Unverdächtige Anamnese, überraschende Diagnose
Autor:
Dr. med. Leo Richter
Ordination Dr. med. Richter in Wien und Baden, Österreich
Die Patientin ist 56 Jahre alt und als Landwirtin tätig. Sie hat einige Vorerkrankungen: einen relativ gut eingestellten Diabetes mellitus Typ 2, arterielle Hypertonie und rheumatoide Arthritis. Medikation u.a.: Metformin, ThromboASS sowie Adalimumab alle zwei Wochen aufgrund der rheumatoiden Arthritis. Aktuell ist die Patientin in Remission, es geht ihr nach eigenen Angaben gut. Nun klagt sie seit mehreren Wochen über Läsionen an der unteren rechten Extremität, die sich sukzessive vermehrt haben.
Entlang der lateralen Seite des rechten Oberschenkels sieht man von der Knieregion ausgehend entzündliche Knoten, teilweise krustig belegt. In der Nahaufnahme sind teilweise nekrotische Areale zu erkennen (Abb. 1). Das Erscheinungsbild zeigt sich nicht so pudrig wie erwartet, es kommt zwar zum Austritt von gelblicher Flüssigkeit, aber es ist keine grünliche Flüssigkeit zu erkennen.
Abb. 1: Die Patientin zeigt entzündliche Knoten an der lateralen Seite des rechten Oberschenkels; in der Nahaufnahme (rechts) sind teils nekrotische Stellen zu erkennen
Als Landwirtin aus dem Burgenland (Österreich) kommt die Patientin regelmäßig in Kontakt mit Pflanzen(-säften) und Erde. Erkennbare Eintrittspforten für Erreger z.B. durch Verletzungen der Haut im Rahmen ihrer Arbeit liegen keine vor. Allerdings gibt sie an, dass es aufgrund ihrer Tätigkeit in und mit der Natur immer wieder zu Kratzern und anderen oberflächlichen Kleinstschädigungen der Haut komme, die sie nicht wirklich beachte.
Differenzialdiagnose
Rein klinisch kommen verschiedene Krankheitsbilder in Betracht: So könnte es sich um eine tiefe Trichophytie handeln, eine sehr seltene, sich von Haut und Unterhaut, Lymphknoten und inneren Organen ausbreitende Dermatophyten-Infektion. Infrage käme auch ein B-Zell-Lymphom („legtype“).
Bei einer Therapie unter Adalimumab, das gewisse opportunistische Infektionen begünstigen kann, ist im Rahmen der Differenzialdiagnose ein Fokus auf möglicherweise vorliegende Infektionen sinnvoll. Daher sollte an dieser Stelle auch eine atypische Mykobakteriose ins Visier genommen werden. Als atypisch werden Mykobakterien bezeichnet, die keine Tuberkulose- oder Lepraerkrankung beim Menschen hervorrufen können.
Denkbar wäre außerdem ein Fall von Sporotrichose (Schenk-Krankheit, Morbus Schenk oder auch Rosengärtner-Krankheit): eine Pilzerkrankung, welche die tiefen Hautschichten, das Lymphsystem oder den ganzen Körper befallen kann. Dafür könnte die sporotrichoide Ausbreitung der Knoten sprechen. Im Rahmen der Differenzialdiagnose ebenfalls auszuschließen wären des Weiteren Melanommetastasen.
Die Patientin gibt an, in letzter Zeit keine Reisen ins Ausland unternommen zu haben. In einem solchen Fall hätte man auch Erkrankungsbilder wie Leishmaniose in den Blick genommen, eine weltweit bei Mensch und Tier vorkommende Infektionserkrankung, die durch obligat intrazelluläre protozoische Parasiten der Gattung Leishmania hervorgerufen wird. Auch eine Blastomykose, eine Infektion mit Blastomyces dermatitidis, die vorrangig im Mississippibecken und im Osten sowie Süden der USA, in Einzelfällen aber auch in Mittelamerika und Afrika beschrieben wurde, wäre bei entsprechender Reisetätigkeit denkbar.
Histologie, Biopsie und PCR
Die Diagnosestellung erfolgte mittels Histologie und Kultur einer (wiederholten) tiefen Biopsie sowie PCR von Abstrichen und Gewebeproben. Im Rahmen der Biopsie sind mächtige entzündliche Infiltrate zu erkennen und Granulome – jedoch nicht verkäsend (Abb. 2). Unter Spezialfärbung konnte dann der Erreger deutlich sichtbar gemacht werden. Es zeigte sich eine atypische Mykobakteriose durch Nachweis von Mycobacterium chelonae. Dieses Ergebnis konnte in der PCR eindeutig und wiederholt bestätigt werden.
Abb. 2: Erkennbar sind mächtige entzündliche Infiltrate und Granulome (links); unter Spezialfärbung (Rot) ist der Erreger deutlich sichtbar (rechts)
In einem vergleichbaren Fall ist eine große Biopsie aussagekräftig, die unterteilt wird, um einen Teil nativ ins Labor zu schicken und den anderen zu kultivieren und daraus die PCR zu erstellen. Wir für unseren Teil machen aber auch bereits aus dem histologischen Schnitt eine PCR.
Insgesamt lässt sich sagen, daß eine entsprechend zu erwartende Anamnese für dieses Krankheitsbild bei dieser Patientin gerade nicht vorgelegen hat. Eine Infektion mit Mycobacterium chelonae zeigen erfahrungsgemäß eher Patienten, die sich z.B. jüngst ein Tattoo mit grauer/schwarzer Tinte haben stechen lassen. Betrachtet man den Kreis der atypischen Mykobakterien, wäre bei einem vergleichbaren Patienten beispielsweise eine Infektion mit Mycobacterium fortuitum eher zu erwarten gewesen. Eine Infektion mit M. fortuitum ist u.a. im Kontext eines Schwimmbadbesuchs oder nach einer Pediküre denkbar.
Therapie mit Dreierkombination
Übergeben wurde an dieser Stelle an die behandelnden Infektiologen und Rheumatologen. Dort wurde eine Dreierkombination aus Isoniazid, Rifampicin und Ethambutol für 6 Monate initiiert. Adalimumab wurde nicht weiter eingesetzt. Unter der Therapie, welche die Patientin gut vertragen hat, kam es zu einer vollständigen Abheilung.
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