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Diabetes mellitus und Schwangerschaft
DAM
Autor:
Ass.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Yvonne Winhofer-Stöckl, PhD
Univ.-Klinik für Innere Medizin III<br> Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel<br> Medizinische Universität Wien
30
Min. Lesezeit
23.11.2017
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<p class="article-intro">Die steigende Anzahl übergewichtiger/adipöser Frauen im gebärfähigen Alter führt nicht nur zur Zunahme des Gestationsdiabetes, sondern auch des manifesten Typ-2-Diabetes in der Schwangerschaft. Deshalb soll bei Erstvorstellung einer Schwangeren das Diabetesrisiko eingeschätzt werden und bei Verdacht eine Testung erfolgen. Gerade hierbei spielen die Allgemeinmediziner eine sehr wichtige Rolle!</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Der Gestationsdiabetes (GDM) wurde jahrelang als eine „erstmals in der Schwangerschaft festgestellte Glukoseintoleranz“ definiert. Er entsteht auf Basis der physiologischen Insulinresistenz, die jede Schwangere ab der 20. Schwangerschaftswoche (SSW) entwickelt und bei stoffwechselgesunden Frauen durch eine Steigerung der Insulinsekretion kompensiert wird. Gelingt diese Steigerung nicht, kommt es zur typischen Hyperglykämie in der 2. Schwangerschaftshälfte, deren Folgen vor allem auf den fetalen Hyperinsulinismus zurückzuführen sind: fetale Makrosomie und neonatale Hypoglykämie.<br /> Die deutliche Zunahme der Zahl von übergewichtigen und adipösen Frauen im gebärfähigen Alter hat es notwendig gemacht, diese Definition zu überarbeiten. Denn durch die Zunahme der Zahl insulinresistenter Frauen in der Frühschwangerschaft nimmt die Anzahl jener mit unerkanntem manifestem Diabetes mellitus deutlich zu. So untersuchte die DALI-Studie, eine europaweite Studie, an der auch Österreich beteiligt ist, Frauen mit einem Body-Mass-Index >29kg/m2 und fand bei 39 % einen Gestationsdiabetes, bei 24 % bereits in der Frühschwangerschaft.<sup>1</sup> Der Unterschied zum Gestationsdiabetes besteht darin, dass eine Hyperglykämie in der Frühschwangerschaft mit einem deutlich erhöhten Risiko für kongenitale Fehlbildungen assoziiert ist. Die diabetische Embryopathie, die man bis dato nur von schlecht eingestellten Typ-1-Diabetikerinnen kannte, könnte somit ein Revival erleben und daher ist es wichtig, diese Frauen mit erhöhtem Diabetesrisiko zu identifizieren. Da dies so früh wie möglich erfolgen sollte, spielen hierbei die Allgemeinmediziner eine ganz wichtige Rolle.<br /> Dies spiegelt sich auch in den Leitlinien der Österreichischen Diabetesgesellschaft wider (Abb. 1). Bei Erstvorstellung jeder Schwangeren soll eine Risikoevaluierung stattfinden. Die Risikofaktoren sind in Tabelle 1 aufgelistet. Die Testung auf das Vorliegen eines Diabetes sollte hierbei mittels eines einfachen Tests erfolgen: HbA<sub>1c</sub>, Nüchternglukose oder Spontan-glukose (= Nichtnüchternglukose). Bei einem HbA<sub>1c</sub> =6,5 % , einer Nüchternglukose =126mg/dl oder einer Spontanglukose =200mg/dl besteht die Diagnose eines manifesten Diabetes mellitus in der Schwangerschaft und eine Therapie soll umgehend eingeleitet werden. Ist das Testergebnis unklar, kann bereits zu diesem Zeitpunkt ein oraler Glukosetoleranztest (OGTT) durchgeführt werden. Dieser kann jederzeit in der Schwangerschaft bei klinischem Verdacht (fetale Makrosomie, maternale Glukosurie oder Diabetessymptome) durchgeführt werden. Letztendlich soll er bei jeder Schwangeren (unabhängig von Alter und Gewicht!) zwischen der 24. und 28. SSW durchgeführt werden.<br /> Die Diagnose eines Gestationsdiabetes besteht dann, wenn einer der folgenden Glukosewerte erreicht bzw. überschritten wird: nüchtern 92mg/dl, 1h postprandial 180mg/dl und 2h postprandial 153mg/dl. Liegen der Nüchternwert bei =126mg/dl und der Wert 2h postprandial =200mg/ dl, liegt ein manifester Diabetes in der Schwangerschaft vor.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_DAM_Allgemeinm_1709_Weblinks_s34_abb1.jpg" alt="" width="1457" height="1107" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_DAM_Allgemeinm_1709_Weblinks_s34_tab1.jpg" alt="" width="1157" height="1178" /></p> <h2>Der orale Glukosetoleranztest (OGTT) – darauf ist zu achten</h2> <p>Der OGTT sollte nüchtern (8 Stunden Nahrungskarenz) morgens zwischen 6 und 9 Uhr gestartet werden. Nach der Nüchternblutabnahme trinkt die Patientin 75g Glukose – gelöst in 300ml Wasser – und die weiteren Blutabnahmen erfolgen 1 und 2 Stunden danach. Wichtig: Die Blutabnahme hat venös (mehrmalige Punktion oder über liegenden Verweilkatheter, Venflon<sup>®</sup>) stattzufinden! Die Durchführung des OGTT mittels eines üblichen Blutzuckermessgeräts (Fingerstich) ist nicht zulässig, da die Ergebnisse der kapillären Messung nicht validiert sind. Sollte die Schwangere einen akuten Infekt oder eine Lungenreifung mittels Glukokortikoiden hinter sich haben, soll der Test eine Woche später durchgeführt werden.</p> <h2>Diagnose Gestationsdiabetes – was nun?</h2> <p>Liegt ein pathologischer Wert beim OGTT vor und die Diagnose GDM wird gestellt, erhält die Schwangere ein Blutzuckermessgerät und wird gebeten, ihren Blutzucker 4-mal täglich, nüchtern sowie 1 Stunde nach jeder Hauptmahlzeit, zu messen und zu dokumentieren. Zudem soll eine Diät eingehalten werden und auch regelmäßige körperliche Aktivität wird empfohlen. Bei der Diät geht es vor allem darum, schnell resorbierbare Kohlenhydrate wegzulassen und Mahlzeiten häufiger, dafür in kleinerem Ausmaß, einzunehmen.<br /> Gelingt es trotz Diät und Bewegung nicht, die Blutzuckerzielwerte (nüchtern <95mg/dl und 1h postprandial <140mg/dl) zu erreichen, besteht die Indikation zur Insulintherapie. Die Insulintherapie in der GDMSchwangerschaft verhindert die überschüssige fetale Insulinproduktion und deren Folgen (Makrosomie, neonatale Hypoglykämie), führt selten zu Hypoglykämien (aufgrund der ausgeprägten Insulinresistenz in der 2. Schwangerschaftshälfte) oder vermehrter Gewichtszunahme (da diese Patientinnen sowieso Diät halten). Es ist gut, dies auch den Frauen mitzuteilen, da dies die Compliance deutlich fördert.</p> <h2>Insulintherapie in der Schwangerschaft – aber wie?</h2> <p>Bei erhöhten Nüchternwerten (3x wöchentlich =95mg/dl) sollte spätabends (zwischen 20 und 23 Uhr) ein lang wirksames NPH-Insulin verabreicht werden. Meist wird mit 6–8 Einheiten begonnen, die in Zweierschritten alle 2–3 Tage gesteigert werden können, bis die Nüchternwerte <95mg/dl liegen.<br /> Bei erhöhten postprandialen Blutzuckerwerten soll ein kurz wirksames Insulinanalogon (Insulin aspart oder Insulin lispro) unmittelbar vor der Hauptmahlzeit injiziert werden. Üblicherweise beginnt man mit 2–4 Einheiten präprandial und steigert ebenfalls in Zweierschritten. Trotz des geringen Hypoglykämierisikos sollten alle Patientinnen über die Symptome und das Verhalten bei Hypoglykämien aufgeklärt werden. Neben den Blutzuckerwerten dient auch der fetale Abdomenumfang als Verlaufsparameter, da er den fetalen Hyperinsulinismus widerspiegelt.</p> <h2>Die Wehen setzen sein – was nun?</h2> <p>Mit der Geburt des Kindes kann die Therapie des Gestationsdiabetes beendet werden (cave: nicht beim manifesten Diabetes in der Schwangerschaft). Wichtig ist, dass die Frauen 6–8 Wochen nach der Entbindung einen OGTT durchführen lassen. Dieser sollte – auch bei unauffälligem Ergebnis – alle 2 Jahre wiederholt werden. Denn: Obwohl >90 % der Frauen mit Gestationsdiabetes nach der Geburt eine normale Glukosetoleranz aufweisen, entwickelt die Hälfte dieser Frauen einen manifesten Typ-2-Diabetes innerhalb der nächsten 5–10 Jahre. Frauen nach Gestationsdiabetes gelten als Hochrisikokollektiv für Typ-2-Diabetes und kardiovaskuläre Erkrankungen und profitieren von einem lebenslangen Follow-up!</p> <h2>Metformin in der Schwangerschaft – ja oder nein?</h2> <p>Mittlerweile besteht keine Kontraindikation mehr für Metformin in der Schwangerschaft, aber denken Sie daran, dass Metformin zu einem beträchtlichen Ausmaß die Plazentaschranke passiert und die längsten Untersuchungen bei Kindern, die Metformin in utero ausgesetzt waren, sich lediglich auf einen Follow-up-Zeitraum von 2 Jahren beschränken. Am meisten profitieren übergewichtige Frauen, die wahrscheinlich bereits vor der 20. SSW insulinresistent waren. Und deshalb empfiehlt auch die ÖDG, vor allem an den Einsatz bei übergewichtigen, insulinresistenten Frauen zu denken. Eine Insulintherapie ist meist bei der Hälfte der Metforminbehandelten Frauen zusätzlich notwendig.</p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Egan AM et al.: Diabetologia 2017 Jul 12. doi: 10.1007/s00125-017- 4353-9 [Epub ahead of print] <strong>2</strong> Kautzky- Willer A et al.: Wien Klin Wochenschr 2016; 128 Suppl 2: S103-12</p>
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