
©
Getty Images/iStockphoto
Antineuronale Autoimmunenzephalitis
Jatros
Autor:
Assoc. Prof. Priv.-Doz. Dr. Romana Höftberger
Klinisches Institut für Neurologie<br> Medizinische Universität Wien<br> E-Mail: romana.hoeftberger@meduniwien.ac.at
30
Min. Lesezeit
08.09.2016
Weiterempfehlen
<p class="article-intro">Subakut auftretende Wesensveränderungen, Kurzzeitgedächtnisstörungen und epileptische Anfälle zählen zu den häufigsten Symptomen der antineuronalen Autoimmunenzephalitis. Bei den Patienten wird oft fälschlicherweise virale Enzephalitis oder Demenz diagnostiziert, was zu einer Verzögerung der richtigen Diagnose führt. Ein rascher Beginn einer immunsuppressiven Therapie ist entscheidend für eine vollständige Rückbildung der Symptome und reduziert das Risiko eines Rückfalles.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>Hinter akut bis subakut auftretenden neurologischen oder neuropsychiatrischen Symptomen kann sich eine antineuronale Autoimmun­enzephalitis verbergen.</li> <li>Die Erkrankung kann durch Immuntherapie geheilt werden. Ein rascher Therapiebeginn ist entscheidend für eine vollständige Rückbildung der Symptome und reduziert das Risiko eines Rückfalles.</li> <li>Die Diagnostik erfolgt in Zusammenschau mit der klinischen Symptomatik und den Ergebnissen der Autoantikörpertests, welche aus Liquor und Serum gewonnen werden.</li> </ul> </div> <p>Die Antikörper-assoziierte neuronale Autoimmunenzephalitis (AIE) ist eine heterogene Gruppe von Syndromen, welche durch eine Autoimmunreaktion gegen Oberflächenstrukturen der Nervenzellen ausgelöst werden (Tab. 1). Meist richtet sich die Immunreaktion gegen synaptische Rezeptoren oder Membranantigene, wie z.B. den NMDA-Rezeptor (NMDAR) oder den GABA(B)-Rezeptor (GABA[B]R). Die Antikörper binden an die Rezeptoren und führen dadurch zu einer Funktionsstörung der Nervenzellen. Die Erkrankung kann sowohl Kinder und Jugendliche als auch Erwachsene betreffen und wird oft als psychiatrische Erkrankung, Demenz oder Virusinfektion verkannt, was zu einer Verzögerung der Diagnose führt. Jeder der Autoantikörper ist mit einem spezifischen Syndrom oder einer charakteristischen Konstellation von Symptomen assoziiert, der Nachweis der Autoantikörper dient zur Diagnosesicherung. Der frühe Beginn einer aggressiven immunsuppressiven Therapie führt zu einer raschen Besserung der Symptome und geht mit einer nahezu doppelt so hohen Reduktion des Rückfallrisikos einher.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Neuro_1604_Weblinks_Seite19.jpg" alt="" width="901" height="1161" /></p> <h2>Ursache und zugrunde liegende Mechanismen</h2> <p>Am besten sind die zugrunde liegenden Mechanismen derzeit bei der Anti-NMDAR- Enzephalitis untersucht. Die Anti-NMDAR-Antikörper gehören der Klasse IgG1 an und erkennen ein extrazelluläres, konformationsabhängiges Epitop an der N1-Untereinheit des NMDAR. Durch die Anbindung der Autoantikörper kommt es zu einer Vernetzung und Internalisation des Rezeptors, dadurch reduziert sich die Rezeptorendichte an der Nervenzelloberfläche und es resultiert eine neuronale Funktionsstörung. Dieser Prozess ist reversibel und erklärt das gute Ansprechen der Patienten auf die Immuntherapie. Die Mechanismen der anderen derzeit bekannten neuronalen Oberflächenrezeptor-Antikörper sind weniger gut untersucht, einige scheinen ebenfalls zu einer Internalisation des Rezeptors zu führen, wie z.B. die AMPAR-Antikörper, andere wiederum scheinen auf unterschiedliche Weise mit ihrer Zielstruktur zu interagieren. Bei GABA(A)R-Antikörpern konnte zum Beispiel gezeigt werden, dass sie den Rezeptor aus der Synapse in den extrasynaptischen Bereich verdrängen, LGI1-Antikörper dagegen dürften über einen komplexen und noch nicht ganz geklärten Mechanismus zu einer Reduktion des AMPAR führen. Weiterführende Studien über die Antikörper-Rezeptor-Interaktionen werden die Grundlage für ein besseres Verständnis der Mechanismen in der AIE bilden und so in Zukunft möglicherweise eine gezieltere Therapie in unterschiedlichen Stadien der Erkrankung ermöglichen.<br /> <br /><strong> Symptome</strong><br /> Jeder der derzeit bekannten antineuronalen Autoantikörper führt zu einem ganz spezifischen Syndrom oder Symptomenkomplex (Tab. 1). Die NMDAR-Enzephalitis entwickelt sich über mehrere Stadien. Zu Beginn klagen die Patienten oft über Kopf- und Gliederschmerzen, Krankheitsgefühl und Abgeschlagenheit (Prodromalphase). Innerhalb weniger Tage entwickelt sich dann das Vollbild der Erkrankung, charakterisiert durch psychiatrische Symptome (Wahnvorstellungen, Stimmungsstörungen, Aggression), epileptische Anfälle, Bewegungsstörungen (oftmals orofaziale Dyskinesien), Gedächtnisstörungen und Sprachreduktion. In schweren Fällen treten autonome Funktionsstörungen bis hin zu Hypoventilation und Koma auf. Bei Kindern stehen Verhaltensstörungen in Form von Wutanfällen oder Hyperaktivität im Vordergrund, erst später treten dann epileptische Anfälle, abnorme Bewegungen oder Sprachreduktion auf. Andere AIE können sich in Form einer klassischen limbischen Enzephalitis präsentieren (Tab. 1). Wenn dabei zusätzlich Elektrolytstörungen in Form einer Hyponatriämie auftreten, kann dies auf Anti-LGI1-Antikörper oder Anti-AMPAR-Antikörper hinweisen. GABA(B)R-Antikörper verursachen oft schwere epileptische Anfälle und etwa die Hälfte der Patienten haben ein Lungenkarzinom („small cell lung cancer“, SCLC). Während der Großteil der derzeit bekannten antineuronalen Autoantikörper das zentrale Nervensystem attackiert, können einige auch periphere Nervenstrukturen angreifen. Anti-DPPX-Antikörper zum Beispiel interagieren mit dem Darmnervensystem und die Erkrankung beginnt oftmals mit schweren Durchfällen oder gastrointestinalen Funktionsstörungen, begleitet von schwerem Gewichtsverlust. Erst später gesellen sich neuropsychiatrische Auffälligkeiten und Hirnstammsymptome dazu, die insbesondere durch eine Hyperexzitabilität gekennzeichnet sind (Anfälle, Tremor, Myoklonien, Nystagmus, Hyperekplexie) oder auch dem klinischen Bild der progressiven Enzephalomyelitis mit Rigidität und Myoklonien (PERM) ähneln können.</p> <h2>Anti-IgLON5-Antikörper</h2> <p>Kürzlich konnte mit Anti-IgLON5 ein neuer Autoantikörper charakterisiert werden, welcher einen besonders spannenden Zusammenhang zwischen Autoimmunität und Neurodegeneration herstellt. IgLON5 ist ein neuronales Membranantigen, welches zur Immunglobulin-Superfamilie gehört und eine wichtige Rolle in der Neuritenaussprossung und Synaptogenese spielt. Antikörper gegen IgLON5 führen bei den betroffenen Patienten zu schweren Schlafstörungen (prominente REM- und Non-REM-Schlafstörungen mit abnormem Verhalten und Bewegungen sowie obstruktiver Schlafapnoe und Stridor) und im weiteren Verlauf zu schweren und progredienten Hirnstammfunktionsstörungen mit Dysarthrie und Dysphagie bis hin zu plötzlichem Atemstillstand oder Herz-Kreislauf-Stillstand. Autoptische Hirnuntersuchungen, welche bisher an drei Patienten mit serologisch gesicherten Anti-IgLON5-Antikörpern durchgeführt wurden, zeigen eine neurodegenerative Pathologie mit einzigartigem Verteilungsmuster, welches durch zahlreiche Tau-positive Ablagerungen in Nervenzellen im Hypothalamus und Tegmentum des Hirnstammes charakterisiert ist. Interessanterweise tragen alle bisher beschriebenen Patienten ganz bestimmte HLA-Allele, HLA-DRB1*1001 und HLA-DQB1*0501. Obwohl diese Entdeckung einen Zusammenhang zwischen den neurodegenerativen Veränderungen und einem Autoimmunprozess nahelegt, ist noch zu klären, ob die Anti-IgLON5-Antikörper ursächlich an der Neurodegeneration beteiligt sind oder es sich hierbei lediglich um ein Epiphänomen handelt.<br /> <br /> <strong>Diagnose</strong><br /> Derzeit werden hauptsächlich zwei verschiedene Techniken für die Detektion antineuronaler Antikörper verwendet: ein zellbasierter Assay („cell-based assay“, CBA) und ein gewebsbasierter Assay („tissue-based assay“, TBA). Das Prinzip des CBA besteht darin, Zellen (meist HEK293-Zellen) mit dem jeweiligen Rezeptor zu transfizieren und anschließend mit dem Serum oder Liquor des Patienten mittels indirekter Immunfluoreszenz zu färben (Abb. 1A). Beim gewebsbasierten Assay werden Ratten- oder Maushirne mit dem Serum oder Liquor des Patienten mittels indirekter Immunhistochemie oder Immunfluoreszenz gefärbt. Falls Autoantikörper vorhanden sind, binden diese an den jeweiligen Rezeptor des Nagerhirns, was in einem sogenannten Neuropilfärbemuster resultiert (Abb. 1B). Der TBA eignet sich vor allem als Screeningverfahren, um auch neue, noch nicht charakterisierte Antikörper zu detektieren.<br /> Für die Autoantikörpertestung sollten wenn möglich sowohl Liquor als auch Serum eingesandt werden. Im Falle einer alleinigen Testung von Serum besteht ein höheres Risiko für falsch positive Ergebnisse, darüber hinaus können einige Antikörper wie der NMDAR, AMPAR oder GABA(B)R ausschließlich im Liquor nachweisbar sein und man würde Patienten übersehen, wenn man nur Serum testet. Ganz sollte man dennoch nicht auf die Serumtestung verzichten, denn selten können Autoantikörper auch besser dort nachweisbar sein (z.B. Anti-LGI1- oder CASPR2-Antikörper, obwohl diese meist auch im Liquor positiv sind). Verdünnungsreihen werden verwendet, um den Antikörpertiter zu bestimmen. Diese sind insbesondere hilfreich, um die Krankheitsaktivität bei Patienten mit verlängertem Krankheitsverlauf zu bestimmen oder um einen Rückfall zu dia­gnostizieren. Für diese Fragestellungen sind Liquortiter aussagekräftiger als Serum­titer.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Neuro_1604_Weblinks_Seite20.jpg" alt="" width="619" height="858" /></p> <h2>Trigger für Autoimmunenzephalitis</h2> <p>Unter physiologischen Bedingungen können Antigene wie neuronale Oberflächenstrukturen das Immunsystem nicht aktivieren, wenn aber eine Sensibilisierung des Immunsystems außerhalb des ZNS erfolgt, kann die Immuntoleranz durchbrochen werden. Der häufigste derzeit bekannte Trigger einer AIE sind Tumoren. Es konnte gezeigt werden, dass periphere Tumoren neuronale Antigene wie NMDAR, AMPAR oder GABA(B)R exprimieren, die normalerweise hinter der Blut-Hirn-Schranke verborgen bleiben. Das Immunsystem erkennt diese peripher präsentierten Strukturen als fremd und attackiert die Tumorzellen, aber gleichzeitig greifen die einmal aktivierten Zellen auch Nervenzellen an, welche für das Antigen positiv sind. Manche Autoantikörper sind mit ganz spezifischen Tumoren assoziiert. So tritt die Anti-NMDAR-Enzephalitis fast ausschließlich in Assoziation mit Teratomen auf, während AMPAR-Antikörper mit einem breiteren Tumorspektrum assoziiert sind, wie etwa Mammakarzinomen, SCLC oder Thymomen (Tab. 1).<br /> Ein weiterer, mittlerweile gut charakterisierter Trigger sind virale Infektionen, darunter insbesondere die Herpes-simplex-Virus-Typ-1-Enzephalitis (HSV-Enzephalitis). Ca. 20 % der Patienten mit HSV-Enzephalitis entwickeln nach 3–4 Wochen neurologische Symptome, welche nicht durch die Virusinfektion erklärbar sind (negative Virus-PCR, keine neuen nekrotischen Läsionen im MRI, kein Ansprechen auf antivirale Therapie). Diese Episoden manifestieren sich bei Kindern insbesondere als choreatische Bewegungsstörungen (Post-Herpes-Choreoathetose), bei Erwachsenen treten vorwiegend epileptische Anfälle oder neuropsychiatrische Symptome auf. Kürzlich konnte gezeigt werden, dass sich hinter einem Großteil dieser Erkrankungen eine Anti-NMDAR-Enzephalitis verbirgt, es wurden jedoch auch andere, teils noch nicht näher charakterisierte Autoantikörper beschrieben. Die genauen Mechanismen dieser Autoimmunreaktion sind unklar, möglich wäre eine molekulare Mimikry, bei der Autoantikörper gegen das Virus mit neuronalen Antigenen kreuzreagieren. Eine andere Erklärung wäre eine virusinduzierte Lyse von infizierten Neuronen, welche anschließend Antigene freisetzen, was dann zu einer Sensibilisierung des Immunsystems führt.<br /> Ein beträchtlicher Prozentsatz von Patienten hat aber keine erkennbaren Trigger für die AIE. Frauen sind häufiger betroffen, auch eine genetische Prädisposition dürfte eine Rolle spielen, wie es bei der anti-IgLON5-assoziierten Enzephalopathie gezeigt werden konnte (HLA-Assoziation, siehe oben). Außerdem fällt auf, dass Patienten mit AIE oft eine Neigung zu anderen Autoimmunerkrankungen aufweisen. So haben viele Patienten auch andere Autoantikörper wie etwa Anti-TPO- oder antinukleäre Antikörper.</p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>Laufend führen neue Erkenntnisse über die AIE zu einer Erweiterung unseres Wissens über mögliche Zielantigene und damit assoziierte neurologische Symptome. Die Mechanismen, über welche Autoantikörper mit den synaptischen Proteinen interagieren, sind unterschiedlich, sie haben aber alle eine Reversibilität der Dysfunktion gemeinsam, wodurch das gute Ansprechen auf die Immuntherapie erklärbar ist. Die Autoantikörper sind sensitive und spezifische diagnostische Marker für die AIE. Eine frühe Diagnose ist mit einer besseren Prognose und einer geringeren Rückfallrate vergesellschaftet und kann zu einem frühzeitigen Entdecken eines zugrunde liegenden Tumors führen.</p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p>bei der Verfasserin</p>
</div>
</p>
Das könnte Sie auch interessieren:
Menschen mit Demenz: Was beeinflusst deren Überleben nach Diagnosestellung?
Verschiedenste Faktoren beeinflussen die Überlebenszeit nach einer Demenzdiagnose. Das Wissen um Risikofaktoren zum Zeitpunkt der Diagnose einer Demenzerkrankung oder in deren Verlauf ...
Alzheimer: Was gibt es Neues in der Biomarker-Entwicklung?
Schätzungen zufolge leben in Österreich 115000 bis 130000 Menschen mit einer Form der Demenz. Eine Zahl, die sich bis zum Jahr 2050 verdoppeln wird.1 Antikörper-Wirkstoffe könnten in der ...
Kappa-FLC zur Prognoseabschätzung
Der Kappa-freie-Leichtketten-Index korreliert nicht nur mit der kurzfristigen Krankheitsaktivität bei Multipler Sklerose, sodass er auch als Marker zur Langzeitprognose der ...