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Psychogene Atemstörungen oder manifestes Asthma?
Jatros
Autor:
Dr. Thomas Spindler
Fachkliniken Wangen, Waldburg-Zeil Kliniken Lungenzentrum Süd-West Klinik für pädiatrische Pneumologie und Allergologie<br> Rehabilitationsklinik für Kinder und Jugendliche<br> E-Mail: thomas.spindler@wz-kliniken.de
30
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14.07.2016
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<p class="article-intro">Nicht alles, was pfeift, ist Asthma. – Ein Satz, der zwar immer wieder zitiert, aber in der täglichen Praxis zu selten bedacht wird. Gerade bei Jugendlichen oder jungen Erwachsenen mit therapierefraktären Symptomen der Atemwege, wie z.B. rezidivierenden Atemnotanfällen, inspiratorischer Dyspnoe oder chronischem Husten, sollten die differenzialdiagnostischen Überlegungen über das Übliche hinausgehen. </p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>Funktionelle/psychogene Atemstörungen sind häufiger als gedacht.</li> <li>Insbesondere schwere therapierefraktäre Dyspnoe lässt daran denken.</li> <li>Instabiles Asthma trotz maximaler Therapie bei diskrepanter Lungenfunktion muss zur erweiterten Differenzialdiagnostik führen.</li> <li>Sie sind nicht selten kombiniert mit somatischen Erkrankungen, insbesondere Asthma.</li> <li>Sie sind bei Chronifizierung schwer beeinflussbar.</li> </ul> </div> <p>Funktionelle Störungen sollten in den genannten Fällen immer mitbedacht werden, zumal gerade diese Patienten Gefahr laufen, in eine unüberschaubare Spirale aus Therapieintensivierung und invasiver Diagnostik zu geraten. Neben der Gefährdung durch eine unnötige, teils auch mit entsprechenden Nebenwirkungen behaftete und teure medikamentöse Therapie bedeuten sowohl Diagnostik als auch die mangelnde Krankheitsverarbeitung viel zu oft eine massiv eingeschränkte soziale Teilhabe. Daraus und aus den entsprechenden Schul- und Arbeitsfehlzeiten resultieren nachhaltige Auswirkungen auf Bildung und Beruf dieser Patienten. <br />In der folgenden Übersicht wird insbesondere auf die Vocal Cord Dysfunction (VCD) als wichtigste Störung eingegan­­gen und es werden die entsprechenden diagnos­tischen/differenzialdiagnostischen Möglichkeiten aufgezeigt. <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Pneumo_1603_Weblinks_Seite12_1.jpg" alt="" width="323" height="425" /></p> <h2>Fallbeispiel</h2> <p>Lisa ist eine 16-jährige Jugendliche. Bereits im Kleinkindalter litt sie unter rezidivierenden obstruktiven Bronchitiden, im Grundschulalter immer wieder unter Bauchschmerzen. Eine umfangreiche Diagnostik ergab keinen Anhalt für eine somatische Ursache. <br />Mit 14 Jahren kollabierte sie zweimal nach sportlicher Belastung mit Atemnot. Der Notarzt fand sie dyspnoisch und hyperventilierend vor. Ein mehrtägiger Klinikaufenthalt folgte mit Abklärung ohne Hinweis auf eine organische Ursache. <br />Es folgten immer wieder Atemnotepisoden. Unter der Diagnose eines schweren Asthmas wurde eine Maximaltherapie aus inhalativen Kortikosteroiden (ICS), systemischen Steroiden, Montelukast und lang wirksamen Betamimetika initiiert. Außerdem inhalierte Lisa zusätzlich mehrmals täglich ein Notfallmedikament. Eine Behandlung mit Omalizumab ist angedacht. <br />Lisa ist das Kind geschiedener Eltern. Bei deren Trennung musste sie Gewaltszenen miterleben. Sie lebt bei ihrer Mutter, zum Vater besteht nur loser Kontakt. Lisa zeigt Probleme im Sozialverhalten, die 3. Klasse musste sie wegen häufiger Fehlzeiten wiederholen. Derzeit besucht sie die 9. Klasse Hauptschule und hat massive Probleme mit Gleichaltrigen, sie fehlt häufig und bringt schlechte schulische Leistungen. <br />Aufgrund der komplexen Probleme erfolgt die Einleitung einer stationären Rehabilitationsmaßnahme. <br />Hier versucht sie auf einer Party die Aufmerksamkeit anderer Jugendlicher auf sich zu ziehen, als dies misslingt, stürzt sie plötzlich nach draußen. Der Dienstarzt findet sie nicht ansprechbar, hyperventilierend mit einem inspiratorischen Stridor vor. Nach Inhalation und Beruhigung ist sie rasch wieder beschwerdefrei. Pulsoxymetrisch hat sie durchgängig eine normale Sauerstoffsättigung. Die diagnostische Bronchoskopie ergibt eine ausgeprägte provozierbare Adduktion der Stimmbänder, bei sonst normaler Anatomie. Damit ist die Diagnose einer funktionellen Atemstörung im Sinne einer Stimmbanddysfunktion (VCD) gesichert. <br />Im gesamten Verhalten fallen starke Stimmungsschwankungen und ein ausgeprägtes Streben nach Anerkennung auf, gleichzeitig zeigt Lisa große Probleme, mit Kritik umzugehen und nicht mit Kontaktabbruch oder Atemstörungen zu reagieren. Es besteht der Verdacht auf eine Persönlichkeitsstörung. Im weiteren Verlauf erkennen Mutter und Tochter den Zusammenhang zwischen Atemstörung und Konfliktsituationen und akzeptieren die Notwendigkeit einer längerfristigen therapeutischen Behandlung. <br />Für das Vorliegen eines belastungsabhängigen Asthma bronchiale finden sich keine Hinweise. Eine einfühlsame Begleitung ersetzt die exzessive medikamentöse Therapie und sorgt für eine zunehmend bessere soziale Teilhabe und Integration der Jugendlichen.</p> <h2>Psychogene/funktionelle Atemstörungen</h2> <p>Die Diagnose psychogener und funktioneller Atemstörungen ist oft schwierig und zeitaufwendig, da die Symptome einerseits denen organischer Erkrankungen ähneln, zum anderen in nicht seltenen Fällen gleichzeitig eine organische Erkrankung, wie z.B. ein Asthma, vorliegen kann. Die häufigsten psychogenen Atemstörungen sind die akute und chronische Hyperventilation sowie Tic-Störungen mit Husten und/oder Räuspern, aber auch dissoziative Störungen; die häufigste funktionelle Atemstörung ist die Stimmbanddysfunktion (VCD). Typische Symptome bei psychogenen und funktionellen Atemstörungen sind in- und/oder exspiratorische Dyspnoe, Globusgefühl, Husten, Stridor oder andere Atemgeräusche, Engegefühl im Brust- oder Halsbereich und Angst, häufig in Kombination mit Palpitationen oder Hyperventilationssymptomen.</p> <h2>Die Stimmband­dysfunktion (VCD)</h2> <p>Die Erstbeschreibung der Stimmbanddysfunktion erfolgte durch Robley Dung­li­son (1798–1869) (Abbildung 1). 1842 sprach er vom „liebevollen Zusammenkommen“ der laryngealen Muskulatur bei „hysterischen Frau­en“. 1869 erfolgte die erstmalige Beob­achtung in situ durch McKenzie bei „hysterischen Erwach­senen“. <br />In der neueren Literatur wurde die Stimmbanddysfunktion 1974 durch Patterson et al beschrieben unter der Bezeichnung „Munchausen’s stridor“.<sup>1</sup> Seit 1983 wird im Allgemeinen der Begriff Vocal Cord Dysfunction verwendet. Die Patienten mit VCD kommen vor allem als Notfälle in die Klinik. Man ging zunächst von einer selbstinduzierten psychogenen Obstruktion aus. Später wurde bei den Patienten laryngoskopisch eine abnorme Bewegung der Stimmbänder gesehen. Während die VCD bis 1980 als rein psychiatrisches Krankheitsbild galt, wird dies seither differenzierter betrachtet. Da sich in vielen Fällen die Symptomatik auch durch Metacholin oder andere unspezifische Stimuli auslösen lässt, wird als mögliche Ursache eine funktionelle laryngeale Hyperreagibilität diskutiert.<sup>2</sup> <br />In der Literatur sind hauptsächlich Einzelfälle oder Beschreibungen kleinerer Fallzahlen zu finden. Es zeigt sich ein heterogenes Krankheitsbild, doch einige Merkmale finden sich gehäuft:</p> <ul> <li>Eine VCD wird oft als Asthma bronchiale verkannt.</li> <li>Sie kommt häufig zusammen mit einem Asthma bronchiale vor.</li> <li>Sie betrifft vorwiegend das weibliche Geschlecht.<sup>7</sup></li> <li>Sie wird in vielen Fällen vor Diagnose mit maximaler Therapie versehen.</li> </ul> <p>Die VCD wird oft jahrelang als Asthma bronchiale verkannt. Erschwerend kommt hinzu, dass die VCD in einem großen Prozentsatz der Fälle in Kombination mit Asthma bronchiale auftritt und sich VCD und Asthma bronchiale sogar gegenseitig im Rahmen einer Angstproble­matik/-störung verstärken. Dabei gibt es wenig Korrelation zwischen dem zugrunde liegenden Asthmaschweregrad und der Häufigkeit zusätzlicher funktioneller Symptome.<sup>3</sup> <br />Die VCD führt bei den Patienten zu zahlreichen Notfallinterventionen und stationären Aufenthalten. Häufig werden die Patienten vor der Diagnose mit einer maximalen Therapie versehen, erhalten z.B. hohe orale Cortisondosen. Bei vielen Patienten ist schon eine Intubation durchgeführt worden, bei manchen im Notfall sogar schon eine Tracheotomie. <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Pneumo_1603_Weblinks_Seite12_2.jpg" alt="" width="370" height="297" /></p> <h2>Diagnose der VCD</h2> <p>Das Wichtigste bei der Diagnosestellung ist, an die Möglichkeit einer funktionellen Störung/psychogenen Komponente zu denken. Insbesondere bei jungen Patienten mit therapierefraktärem Asthma und gehäuften Notfallinterventionen sollte diese Diagnose in Erwägung gezogen werden. Im Anfall selbst ist eine Differenzierung auf den ersten Blick oft schwierig, allerdings gibt es gute Möglichkeiten, ohne großen technischen Aufwand eine Unterscheidung vorzunehmen (Tab. 1). <br />In der neueren Literatur wurde versucht, sich der Diagnose mittels „Scores“ zu nähern, wie z.B. des sog. „Pittsburgh-VCD-Index“. Hier werden für klassische Symptome der VCD Punkte vergeben und bei einem Score >4 wird die Verdachtsdiagnose einer VCD gestellt.4 Über die Sinnhaftigkeit lässt sich trefflich streiten. <br />Hilfreicher sind sicherlich die von Klaus Kenn 2008<sup>5</sup> in einer Übersichtsarbeit definierten „Kernfragen“:</p> <ul> <li>Perakute Atemnot von einem Moment zum anderen?</li> <li>Dyspnoe inspiratorisch?</li> <li>Lokalisation des Engegefühls (oberer Halsbereich)?</li> <li>Kurz dauernde, selbstlimitierende Beschwerden (<2 Min.)?</li> <li>Atemnotqualität?</li> <li>Asthmamedikation wirksam?</li> <li>Hustenattacken als Atemnotauslöser?</li> <li>Lungenfunktion wiederholt normal?</li> <li>Diskrepanz zwischen Lungenfunktion und Beschwerden?</li> </ul> <p>In manchen Fällen können auch variable Veränderungen in der Fluss-Volumen-Kurve zu sehen sein (Abflachung des inspiratorischen Schenkels, aber auch zahlreiche andere Veränderungen). Es gibt jedoch keine Lungenfunktionsparameter, die die Diagnose sichern. Goldstandard ist die Endoskopie mit Nachweis der funktionellen Störung während der Untersuchung mittels bekannter Auslöser, wie z.B. Be­lastung oder unspezifischer Reizung der Larynxregion. Die Untersuchung erfolgt möglichst ohne Prämedikation und ohne Rachenanästhesie. Wichtig ist hier die vorangehende ausführliche Besprechung der Untersuchung mit dem Patienten. <br />Häufig gelingt allerdings trotz en­­dos­kopischer Reizung keine eindeutige Auslösung der Symptome. Dies schließt aber die Diagnose einer VCD keinesfalls aus. Zur weiteren Sicherung der Diagnose sollten daneben eine Allergietestung, eine Lungenfunktionstestung in Ruhe und nach Provokation, eine Messung des exhalativen NO sowie eine 24h-pH-Metrie durchgeführt werden. <br />Um eine subglottische/tracheale Ursache auszuschließen ist auch die Indikation zu einer flexiblen Bronchoskopie großzügig zu stellen. <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Pneumo_1603_Weblinks_Seite13_1.jpg" alt="" width="" height="" /> <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Pneumo_1603_Weblinks_Seite13_2.jpg" alt="" width="372" height="411" /></p> <h2>Therapie</h2> <p>Aufgrund des komplexen Krankheitsbildes gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Behandlungsansätze. Allgemein ist wichtig, dass die Störung möglichst frühzeitig angegangen wird, da sonst die Prognose ungünstiger wird und eine Chronifizierung droht. Im Akutfall ist das erste Therapieprinzip „Ruhe bewahren“. In seltenen Fällen – wenn nicht anders möglich – können dazu Anxiolytika eingesetzt werden. Berichte über Einzelfälle mit Helioxinhalationen oder gar intralaryngealen Botulinuminjektionen<sup>6</sup> gehören wohl eher in den Bereich heroischer medizinischer Mythen. Auf keinen Fall sollen die immer wieder dramatischen Symptome zu einer Intensivierung der Asthmatherapie verleiten. <br />Grundprinzip der Therapie ist eine einfühlsame Aufklärung der Patienten, am besten unter Einbeziehung des Videos der Laryngoskopie. Dies sollte nicht zu direktiv erfolgen, dem Patienten soll Zeit eingeräumt werden, die Diagnose für sich anzunehmen. Dabei ist es wichtig, offene Fragen zu formulieren, im Sinne von „Könnte es bei Dir/Ihnen sein, dass …?“ <br />Überflüssige Medikamente sollten nach entsprechender Aufklärung und unter enger ärztlicher Überwachung (ggf. schrittweise) abgesetzt werden. Das Tempo sollte der Patient bestimmen, da sonst zusätzliche Angststörungen induziert werden können. Zusätzlich können Atemtherapie und Sprachtherapie sowie Entspannungstechniken hilfreich sein. Wenn innerhalb der ersten Wochen der oben beschriebenen Behandlung keine Besserung eintritt, kann eine psychotherapeutische Begleitung notwendig sein. <br />Insgesamt scheint die Prognose bei frühzeitiger Diagnosestellung und entsprechender Therapie aber anhand der vorliegenden (leider in der Regel retrospektiven) Studien eher günstig zu sein.<sup>8</sup></p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Patterson R et al: Munchausen’s stridor: non-organic laryngeal obstruction. Clin Allergy 1974, 4: 307-310 <br /><strong>2</strong> Benninger C et al: Vocal cord dysfunction and asthma. Curr Opin Pulm Med 2011, 17: 45-49 <br /><strong>3</strong> Parsons JP et al: Vocal cord dysfunction: beyond severe asthma. Respir Med 2010; 104: 504-9 <br /><strong>4</strong> Traister RS et al: A novel scoring system to distinguish vocal cord dysfunction from asthma. J Allergy Clin Immun Pract 2014; 2: 65-69 <br /><strong>5</strong> Kenn K et al: Vocal Cord Dysfunction: Eine wichtige Differenzialdiagnose zum Asthma bronchiale. Dtsch Arztebl Int 2008; 105(41): 699-704 <br /><strong>6</strong> Grillone GA et al: Treatment of adductor laryngeal breathing dystonia with botulinum toxin type A. Laryngoscope 1994; 104(1 Pt 1): 30-2 <br /><strong>7</strong> Brugman S: The many faces of vocal cord dysfunction: what 36 years of literature tell us. Am J Respir Crit Care Med 2003; 167(7): A588 <br /><strong>8</strong> Devang L et al: Long-term outcome of vocal cord dysfunction. Annals of Asthma, Allergy and Immunology 2006; 96(6): 794-799</p>
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