslösen. Symptome und Therapien können das alltägliche Leben der Betroffenen beeinträchtigen und einen negativen Einfluss auf die psychische, ökonomische und häusliche Situation haben.
Eine gross angelegte Umfrage zur Erforschung der Perspektive von Patienten mit pulmonaler Hypertonie in Europa ergab, dass für 85% der Patienten Beschäftigung, Arbeit und Einkommen durch ihre Krankheit beeinträchtigt sind.2 Die Ergebnisse verdeutlichen auch die emotionalen Auswirkungen der Krankheit: 35% der Patienten berichten über Gefühle von Frustration, Wut und geringem Selbstwertgefühl. Mehr als die Hälfte fühlt sich isoliert, und viele geben an, dass ihre Beziehungen stark beeinträchtigt sind. Eine andere Studie ergab, dass 20–40% der Patienten unter Angstzuständen und 21–55% unter Depressionen leiden.3
Patienten mit einer chronischen Erkrankung brauchen zu Beginn der Diagnose eine engmaschige medizinische Behandlung. Im Verlauf stabilisieren sie sich mehrheitlich und der Fokus, der zuvor auf der Behandlung lag, liegt nun mehr auf der Betreuung. In dieser Phase der Erkrankung kommen viele Fragen zum Umgang mit der Krankheit im Alltag, bei der Arbeit, in der Schule, beim Reisen usw. auf. Für die Beantwortung all dieser Fragen brauchen die chronisch Erkrankten spezialisierte Pflegefachpersonen mit Fachwissen und Erfahrung in diesem Bereich.
Pflegerische Begleitung schliesst immer auch psychologische und soziologische Aspekte mit ein. Wie erwähnt, geht es oft um Ängste, Sorgen und Hoffnungen. Die Patienten benötigen Unterstützung, die über die körperlichen Symptome der Krankheit hinausgeht. Die spezialisierten Pflegefachpersonen übernehmen in der Betreuung der chronisch kranken Menschen eine bedeutende Aufgabe und sind für sie wichtige Ansprechpartner. Oft begleiten die spezialisierten Pflegefachpersonen den Patienten über mehrere Jahre, bauen in dieser Zeit ein Vertrauensverhältnis auf und kennen vielfach auch ihre Familien, die Hobbys und die Alltagssorgen, während die Ärzte immer wieder wechseln oder keine Zeit für diese Belange haben. Aber gerade chronisch Kranke und ihre Angehörigen brauchen Zeit für Gespräche und Beratung. Deshalb ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Ärzteschaft und Pflegefachpersonal sehr wichtig. Durch diese Zusammenarbeit können Ressourcen von beiden Seiten genutzt werden und die Betroffenen werden ganzheitlich betreut.
Therapieadhärenz und Persistenz
Bei chronisch Erkrankten sind die Therapien mehrheitlich lebenslänglich und oft mit Nebenwirkungen verbunden. Auch sind sie oftmals komplex und nicht einfach in den Alltag zu integrieren. Für die Adhärenz und die Persistenz ist es wichtig, dass der Patient in die Entscheidung über die Therapie miteinbezogen wird. Er muss wissen, was auf ihn zukommt und was er von der Therapie erwarten kann, damit er sich keine falschen Hoffnungen macht. Das Modell des «shared decision making» gibt dem Patienten die Möglichkeit, sich aktiv am Therapieentscheid zu beteiligen. Das «shared decision making» umfasst drei Phasen (Abb. 1):
Abb. 1: «Shared decision making»-Modell mit drei Phasen. Die Aufgabe der spezialisierten Pflegefachfrau ist es, den Patienten dabei zu unterstützen, seine Ziele während des gesamten Krankheitsverlaufs zu erreichen (adaptiert nach Barnett und Swart)6
Anfangsphase «Team Talk»: Das Problem wird definiert, es herrscht eine Gleichwertigkeit der Behandlungsoptionen und Partner.
Informationsphase «Option Talk»: Die Behandlungsmöglichkeiten werden beschrieben, es wird nach Verständnis, Gedanken, Erwartungen und Befürchtungen gefragt.Abschlussphase «Decision Talk»: Die Rollen- und Behandlungspräferenz wird geklärt, nach der Entscheidungsfindung wird eine Vereinbarung getroffen.
Dieses Modell eignet sich jedoch nicht für alle Patienten, da von ihnen sehr viel Eigenverantwortung und Interesse in Bezug auf ihre Krankheit erwartet wird.
Damit die Patienten den Sinn der Therapie verstehen, ist es notwendig, dass sie in Bezug auf ihre Krankheit und die Symptome gut geschult werden. Die Forschung hat gezeigt, dass Patienten, die ihre Krankheit und Symptome aktiver überwachen und sich selbst um ihre Gesundheit kümmern, bessere Ergebnisse erzielen.4 Die Aufgabe der spezialisierten Pflegefachpersonen ist es, die Patienten dabei zu unterstützen.
Bei chronischen Krankheiten hängt der Behandlungserfolg stärker von der aktiven Mitarbeit des Patienten ab als bei akuten Erkrankungen, da er die therapeutischen Massnahmen überwiegend selbst durchführt. Anders als bei akuten Erkrankungen, bei denen es nur bei unvorhergesehenem Verlauf zu Therapieanpassungen kommt, ist bei chronischen Erkrankungen eine ständige Veränderung und Adaptierung der Therapie die Regel.
Bei der Wahl der Therapie spielt die Lebensqualität eine grosse Rolle. Nicht alle wollen länger leben und dafür alles in Kauf nehmen. Für diese Patienten spielt die Qualität, die sie im Alltag haben, eine grosse Rolle. Sie müssen nicht um jeden Preis länger leben und entscheiden sich zum Teil gegen die von den Ärzten vorgeschlagene beste Therapie. Nicht alle Ärzte können gut damit umgehen, da sie das beste Outcome mit den vorhandenen Therapiemöglichkeiten anstreben. Dabei wird oft vergessen, dass der Patient zu Hause 365 Tage pro Jahr mit den Nebenwirkungen klarkommen muss. Die Pflegefachkraft, die bei Nebenwirkungen und beim Umgang damit in der Regel die wichtigste Ansprechperson ist, sieht den Patienten ganzheitlich und kann eher nachvollziehen und akzeptieren, dass sich ein Patient gegen die vorgeschlagenen Therapien entscheidet. Dabei ist es wichtig sicherzustellen, dass der Patient alle Informationen, die es für diesen Entscheid braucht, verstanden hat. In Situationen, in denen es einem Patienten schwerfällt, sich eine komplexe Therapie vorzustellen, ist es hilfreich, wenn er sich mit einem anderen Betroffenen, der diese Therapie schon hat, austauschen kann.
Die Pflegefachpersonen versuchen, zusammen mit dem Patienten eine für ihn passende Lösung/Therapie zu finden – sie stülpen ihm nichts über. Diese Offenheit, dieses «Sich-Einlassen» auf das Gegenüber, erfordert Kompetenzen seitens der Pflegefachpersonen und Vertrauen seitens der Patienten.
Literatur:
1 Howard LS et al.: Physicians’ and patients’ expectations of therapies for pulmonary arterial hypertension: where do they meet? Eur Respir Rev 2014; 23: 458-68 2 Ferrari P et al.: Impact of pulmonary arterial hypertension (PAH) on the lives of patients and carers. Eur Respir J 2013; 42: P2631 3 Guillevin L et al.: Understanding the impact of pulmonary arterial hypertension on patients’ and carers’ lives. Eur Respir Rev 2013; 22: 535-42 4 Graarup J et al.: Patient engagement and self-management in pulmonary arterial hypertension. Eur Respir Rev 2016; 25: 399-407 5 Krebser S: Pflegefachpersonen im Einsatz gegen pulmonale Hypertonie. SGPH-Newsletter 01/2020. https://www.sgph.ch/tl_files/daten/Ueber%20Uns/Newsletter/Newsletter%20D/IMPHNL_2001_DE_11.pdf 6 Barnett G, Swart M: Shared decision making for high-risk surgery. BJA Educ 2021; 21: 300-6
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