
Lymphogranuloma venereum: 20 Jahre Epidemie und kein Ende in Sicht
Autor:
Dr. David Chromy
Universitätsklinik für Dermatologie
Medizinische Universität Wien
E-Mail: david.chromy@meduniwien.ac.at
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Lymphogranuloma venereum wird durch Chlamydia trachomatisSerovar L1, L2 oder L3 verursacht und ist eine Geschlechtskrankheit. Vor knapp 20 Jahren begann eine Lymphogranuloma-venereum-Epidemie in Industrienationen und betraf damals wie auch heute fast ausschließlich Männer, die Sex mit Männern haben.
Keypoints
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Lymphogranuloma venereum betrifft in Österreich jede vierte rektale Chlamydieninfektion bei Männern, die Sex mit Männern haben.
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HIV-negative Männer, die Sex mit Männern haben, sind zunehmend mehr von Lymphogranuloma venereum betroffen.
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Lymphogranuloma venereum erfordert im Vergleich zu anderenChlamydien- infektioneneine verlängerte Therapie (über drei Wochen).
Die Epidemie
Bis in die frühen 2000er-Jahre galt in Industrienationen die Geschlechtskrankheit Lymphogranuloma venereum (LGV), welche durch Chlamydia trachomatis Serovar L1, L2 oder L3 verursacht wird, als seltene Krankheit und ihr Auftreten war fast ausschließlich auf Reiserückkehrer beschränkt. Endemisch galt LGV beispielsweise in Südostasien, Südamerika oder in Teilen Afrikas.1,2
Häufung ab 2003
Ab 2003 häuften sich schließlich Berichte über eine LGV-Epidemie in Indus-trieländern, welche in erster Linie HIV-positive Männerbetraf, die Sex mit Männern haben (MSM). Rasch stellte man fest, dass eine (unbehandelte) HIV-Infektion zur Übertragung von LGV beitrug – sowie auch vice versa.
Ein Exkurs dazu: Erst seit knapp 10 Jahren besteht eine klare Empfehlung, jede HIV-Infektion – ungeachtet des Krankheitsstadiums – zu behandeln. Zwischenzeitlich wurde auch gezeigt, dass durch eine erfolgreiche Behandlung der HIV-Infektion die Kontagiosität von Personen, die mit HIV leben, auf null reduziert wird.3
Natürlich ermöglichen die mukosale Schädigung und Entzündung, die mitunter bei einer sexuell übertragbaren Infektion (STI) auftritt, wiederum ein leichteres Eindringen weiterer Krankheitserreger.4–6 Allerdings ist insbesondere bei HIV-positiven MSM, die von einer LGV-Infektion betroffen waren, das Sexualverhalten als gemeinsamer Nenner ebenfalls hervorzustreichen. So beschrieben beispielsweise Van der Bij AK et al. bereits 2006 ein 1,8- bis 2-fach höheres Risiko für LGV-Varianten bei bestehender Chlamydieninfektion unter MSM, sollte ungeschützter rezeptiver Analverkehr praktiziert werden; der stärkste Prädiktor blieb ein positiver HIV-Serostatus mit einem 5,7- bis 9,3-fach höheren Risiko.6
Weiterer Zuwachs in den letzten Jahren
Innerhalb der letzten beiden Jahrzehnte kam es leider nie zu einem Abebben der LGV-Epidemie. Im Gegenteil, rezenten Berichten zufolge kam es zuletzt zu einem weiteren Zuwachs der Zahl der LGV-Fälle. So beschrieben zum Beispiel Van Aar Fet al. einen 3,1-fachen Anstieg der Zahl der detektierten Fälle zwischen 2011 bis 2017 in einer niederländischen STI-Klinik.7 Prochazka Met al. zeigten in einer Analyse unter Verwendung des britischen „Genitourinary Medicine Clinic Activity Dataset Sexually Transmitted Infection Surveillance System“ einen Anstieg der Zahl der LGV-Fälle von 663 im Jahr 2015 auf 1018 im Jahr 2019 in England.8 Auch der letzte Bericht des ECDC(European Centre for Disease Prevention and Control)zu LGV unterstrich den kontinuierlichen Anstieg: Waren es 2014 noch 1419 bestätigte Fälle gewesen, sah man 2018 schließlich 2389 LGV-Fälle innerhalb der erfassten 22 europäischen Länder. Interessant war dabei, dass im gleichen Zeitraum der Anteil der HIV-Positiven unter den Betroffenen von 70% auf 59% sank, während weiterhin fast ausschließlich MSM (98,7%) betroffen waren.9
Rezente Daten
Rezente Daten aus England und Belgien zeigten sogar, dass mittlerweile schon mehr als 50% der LGV-Infektionen auf HIV-negative MSM entfallen.8,10 Eine durchaus plausible Erklärung für diese jüngste Dynamik wären die Fortschritte in der HIV-Prävention, insbesondere bei der medikamentösen Präexpositionsprophylaxe für HIV (PrEP) in Ergänzung mit einem verstärkten Screening nach STI in gefährdeten Personengruppen.8,11 Hätten früher Personen mit entsprechendem Hochrisiko-Sexualverhalten neben LGV auch HIV akquiriert, kann heutzutage zumindest die HIV-Infektion verhindert werden.
Trotz steigender LGV-Fallzahlen gibt es Hinweise auf eine nicht unwesentliche Dunkelziffer bei LGV. Hintergrund ist die limitierte Verfügbarkeit der Serovaranalysen und somit der Abgrenzung einer LGV-Infektion von anderen Chlamydieninfektionen. Ergebnissen einer internationalen Pilotstudie – mit österreichischer Beteiligung – zufolge lagen bei 25,6% aller rektalen Chlamydieninfektionen bei MSM Serovar L1, L2 oder L3 vor.12 Implizit wird bei MSM somit bei jeder vierten rektalen Chlamydieninfektion ein LGV-Fall übersehen, sofern keine Serovardifferenzierung veranlasst wird oder verfügbar ist.
LGV in Österreich
Der erste Report über LGV in Österreich wurde 2008 von Stary G et al. publiziert und umfasste 24 Fälle, allesamt diagnostiziert bei MSM.13 Seither wurden weitere 79 österreichische LGV-Fälle im Rahmen der zuvor genannten Publikation veröffentlich.12
In Österreich unterliegt LGV – genauso wie Syphilis, Gonorrhö und weicher Schanker (Haemophilus ducreyi) – einer beschränkten Meldepflicht. Das bedeutet, dass eine Meldepflicht durch den Arzt/die Ärztin an die zuständige Sanitätsbehörde nur erforderlich ist, sofern sich die betroffene Person einer Behandlung entzieht beziehungsweise eine Weiterverbreitung der Erkrankung zu befürchten ist. Eine Meldung wird daher nahezu niemals veranlasst und daher ergingen aus Österreich seit vielen Jahren auch keine Meldungen an das ECDC.9 Diese Lücke wurde nun im Zuge einer multizentrischen retrospektiven Analyse aus Österreich ein Stück weit aufgearbeitet, die ersten Ergebnisse wurden bei der „Conference on HIV Drug Therapy 2022“ (HIVGlasgow) präsentiert.14 Innerhalb der vier Zentren (Medizinische Universität Wien, Medizinische Universität Innsbruck, Medizinische Universität Graz, Kepler Universitätsklinikum Linz) wurden von 2014 bis 2021 insgesamt 2083 Chlamydieninfektionen diagnostiziert. Bei1258 davon lag eine Serovaranalyse vor, darunter wurde bei 15% (N=192) Serovar L1, L2 oder L3 festgestellt, wovon wiederum 94% (N=181) auf MSM entfielen. Bezogen auf rektale Chlamydieninfektionen unter MSM wurde sogar ein LGV-Anteil von 23% gefunden. Wie Abbildung 1 zu entnehmen ist, stiegen dieZahlen sämtlicher Chlamydieninfektionen über die analysierten Jahre hinweg stetig an; konsekutiv auch die diagnostizierten LGV-Fälle. Der rezente Abfall 2021 ist vermutlich ein Phänomen der SARS-Cov-2-Pandemie, wenngleich dies mit den vorliegenden Daten nicht sicher gezeigt werden kann.
Abb. 1: Zeitlicher Verlauf der absoluten Zahlen an Chlamydieninfektionen pro Jahr sowie der detektierten LGV-Infektionen. Die schwarze Linie markiert die Anzahl der Chlamydieninfektionen, für welche ein Ergebnis einer Serovaranalyse verfügbar war
Klinische Präsentation und Behandlung von LGV
Ein wesentlicher Anteil der diagnostizierten LGV-Fälle ist asymptomatisch und wird nur durch Screening detektiert. In der vorgestellten österreichischen Studie hatten immerhin 45% der LGV-Fälle keine Beschwerden.
Die klassische Präsentationsform einer symptomatischen LGV-Infektion sind eine hämorrhagische Proktokolitis (kann mit einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung verwechselt werden), anogenitale Ulzerationen, Fieber, Tenesmen und/oder eine streng einseitige schmerzhafte inguinale Lymphadenopathie, bei welcher der betroffene Lymphknoten putride abszedierend einschmilzt.2,6 Ohne adäquate Behandlung kann LGV irreversible Folgen wie zum Beispiel Fisteln oder Strikturen verursachen.2,15 Daher ist die Diagnose von LGV unerlässlich, um eine angemessene Behandlung sicherzustellen, denn typischerweise erfordert LGV eine längere Behandlungsdauer im Vergleich zu Non-LGV-Chlamydien-Infektionen.16 Ergänzend zur Anamnese und klinischen Präsentation ist für die definitive Diagnose von LGV ein PCR-basiertes Verfahren zum Nachweis der Chlamydien-DNA inklusive molekularbiologischer Serovardifferenzierung aus einem Abstrich erforderlich. Bis dato ist diese Untersuchung in Österreich nur in einer limitierten Anzahl von Laboratorien verfügbar. Für Serovar L1, L2 oder L3 ist eine Behandlung mit Doxycyclin 100mg 2x täglich für insgesamt 21 Tage empfohlen; alternativ kann bei klarer Kontraindikation für Doxycyclin auch auf Azithromycin 1g 1x pro Woche für 3 aufeinanderfolgende Wochen ausgewichen werden.16
Im Falle eines eingeschmolzenen Lymphknotens kann eine operative Entlastung, zum Beispiel mittels Stichinzision, ebenfallsin Erwägung gezogen werden. Vier Wochen nach Therapieende wird erneut ein PCR-basiertes Testverfahren empfohlen, um den Therapieerfolg zu bestätigen.
Fazit
Die LGV-Epidemie betrifft nun seit knapp 20 Jahren insbesondere MSM und zuletzt nahmen die Zahlen fortwährend zu; dies wurde nun auch für Österreich gezeigt. Alarmierend ist dabei, dass jede vierte rektale Chlamydieninfektion bei MSM auf LGV entfiel und fast jede zweite davon asymptomatisch war. Da eine Infektion mit Chlamydien Serovar L1, L2 oder L3 einen potenziell schweren Krankheitsverlauf mit bleibenden Schäden verursachen kann, wäre eine bessere Verfügbarkeit einer Serovardifferenzierung für Chlamydien wünschenswert. Bis dahin können bei unbekanntem Serovar die vorliegenden epidemiologischen Daten bei der Auswahl einer empirischen Therapie berücksichtigt werden und im Falle einer Chlamydieninfektion bei MSM kann die dreiwöchige Therapiedauer großzügig empfohlen werden.
Literatur:
1 Goeman J, Piot P: The epidemiology of sexually transmitted diseases in Africa and Latin America. Seminars in dermatology 1990; 9(2): 105-8 2 Richardson D, Goldmeier D: Lymphogranuloma venereum: an emerging cause of proctitis in men who have sex with men. Int J STD AIDS 2007; 18(1): 11-4 3 European AIDS Clinical Society: EACS Guidelines Version 11.0: https://www.eacsociety.org/media/final2021eacsguidelinesv11.0_oct2021.pdf ; zuletzt aufgerufen am 6.12.2022 4 Nieuwenhuis RF et al.: Unusual presentation of early lymphogranuloma venereum in an HIV-1 infected patient: effective treatment with 1 g azithromycin. Sex Transm Infect 2003; 79(6): 453-5 5 Rampf J et al.: Lymphogranuloma venereum – a rare cause of genital ulcers in central Europe. Dermatology 2004; 209(3): 230-2 6 Van der Bij AK et al.: Diagnostic and clinical implications of anorectal lymphogranuloma venereum in men who have sex with men: a retrospective case-control study. Clin Infect Dis 2006; 42(2): 186-94 7 van Aar F et al.: Increasing trends of lymphogranuloma venereum among HIV-negative and asymptomatic men who have sex with men, the Netherlands, 2011 to 2017. Euro Surveill 2020; 25(14) 8 Prochazka M et al.: Rapid increase in lymphogranuloma venereum among HIV-negative men who have sex with men, England, 2019. Emerg Infect Dis 2021; 27(10): 2695-9 9 European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC): Lymphogranuloma venereum. ECDC Annual epidemiological report for 2018: https://www.ecdc.europa.eu/en/publications-data/lymphogranuloma-venereum-annual-epidemiological-report-2018 ; zuletzt aufgerufen am 6.12.2022 10 De Baetselier I et al.: Did pre-exposure prophylaxis roll-out influence the epidemic of rectal lymphogranuloma venereum in Belgium? Results from the National Surveillance System. J Acquir Immune Defic Syndr 2021; 86(1): e1-5 11 De Baetselier I et al.: Lymphogranuloma venereum is on the rise in Belgium among HIV negative men who have sex with men: surveillance data from 2011 until the end of June 2017. BMC Infect Dis 2018; 18(1): 689 12 Cole MJ et al.: Substantial underdiagnosis of lymphogranuloma venereum in men who have sex with men in Europe: preliminary findings from a multicentre surveillance pilot. Sex Transm Infect 2020; 96(2): 137-42 13 Stary G et al.: New Chlamydia trachomatis L2 strains identified in a recent outbreak of lymphogranuloma venereum in Vienna, Austria. Sex Transm Dis 2008; 35(4): 377-82 14 Chromy D et al.: Lymphogranuloma venereum is highly prevalent among rectal chlamydia infections and HIV-positive men who have sex with men in Austria: findings from an observational multicentre study. J Int AIDS Soc 2022; 25(Suppl 6): 166-7 15 Blank S et al.: Lymphogranuloma venereum in the industrialised world. Lancet 2005; 365(9471): 1607-8 16 Workowski KA et al.: Sexually Transmitted Infections Treatment Guidelines, 2021. MMWR Recomm Rep 2021; 70(4): 1-187
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