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Rauchstopp und Rückfallprophylaxe – der Ausstieg aus der Nikotinabhängigkeit
Jatros
Autor:
Mag. Sophie Meingassner
Fachliche Leitung Rauchfrei Telefon<br> Nö. Gebietskrankenkasse<br> St. Pölten<br> E-Mail: sophie.meingassner@noegkk.at
30
Min. Lesezeit
16.05.2019
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<p class="article-intro">Der Großteil der Personen, die rauchen, ist abhängig. Das Rauchen zu beenden und rauchfrei zu bleiben, also der Nikotinabhängigkeit zu entkommen, ist meist ein längerer Prozess, der manchmal sogar über mehrere Jahre verläuft.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Ein Rauchstopp ist meist nicht im ersten Anlauf zu schaffen, oft sind mehrere Versuche nötig.</li> <li>Mit dem Rauchen aufzuhören, ist ein Prozess, der auch mit Rückschlägen verbunden ist.</li> <li>Motivation, Begleitung und gezielte Interventionen können helfen, das Ziel „Rauchstopp“ zu erreichen.</li> </ul> </div> <p>In der Regel werden mehrere Anläufe zum Rauchstopp benötigt, bis die langfristige Rauchfreiheit gelingt. So ist es für nur 10 % der Personen, die die Beratung des Rauchfrei Telefons zur Tabakentwöhnung in Anspruch nehmen, der erste Anlauf zum Rauchstopp. Rund 22 % berichten von einem, 52 % von zwei bis vier Versuchen und 16 % wenden sich nach fünf und mehr bisherigen Rauchstopps an das Rauchfrei- Team.<sup>1</sup> Neben der Vorbereitung und der Umsetzung des Rauchstopps muss daher in der Behandlung der Tabakabhängigkeit ein besonderes Augenmerk auf die Rückfallprophylaxe gelegt werden.</p> <h2>Nikotinabhängigkeit</h2> <p>Die Rauchprävalenz in Österreich ist im internationalen Vergleich hoch. So rauchen in Österreich 24 % der Menschen täglich, 5,5 % rauchen gelegentlich.<sup>2</sup> Tägliches Rauchen ist ein Hinweis auf Abhängigkeit, jedoch auch unter den Personen, die gelegentlich rauchen, finden sich Abhängige. Der Großteil der Raucher und Raucherinnen weist Merkmale der Nikotinsucht auf, die unter F. 17.2 des ICD-10 gelistet sind.<sup>3</sup></p> <h2>Rauchfrei werden – ein Prozess der Verhaltensänderung</h2> <p>Der Rauchstopp ist nur selten das kurzentschlossene Abstellen einer „lästigen Gewohnheit“. Meist ist es ein längerer Prozess der Veränderung eines lang etablierten Suchtverhaltens, der häufig von Rückfällen begleitet ist, bevor die Rauchfreiheit stabil erreicht werden kann. <br />Ein sehr praktikables Modell zum Verständnis der Verhaltensänderung beim Rauchen beschreiben Prochaska und DiClemente mit fünf Stufen.<sup>4</sup> Im Stadium der Präkontemplation wird bedenkenlos geraucht, es gibt (noch) keine Veränderungsmotivation. Mit dem Rauchverhalten zufriedene, „konsonante“ Raucher befinden sich in diesem Stadium. <br />Vieles kann Auslöser sein, um in die nächste Phase zu kommen, die kontemplative Phase, in der sich Problembewusstsein und Ambivalenz in Bezug auf das eigene Rauchverhalten entwickeln. Zu diesen Auslösern gehören zum Beispiel Informationen, körperliche Veränderungen oder auch Vorbilder. Die große Gruppe jener, die mit dem eigenen Rauchen nicht zu 100 % zufrieden sind, die „dissonanten“ Raucher, befindet sich in diesem Stadium. Ein Rauchstopp ist aber oft noch in weiter Ferne. <br />Verschiedene Faktoren wie die Motivation zur Veränderung, eine Diagnose etc. können den Übergang in die nächste Phase bewirken, die Vorbereitungsphase. Hier werden Vorkehrungen für die Verhaltensänderungen getroffen. <br />Die nächste Phase der Handlung ist bestimmt von der konkreten Umsetzung der Rauchfreiheit, also den ersten rauchfreien Tagen, im Idealfall gefolgt von der Phase der Aufrechterhaltung. Zwischen Handlung und Aufrechterhaltung kann es wiederholt zu Rückfällen kommen. Der Veränderungsprozess ist also gekennzeichnet durch mehrere Phasen, die auch immer wieder durchlaufen werden. Je nach Stadium sind unterschiedliche Ziele und Interventionen der Tabakentwöhnung sinnvoll und notwendig.</p> <p> </p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Pneumo_1902_Weblinks_jatros_pneumo_1902_s20_abb1_meingassner.jpg" alt="" width="800" height="320" /></p> <p> </p> <h2>Der Rauchstopp – ein negatives Ziel</h2> <p>Die Motivation zur Veränderung ist deutlich anders als bei anderen Krankheitsbildern. Die Verhaltensänderung beim Rauchen ist deshalb so herausfordernd, weil sowohl die Ausgangssituation der rauchenden Personen als auch das Ziel, also der Rauchstopp bzw. die Abstinenz, völlig anders assoziiert sind als bei anderen Erkrankungen. Die Ausgangsposition (abhängiges Rauchen) ist nicht vorrangig negativ, da es zunächst nicht mit Beschwerden, Schmerzen, Funktionsuntüchtigkeit etc. einhergeht. Viele Raucher und Raucherinnen wollen etwas verändern, jedoch sind der Leidensdruck und die spürbaren negativen Auswirkungen meist nicht so massiv, dass der Rauchstopp die „Vorteile“ durch das Rauchen deutlich überwiegt. Fast alle rauchenden Personen, auch jene, die fest entschlossen zum Rauchstopp sind, berichten von positiven Aspekten bzw. hilfreichen Funktionen, die die Zigarette nach wie vor erfüllt. So bestehen zwar Veränderungsmotivation und Ambivalenz, jedoch oft mit deutlichem Gewicht auf der „Pro Rauchen“-Seite. <br />Nicht nur die Ausgangslage ist also bestenfalls ambivalent, auch das Ziel der Tabakentwöhnung ist für die Betroffenen selten vorrangig positiv. Im Gegenteil: Der Rauchstopp ist ein emotional deutlich negativ besetztes Ziel. Er ist verbunden mit Verlustgefühlen und Ängsten: Verlust von bewährten Strategien zur Stressbewältigung, Entspannung und Emotionsregulation, weniger Genuss und Belohnung, Angst vor Veränderung, vor möglichen Entzugssymptomen, Sorge vor Gewichtszunahme und der Angst, beim Rauchstopp (wieder) zu scheitern.</p> <h2>Motivation versus Zuversicht</h2> <p>Ein besonders wichtiger Aspekt in der Tabakentwöhnung ist die Zuversicht der Betroffenen, den Rauchstopp zu schaffen. Das Modell der Selbstwirksamkeitserwartung von Bandura zeigt, dass vor allem jene den Rauchstopp schaffen, die ihn sich zutrauen.<sup>4</sup> Viele Raucherinnen und Raucher haben jedoch Erfahrungen mit Misserfolgen, oft durch mehrere bisherige Abstinenzversuche im Laufe der Rauchkarriere. Die mangelnde Zuversicht in den eigenen Erfolg wird von der Umgebung schnell als fehlende Motivation interpretiert. Oder aber Personen mit geringer Selbstwirksamkeitserwartung stellen sich das Ziel des Rauchstopps nicht mehr – aus Erfahrung oder Sorge, den Rauchstopp sowieso nicht umsetzen zu können.</p> <h2>Motivation zum Rauchstopp – Anstoß zum Ausstieg</h2> <p>Vor dem Hintergrund der Suchterkrankung, dem Prozess der Verhaltensänderung, der ambivalenten Ausgangslage, der negativen Zielerwartung und der mangelnden Zuversicht wird deutlich, dass Interventionen zum Rauchstopp wiederholt und vielfältig gesetzt werden müssen. <br />Allein der Anstoß zum Ausstieg und die Vermittlung von Zuversicht hilft. Vor allem jene, die den Ausstieg ohne professionelle Hilfe schaffen könnten, ihn aber aus oben genannten Gründen lange vor sich herschieben oder gar nicht vorhaben ihn umzusetzen, profitieren davon. <br />Eine der wichtigsten wirksamen Maßnahmen, um zum Ausstieg zu motivieren, ist die Ansprache des Rauchverhaltens („Rauchen Sie?“) und die darauffolgende klare Empfehlung des Rauchstopps („Ich empfehle Ihnen den Rauchstopp!“), gefolgt von der Information über ein Hilfsangebot („Hier finden Sie Hilfe!“ – beispielsweise Entwöhnkurse der SV-Träger, Beratung am Rauchfrei Telefon oder www. rauchfrei.at (Abb. 2).<sup>5</sup></p> <p> </p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Pneumo_1902_Weblinks_jatros_pneumo_1902_s22_abb2_meingassner.jpg" alt="" width="400" height="420" /></p> <p> </p> <h2>Rückfallprophylaxe</h2> <p>Der Rückfall ist bei dieser chronischen Suchterkrankung der Normalfall. Für viele Raucher und Raucherinnen ist der Rauchstopp an sich nicht das Problem. Viele können ihn durchführen und die Rauchfreiheit einige Tage oder Wochen aufrechterhalten. Jedoch mangelnde Bewältigungsstrategien im Umgang mit Verlangensattacken, die noch lange nach dem Rauchstopp auftreten können, und Risikosituationen, die im Alltag unvermeidbar sind, fordern Rückfälle heraus. <br />Rückfällige Raucher und Raucherinnen zu motivieren, an der Verhaltensänderung festzuhalten, ist besonders sinnvoll. Sie haben Veränderungsbereitschaft und Motivation bewiesen. Vielleicht braucht es noch ein bisschen Unterstützung, auch in Form von professioneller Tabakentwöhnung, um den Rauchstopp beim nächsten Anlauf zu schaffen, ausgestattet mit dem „Erfahrungsschatz“ aus dem vorhergegangenen Rauchstoppversuch. Als hilfreiche Metapher bietet sich das Bild vom Hinfallen an: Jeder Mensch fällt einmal hin, aber es geht darum, aufzustehen und weiterzugehen. Oder um das Zitat eines Kollegen zu verwenden: „Hören Sie nicht auf mit dem Aufhören!“ <br />Auch Ex-Raucher und -Raucherinnen, die erst einige Monate rauchfrei sind, sind eine wichtige Zielgruppe für Kurzinterventionen: Motivation zur Aufrechterhaltung der Rauchfreiheit, Herausstreichen der gesundheitlichen und körperlichen Verbesserungen durch den Rauchstopp, Anerkennung für die Rauchfreiheit oder Hilfsangebote für kritische Situationen lassen sich mit wenigen Worten vermitteln und dienen effektiv der Rückfallprophylaxe.</p> <h2>Interventionen</h2> <p>Die Palette der Interventionen, die im alltäglichen ärztlichen Kontakt möglich sind, ist breit und hängt vom jeweiligen Setting ab: Diagnostik und Dokumentation der Nikotinabhängigkeit, Kurzansprache des Rauchverhaltens, Empfehlung des Rauchstopps bei jedem Kontakt, Informationsvermittlung, Empfehlung von Hilfsangeboten und Möglichkeiten der Rückfallprophylaxe, Schaffung komplett rauchfreier Umgebungen in den Gesundheitseinrichtungen und vieles mehr. Alle Interventionen, die das Problembewusstsein stärken, den Veränderungsprozess in Richtung Rauchfreiheit fördern und die Zuversicht steigern, sind sinnvoll und effektiv. Meist sind bei der chronischen Suchterkrankung Nikotinabhängigkeit wiederholte Interventionen nötig. Je früher und je häufiger diese im Verlauf der Rauchkarriere gesetzt werden, desto wahrscheinlicher wird ein Ausstieg aus der Abhängigkeit. <br />Die Betroffenen, aber auch Gesundheitsprofessionistinnen und -professionisten, hätten gerne, dass es einfach „klick macht“, dass „der Schalter umgelegt wird“. Aber um bei dem Bild zu bleiben: Es ist kein Auf/Ab-Schalter, sondern ein Dimm- Schalter, der gedreht werden kann – in Richtung Rauchfreiheit.</p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Jahresbericht Rauchfrei Telefon 2018 (https://rauchfrei.at/wp-content/uploads/2018_Faltblatt_webVersion.pdf) <strong>2</strong> Österreichische Gesundheitsbefragung 2014, (Athis), Statistik Austria, im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit <strong>3</strong> Internationale Klassifikation psychischer Störungen: ICD-10. Kapitel V (F); klinisch-diagnostische Leitlinien/Weltgesundheitsorganisation. Huber, 2000 <strong>4</strong> Schwarzer R: Psychologie des Gesundheitsverhaltens. Hogrefe, 2004 <strong>5</strong> Lichtenschopf A: Standards der Tabakentwöhnung: Konsensus der Österreichischen Gesellschaft für Pneumologie – Update 2010. Springer, 2011</p>
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