
Differenzialdiagnose der Parkinsonkrankheit in fortgeschrittenen Stadien
Jatros
Autor:
Prim. Prof. Dr. Gerhard Ransmayr
Kepler Universitätsklinikum<br> Klinik für Neurologie 2, Med Campus III, Linz<br> E-Mail: gerhard.ransmayr@kepleruniklinikum.at
30
Min. Lesezeit
14.12.2017
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<p class="article-intro">Apparativ unterstützte Therapien sind bei Parkinsonkrankheit nur für diejenigen Patienten zugelassen, die konventionell nicht ausreichend behandelbar sind. Eine unzureichende Therapieantwort ist charakteristisch für die Mehrzahl atypischer Parkinsonsyndrome und diese können infolge eines Therapieversagens mit fortgeschrittener Parkinsonkrankheit verwechselt werden.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Die Basis von Therapieentscheidungen ist die richtige Diagnose, diese kann bei Parkinsonsyndromen schwierig sein.</li> <li>In den letzten Jahren wurden neue Subtypen atypischer Parkinsonsyndrome entdeckt, der Verlauf der „typischen“ atypischen Parkinsonsyndrome detaillierter charakterisiert und der differenzialdiagnostische Nutzen von v.a. bildgebenden Hilfsuntersuchungen evaluiert.</li> <li>Weiterhin steht die klinische Diagnostik vor der apparativen.</li> <li>Die Differenzialdiagnose ist besonders wichtig vor invasiven apparategestützten Therapieentscheidungen für Patienten mit Parkinsonkrankheit.</li> </ul> </div> <p>In der Therapie der motorischen Symptome in der früh und mittelgradig fortgeschrittenen Phase der Parkinsonkrankheit kommen in erster Linie orale MAO-BHemmer (Rasagilin, Selegilin) sowie dopaminerge Substanzen (Levodopa ohne oder in Kombination mit COMT-Hemmern, orale und transdermale Dopaminagonisten) zum Einsatz. Nehmen die motorischen Fluktuationen und Nebenwirkungen einer ausgewogenen und höher dosierten dopaminergen Therapie zu (in erster Linie Dyskinesien, auch autonome und psychische Nebenwirkungen) und lässt sich mittels oraler und transdermaler Therapiekombinationen kein stabiler motorischer Effekt erreichen, werden apparativ gestützte (teil-)invasive Therapieverfahren angewendet (Duodopa-Pumpe, Apomorphin- Pen oder Pumpe, tiefe Hirnstimulation). Da Patienten gegenüber solchen Therapien häufig Bedenken anmelden und sich nur schwer dafür entscheiden können, empfiehlt sich eine frühe Aufklärung über Zweck, Nutzen und Nachteile derartiger Therapieeskalationen. Apparativ unterstützte Therapien sind nur für Patienten geeignet, die an idiopathischer oder familiärer Parkinsonkrankheit leiden.<br /> In fortgeschrittenen Stadien kann die Differenzierung zu atypischen und sekundären Parkinsonsyndromen schwierig sein, da</p> <ol> <li>atypische oder sekundäre Parkinsonsyndrome sich klinisch oft nicht eindeutig von der Parkinsonkrankheit unterscheiden lassen,</li> <li>ein Nachlassen einer dopaminergen Therapie bei atypischen Parkinsonsyndromen unter Umständen erst Jahre nach einem vorerst einigermaßen befriedigenden Therapieansprechen festgestellt wird und</li> <li>bildgebende Biomarker atypischer Parkinsonsyndrome (MRI, SPECT, PET) für die Differenzialdiagnose wenig sensitiv und spezifisch sein können, v.a. bei Routineuntersuchungen ohne quantitative bildanalytische Auswertung sowie bei einigen in den letzten Jahren entdeckten selteneren Unterformen atypischer Parkinsonsyndrome, die der Parkinsonkrankheit ähnlich sein können.</li> </ol> <h2>Atypische Parkinsonsyndrome, die mit fortgeschrittener Parkinsonkrankheit verwechselt werden können</h2> <p><strong>Multisystematrophie (MSA)</strong><br /> Bei der MSA vom Parkinson-Subtyp (MSA-P)<sup>1, 2</sup> dominieren meist Akinese und Rigor gegenüber Tremor. Die Optomotorik unterscheidet sich nicht von der PK, die motorische Symptomatik kann ebenso asymmetrisch sein. Unter dopaminerger Therapie kann es bei der MSA-P zu Dyskinesien und Dystonien kommen, vor allem im Gesichts- und Halsbereich, auch an Extremitäten oder generalisiert.<sup>3</sup> MSA-PPatienten können über einige Jahre auf eine dopaminerge Therapie motorisch ansprechen, werden dann aber zunehmend L-Dopa-resistent. Die MSA-P-typischen Störungen des autonomen Nervensystems, wie orthostatische Hypotonie, Obstipation und neurogene Reizblase, können auch bei der PK deutlich ausgeprägt sein, ebenso eine erektile Funktionsstörung. Ein Versagen des M. sphincter vesicae und des M. sphincter ani externus ist jedoch für die MSA-P und nicht für die PK typisch. Parkinson- wie MSA-Patienten leiden oft an REM-Schlaf-Verhaltensstörungen (lebhafte, bedrohliche Träume mit Ausagieren der Trauminhalte). MSA-P-Patienten können leichte neurokognitive Störungen aufweisen, eine Demenz kommt nur in Ausnahmefällen vor. Typisch für die MSA-P im Vergleich zur PK sind schwerere Sprechstörungen, schwere Schluckstörungen, Gewichtsverlust und ein inspiratorischer Stridor. Die MSA vom zerebellären Subtyp (MSA-C) zeigt zerebelläre Symptome, wie sie für die PK untypisch sind.</p> <p><strong>Progressive supranukleäre Parese (PSP)</strong><br /> Frühe Stürze (innerhalb der ersten wenigen Jahre, v.a. nach hinten) sind Kernsymptom bei der Mehrzahl der PSP-Patienten. Wie Untersuchungen der letzten Jahre gezeigt haben, gibt es eine Reihe von klinischen Subtypen der PSP. Zwei davon, der Parkinson-Subtyp (PSP-P) und der „Primary akinesia with gait freezing (PAGF)“-Subtyp, haben über Jahre große Ähnlichkeiten mit der PK; unter Umständen kann der klassische Typ, der Richardson- Subtyp (supranukleäre Blickparese, rigid-hypokinetisches Parkinsonsyndrom, Stürze, Dysarthrie), aufgrund der begleitenden kognitiven Störung mit der Parkinsondemenz oder der Lewy-Körperchen- Demenz verwechselt werden.<sup>4, 5</sup> Im ersteren Fall (PSP-P) bestehen klinisch kaum Unterschiede zur PK, es können auch eine Asymmetrie und ein Ruhetremor (auch Aktionstremor) vorhanden sein, bevor sich eine PSP-typische supranukleäre Blickparese, Stürze, v.a. aufgrund von Retropulsion, Dominanz des Nackenrigors, das Versagen einer dopaminergen Therapie, eine schwere Dysarthrie und Dysphagie sowie ein frontal akzentuiertes demenzielles Syndrom entwickeln.<sup>6</sup> Beim PAGFSubtyp sind Gangblockaden beim Weggehen und Unterbrechungen des meist kleinschrittigen Gehens sowie eine stockende, hastige, dysarthrische, palilalische Sprache, Phonationsstörungen und Schreibblockaden ohne Extremitätenrigor typisch. In den ersten Jahren finden sich keine supranukleäre Blickparese und auch keine wesentlichen kognitiven Veränderungen oder Verhaltensauffälligkeiten. PAGF-Patienten sprechen schon früh schlecht oder nicht auf eine dopaminerge Therapie an und stürzen häufig. Rezent beschriebene weitere Subtypen der PSP mit unterschiedlicher Progression und Prognose sind ein zerebellärer Subtyp, die primäre progressive, nicht flüssige agrammatische Aphasie oder Subtypen mit vorwiegend zerebellärer, okulomotorischer oder demenzieller Symptomatik.<sup>7, 8</sup></p> <p><strong>Kortikobasales Syndrom (CBS)</strong><br /> Das CBS, dem verschiedene Pathologien zugrunde liegen können (z.B. kortikobasale Degeneration, progressive supranukleäre Parese, Alzheimerkrankheit, Lewy- Körperchen-Krankheit), beginnt in der Regel mit einer halbseitigen Hypokinese und Feinmotorikminderung und einer Dystonie, öfter an der oberen als an der unteren Extremität, die gegen dopaminerge Therapie weitgehend resistent sind.<sup>9</sup> Zusätzlich ist häufig ein Aktionstremor zu beobachten. Das Syndrom ist dann mitunter von einer rigid-hypokinetisch ausgeprägten, halbseitig betonten PK schwer zu unterscheiden. Die Therapieresistenz, eine begleitende gliedkinetische und ideomotorische Apraxie, eine kortikale Sensibilitätsstörung sowie eine stockende, dysarthrische Sprache und bisweilen auch das syndromtypische „alien limb sign“ (unwillkürliche Bewegungen einer Extremität, die beabsichtigte Bewegungen stören, mit Entfremdungsgefühl der Gliedmaße) sind von differenzialdiagnostischer Relevanz. CBS-Patienten entwickeln häufig eine frontal akzentuierte Demenz mit Verhaltensstörungen, visuell-räumliche Störungen, öfters eine supranukleäre Blickparese, stürzen und verletzen sich oft, sind vergleichbar mit PSP-Patienten oft uneinsichtig gegenüber der dringenden Empfehlung, nicht unbeaufsichtigt aufzustehen oder zu gehen.</p> <p><strong>Sekundäre Parkinsonsyndrome</strong><br /> Erwähnenswert sind Parkinson-ähnliche Krankheitsbilder aufgrund eines Normaldruckhydrozephalus, einer schweren subkortikalen vaskulären Enzephalopathie, einer antidopaminergen Medikation (v.a. klassische Neuroleptika, Metoclopamid) als Folge von Schädel-Hirn-Verletzungen, Hirntumor, HIV-Enzephalopathie und Metall-Stoffwechselerkrankungen (z.B. M. Wilson, Mangan-Intoxikation) und Parkinsonsyndrome im Rahmen genetisch bedingter Bewegungserkrankungen (z.B. spinozerebelläre Ataxien, M. Huntington). Schließlich wird die PK immer wieder mit essenziellem Tremor, der auch asymmetrisch sein kann, oder mit einem psychogenen Parkinsonsyndrom verwechselt.</p></p>
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<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Gilman et al.: Neurology 2008; 71: 670-6 <strong>2</strong> Fanciulli A, Wenning G: NEJM 2015; 372: 249-63 <strong>3</strong> Boesch S et al.: J Neurol Neurosurg Psychiatry 2002; 72: 300-3 <strong>4</strong> McKeith I et al.: Neurology 2017; 89: 88-100 <strong>5</strong> Dubois B et al.: Mov Disord 2007; 22: 2314-24 <strong>6</strong> Williams D, Lees A: Lancet Neurology 2009; 8: 270-9 <strong>7</strong> Höglinger GU et al.: Mov Disord 2017; 32: 853-64 <strong>8</strong> Respondek G et al.: Mov Disord 2014; 29: 1758-66 <strong>9</strong> Armstrong MJ et al.: Neurology 2013; 80: 496-503</p>
</div>
</p>
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