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Ein multimodaler Behandlungsleitfaden

Individualisierte Burnouttherapie (IBT)

Was ist der Mensch – die Nacht vielleicht geschlafen, doch vom Rasieren wieder schon so müd, noch eh ihn Post und Telefone trafen, ist die Substanz schon leer und ausgeglüht …*

Keypoints

  • Burnout ist bis heute keine sozialrechtlich anerkannte Krankheitsdiagnose, sondern lediglich eine Zusatzdiagnose.

  • Die auslösenden Faktoren für ein Burnout können biologischer, psychologischer, sozialer oder environmentaler Natur sein. Eine umfassende Diagnostik in allen vier Kategorien ist Voraussetzung für die erfolgreiche individualisierte Behandlung.

  • Das Oberziel ist meist eine Lebensstiländerung. Das Allerwichtigste dabei ist: Wir behandeln nicht das Burnout, sondern immer einen individuellen Menschen.

Dieser „Fallbericht“ stammt aus dem Jahr 1955, verfasst von Gottfried Benn, Arzt und Dichter aus Berlin. Treffender lässt sich der Zustand völliger Erschöpfung nicht beschreiben. Da steht er nun also, der Patient, die Patientin mit dem Behandlungswunsch und der Selbstdiagnose: „Ich habe Burnout.“

Was haben wir zu bieten?

Unser Wissen: In der ICD-10 wird Burnout nur unter der Rubrik „Zusatzdiagnosen“ geführt, im Abschnitt Z73 als Unterpunkt unter der Überschrift: Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung.

Die ICD-10 speist uns in Bezug auf Burnout mit „Z73.0 Ausgebranntsein, Burn-out-Syndrom, Zustand der totalen Erschöpfung“ ab. Es finden sich keinerlei Hinweise über Dauer oder Mindestanzahl relevanter Symptome.

Im DSM-IV-TR finden wir: „68.20 Probleme im Beruf“ oder „62.89 Probleme bestimmter Lebensphasen oder andere Lebensprobleme“.

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Chronische Partnerschaftskonflikte sind ein potenzieller Auslöser für Erschöpfung

Bei diesen Klassifikationen handelt es sich jedoch um Phänomene, die nach dem DSM-IV-Klassifikationssystem nur zu beobachten, jedoch nicht zu behandeln sind.

Die Burnoutdefinition nach DSM-IV lautet folglich: „68.20 Probleme im Beruf, die zu beobachten, aber nicht zu behandeln sind“.

Im DSM-5 finden wir unter der Rubrik „Andere klinisch relevante Probleme“ lediglich „Z65.9 Andere Probleme im Zusammenhang mit der Berufstätigkeit“ und „Z65.8 Anderes Problem im Zusammenhang mit psychosozialen Umständen“.

Bei diesen Klassifikationen handelt es sich jedoch um Phänomene, die nach dem DSM-5-Klassifikationssystem nur zusätzlich codiert werden, wenn sie Anlass zum Hilfesuchen waren oder wenn das Problem den Verlauf, die Prognose oder die Behandlung einer psychischen Störung oder einer körperlichen Erkrankung beeinflusst. Sie gelten auch hier nicht als sozialrechtlich relevante Diagnosen, sondern sind lediglich äquivalent zu den Z-Diagnosen der ICD-10 zu sehen.

In der ICD-11 findet sich Burnout nur als QD-Diagnose, also eine „qualifying diagnosis“, eine zusätzliche Codierung zu einer ICD-11-Diagnose zur weiteren Spezifizierung oder als Hinweis auf Kausalität. Im Kapitel 24, das Faktoren, die die Gesundheit oder die Inanspruchnahme von Gesundheitsdiensten beeinflussen, beschreibt, können Probleme codiert werden, die mit der Arbeit oder Arbeitslosigkeit verbunden sind. Hier finden wir:

  • QD 85: Burnout ist ein Syndrom, das aufgrund von chronischem Stress am Arbeitsplatz, der nicht erfolgreich bewältigt wurde, bedingt ist. Diese bezieht sich spezifisch auf den beruflichen Kontext und sollte nicht für Erfahrungen in anderen Lebensbereichen verwendet werden.

  • Und QD 85: Burnout ist gekennzeichnet durch ein Gefühl von Energieverlust und Erschöpfung, zunehmende mentale Distanz von der Arbeit oder Gefühle von Negativismus oder Zynismus bezüglich der Arbeit, reduzierte berufliche Leistungsfähigkeit.

Die Literatursichtung, jenseits der Klassifikationssysteme ICD und DSM, ergibt als Schnittmenge aller Burnoutbeschreibungen folgende Aussage: Burnout ist eine tätigkeitsbezogene tiefe Erschöpfung.

Als Reaktion auf diese Erschöpfung treten zunehmend Zynismus, Distanzierung, Rückzug und Depersonalisation sowie Leistungsabfall auf.

Merke: Burnout ist demnach bis heute keine sozialrechtlich anerkannte Krankheitsdiagnose, sondern lediglich eine Zusatzdiagnose.

Burnout sollte daher niemals als alleinige Diagnose gestellt werden, wenn eine über eine private oder gesetzliche Krankenkasse finanzierte Therapie angestrebt wird.

Jenseits der Notwendigkeit der Angabe der je individuell verschiedenen Hauptdiagnose bzw. Diagnosen bedarf es eines sehr umfassenden differenzialdiagnostischen Vorgehens, um die beklagte Erschöpfung, das beklagte Burnout, angemessen individualisiert behandeln zu können.

Diagnostik

Bei einer bekanntermaßen großen Ursachenvielfalt des Symptoms tiefer Erschöpfung ist bei beklagtem Burnout – mehr als bei allen anderen Erkrankungen – eine bio-psycho-sozial-environmentale Abklärung sinnvoll.

Biologische Ursachen

Als biologische Ursachen vorliegender tiefer Erschöpfung sollten deshalb primär immer alle infrage kommenden körperlichen Krankheiten mit Erschöpfungsfolge sowie ein ernährungs-/krankheitsbedingter Mikronährstoffmangel differenzialdiagnostisch abgeklärt werden. Exemplarisch seien hier genannt: mangelhafte Versorgung mit Mikronährstoffen (Vitamine, Mineralstoffe, Aminosäuren, Omega-Fettsäuren); chronisch ungesunde Ernährung, Schlafstörungen, chronisches Fatigue-Syndrom (ICD10: G93.3; ICD11: MG22), Long Covid, Allergien, Schwangerschaft, starke Regelblutungen, starkes Unter- oder Übergewicht, Hypertonie, Hypotonie, Erkrankungen (Magen-Darm-Erkrankungen, Krebs, Diabetes, Pfeiffer’sches Drüsenfieber, Borreliose u.a.).**

Psychologische Ursachen

Als psychologische Ursachen vorliegender tiefer Erschöpfung sollten ebenfalls primär immer alle infrage kommenden psychischen Krankheiten mit Erschöpfungsfolge abgeklärt werden. Exemplarisch seien hier genannt: depressive Erkrankungen, Angststörungen, posttraumatische Belastungsstörung, Essstörungen, somatoforme Störungen, Persönlichkeitsstörungen, Missbrauch von Kaffee, Tee, Alkohol, Medikamenten.**

Soziale Ursachen

Als soziale Ursachen vorliegender tiefer Erschöpfung sollten gleichermaßen primär immer alle infrage kommenden sozialen und tätigkeitsbezogenen Konflikte mit Erschöpfungsfolge abgeklärt werden. Exemplarisch seien hier genannt: Konflikte mit wichtigen Bezugspersonen, Verlust wichtiger Bezugspersonen durch Trennung oder Tod, schwere Erkrankung/Pflege von wichtigen Bezugspersonen, Veränderungen durch die Geburt eines Kindes, Belastung durch problematischen Lebenswandel des eigenen Kindes, Rechtsstreitigkeiten, finanzielle Probleme, berufliche Probleme.**

Environmentale Ursachen

Als environmentale Ursachen vorliegender tiefer Erschöpfung sollten darüber hinaus primär immer auch alle im privaten und beruflichen Bereich infrage kommenden elektro-physikalisch-chemischen Noxen mit Erschöpfungsfolge abgeklärt werden. Exemplarisch seien hier genannt: Elektrosmog, Lösungsmittel, baubiologische Emissionen, chronischer Lärm, Abgase, spezifische Kontaktstoffe mit individuell allergener Wirkung.**

Individualisierte Therapie

Auf Basis der vorliegenden Ergebnisse der Differenzialdiagnostik kann dann in partizipativer Entscheidungsfindung der je individuell indizierte Therapieplan erstellt werden – in Bezug auf die Behandlung der körperlichen Grunderkrankungen evtl. Ernährungsberatung, Mikronährstoffsupplementation, Behandlung der psychischen Grunderkrankungen, Kompetenzvermittlung für einen lösungsorientierten Umgang mit sozialen Konflikten, Psychoedukation bezüglich der Veränderungsmöglichkeiten environmentaler pathoplastischer Einflussfaktoren.

Hierbei bewährte Therapiemodule, die gemäß den Ergebnissen der Differenzialdiagnostik zum Einsatz kommen können, sind:

  • Modul 1: Das individuelle Burnout verstehen – Psychoedukation

  • Modul 2: Motivierung gemäß den Prinzipien von Miller und Rollnick zur aktiven Kontaktaufnahme zwecks Behandlung der körperlichen Grunderkrankungen, zur Änderung des Ernährungsverhaltens inkl. Ernährungsberatung, zur Behandlung der psychischen Grunderkrankungen, zur Analyse der Veränderungsmöglichkeiten pathoplastischer Tätigkeitsbedingungen, zum lösungsorientierten Umgang mit sozialen Konflikten, zur Analyse der Veränderungsmöglichkeiten pathoplastischer environmentaler Einflüsse sowie zur gesundheitsgerechteren Lebensstiländerung

  • Modul 3: Das ABC-Modell und die Rationale Selbstanalyse (RSA) vermitteln

  • Modul 4: Burnout verstärkende Kognitionen kennenlernen – die Top Ten irrationaler Grundeinstellungen nach Ellis und die fünf Stressverstärker nach Kaluza

  • Modul 5: Burnout vermeidende und Resilienz erhöhende Kognitionen einüben – mittels rationaler Vorstellungsübungen (RVÜ), des Ein-Personen-Rollenspiels nach Sachse, mit Impact-Techniken, Metaphern, Geschichten, Comics, „Textpillen“ (Postkarten, Poster, Printouts), Lieder, Videos, Collagen

  • Modul 6: Äußere Belastungsfaktoren eruieren und individualisiert minimieren

  • Modul 7: Achtsamkeit und Akzeptanz verstehen und anwenden können

  • Modul 8: Selbstwertkonzept verstehen und anwenden können

  • Modul 9: Selbstregulationsfähigkeiten erlernen und anwenden können

  • Modul 10: Problemlösungsstrategien kennen und anwenden können

  • Modul 11: Stressbewältigungsstrategien inkl. Zeitmanagement anwenden können

  • Modul 12: Ressourcenaktivierung durchführen können

  • Modul 13: Resilienzfaktoren aktivieren können

  • Modul 14: Selbstfürsorge hin zu einer gesundheitsgerechteren Lebensstiländerung

In Bezug auf die meist notwendige kognitive Umstrukturierung zur Bewältigung eines vorliegenden Burnouts hat sich die Vermittlung der nachfolgenden Psychoedukation besonders bewährt, um die personalen Faktoren der Erschöpfungsursachen positiv zu beeinflussen: Essenz der Essenz kognitiver Umstrukturierung.

Diese besteht in der Psychoedukation in der Anwendung nachfolgender hilfreicher Fragen, um sich selbst neue Bewertungen zu erschließen:

  • Wahr? Ist das wahr, was ich denke?

  • Hilfreich? Ist das, was ich denke, hilfreich dabei, mich so zu fühlen, wie ich mich fühlen möchte, und das zu tun, was ich tun möchte?

  • Was würde ich einem Freund raten? Was würde ich einem guten Freund, einer guten Freundin raten, der oder die genau in der gleichen Situation ist wie ich und genau das denkt, was ich jetzt denke?

  • Was würde eine unbeschwerte Person tun? Was würde jemand denken und tun, der oder die genauso alt ist wie ich, der oder die genau die gleiche Lebenssituation hat wie ich im Moment und der oder die souverän damit umgeht?

Diese Fragen fördern die Erkenntnis: Wie wir eine Situation bewerten, bestimmt, in welchem Ausmaß wir gespannt, ärgerlich, verzweifelt oder gelassen sind.

Zusammenfassung

Zusammenfassend kann konstatiert werden: Die individualisierte Behandlung des Burnoutsyndroms ist keine kurzfristige Maßnahme. Alle Interventionen dienen dazu, langfristig die Lebensgewohnheiten und die Selbsteinschätzung der Betroffenen zu verändern und Bewältigungsstrategien für den Alltag zu vermitteln. Das Oberziel lautet in den meisten Fällen: Lebensstiländerung.

Dazu ist es hilfreich, sozial kompetentes Verhalten zu erlernen; ungünstige Denkmuster zu erkennen und zu verändern; die Entspannungsfähigkeit zu erhöhen; generell ein gesundes Leben mit ausreichend Schlaf, gesunder Ernährung und Bewegung zu führen; sich Zeit für Hobbys und soziale Kontakte zu nehmen; Engagement und Prioritäten zu überdenken; sich realistische Ziele zu setzen; Arbeit und Freizeit zu trennen (Freizeit ist freie Zeit); Grenzen abzustecken; das eigene Leben zu leben.

* Dr. Gottfried Benn, Gedicht „Melancholie“, 1955

** Eine ausführliche Liste finden Sie in Kowarowsky G: Individualisierte Burnout-Therapie (IBT). Ein multimodaler Behandlungsleitfaden. Kohlhammer 2017

beim Verfasser

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