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Wie nützlich ist die Testung?

Genetische Diagnostik bei Epilepsien

Mittels Next-Generation-Sequencing kann in einem einzigen Schritt das gesamte Genom sequenziert werden. Es wird vor allem aufgrund seiner Kosteneffizienz immer häufiger auch in der klinischen Routinediagnostik eingesetzt, wo es oft eine Diagnosesicherung ermöglicht – und dadurch die weitere Therapie zielgerichtet optimiert.

Keypoints

  • Genetische Epilepsien reichen von polygen-komplexen bis zu monogenen Formen.

  • Bei epileptischen Enzephalopathien sollte eine genetische Diagnostik (Trio-Exom/Genom) durchgeführt werden.

  • Bei fokalen und generalisierten Epilepsien sollte eine Testung bei syndromalen Formen, positiver Familienanamnese und Pharmakoresistenz erfolgen.

  • Genetische Diagnosen führen immer häufiger zu gezielten Änderungen im klinischen Management.

Hintergrund

Epilepsien ohne erworbene Ursache sind ätiologisch durch eine starke genetische Komponente (Heritabilität) gekennzeichnet. Dies wurde bereits in den 1990er-Jahren durch Zwillingsstudien nachgewiesen, wobei sich bei generalisierten Epilepsien eine höhere Konkordanz als bei fokalen Epilepsien und Fieberkrämpfen gezeigt hat.1 Dennoch ist nur ein geringer Anteil dieser Anfallserkrankungen monogen bedingt, worunter man versteht, dass eine hoch penetrante Mutation unmittelbar zur Manifestation eines Phänotyps führt. Für diese monogenen Formen steht eine genetische Testung mittlerweile auch im diagnostischen Setting zur Verfügung.

Next-Generation-Sequencing in der Forschung

Die Entwicklung der Next-Generation-Sequencing(NGS)-Technologie erlaubt die Sequenzierung aller etwa 20000 Gene des humanen Genoms in einem Untersuchungsschritt.2 Seit diesem Durchbruch sinken die Kosten für NGS-Anwendungen kontinuierlich und ermöglichen somit einen breiten Einsatz in Forschung und Klinik. Im Bereich der Epileptologie konnte durch diese Methoden gezeigt werden, dass epileptische Enzephalopathien vorwiegend durch De-novo-Mutationen in einer Vielzahl von Genen verursacht werden.3 Auch bei den häufigeren nicht erworbenen Epilepsien, also den nicht läsionellen fokalen wie auch den idiopathisch generalisierten Epilepsien, konnte eine signifikante Anreicherung von seltenen Varianten in Epilepsiegenen gefunden werden, welche jedoch bei den meisten Fällen in einem polygenen Kontext bedeutsam sein dürften.4 Eine rezente Übersichtsarbeit zeigt, dass bisher knapp 3000 Gene im weiteren Sinn mit epileptischen Anfällen in Verbindung gebracht wurden, wobei davon 168 als primäre Epilepsiegene definiert wurden.5 Eine besondere Komplexität ergibt sich allerdings aus der Tatsache, dass ein bestimmter Phänotyp in der Regel keinen Rückschluss auf eine spezifische genetische Ätiologie zulässt.

Genetische Testung als Diagnostik

Seit einigen Jahren werden die modernen Methoden der genetischen Sequenzierung auch zunehmend im Rahmen der Routinediagnostik eingesetzt und erweisen sich bei dieser Indikation als äußerst sinnvoll. Zuvor verwendete konventionelle Testmethoden, wie die Sanger-Sequenzierung, chromosomale Microarrays und Karyogramme, sind in Anbetracht der bereits genannten genetischen Heterogenität der Epilepsien wenig zielführend und somit weitgehend obsolet geworden. NGS wird im klinischen Setting in Form von unterschiedlichen Anwendungen eingesetzt, wobei Gen-Panels auf bestimmte vordefinierte Krankheitsgene beschränkt sind; die Exomsequenzierung umfasst alle proteincodierenden Bereiche des Genoms und die Genomsequenzierung schließlich codierende und nicht codierende Bereiche. Eine Metaanalyse von 20 Studien zeigte, dass Panels (23%) und die Exomsequenzierung (45%), verglichen mit konventionellen Testmethoden (8%), eine höhere diagnostische Ausbeute und gleichzeitig eine bessere Kosten-Nutzen-Effizienz aufweisen.6 Eine andere Metaanalyse fand heraus, dass das Auftreten von generalisierten Anfällen, zusätzlichen Entwicklungsstörungen sowie ein neonataler bzw. infantiler Krankheitsbeginn mit einer höheren diagnostischen Ausbeute assoziiert sind.7 Dennoch findet sich auch bei den häufigeren fokalen Epilepsien ohne nennenswerte Entwicklungsstörung eine Diagnoserate von 12%, wobei GATOR1-Komplex-Gene hier die bedeutendste Rolle spielen.8 Unabhängig vom Phänotyp bleibt jedoch nach wie vor der Großteil der Fälle diagnostisch ungelöst. Aktuelle Bestrebungen zeigen, dass die diagnostische Ausbeute durch eine periodische Neuauswertung bereits generierter NGS-Daten (Reanalyse) und durch die Anwendung einer Genomsequenzierung nach negativem Panel oder Exom erhöht werden kann.9,10

Nützlichkeit einer genetischen Diagnose

Eine genetische Diagnosesicherung ist durch den Einsatz moderner Testmethoden zunehmend möglich und kann auch einen positiven Effekt zeigen. Häufig bedeutet die alleinige Bestätigung einer Krankheitsursache eine lang ersehnte Gewissheit für Patient:innen und Angehörige sowie das Ende einer diagnostischen Odyssee. Speziell bei Epilepsien ist durch eine molekulare Diagnose in bestimmten Fällen eine gezielte Adaptierung der Medikation möglich. Manche genetische Epilepsien lassen sich auch mittels ketogener Diät erfolgreich behandeln (v.a. GLUT1-Defizienz). Nicht zuletzt ist eine genetische Diagnose oft auch eine unbedingte Voraussetzung, um das Wiederholungsrisiko innerhalb einer Familie adäquat abschätzen zu können. Die unmittelbare Nützlichkeit einer genetischen Diagnose wurde sowohl bei pädiatrischen als auch adulten Kohorten belegt. Während bei Kindern bei mehr als 40% der gelösten Fälle ein medizinischer Nutzen aus der Diagnose gezogen wurde, konnte bei Erwachsenen immerhin bei 17% die Antianfallsmedikation spezifisch adaptiert werden.11,12 Eine weitere Arbeit konnte zeigen, dass sich bei Patient:innen mit aufgrund der genetischen Diagnose geändertem Management in 75% der Fälle im weiteren Verlauf ein positives Outcome zeigte.13 Da insbesondere bei Neugeborenen und Säuglingen ein schneller Therapiebeginn von Bedeutung ist, wurden in einer prospektiven Studie 100 Kinder mit Anfallsbeginn im 1. Lebensjahr einem sogenannten „rapid genome sequencing“ unterzogen. Hierbei wirkte sich eine genetische Diagnose bei >50% der Fälle auf das weitere Management aus.14 Insbesondere in den letzten Jahren stellte sich vermehrt die Frage nach dem Einfluss der genetischen Diagnostik auf die Epilepsiechirurgie. In Ermangelung systematischer wissenschaftlicher Arbeiten zu diesem Thema kann hier zum momentanen Zeitpunkt keine definitive Aussage hinsichtlich Nützlichkeit getroffen werden. Anekdotische Evidenz deutet allerdings darauf hin, dass epilepsiechirurgische Eingriffe bei mTOR-assoziierten Epilepsien und genetischen hypothalamischen Hamartomen durchaus sinnvoll sein können, wohingegen Patient:innen mit Ionenkanalmutationen und Synaptopathien in aller Regel nicht profitieren.15

Tab. 1: Ausgewählte Beispiele für Epilepsiegene mit potenzieller therapeutischer Konsequenz (GLUT1 = Glukosetransporter 1, GoF = „gain of function“, LoF = „loss of function“). Adaptiert nach Krey I et al. 202216

Fazit

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die genetische Ätiologie von Epilepsien von komplex-polygenen Faktoren bis hin zu monogenen Krankheitsursachen reicht. Moderne genetische Testmethoden sind im diagnostischen Setting immer niederschwelliger zugänglich und vor allem bei Verdacht auf eine monogene Krankheitsursache sinnvoll. Aktuelle Empfehlungen legen eine Trio-Sequenzierung, vor allem bei epileptischen Enzephalopathien, nahe. Bei isolierten, fokalen und generalisierten Epilepsien sollte eine Testung vor allem bei Verdacht auf syndromale Formen, bei begleitender Entwicklungsstörung, bei positiver Familienanamnese sowie bei Pharmakoresistenz erwogen werden.16 Es gilt zu betonen, dass nach wie vor auch die behandelnden Kliniker:innen eine zentrale Rolle im Prozess der genetischen Testung einnehmen. Vor Durchführung der Testung ist eine detaillierte Phänotypisierung unerlässlich, nach Einlangen des Befundes muss dieser von klinischer Seite auf Plausibilität geprüft werden, bevor eine genetische Diagnose als gesichert gelten kann. Zudem ist zu erwarten, dass ein immer größer werdender Teil der genetisch gelösten Fälle einer gezielten Therapie zugeführt werden kann, weswegen eine umfassende genetische Diagnostik auch zunehmend niederschwellig durchgeführt werden sollte.

1 Berkovic SF et al.: Epilepsies in twins: genetics of the major epilepsy syndromes. Ann Neurol 1998; 43(4): 435-45 2 Ng SB et al.: Targeted capture and massively parallel sequencing of 12 human exomes. Nature 2009; 461(7261): 272-6 3 Epi KC et al.: De novo mutations in epileptic encephalopathies. Nature 2013; 501(76466): 217-21 4 Epi4K consortium, Epilepsy Phenome/Genome Project: Ultra-rare genetic variation in common epilepsies: a case-control sequencing study. Lancet Neurol 2017; 16(2): 135-43 5 Zhang MW et al.: Epilepsy-associated genes: an update. Seizure 2024; 116: 4-13 6 Sanchez Fernandez I et al.: Diagnostic yield of genetic tests in epilepsy: a meta-analysis and cost-effectiveness study. Neurology 2019; 92(5): e418-28 7 Stefanski A et al.: Clinical sequencing yield in epilepsy, autism spectrum disorder, and intellectual disability: a systematic review and meta-analysis. Epilepsia 2021; 62: 143-51 8 Krenn M et al.: Diagnostic exome sequencing in non-acquired focal epilepsies highlights a major role of GATOR1 complex genes. J Med Genet 2020; 57(9): 624-33 9 Epilepsy Genetics Initiative: The Epilepsy Genetics Initiative: systematic reanalysis of diagnostic exomes increases yield. Epilepsia 2019; 60(5): 797-806 10 Palmer EE et al.: Diagnostic yield of whole genome sequencing after nondiagnostic exome sequencing or gene panel in developmental and epileptic encephalopathies. Neurology 2021; 96(13): e1770-82 11 Graifman JL et al.: Clinical utility of exome sequencing in a pediatric epilepsy cohort. Epilepsia 2023; 64(4): 986-97 12 Johannesen KM et al.: Utility of genetic testing for therapeutic decision-making in adults with epilepsy. Epilepsia 2020; 61(6): 1234-9 13 McKnight D et al.: Genetic testing to inform epilepsy treatment management from an international study of clinical practice. JAMA Neurol 2022; 79(12): 1267-76 14 D’Gama AM et al.: Evaluation of the feasibility, diagnostic yield, and clinical utility of rapid genome sequencing in infantile epilepsy (Gene-STEPS): an international, multicentre, pilot cohort study. Lancet Neurol 2023; 22(9): 812-25 15 Bosselmann CM et al.: Genetic testing before epilepsy surgery - an exploratory survey and case collection from German epilepsy centers. Seizure 2022; 95: 4-10 16 Krey I et al.: Current practice in diagnostic genetic testing of the epilepsies. Epileptic Disord 2022; 24(6): 765-86

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