«Erhöhtes Risiko offen diskutieren»
Unsere Gesprächspartnerin:
Dr. med. Bojana Müller
Oberärztin in der Klinik für Rheumatologie, Universitätsspital Zürich
Das Interview führte
Dr. med. Felicitas Witte
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Forscher von der Universität Heidelberg haben eine Metabolom-Signatur identifiziert, die darauf hinweist, ob ein Patient mit rheumatoider Arthritis Krebs bekommt.1 Was von dem Test zu halten ist, erklärt PD Dr. med. Dr. rer. nat. Bojana Müller aus Zürich.
Frau Dr. Müller, haben Sie die Ergebnisse der Metabolom-Studie überrascht?
B. Müller: Acetat, Glycin, Formiat, aber auch Veränderungen in der Lipidzusammensetzung spielen eine wichtige Rolle im Stoffwechsel von vielen Tumoren. Die Assoziation dieser Metaboliten mit Krebs in dieser Studie ist deshalb plausibel. Dennoch ist überraschend und erfreulich, wie gut vier Metaboliten und ein Lipidwert Krebs gegenüber anderen Krankheiten abgrenzen konnten. Bisher publizierte Metabolom-Studien bei der RA untersuchten lediglich mögliche Biomarker zwecks Früherkennung der Krankheit, Abgrenzung zu anderen rheumatischen Erkrankungen, Monitoring der Krankheitsaktivität sowie Beurteilung des Therapieansprechens.
Was fanden Sie besonders interessant?
B. Müller: Spannend fand ich, dass diverse Krebsarten – unter anderem Brustkrebs, Melanom, hämatologische und urogenitale Tumoren – eine gemeinsame Serum-Signatur zeigten. Da das Serum-Metabolom, also die Gesamtheit der Metaboliten im Serum, den Stoffwechsel des gesamten Körpers abbildet, inklusive der Darmflora, können die Veränderungen in Acetat, Glycin, Formiat und dem Lipidquotienten aus L1 und L6 nicht sicher den Tumorzellen selbst zugeordnet werden. So kommt zum Beispiel einer der Metaboliten, das Kreatinin, vorwiegend aus dem Muskelstoffwechsel und Proteinabbau und wird in der Klinik als ein Mass für die Nierenfunktion verwendet. Es ist nicht anzunehmen, dass die Tumorzellen selbst Kreatinin verstoffwechseln. Das Beispiel Kreatinin spiegelt also die Komplexität der Interpretation von Daten zu Stoffwechselprodukten in einem Organismus wider. Denkbar wäre daher, dass die Serum-Signatur in dieser Studie etwas reflektiert, was mit Krebserkrankung assoziiert ist, etwa einen erhöhten Katabolismus oder Veränderungen der Darmflora. Somit kann aus den Daten nicht zwingend eine neue Therapie gegen Krebs abgeleitet werden. Hierfür sind sicherlich weitere Studien in der Grundlagenforschung notwendig.
Was halten Sie von dem verwendeten Assay?
B. Müller: Es ist eine wenig invasive Methode zur Krebsfrüherkennung. Die Messung von Acetat, Kreatinin, Glycin, Formiat und Lipiden ist technisch gut möglich. Die Qualität des beschriebenen Assays ist einwandfrei. Eine Limitation der Studie ist sicherlich die geringe Anzahl der Patientenproben, die mit etwa 50 Proben pro Studiengruppe am unteren Limit für Metabolom-Studien liegt. Auch eignet sich der Test nur für invasive Krebsarten und nicht zur Früherkennung. Ausserdem wurde nicht untersucht, wie sich diese Serum-Signatur bei anderen Erkrankungen verhält, etwa bei einer Infektion. Ob sich mit der Metabolom-Signatur wirklich das Risiko für Krebs bei Patienten mit rheumatoider Arthritis vorhersagen lässt, muss erst in weiteren Studien validiert werden.
Was sind Ihrer Meinung nach die grössten Hürden auf dem Weg zur Routinediagnostik?
B. Müller: Eine Herausforderung bei der Einführung des Tests in der Klinik sind sicherlich die aktuell fehlenden Richtlinien für eine Krebsfrüherkennung bei Patienten mit rheumatischen Erkrankungen und geknüpft daran die Übernahme der Kosten durch die Krankenkassen. Ich fürchte, der Test wird eher nicht Einzug halten in die Klinik, da bisherige Erkenntnisse aus Metabolom-Studien bei Krebs ebenfalls nicht routinemässig verwendet werden.2
Wie gehen Sie vor, um Krebs bei RA-Patienten frühzeitig zu erkennen?
B. Müller: Ich folge den Richtlinien des Bundesamtes für Gesundheit für die Gesamtbevölkerung. Für Brust-, Darm-, Gebärmutterhals-, Haut-, Lungen- und Prostatakrebs haben wir etablierte Screening-Richtlinien. Bei Patienten mit klinischen Symptomen suggestiv für eine Krebserkrankung wie zum Beispiel ungewolltem Gewichtsverlust, Leistungsminderung, Anämie, Blut im Stuhl etc. melde ich niederschwellig weitere Abklärungen an oder überweise an einen Spezialisten. Bei Patienten unter Immunsuppression bin ich besonders aufmerksam bezüglich verdächtiger Hautläsionen. Die Haut ist ein gut zugängliches Organ, welches einfach regelmässig untersucht werden kann. Bei Patienten mit mehr als 50 Nävi empfehle ich jährliche Kontrollen durch einen Dermatologen.
Warum haben Menschen mit RA ein erhöhtes Risiko für Krebs?
B. Müller: Eine grosse bevölkerungsbasierte Studie ergab ein erhöhtes Risiko für Lungen-, Blasen-, Zervix- und Prostatakrebs sowie Melanome und Lymphome.3 Da alle RA-Patienten unter Therapie waren, ist im Einzelfall schwierig zu sagen, ob die Autoimmunerkrankung per se oder die immunsuppressive Therapie für die Entstehung der Tumoren verantwortlich war. In derselben Studie wurde das höchste Risiko bei Patienten gefunden, die mit Rituximab behandelt wurden, einem Antikörper, der zur B-Zell-Depletion führt, was ein starker Eingriff in das Immunsystem ist. Ebenso konnte in der ORAL-Surveillance(ORALSURV)-Studie für den Januskinase-(JAK)-Inhibitor Tofacitinib ein erhöhtes Krebsrisiko festgestellt werden im Vergleich zu RA-Patienten, die mit TNF-Inhibitoren behandelt waren.4
Warum gehen JAK-Hemmer mit einem erhöhten Risiko für Krebs einher?
B. Müller: Die ORALSURV-Studie untersuchte nur Tofacitinib, aber die Daten wurden auf alle JAK-Inhibitoren extrapoliert. Der Mechanismus ist nicht bekannt. Man könnte spekulieren, dass Tofacitinib mit seiner unselektiven Hemmung mehrerer JAK-Moleküle ebenfalls Immunzellen hemmt wie NK-Zellen, die für die Tumorabwehr wichtig sind. Ich rate den Kollegen, das Risiko-Nutzen-Verhältnis von immunmodulierenden Therapien gut abzuwägen und das erhöhte Risiko für Krebs bei rheumatischen Erkrankungen offen zu diskutieren und die Patienten in den Entscheidungsprozess zu involvieren.
Literatur:
1 Gente K et al.: Altered serum metabolome as an indicator of paraneoplasia or concomitant cancer in patients with rheumatic disease. Ann Rheum Dis 2024; ard-2023-224839 2 Wang W et al.: Cancer metabolites: promising biomarkers for cancer liquid biopsy. Biomark Res 2023; 11(1): 66 3 Beydon M et al.: Risk of cancer for patients with rheumatoid arthritis versus general population: a national claims database cohort study. Lancet Reg Health Eur 2023; 35: 100768 4 Ytterberg SR et al.: Cardiovascular and cancer risk with tofacitinib in rheumatoid arthritis. N Engl J Med 2022; 386(4): 316-26
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