
Wie invasive Langzeitbeatmung vermieden werden soll
Autor*innen:
Benjamin Neetz
Atmungstherapeut DGP
Pneumologie und Beatmungsmedizin Thoraxklinik am Universitätsklinikum Heidelberg
PD Dr. med. Franziska Trudzinski
Pneumologie und Beatmungsmedizin
Thoraxklinik am Universitätsklinikum Heidelberg
Translational Lung Research Center Heidelberg
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Die laufende PRiVENT-Studie hat das Ziel, über eine Risikostratifizierung sowie Weaning-Boards und Weaning-Konsile bei Patienten mit einem erhöhten Risiko für eine Langzeitbeatmung und mit gezielten Weiterbildungsangeboten die Anzahl langzeitbeatmeter Patienten in Baden-Württemberg zu verringern.
Keypoints
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Die Beatmungsentwöhnung stellt eine interprofessionelle Herausforderung dar. Im Rahmen der PRiVENT-Intervention wird das Risiko für eine Langzeitbeatmung bzw. ein erfolgloses Weaning erfasst.
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Patient*innen mit einem erhöhten Risiko für eine Langzeitbeatmung werden einer komplexen Intervention zugeführt.
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Die PRiVENT-Intervention umfasst Weaning-Boards und Weaning-Konsile.
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Ziel der Studie ist es, die Anzahl langzeitbeatmeter Patient*innen zu reduzieren.
Die Zahl ausserklinisch beatmeter Patienten in Deutschland nimmt ständig zu. Die invasive Beatmung führt zu immensen Einschränkungen für den betroffenen Menschen, belastet das soziale Umfeld und bindet kostenintensive Ressourcen.1 Der bereits bestehende Mangel an Pflegekräften wird die Situation in Zukunft potenziell weiter verschärfen.
Die PRiVENT-Studie
PRiVENT steht für Prävention invasiver Ventilation. Bei dieser Studie handelt es sich um eine multizentrische Interventionsstudie, welche in Baden-Württemberg durchgeführt wird und die Zahl der Menschen, die mit einer invasiven Beatmung in den ausserklinischen Bereich entlassen werden, verringern soll. Die Studie wurde von der Thoraxklinik am Universitätsklinikum Heidelberg konzipiert und in Kooperation mit der Abteilung für Allgemeinmedizin des Universitätsklinikums Heidelberg und dem aQua-Institut, Göttingen, realisiert.
Hintergrund
Ein grosser Anteil an Patienten, die in die ausserklinische invasive Beatmung entlassen werden, werden initial aufgrund einer intensivmedizinischen Akutsituation auf einer Intensivstation beatmet. Der Behandlung des Akutereignisses schliesst sich ein prolongierter, nicht erfolgreicher Entwöhnungsprozess an und viele dieser Patienten werden direkt von der Intensivstation in die Ausserklinik übergeleitet. Es ist jedoch bekannt, dass viele dieser Patienten in spezialisierten Weaning-Zentren noch erfolgreich von der invasiven Beatmung entwöhnt werden können.2 Neben finanziellen Fehlanreizen im Bereich der ausserklinischen Intensivmedizin spielt hierbei auch die begrenzte Bettenkapazität in spezialisierten Weaning-Zentren eine Rolle.
Studienablauf
Ziel der PRiVENT-Studie ist es nun, nicht spezialisierten Kliniken die Expertise der Weaning-Zentren relativ früh im Behandlungsverlauf zukommen zu lassen und die Weaning-Kompetenz in allen beteiligten Kooperationskliniken zu erhöhen.
Im Rahmen der Studie soll untersucht werden, ob sich diese neue Versorgungsform in den Einrichtungen implementieren lässt und wie die Effekte auf den Weaning-Erfolg sind.
Hierbei bilden vier zertifizierte Weaning-Zentren (WZ) (Klinik Löwenstein gGmbH, Klinik Schillerhöhe GmbH, Universitätsklinikum Heidelberg und die Waldburg-Zeil Akutkliniken GmbH & Co. KG) mit den Intensivstationen von jeweils zehn Kooperationskliniken (KK) ein Netzwerk.
Screening und Prognosemodell
Ist ein Patient über 30 Jahre alt, mindestens 96 Stunden invasiv beatmet und hat er eine Komorbidität und/oder eine Covid-19-Pneumonie, so kann er, sofern keine neuromuskuläre Erkrankung ohne Weaning-Potenzial vorliegt, in die Studie eingeschlossen werden (Abb. 1). Im Anschluss an den Studieneinschluss wird das Risiko für eine Langzeitbeatmung bzw. ein erfolgloses Weaning erfasst.
Patienten, die ein hohes Risiko für eine Langzeitbeatmung haben, werden einer komplexen Intervention zugeführt. Die Risikoabschätzung erfolgt anhand eines eigens hierfür erstellten Prognosemodells. Das Prognosemodell wurde auf Grundlage einer systematischen Literaturanalyse und der klinischen Erfahrung der beteiligten Weaning-Zentren in Kooperation mit dem aQua-Institut, Göttingen, anhand der GKV-Routinedaten erstellt.3 Um die aktuellen, in den Routinedaten noch nicht mit abgebildeten Effekte der Covid-Pandemie auf die Beatmungsentwöhnung zu untersuchen, werden Patienten mit einer Covid-19-Pneumonie unabhängig vom Ergebnis des Prognosemodells in die Studie eingeschlossen.
Die Kooperationskliniken wenden dieses Prognosemodell früh, d.h. innerhalb der ersten 11 Tage nach Intubation, an. Ergibt das Prognosemodell ein hohes Risiko für eine invasive Langzeitbeatmung kann der Studieneinschluss erfolgen und der Patient wird der PRiVENT-Intervention zugeteilt (Abb. 1).
PRiVENT-Intervention
Die PRiVENT-Intervention hat primär zwei Elemente:
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Weaning-Boards (WB): eine multiprofessionelle Besprechung des Patienten mit Ärzten und Therapeuten des Weaning-Zentrums. Die Grundlage der WB sind Daten, die im Rahmen des Studieneinschlusses von den KK an das WZ übermittelt werden.
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Weaning-Konsile (WK, Abb. 2): ein konsiliarischer Besuch eines Pneumologen und eines Atmungstherapeuten der WZ in der KK. Hier können die Anamnese und Befunde analysiert werden, eine körperliche Untersuchung und ein atmungstherapeutisches Assessment stattfinden, um letztendlich eine individuelle Empfehlung für eine Beatmungs- und Entwöhnungsstrategie zu erarbeiten.
Nach jedem WB oder WK werden die individuellen Empfehlungen an die KK schriftlich übermittelt und Wiedervorstellungstermine vereinbart. So entsteht ein dynamischer, am individuellen Bedarf des Patienten und der KK orientierter Prozess, der den Entwöhnungsprozess optimiert. Bestehen der Wunsch und die Indikation für eine Verlegung in das betreuende WZ ist auch dies möglich.
Gezielte Weiterbildungsangebote
Um die Weaning-Kompetenz in den beteiligten Kliniken darüber hinaus weiter zu verbessern, haben alle Mitarbeiter der KK während der gesamten Studienzeit kostenfreien Zugriff auf ein eigens für die Studie erstelltes E-Learning-Angebot. Unter der wissenschaftlichen Leitung von PD Dr. med. Franziska Trudzinski und dem Atmungstherapeuten DGP Benjamin Neetz wurden 7 Module erstellt und auf einer Online-Lernplattform implementiert.
Zertifiziertes E-Learning
Inhaltlich orientieren sich die Module an dem chronologischen Ablauf einer invasiven Beatmungstherapie. Es werden Themen wie Beatmung bei akutem Lungen-versagen und chronisch obstruktiver Lungenerkrankung, Weaningbereitschaft, Spontanatemversuche, Sekretmanagement und Überleitung in die Häuslichkeit angeboten. Alle Module sind bei der Landesärztekammer Baden-Württemberg und bei der Registrierung beruflich Pflegender zertifiziert worden. Insgesamt können somit 23 Fortbildungspunkte erworben werden.
Das E-Learning hat nach rund einem Jahr Intervention bereits ca. 200 Teilnehmer. Inzwischen wurde das Angebot um zwei Fallstudien erweitert, die es mit ihrer realistischen Komplexität den Lernenden ermöglichen, das Gelernte aufzugreifen und zu vertiefen. Darüber hinaus erfolgen Präsenzfortbildungen in den Weaning-Zentren sowie regelmässige Qualitätszirkel, um einen kollegialen Austausch zu unterschiedlichsten Aspekten der Beatmungsentwöhnung sowie den Fortgang der Studie zu ermöglichen.
Durch die enge Zusammenarbeit der Weaning-Zentren mit den Kooperationskliniken wurden die Kooperation und die Kommunikation untereinander ausgebaut. Im Laufe des Projektes hat sich ein enges Netzwerk gebildet, welches sicherlich auch über die Studienlaufzeit hinaus Bestand haben wird. Die Ergebnisse der Studie werden aller Voraussicht nach in den Jahren 2023 bis 2025 veröffentlicht werden können.
Literatur:
1 Cox CE, Carson SS: Medical and economic implications of prolonged mechanical ventilation and expedited post-acute care. Semin Respir Crit Care Med 2012; 33: 357-61 2 Bornitz F et al.: Weaning from invasive ventilation in specialist centers following primary weaning failure − a prospective multi-center study of weanability in patients receiving prolonged domiciliary ventilation. Dtsch Arztebl Int 2020; 117: 205-10 3 Trudzinski FC et al.: Risk factors for prolonged mechanical ventilation and weaning failure: a systematic review. Respiration 2022; 101: 959-69
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