
Effekte der postoperativen, additiven systemischen Steroidtherapie bei der chronischen Rhinosinusitis mit Polypen
Autorin:
Priv.-Doz. Dr. Sarina Müller
HNO-Klinik
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU)
E-Mail: sarina.mueller@uk-erlangen.de
Vielen Dank für Ihr Interesse!
Einige Inhalte sind aufgrund rechtlicher Bestimmungen nur für registrierte Nutzer bzw. medizinisches Fachpersonal zugänglich.
Sie sind bereits registriert?
Loggen Sie sich mit Ihrem Universimed-Benutzerkonto ein:
Sie sind noch nicht registriert?
Registrieren Sie sich jetzt kostenlos auf universimed.com und erhalten Sie Zugang zu allen Artikeln, bewerten Sie Inhalte und speichern Sie interessante Beiträge in Ihrem persönlichen Bereich
zum späteren Lesen. Ihre Registrierung ist für alle Unversimed-Portale gültig. (inkl. allgemeineplus.at & med-Diplom.at)
Topische und systemische Kortikosteroide stellen seit jeher den Goldstandard bei der chronischen Rhinosinusitis mit Polypen dar. Während im konservativen Setting der Benefit sowohl topischer als auch systemischer Steroide mit multiplen Studien belegt werden konnte, so war der Nutzen in der postoperativen Situation lange unklar. Aktuelle Studien zeigen, dass postoperative systemische Steroide keinen additiven Nutzen gegenüber topischen Steroiden allein zeigen und dass dies sowohl für ein kurzfristiges als auch für ein langfristiges Follow-up gilt.
Keypoints
-
Postoperative systemische Steroide zeigen keinen additiven Nutzen im Vergleich zu topischen Steroiden allein.
-
Dies gilt für alle primären und sekundären Messgrößen (endoskopische Scores, generelle und sinonasale Lebensqualität, Riechscores, Rezidivraten, ausgewählte Biomarker).
-
Auch bezüglich notwendiger Rezidivoperationen sind nach einem zweijährigen Follow-up keine signifikanten Unterschiede zu sehen.
Aktueller Stand
Die chronische Rhinosinusitis mit Polypen (CRSwNP) ist eine häufige Erkrankung, die rund 15% der Allgemeinbevölkerung betrifft.1 Die Einschränkung der Lebensqualität wird von Betroffenen höher als bei anderen chronischen Erkrankungen wie Rückenschmerzen oder der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) angegeben.2–4 Zudem entstehen jedes Jahr immense direkte und indirekte Kosten durch die CRSwNP5. Trotz dieser sozioökonomischen Einschränkungen und einer vermehrten Forschung im Bereich der Rhinologie in den letzten Jahren bleibt der Wert vieler Therapieoptionen unklar. Nasale Kortikosteroide werden hier weiterhin, neben Salzwasserspülungen, als die erste Linie der konservativen Therapieoptionen angesehen. Für therapierefraktäre Patienten unter einer konservativen Therapie bleibt die funktionelle endoskopische Operation der Goldstandard. Auch postoperativ werden die topischen Steroide in der Regel fortgesetzt. Fraglich bleibt jedoch, ob auch additive systemische Steroide in der postoperativen Phase einen Benefit zeigen. Zu dieser Fragestellung sind bis jetzt drei randomisierte kontrollierte Studien erschienen.6–8 Alle Studien konnten keine Überlegenheit der systemischen Steroide in der postoperativen Phase zeigen. Allerdings haben diese Studien ihre Patienten lediglich bis zu sechs Monate nachverfolgt. Um auch nähere Informationen über die Langzeitfolgen der postoperativen systemischen Kortikosteroidtherapie bei der CRSwNP zu erhalten, haben wir eine prospektive klinische Studie durchgeführt.
Postoperative systemische Steroide haben keinen vermehrten Nutzen
In unsere prospektive, multizentrische, randomisierte, kontrollierte Studie haben wir 106 CRSwNP-Patienten eingeschlossen. Alle Patienten erhielten eine funktionelle endoskopische Nasennebenhöhlenoperation sowie postoperative topische Steroide für drei Monate. Zudem wurden die Patienten postoperativ jeweils für einen Monat in eine Systemische-Steroid- und eine Placebogruppe randomisiert. Alle Patienten wurden über zwei Jahre nachverfolgt und die Zeitpunkte 12 Monate, 18 Monate und 24 Monate wurden zur Beantwortung der Fragestellung nach den Langzeiteffekten der systemischen Steroidtherapie ausgewertet. Als primäre Zielgröße wurde der nasale Polypenscore (NPS) definiert. Sekundäre Zielgrößen waren der Lund-Kennedy-Score, die sinonasale und generelle Lebensqualität, Rezidivraten sowie ausgewählte etablierte Biomarker aus Nasensekret. Die sinonasale und generelle Lebensqualität wurde mit dem Rhinosinusitis Disability Index (RSDI), sinonasalen Symptomen und dem Short-Form-36-Fragebogen (SF-36) gemessen. Ein Rezidiv wurde als Erhöhung des nasalen Polypenscores um ≥2 zu ≥2 aufeinanderfolgenden Zeitpunkten während des 2-jährigen Follow-ups definiert. Als Biomarker wurden Pappalysin-1 (PAPP-A), Cystatin-SN (CST2), Periostin, SerpinE1 und SerpinF2 verwendet, die bereits in Vorstudien validiert worden waren.9–11 Diese Biomarker stellen vielversprechende Marker für die Vorhersage von Rezidiven (PAPP-A, CST-2, Periostin) sowie für die Wirkung auf die Fibrinolyse dar (SerpinE1, SerpinF2).
Insgesamt konnten 61 Patienten das 2-jährige Follow-up abschließen. Es zeigte sich, dass es zu allen drei Zeitpunkten des Follow-ups und jeweils in allen primären (Abb. 1) und sekundären Zielgrößen keinen Unterschied zwischen der Gruppe mit systemischen Steroiden und der Placebogruppe gab. Ebenfalls zeigte sich kein Unterschied in der Notwendigkeit von Rezidivoperationen oder bei den Nebenwirkungen.
Abb. 1: Primäre Zielgröße nasaler Polypenscore (NPS): Zeitpunkt 0 ist der Zeitpunkt der Operation. Der NPS sinkt nach der Operation signifikant in beiden Gruppen ab. Über das 2-jährige Follow-up zeigen sich keine Interaktionen oder Unterschiede zwischen den beiden Gruppen. Die lila Linie zeigt die Steroidgruppe und die rote Linie die Placebogruppe (aus Vortrag S. Müller, ARS Annual Meeting 2020)
Ausblick
Seit vielen Jahren wird die Frage nach der besten Therapie der CRSwNP diskutiert. In Zeiten neuer Therapieoptionen wie der Biologikatherapie mit Antikörpern gegen z.B. IL-5, IgE oder IL-4Ra1 ist die Frage nach der individualisierten Therapie wichtiger denn je. Allerdings wird die Wahl der besten Therapieoption durch die komplexe und nicht eindeutig geklärte Pathogenese der CRSwNP erschwert. Während traditionell eine Einteilung in die beiden Phänotypen mit Polypen und ohne Polypen vorgenommen wurde, versuchen aktuellere Klassifikationsversuche die Komplexität der Erkrankung durch sogenannte Endotypen widerzuspiegeln. Diese werden als spezifische Signalwege und ihre Schlüsselstellen definiert. Durch die weitere Erforschung der Signalwege und möglicher weiterer Therapieoptionen werden in der Zukunft noch viele weitere Therapiealternativen für die präoperative, die postoperative und die Rezidivtherapie zur Verfügung stehen. Hier ist eine detaillierte phäno- und endotypische Charakterisierung der CRSwNP-Patienten die Grundlage, um die beste Therapie auszuwählen. Bis zu diesem Zeitpunkt liegt allerdings noch ein weiter Weg vor uns. Selbst die Aussage über den postoperativen Nutzen additiver systemischer Steroide hat Jahre auf sich warten lassen und erscheint erst jetzt valide genug für eine Implementierung in die klinische Praxis.
Fazit
Die zusätzliche Gabe von postoperativen systemischen Steroiden nach einer funktionellen endoskopischen Nasennebenhöhlenoperation zeigt keinen Vorteil im Vergleich zu alleinigen postoperativen topischen Steroiden. Dies ist für ein kurzfristiges Follow-up von unter sechs Monaten sowie für ein langfristiges Follow-up von 1–2 Jahren gezeigt worden. Aus diesem Grund sollte der Einsatz postoperativer systemischer Kortikosteroide nicht routinemäßig durchgeführt und nur im Einzelfall diskutiert werden.
Literatur:
1 Fokkens WJ et al.: European Position Paper on Rhinosinusitis and Nasal Polyps 2020. Rhinology 2020; 58: 1-464 2 Soler Z et al.: Health state utility values in patients undergoing endoscopic sinus surgery. Laryngoscope 2011; 121(12): 2672-8 3 Gliklich RE, Metson R: Effect of sinus surgery on quality of life. Otolaryngol Head Neck Surg 1997;117(1): 12-7 4 Ziping Y et al.: A head-to-head comparison of EQ-5D-5 L and SF-6D in Chinese patients with low back pain. Healh Qual Life Outcomes 2019; 17(1): 57 5 Rudmik L: Economics of chronic rhinosinusitis. Curr Allergy Asthma Rep 2017; 17(4): 20 6 Shen KH et al.: Differential effects of postoperative oral corticosteroid on eosinophilic vs. non-eosinophilic CRSwNP subtypes. Am J Otolaryngol 2019; 40(1): 22-9 7 Dautremont J et al.: The role of immediate postoperative systemic corticosteroids when utilizing a steroid-eluting spacer following sinus surgery. Otolaryngol Head Neck Surg 2014; 150(4): 689-95 8 Chang MT et al.: Oral corticosteroids following endoscopic sinus surgery for chronic rhinosinusitis without nasal polyposis: arandomized clinical trial. JAMA Otolaryngol Head Neck Surg 2021; 147(5): 434-41 9 Müller SK et al.: Non-invasive exosomal proteomic biosignatures including cystatin-SN (CST 1) accurately predict chronic rhinosinusitis with nasal polyps. Int Forum Allergy Rhinol 2019; 9(2): 177-86 10 Müller SK et al.: Significant polyomic and functional upregulation of the PAPP-A/IGFBP-4/5/IGF-1 axis in chronic rhinosinusitis with nasal polyps. Int Forum Allergy Rhinol 2020. doi: 10.1002/alr.22512 11 Müller SK et al.: Tissue and exosomal serine protease inhibitors are significantly overexpressed in chronic rhinosinusitis with nasal polyps. Am J Rhinol Allergy 2019; doi: 10.1177/1945892419831108
Das könnte Sie auch interessieren:
Von „Klassikern“ bis zu „Raritäten“: Einführung in die Radiofrequenztherapie
Die Radiofrequenztherapie ist mittlerweile bei HNO-Eingriffen vielfältig einsetzbar. Aufgrund des steilen Temperaturgradienten wird das umliegende Gewebe geschont und es treten keine ...
Fachärztemangel in Österreichs Spitälern
Der Fachärztemangel in Österreichs Spitälern ist kein abstraktes Problem, sondern ein sehr reales, das uns im Alltag ständig begleitet. Um eine Erklärung für dieses Phänomenzu finden, ...
AC102: ein vielversprechender Wirkstoffkandidat bei Hörsturz
Hörsturz führt häufig zu dauerhaftem Hörverlust und Begleiterkrankungen wie Tinnitus. Glukokortikoide werden für den Off-Label-Einsatz verschrieben, obwohl es keine klinischen Beweise ...