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Multiple Sklerose – Diagnose, Prognose und Therapie

<p class="article-intro">Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems und zählt zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen im jungen Erwachsenenalter. Ihre Ursachen sind bis heute noch nicht zur Gänze geklärt. Derzeitige Therapien haben die Behandlung bzw. Verhinderung von Schüben bzw. die Linderung von Dauerbeschwerden zum Ziel.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Mit rund 12.500 Betroffenen in &Ouml;sterreich und bis zu 2,5 Mio. weltweit geh&ouml;rt MS zu den h&auml;ufigsten neurologischen Erkrankungen junger Erwachsener. Die Krankheit manifestiert sich meist zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr zum ersten Mal, jedoch kann sie in selteneren F&auml;llen auch schon im Kindesalter oder im Alter &uuml;ber 60 Jahre beginnen. Weitere Charakteristika sind die Tatsache, dass die Krankheit bei Frauen dreimal so h&auml;ufig auftritt wie bei M&auml;nnern, sowie ihr mit zunehmendem Abstand zum &Auml;quator auff&auml;llig h&auml;ufigeres Auftreten.</p> <h2>Krankheitsursachen</h2> <p>Die Ursachen der MS sind bis dato nicht hinreichend erforscht. Man geht aber davon aus, dass eine genetische Pr&auml;disposition existiert. So betr&auml;gt die Pr&auml;valenz der MS in der Allgemeinbev&ouml;lkerung nur 0,1 % , ist bei eineiigen Zwillingen jedoch ein Geschwisterteil erkrankt, betr&auml;gt die Wahrscheinlichkeit, dass auch der zweite an MS erkranken wird, etwa 30 % . Auch das Risiko von Kindern, deren Eltern an MS erkrankt sind, ist mit bis zu 4 % deutlich h&ouml;her als in der Allgemeinbev&ouml;lkerung. Neben der genetischen Pr&auml;disposition d&uuml;rften bis dato unbekannte Umweltfaktoren eine Rolle spielen. Verd&auml;chtigt werden hier unter anderem Viren und bestimmte Ern&auml;hrungsfaktoren, aber auch Hygienema&szlig;nahmen und Rauchen k&ouml;nnten eine Rolle spielen.</p> <h2>Krankheitsbilder der MS</h2> <p>Bei etwa 85 % aller Patienten beginnt die Erkrankung schubf&ouml;rmig, d.h., kurze Phasen neurologischer Symptome werden abgel&ouml;st von Monate bis Jahre dauernden Phasen, in welchen die Patienten klinisch asymptomatisch sind. Nach durchschnittlich 15 Jahren &auml;ndert die Erkrankung bei der Mehrzahl der Patienten ihr Gesicht: Sch&uuml;be werden immer seltener, stattdessen kommt es in dieser sekund&auml;r chronisch progredienten Krankheitsphase zu einer langsamen, daf&uuml;r aber stetigen Verschlechterung. 15 % aller Patienten zeigen einen prim&auml;r chronisch progredienten Verlauf, d.h., die Erkrankung beginnt schleichend ohne Sch&uuml;be (auch wenn solche im weiteren Verlauf vereinzelt auftreten k&ouml;nnen). Je nach Lokalisation der Entz&uuml;ndungsherde im Gehirn kann die Symptomatik mannigfaltig sein. Zu den am Beginn der Erkrankung h&auml;ufigsten Symptomen z&auml;hlen Sehst&ouml;rungen, Sensibilit&auml;tsst&ouml;rungen und L&auml;hmungen, w&auml;hrend in sp&auml;teren Krankheitsstadien auch Schwindel, Gangunsicherheit und Blasenfunktionsst&ouml;rungen hinzukommen k&ouml;nnen. Aber auch f&uuml;r Au&szlig;enstehende oft nicht erkennbare Beschwerden wie chronische M&uuml;digkeit, Ged&auml;chtnisprobleme und Schmerzen k&ouml;nnen f&uuml;r Patienten sehr beeintr&auml;chtigend sein.</p> <h2>Pathophysiologische Grundlagen</h2> <p>Unsere Kenntnisse &uuml;ber die pathophysiologischen Grundlagen der schubf&ouml;rmigen MS stammen haupts&auml;chlich aus einem Tiermodell, der sog. experimentellen Autoimmun-Enzephalomyelitis (EAE). Dabei &uuml;berqueren aktivierte T-Lymphozyten, die sich gegen ein bis dato unbekanntes ZNS-Antigen richten, die normalerweise dichte Blut-Hirn-Schranke und attackieren in weiterer Folge zun&auml;chst die Myelinschicht der Nervenfasern, bevor es im weiteren Verlauf durch sekund&auml;re Immunph&auml;nomene auch zu einem Untergang von Axonen kommt. Gleichzeitig mit der Entz&uuml;ndung setzen auch endogene antiinflammatorische Prozesse ein, welche die Entz&uuml;ndungsreaktion beenden und Reparaturmechanismen initiieren, die zu einer (wenn auch nicht perfekten) Regeneration der Nervenh&uuml;lle f&uuml;hren. Im Gegensatz dazu sind die Mechanismen der chronisch progredienten MS weniger gut verstanden, nicht zuletzt deshalb, weil keine mit der EAE vergleichbaren Tiermodelle f&uuml;r diesen Krankheitsverlauf existieren. Man geht aber davon aus, dass sich die Entz&uuml;ndungsvorg&auml;nge bei chronischen Verlaufsformen hinter einer geschlossenen Blut-Hirn-Schranke abspielen und zus&auml;tzlich andere Mechanismen wie oxidativer Stress eine wichtige Rolle spielen. Dies w&uuml;rde auch erkl&auml;ren, warum die derzeit g&auml;ngigen Therapiestrategien, die allesamt auf das periphere Immunsystem abzielen, bei chronisch progredienter MS entt&auml;uschend wenig Wirkung zeigen.</p> <h2>Diagnose und Therapie</h2> <p>Die Diagnose der MS erfolgt heute gem&auml;&szlig; den McDonald-Kriterien. Diese fordern den Nachweis sowohl einer zeitlichen als auch einer r&auml;umlichen Krankheitsprogression. Diese kann durch mindestens zwei zeitlich voneinander abgesetzte Sch&uuml;be, die unterschiedliche Funktionen des Nervensystems betreffen, nachgewiesen werden, wobei die Ausf&auml;lle im Rahmen einer neurologischen Untersuchung auch objektiviert werden m&uuml;ssen. Alternativ kann eine zeitliche und r&auml;umliche Dissemination aber auch nach nur einem Krankheitsschub nachgewiesen werden, und zwar dann, wenn in einem sp&auml;teren MRT neue Herde an einer anderen Stelle dokumentiert sind. Da auch andere Erkrankungen und auch Alterungsprozesse solche T2-hyperintense L&auml;sionen verursachen k&ouml;nnen, wurden f&uuml;r MS spezifische MRT-Ver&auml;nderungen definiert, wobei einerseits die Verteilung (periventrikul&auml;r, juxtakortikal, infratentoriell und spinal), andererseits die Kontrastmittelaufnahme als f&uuml;r MS charakteristisch gelten.<br /> <br /> Im Extremfall kann eine schubf&ouml;rmige MS bereits beim ersten MRT im Rahmen des ersten Krankheitsschubes nachgewiesen werden, n&auml;mlich dann, wenn zus&auml;tzlich zu typischen T2-hyperintensen L&auml;sionen auch zumindest eine kontrastmittelanreichernde L&auml;sion nachweisbar ist, die aufgrund ihrer Lokalisation nicht f&uuml;r die aktuelle klinische Symptomatik verantwortlich sein kann. Fehlt der Nachweis der zeitlichen und r&auml;umlichen Dissemination, so steht die Diagnose einer schubf&ouml;rmigen MS (noch) nicht zweifelsfrei fest, in diesem Fall wird von einem klinisch isolierten Syndrom (CIS) gesprochen. Findet man dagegen im Rahmen einer aus anderen Gr&uuml;nden durchgef&uuml;hrten MRT-Untersuchung des Gehirns L&auml;sionen, welche die radiologischen Kriterien der MS erf&uuml;llen, so hat sich daf&uuml;r der Begriff radiologisch isoliertes Syndrom (RIS) etabliert.<br /> <br /> Die Untersuchung des Liquors hat in dieser &ndash; aus dem angloamerikanischen Raum stammenden &ndash; Klassifikation nur mehr einen Stellenwert in der Diagnose der prim&auml;r progredienten MS, wof&uuml;r neben einer zumindest &uuml;ber ein Jahr anhaltenden schleichenden Verschlechterung der neurologischen Funktion entsprechende L&auml;sionen in der MRT und/oder positive oligoklonale Banden im Liquor vorhanden sein m&uuml;ssen. Trotzdem sollte auch bei schubf&ouml;rmiger MS, vor allem in fr&uuml;hen Stadien, aufgrund der mangelnden absoluten Spezifit&auml;t dieser Kriterien an der Untersuchung des Liquors festgehalten werden, um falsch positive Diagnosen und eine damit verbundene unn&ouml;tige Therapie m&ouml;glichst zu vermeiden.<br /> <br /> Elektrophysiologische Parameter, wie die Bestimmung der visuell evozierten Potenziale (VEP), spielen dagegen nur mehr eine untergeordnete Rolle, k&ouml;nnen aber eine unter Umst&auml;nden subklinisch abgelaufene Entz&uuml;ndung nachweisen. Die Therapie der MS unterscheidet zwischen einer Behandlung des akuten Schubes (Schubtherapie), einer Therapie, welche neue Sch&uuml;be m&ouml;glichst verhindern soll (immunmodulatorische Therapie oder Intervalltherapie), sowie einer Therapie der Beschwerden, die durch einen irreparablen Schaden an Nervenzellen hervorgerufen wurden (symptomatische Therapien).<br /> <br /> <strong>Schubtherapie</strong><br /> Wenn neurologische Beschwerden l&auml;nger als 24 Stunden andauern und einem zentralnerv&ouml;sen Verteilungsmuster entsprechen, spricht man von einem Schub. In diesem Fall wird, nach Ausschluss eines Pseudoschubes (verursacht z.B. durch einen floriden Infekt, Hitze o.&Auml;.), eine Methylprednisolontherapie (1g t&auml;glich &uuml;ber 5 Tage) eingeleitet. Bei v&ouml;lligem Fehlen einer klinischen Besserung kann diese Therapie mit 2g t&auml;glich &uuml;ber 5 Tage wiederholt werden und im Fall des weiteren Ausbleibens einer Besserung nach weiteren 2 Wochen eine Plasmapherese oder Immunadsorption gestartet werden.<br /> <br /><strong> Intervalltherapie</strong><br /> Hierbei unterscheidet man zwischen Therapien f&uuml;r den milden bis moderaten und solche f&uuml;r den hochaktiven Verlauf der MS. F&uuml;r Erstere sind die Interferon-beta-Pr&auml;parate (Betaferon&copy;, Rebif&copy; und Avonex&copy; bzw. Plegridy&copy;), Glatirameracetat (Copaxone&copy;) und Dimethylfumarat (Tecfidera&copy;) zugelassen, au&szlig;erdem auch Teriflunomid (Aubagio&copy;) bei Nichtvertr&auml;glichkeit oder ungen&uuml;gender Wirkung dieser Pr&auml;parate. F&uuml;r den hochaktiven Verlauf stehen Natalizumab (Tysabri&copy;) und Fingolimod (Gilenya&copy;) sowie Alemtuzumab (Lemtrada&copy;) zur Verf&uuml;gung (Tab. 1). Diese Substanzen zeichnen sich durch eine h&ouml;here Wirksamkeit aus, diese wird allerdings um den Preis seltener, jedoch potenziell bedrohlicher Nebenwirkungen erkauft. Zus&auml;tzlich stehen f&uuml;r die Intervalltherapie nach einem CIS die Interferon-beta-Pr&auml;parate (Betaferon&copy;, Rebif&copy; und Avonex&copy;) sowie Glatiramer&shy;acetat (Copaxone&copy;) zur Verf&uuml;gung.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_DAM_Allgemeinm_1606_Weblinks_Seite19.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <h2>Symptomatische Therapie</h2> <p>Zur Linderung bestehender Beschwerden stehen sowohl nicht medikament&ouml;se Therapien, wie Physio- und Ergotherapie, Hippotherapie oder Magnetfeldtherapie, als auch medikament&ouml;se Therapien zur Verf&uuml;gung. Zu Letzteren geh&ouml;ren unter anderem Tizanidin (Sirdalud&copy;), Baclofen (Lioresal&copy;) oder synthetisch hergestelltes Tetrahydrocannabinol (THC) zur Behandlung der Spastik, Anticholinergika zur Behandlung neurogener Blasenfunktionsst&ouml;rungen oder 4-Aminopyridin zur Verbesserung der Gehgeschwindigkeit, aber auch Antidepressiva oder Antiepileptika zur Behandlung (neuropathischer) Schmerzen.</p></p>
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