© Kantonsspital St. Gallen

Kommentar zur neuen Epilepsieleitlinie

«Lamotrigin ist die erste Wahl bei fokalen Epilepsien»

Dr.med.Dominik Zieglgänsberger vom Kantonsspital St. Gallen hat an der Erstellung der S2k-Leitlinie «Erster epileptischer Anfall und Epilepsien im Erwachsenenalter»1 mitgearbeitet. Im Interview erzählt er, wie der Prozess abgelaufen ist, welche Änderungen besonders hervorzuheben sind, was für den klinischen Alltag bedeutend ist und was ihn überrascht hat.

Was sind für Sie persönlich die wichtigsten Änderungen in dieser neuen Leitlinie zu Epilepsien?

D. Zieglgänsberger: Besonders hervorzuheben ist für mich die klare Positionierung der Leitlinie, dass Lamotrigin die erste Wahl bei fokalen Epilepsien ist. Als Alternative zu Lamotrigin werden auf Platz 2 Levetiracetam oder Lacosamid angeführt. Diese Empfehlungen basieren im Wesentlichen auf den Ergebnissen der SANAD-I- und SANAD-II-Studien.2,3

Eine weitere praxisrelevante Änderung gab es bei der Empfehlung zur Folsäureprophylaxe während der Schwangerschaft. Zuvor betrug diese 5mg täglich. Nun wurde sie auf 0,4 bis 0,8mg täglich geändert.

Welche klinische Relevanz haben diese Änderungen?

D. Zieglgänsberger: Die Leitlinie richtet sich ja vor allem auch an Ärztinnen und Ärzte aus jenen Neurofächern, die sich nicht «hauptberuflich» mit Epilepsie beschäftigen. Für diese Kolleg:innen soll die Leitlinie als aktuelles Nachschlagewerk dienen, das sie in ihrer klinischen Arbeit unterstützt.

Welche Bedeutung hat die Leitlinie für die Diagnostik, Therapie oder Rehabilitation von Epilepsiepatient:innen?

D. Zieglgänsberger: Eine explizite Hoffnung besteht darin, dass mehr Patientinnen und Patienten einer prächirurgischen Epilepsieabklärung zugeführt werden. Diese sollte bei allen Patientinnen und Patienten erfolgen, bei denen zwei adäquat ausgewählte und ausreichend hoch dosierte anfallssuppressive Medikamente nicht zu einer Anfallsfreiheit geführt haben.

Was hat Sie inhaltlich oder im Ablauf der Erstellung der Leitlinie überrascht?

D. Zieglgänsberger: Der Prozess der Leitlinienerstellung wurde ja eng von der AWMF, der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften, begleitet. Es war interessant zu sehen, wie immer wieder – auch bei klinisch alltäglichen Fragestellungen und unumstrittenen Empfehlungen – die strikten Vorgaben und Prozesse der AWMF eingefordert werden mussten. Das betrifft vor allem das Wording, durch das die jeweilige Empfehlungsstärke ausgedrückt wird: «soll», «sollte», «kann erwogen werden» und so weiter. Das betrifft aber auch die Offenlegung von Interessenkonflikten. Da es für viele Empfehlungen keine klare wissenschaftliche Evidenz gibt, handelt es sich auch nicht um eine evidenzbasierte Leitlinie, sondern um eine konsensusbasierte Leitlinie.

Was möchten Sie Ihren Kolleginnen und Kollegen gerne mitteilen bzw. worauf möchten Sie sie besonders aufmerksam machen?

D. Zieglgänsberger: Die richtige Therapie von Epilepsie benötigt primär erst einmal eine richtige Diagnose. So sind Fehldiagnosen von zum Beispiel psychogenen nichtepileptischen Anfällen oder von konvulsiven Synkopen als Epilepsie durchaus häufig. Und natürlich gibt es auch den umgekehrten Fall, dass die richtige Diagnose Epilepsie verpasst wird. Hier kommen spezialisierte Epilepsieambulanzen oder auch stationäre Epilepsiezentren ins Spiel, die zum Beispiel mit einem Video-Langzeit-EEG die richtigen Weichen für die meist lebenslang notwendige Therapie stellen.

1 Holtkamp M, May TW et al.: Erster epileptischer Anfall und Epilepsien im Erwachsenenalter, S2k-Leitlinie, 2023. In: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.): Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Online unter: https://register.awmf.org/assets/guidelines/030-041l_S2k_Erster-epileptischer-Anfall-Epilepsien-Erwachsenenalter_2023-09.pdf 2 Marson AG et al.: The SANAD study of effectiveness of valproate, lamotrigine, or topiramate for generalised and unclassifiable epilepsy: an unblinded randomised controlled trial. Lancet 2007; 369(9566): 1016-26 3 Marson A et al.: The SANAD II study of the effectiveness and cost-effectiveness of valproate versus levetiracetam for newly diagnosed generalised and unclassifiable epilepsy: an open-label, non-inferiority, multicentre, phase 4, randomised controlled trial. Lancet 2021; 397(10282): 1375-86

Back to top