
Entwicklungen und Trends in der Behandlung der Insomnie
Autorinnen:
Univ.-Prof. Dr. Birgit Högl
OÄ Dr. Elisabeth Brandauer
Universitätsklinik für Neurologie
Medizinische Universität Innsbruck
E-Mail: birgit.ho@i-med.ac.at
Vielen Dank für Ihr Interesse!
Einige Inhalte sind aufgrund rechtlicher Bestimmungen nur für registrierte Nutzer bzw. medizinisches Fachpersonal zugänglich.
Sie sind bereits registriert?
Loggen Sie sich mit Ihrem Universimed-Benutzerkonto ein:
Sie sind noch nicht registriert?
Registrieren Sie sich jetzt kostenlos auf universimed.com und erhalten Sie Zugang zu allen Artikeln, bewerten Sie Inhalte und speichern Sie interessante Beiträge in Ihrem persönlichen Bereich
zum späteren Lesen. Ihre Registrierung ist für alle Unversimed-Portale gültig. (inkl. allgemeineplus.at & med-Diplom.at)
Schlafstörungen betreffen einen großen Teil der Bevölkerung. Die Therapie hat sich im Laufe der Zeit grundlegend gewandelt. Heute stehen neben der kognitiven Verhaltenstherapie für Insomnie auch neue medikamentöse Optionen zur Verfügung.
Aufgrund ihrer außergewöhnlich großen Häufigkeit wird der Insomnie oft nicht die Aufmerksamkeit entgegengebracht, die notwendig ist. Für die Diagnosestellung einer Insomnie müssen folgende Kriterien erfüllt sein: Einschlaf-, Durchschlafstörung, frühmorgendliches Erwachen, an mindestens drei Tagen pro Woche seit mindestens drei Monaten, und eine Beeinträchtigung tagsüber bedingt durch den gestörten Schlaf. Wenn diese Kriterien erfüllt und andere Ursachen ausgeschlossen sind, kann die Diagnose einer chronischen Insomnie gestellt werden.1
Dies ist geschätzt bei etwa 10% der Bevölkerung der Fall. Darüber hinaus sind jedoch isolierte Symptome einer Schlaflosigkeit/Insomnie, welche nur gelegentlich auftreten oder zu keiner relevanten Beeinträchtigung tagsüber führen, noch sehr viel weiter verbreitet. Die Diagnose einer Insomnie, wie aus den genannten Kriterien bereits zu ersehen ist, basiert auf der subjektiven Beeinträchtigung und benötigt keine Objektivierung, beispielsweise durch eine Polysomnografie. Eine Schlaflaboruntersuchung ist jedoch dann von Bedeutung, wenn andere schlafmedizinische Komorbiditäten vermutet werden oder ausgeschlossen werden sollen, beispielsweise eine schlafbezogene Atmungsstörung (welche häufig komorbid mit Insomnie auftritt) oder eine schlafbezogene Bewegungsstörung. Auch eine Aktigrafie, die zwar keine direkte Messung des Schlafs beinhaltet, jedoch einen sehr guten Eindruck vom Ruhe-Aktivitäts-Rhythmus über zwei Wochen ermöglicht, ist oft nützlich.
Wie bereits angesprochen, ist ein wichtiges Kriterium für die Diagnose einer chronischen Insomnie die Beeinträchtigung der Tagesfunktion in Bezug auf Studium, Arbeit oder Familie. Diese kann sich beispielsweise durch eine verminderte Konzentrationsfähigkeit oder gereizte Stimmung nach einer schlechten Nacht äußern. Gesundheitsökonomische Studien haben gezeigt, dass die Anzahl der Fehltage bei der Arbeit oder auch minder produktiver Arbeitstage bei Insomnie im Vergleich zu gesunden Personen deutlich erhöht ist.
Trotz der vielen möglichen Komorbiditäten, beispielsweise aus dem internistischen, neurologischen oder psychiatrischen Bereich, ist Insomnie auch als eigenständige Störung anzusehen und zu behandeln. Beispielsweise ist Insomnie nicht nur ein charakteristisches Merkmal bei Depressionen, sondern eine isolierte Insomnie ist auch mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung einer Depression verbunden und ein Zusammenhang von chronischer Insomnie mit suizidaler Ideation ist belegt.
Einschränkend ist noch anzumerken, dass es bei der chronischen Insomnie verschiedene Phänotypen zu geben scheint, die erst in letzter Zeit genauer charakterisiert wurden. Während bei der Mehrzahl der Patient:innen in der Polysomnografie keine erheblichen Veränderungen der Schlafstruktur vorliegen, zeigt eine kleinere Gruppe eine deutlich verkürzte objektive Gesamtschlafzeit mit erhöhtem Risiko für Folgeerkrankungen, z.B. für kardiovaskuläre Erkrankungen oder für die Entwicklung von kognitiven Beeinträchtigungen.2
Wichtig ist auch noch anzumerken, dass es einen wesentlichen Unterschied zwischen Insomnie als Diagnose und Schlafmangel („insufficient sleep“) als Lebenstilfaktor gibt, da die Implikationen und Folgeerkrankungen unterschiedlich sind.
Behandlung von Schlafstörungen in der Vergangenheit
Viele der historisch verwendeten Schlafmittel spielen zum Glück heute keine Rolle mehr bei der Behandlung der Insomnie. Dies betrifft zum Beispiel die Barbiturate, auch bromhaltige Schlafmittel sollten nicht mehr verwendet werden, wenn auch im Einzelfall noch in den 1990er-Jahren Brom-intoxikationen durch bromhaltige frei verkäufliche Schlafmittel beschrieben wurden.3 Chloralhydrat wurde in der Mitte des letzten Jahrhunderts – und im pädiatrischen Bereich auch noch länger – als Schlafmittel eingesetzt, ist ebenfalls obsolet und am österreichischen Markt auch nicht mehr erhältlich. Obwohl schon 2005 von einigen Autor:innen empfohlen wurde, Antihistaminika der 1. Generation als Schlafmittel vom Markt zu nehmen, sind diese immer noch frei verkäuflich. Das Nutzen-Risiko-Verhältnis ist jedoch ungünstig und es wird auch diskutiert, dass diese Medikamente aufgrund der freien Verfügbarkeit eine größere Rolle bei Unfällen spielen könnten.
Behandlung von Schlafstörungen in der Gegenwart
Als Benzodiazepine in den 1970er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts auf den Markt kamen, schätzte man vor allem den raschen Wirkeintritt und die große therapeutische Breite. Nachteile sind jedoch die Toleranzentwicklung und das Abhängigkeitspotenzial, die mögliche Verschlechterung einer schlafbezogenen Atmungsstörung und die Erhöhung des Sturzrisikos oder die Verschlechterung einer kognitiven Beeinträchtigung. Benzodiazepine sollten aus Sicht der Schlafmedizin lediglich vorübergehend, für wenige Wochen, eingesetzt werden oder zu einer Intervallbedarfstherapie nach Prof. Göran Hajak4 an ausgewählten Tagen pro Woche. Für die Z-Substanzen gilt ebenso wie für Benzodiazepine, dass sie für eine Dauertherapie nicht empfohlen werden, und hier sind besondere Nebenwirkungen zu beachten, z.B. Reaktivierung einer NR-Parasomnie. Auch verschiedene „sedierende“ Antidepressiva werden als schlafanstoßende Substanzen verwendet. Für einige ausgewählte Substanzen, beispielsweise Doxepin, ist dies auch laut Guidelines als Option anzudenken.5,6 Wobei Trazodon, welches ebenfalls häufig verwendet wird, in einer Studie eine Beeinträchtigung der schlafabhängigen kortikalen Neuroplastizität zeigte.7 Antipsychotika sind aus Sicht der Schlafmedizin ohnehin nicht als Schlafmittel einzusetzen (auch wenn dies in der Praxis nach wie vor häufig der Fall ist), es sei denn bei psychiatrischen Patient:innen im Rahmen der psychiatrischen Indikation.
Die kognitive Verhaltenstherapie für Insomnie
Die kognitive Verhaltenstherapie für Insomnie (KVT-I) ist bereits seit Langem als wesentlicher Behandlungspfeiler etabliert und wurde z.B. bereits 2016 vom American College of Physicians als Therapie der ersten Wahl bei chronischer Insomnie empfohlen.8 Nach den aktuellen europäischen Guide-lines für die Behandlung der Insomnie ist die kognitive Verhaltenstherapie mit ihren etablierten Bestandteilen von Schlafrestriktion bis Stimuluskontrolle etc. Behandlung der ersten Wahl, auch wenn diesbezüglich noch einige Punkte zu klären sind.9
Die KVT-I besteht aus einigen Hauptbausteinen, zu denen in der Regel die folgenden gehören: Schlafrestriktion, Information über Schlaf, schlaffördernde und -störende Umstände, zirkadiane Rhythmen, Umgang mit dysfunktionalen Annahmen und Erwartungshaltungen, Stimuluskontrolltherapie und in der Regel auch, als Baustein (keiner davon jedoch als einziger), das Erlernen von Entspannungsmethoden.
Diese Therapie wird von speziell ausgebildeten Therapeut:innen (in der Regel Psycholog:innen, Psychiater:innen, andere Mediziner:innen etc.) angewendet und ist erfreulicherweise auch seit den letzten zehn Jahren doch sehr viel breiter verfügbar als zuvor. Immer noch gibt es jedoch große Lücken beim Zugang zu dieser Therapiemöglichkeit, die teilweise durch bestimmte digitale Therapiemethoden gefüllt werden können. Es gibt eine kleine Anzahl von hinreichend gut validierten Apps, die in verschiedenen Ländern verfügbar sind und auch teilweise als Therapie erstattet werden. Daneben kommen jedoch laufend neue Apps auf den Markt, die häufiger nur unzureichend validiert sind. Während digitale Anwendungen als Ergänzung sicher wünschenswert und sinnvoll sind, weisen neuere Studien auch darauf hin, dass die Adhärenz zu diesen Methoden über längere Zeit deutlich nachlässt und für viele Patient:innen der direkte Austausch mit einer Therapeutin/einem Therapeuten einen sehr hohen Wert hat (Einzel-/Gruppentherapie).
Neue Entwicklungen in der Schlafmedizin
Melatonin ist als frei verkäufliches Nahrungsergänzungsmittel überall verfügbar. In der Schlafmedizin wird es als Chronobio-tikum und nicht als Schlafmittel angesehen. Aufgrund der geringen Toxizität wurde es dennoch breit vermarktet und auch eingesetzt. Neuere Metaanalysen raten jedoch von einem Einsatz ab, insbesondere bei Kindern. Eventuell ist es für den geriatrischen Bereich zu erwähnen.
Eine Präparation mit prolongierter Freisetzung (Circadin®) ist in Österreich verfügbar und zur kurzzeitigen Behandlung von Schlafstörungen bei über 55-Jährigen zugelassen. Sie wird jedoch von den Kassen nicht erstattet und hat sich aufgrund der limitierten Wirkung auch nicht wirklich durchgesetzt. Melatonin spielt jedoch eine Rolle bei der Behandlung der REM-Schlaf-Verhaltensstörung.10
Die dualen Hypocretin-Orexin-Rezeptor-Antagonisten (DORA)
Die Rolle von Hypocretin/Orexin in der Schlaf-Wach-Regulation wurde vor etwa 25 Jahren entdeckt und beschrieben. Hypocretin/Orexin-haltige Zellen im dorsolateralen Hypothalamus projizieren in Hirnareale, die für die Schlaf-Wach-Regulation von großer Bedeutung sind. Bei Narkolepsie Typ 1 (vormals Narkolepsie mit Kataplexie) ist im Liquor ein Hypocretin- oder Orexinmangel oder -fehlen nachzuweisen. Im Gegensatz dazu ist bei der Insomnie eine Überaktivität des Hypocretin-Orexin-Systems vorhanden.Hier setzen die (dualen) Orexin-Rezeptor-Antagonisten an. Die ersten Entwicklungen gehen schon auf die 2010er-Jahre zurück, beispielsweise mit Almorexant.11 Mittlerweile wurden verschiedene DORA untersucht, von denen auch einige in den USA oder Japan zugelassen sind und die sich zum Teil sehr stark in ihrer Haltbarkeit unterscheiden.
In Europa ist der duale Hypocretin-Orexin-Rezeptor-Antagonist Daridorexant seit 2022 zugelassen. Die Zulassung erfolgte auf Basis von zwei großen, hochrangigen 2022 in „Lancet Neurology“ publizierten, internationalen Studien mit über 900 Patient:innen in 151 Zentren in 17 Ländern.12 Diese Studien erfolgten randomisiert und placebokontrolliert und haben primär auch verschiedene Dosierungen eingeschlossen (10, 25 und 50mg). Da jedoch die beste Wirksamkeit mit 50mg erzielt wurde, ist dies auch die empfohlene Dosis.
In der 12-wöchigen Behandlungsphase konnte bei Patient:innen mit chronischer Insomnie mit 50mg Daridorexant eine deutliche Besserung von objektiven und subjektiven Schlafparametern erreicht werden: So verbesserte sich die Schlaflatenz (Einschlafdauer, bis konsolidierter Schlaf erreicht wurde) um etwa eine halbe Stunde in der Polysomnografie, auch die Wachzeit nach Schlafbeginn (WASO) wurde objektiviert um eine halbe Stunde verkürzt. Die subjektive selbst wahrgenommene Gesamtschlafzeit verlängerte sich sogar um eine ganze Stunde. Und in der Domaine von Tagesschläfrigkeit gaben Patienten unter Daridorexant an, sich deutlich energiegeladener, weniger müde, körperlich müde oder schläfrig tagsüber zu fühlen.
Die positiven Ergebnisse waren auch in den folgenden 40 Wochen Verlängerungsstudie weiterhin vorhanden und der Unterschied zu Placebo (nach neuer Randomisierung) blieb aufrecht. Effekte im Sinne einer Rebound-Insomnie wurden dennoch nicht gemessen. Die Verträglichkeit war günstig mit ähnlichen Nebenwirkungen wie unter Placebo, wobei eine Besonderheit hervorzuheben ist: Bei bis zu einem Prozent können hypnagoge oder hypnopompe Halluzinationen oder Schlaflähmungen auftreten, sodass es wichtig ist, die Patient:innen darüber zu informieren bzw. auch bei den Kontrollen danach zu fragen. In einer Post-hoc-Analyse konnte gezeigt werden, dass die gute Verträglichkeit auch bei Patient:innen über 65 Jahren vorhanden ist, und insbesondere auch, dass die Therapie-Response nicht geringer wird. Daten einer kleinen Gruppe von psychiatrischen Patient:innen aus Pisa zeigten außerdem, dass Daridorexant auch bei dieser Gruppe mit Gewinn angewendet werden kann.13
Literatur:
1 American Academy of Sleep Medicine: ICSD-3-TR. International classification of sleep disorders. 3rd ed. 2 Fernandez-Mendoza J, Vgontzas AN: Insomnia and its impact on physical and mental health. Curr Psychiatry Rep 2013; 15(12): 418 3 Steinhoff BJ, Paulus W: Chronische Bromintoxikation durch bromidhaltige Kombinationspräparate. Dtsch Med Wochenschr 1992; 117: 1061-4 4 Hajak G, Rüther E: Insomnie. Schlaflosigkeit. Ursachen, Symptomatik und Therapie. Heidelberg: Springer, 1995 5 Riemann D et al.: S3-Leitlinie Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen. Kapitel „Insomnie bei Erwachsenen“. Version 3.0, 2022 6 Riemann D et al.: European guideline for the diagnosis and treatment of insomnia. J Sleep Res 2017; 26(6): 675-700 7 Aton SJ et al.: The sedating antidepressant trazodone impairs sleep-dependent cortical plasticity. PLoS One 2009; 4(7): e6078 8 Qaseem A et al.: Management of chronic insomnia disorder in adults: a clinical practice guideline from the American College of Physicians. Ann Intern Med 2016; 165(2): 125-33 9 Basetti 2024/2022 10 Högl B, Stefani A: REM sleep behavior disorder (RBD): update on diagnosis and treatment. Somnologie (Berl) 2017; 21(Suppl 1): 1-8 11 Hoever P et al.: Orexin receptor antagonism, a new sleep-enabling paradigm: a proof-of-concept clinical trial. Clin Pharmacol Ther 2012; 91(6): 975-85 12 Mignot E et al.: Safety and efficacy of daridorexant in patients with insomnia disorder: results from two multicentre, randomised, double-blind, placebo-controlled, phase 3 trials. Lancet Neurol 2022; 21(2): 125-39 13 Palagini L et al.: Early experience with the new DORA daridorexant in patients with insomnia disorder and comorbid mental disturbances: Results of a naturalistic study with 3months follow-up. J Sleep Res 2024; 33(6): e14196
Das könnte Sie auch interessieren:
Therapeuten und Onlinebewertungen
Dieser Beitrag beleuchtet die Problematik von Onlinebewertungen für Ärzte, Psychologen und andere Therapeuten. Die Begriffe «Ärzte», «Therapeuten» und «Behandelnde» werden abwechselnd ...
Demenz, Depression und Schizophrenie
In den letzten Jahren konnten die Erkenntnisse über die molekularen Grundlagen neurologisch-psychiatrischer Leiden wie Alzheimerdemenz, Depression und Schizophrenien stark erweitert ...
Differenzialdiagnosen der Erschöpfungserkrankungen
Erschöpfung, Erschöpfbarkeit und Müdigkeit sind Symptome, die keiner bestimmten Erkrankung eindeutig zuordenbar sind. Zusätzlich macht die umgangssprachliche Verwendung der Begriffe ...