
Neue Schweinegrippe aus China?
Bericht: Dr. Norbert Hasenöhrl
Die intensive Schweinezucht, die in China, aber ebenso in Europa und den USA betrieben wird, bringt im Hinblick auf die Entstehung neuer Influenzaviren erhebliche Gefahren mit sich. Schweine sind für verschiedenste Grippeviren empfänglich und ermöglichen deshalb bei Infektion mit mehr als einem Influenzastamm die Reassortierung von Antigenen und somit die Entstehung neuer Pandemieviren.
Schweine sind empfindlich für eine Reihe von Influenza-A-Viren (IAV), nicht nur für schweinespezifische, sondern auch für vogelspezifische und humane. Deshalb werden sie als „Mischgefäße“ für die Entstehung neuer, potenziell pandemischer IAV betrachtet. So ist auch das pandemische H1N1-Virus von 2009 (pdm09 H1N1) in Schweinen entstanden. Dies ist der Grund, warum in vielen Ländern, etwa in China, aber auch in Europa, die Entwicklung von IAV in Schweinen genau beobachtet wird.
China: potenziell gefährliche Entwicklung
Eine Studie aus China1 fasst die Entwicklung der Schweinegrippe-Surveillance zusammen und kommt zu beunruhigenden Ergebnissen. China scheint das weltweit komplexeste Ökosystem von Schweinegrippeviren zu besitzen, an dem sowohl klassische Schweinegrippeviren als auch die amerikanischen Triple-Reassortant-Viren und eurasische (EA) Vogelgrippeviren beteiligt sind. Dabei dürften sich die EA-H1N1-Stämme, die 2001 erstmals in China gefunden wurden, zu den dominanten Viren entwickeln. Andererseits ist jedoch weltweit nach 2009 der pandemische H1N1-Stamm vom Menschen zurück in die Schweinepopulationen gewandert und hat sich dort mit EA-H1N1-Stämmen reassortiert.
Die vorliegende Studie hat nun aufgrund von Daten, die zwischen 2011 und 2018 in zehn chinesischen Provinzen mit großen Schweinepopulationen erhoben wurden, eine EA-H1N1-Variante namens G4 (Genotyp 4) identifiziert, deren Eigenschaften Anlass zur Sorge geben.
Pandemiekandidaten vorhanden
Dieses G4-EA-H1N1-Virus hat eine erhöhte Infektiosität für Menschen entwickelt und ist somit als potenzielles Pandemievirus anzusehen. Dies vor allem auch deshalb, weil Antikörper gegen andere IAV gegen dieses Virus, aufgrund einer Mutation seines Hämagglutinin-Gens, nicht schützen. Das Virus kann sich in Epithelzellen der menschlichen Atemwege gut vermehren und es verbreitet sich – im Tierversuch – über Aerosole. Vor allem jüngere Erwachsene scheinen suszeptibel zu sein.
Da das G4-Virus in den chinesischen Schweinepopulationen inzwischen der dominante IAV-Erreger geworden ist, steigt auch die Gefahr für menschliche Infektionen. Zwar sind die Fallzahlen derzeit noch extrem gering – entscheidend für eine Pandemie ist die Fähigkeit des Virus, von Mensch zu Mensch übertragen zu werden. Laut der vorliegenden Studie besitzt G4-EA-H1N1 jedoch alle Eigenschaften, die eine solche Übertragung ermöglichen könnten.
Eine europäische Studie mit der gleichen Zielsetzung umfasste den Zeitraum von April 2015 bis Jänner 2018.2 Die Daten stammen vor allem aus Dänemark, der Bretagne, Nordwestdeutschland und den Niederlanden – zusammen eine Region, in der pro Jahr ca. 150 Millionen Schweine auf engstem Raum und verbunden mit enormen Leid für die Tiere gezüchtet werden. Zwischen 31% und 57% der Zuchtbetriebe waren von Schweinegrippeviren betroffen, wobei zahlreiche Varianten von H1N1, H1N2 und H3N2 zirkulierten. Insgesamt wurden in dieser Studie 16 neue in Schweinepopulationen zirkulierende IAV gefunden, die zuvor in Europa noch nicht beschrieben waren. Einige davon zeigen eine beträchtliche Resistenz gegen das humane antivirale Protein MxA und sind somit mögliche Kandidaten für ein Pandemievirus.
Ähnlich wie in China ist auch in Europa eine intensive, fortlaufende Surveillance bezüglich dieser potenziell pandemischen Schweinegrippeviren erforderlich.
Literatur:
1 Sun H et al.: Prevalent Eurasian avian-like H1N1 swine influenza virus with 2009 pandemic viral genes facilitating human infection. Proc Natl Acad Sci U S A 2020; 117(29): 17204-10 2 Henritzi D et al.: Surveillance of European domestic pig populations identifies an emerging reservoir of potentially zoonotic swine influenza A viruses. Cell Host Microbe 2020; doi:10.1016/j.chom.2020.07.006
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