© Georgii - stock.adobe.com

Trotz verbreiteter Vorbehalte

Paradigmenwechsel in der Epilepsiechirurgie

Es zeigen sich einige Paradigmenwechsel in der Epilepsiechirurgie ab. Eine kritische Betrachtung und Orientierung im Gesamtkontext sind jedoch wichtig.

Keypoints

  • Die Epilepsiechirurgie ist die effektivste Form der Behandlung von Epilepsien.

  • Je kürzer die Epilepsiedauer vor einer Operation, desto besser die Erfolgsaussichten.

  • Bei klaren Läsionen im MRT kann eine medikamentöse Resistenzprüfung auch optional sein.

  • Neue Techniken müssen immer kritisch hinterfragt werden, bevor man sie einsetzt.

Die Epilepsiechirurgie ist ein wichtiger Bestandteil der Behandlung von Epilepsien. Zahlreiche technologische und chirurgische Fortschritte haben sie zu einer einer der effektivsten Behandlungsformen reifen lassen, die auch sehr sicher ist. Spätestens seit der Veröffentlichung der prospektiven, randomisierten Studie zu den Temporallappenepilepsien ist klar, dass die chirurgische Behandlung unter bestimmten Voraussetzungen der medikamentösen Therapie weit überlegen ist.19

Trotzdem gibt es noch viele Ängste und Vorbehalte gegenüber der Epilepsiechirurgie, weshalb seit vielen Jahren internationale Bemühungen unternommen werden um jenen Patientinnen und Patienten, die von einer chirurgischen Behandlung ihrer Epilepsie profitieren würden, diese auch zukommen zu lassen. Im Jahr 2020 wurde die Internationale Gesellschaft für Epilepsiechirurgie gegründet, die sich die Schließung dieser Behandlungslücke als eine ihrer Kernaufgaben gestellt hat ( www.iessnet.com ).

In diesem Artikel wird ein Teil dieser Entwicklungen vorgestellt, beleuchtet und auch kritisch hinterfragt und reflektiert.

Minimalinvasive Methoden: Fluch oder Segen?

Ein gutes Beispiel für die chirurgische Entwicklung der letzten Jahre weg von großen Operationen am Gehirn hinzu minimalinvasiven Methoden stellt die Diskonnektionstechnik dar. Bei der Diskonnektion wird das erkrankte/epileptogene Gehirnareal vom gesunden Gehirn abgetrennt, aber nicht entfernt. Der Grund dafür liegt in den Bemühungen in der Epilepsiechirurgie, große Resektionshöhlen zu vermeiden, da diese zu Störungen der Liquorzirkulation und zu Blutungskomplikationen führen können. Den Grundstein hierfür hat man bei Epilepsieformen gelegt, welche es erfordern, eine ganze Hemisphäre zu entfernen, die sogenannte anatomische Hemispärektomie. Diese Operationstechnik wurde schon in den frühen 1960er-Jahren angewendet und führte bei entsprechender Indikationsstellung bei 80–90% der Patientinnen und Patienten zur Anfallsfreiheit. Allerdings beobachtete man damals sehr hohe Langzeitmortalitätsraten von 30–40%. Den Grund sah man in chronischen Eisenablagerungen durch persistierende Mikroblutungen, welche zu einem Hydrocephalus führten.10 Um dem zu begegnen, entwickelte Theodor Rasmussen die funktionelle Hemisphärektomie, bei der nur ein Teil (etwa 50%) der Hemisphäre entfernt und der Rest nur diskonnektiert und nicht entfernt wird.15 So war es möglich, die Größe der Resektionshöhle zu verringern. Auf Basis dieser Rasmussen-Technik war man in der Lage, sukzessive die Größe der Resektionshöhle und somit das Ausmaß des Eingriffs selbst zu verringern, das gute Anfalls-Outcome mit Anfallsfreiheitsraten bis zu 90% zu behalten und gleichzeitig die Mortalität auf unter 5% zu senken.18 Am Ende dieser Entwicklung steht die vertikale Hemisphärotomie, welche von Olivier Delalande in Paris entwickelt wurde und seit 1996 in Wien als einem der ersten Zentren weltweit erfolgreich durchgeführt wird.3,4

In den letzten Jahren habe sich nun endoskopische und ablative Techniken entwickelt, die alle das Ziel haben, den Eingriff so minimalinvasiv wie möglich zu gestalten. Dabei ist aber anzumerken, dass nur, weil ein Eingriff mithilfe des Endoskops durchgeführt wird, dieser noch lange nicht schonender und sicherer für die Patientinnen und Patienten ist, sondern kritisch weiterentwickelt werden muss. Bei den ablativen Techniken gibt es zwei Formen: die Laserablation und die Radiofrequenz-Thermokoagulation. Bei beiden Techniken werden nur kleine Sonden im Gehirn platziert und die Diskonnektion der Faserverbindungen wird durch Hitze gesteuert. Auch wenn hierfür kein Hautschnitt und keine Kraniotomie notwendig sind, d. h. der Vorgang minimalinvasiv ist, bleibt abzuwarten, ob man tatsächlich gleich gute Langzeitergebnisse erreichen kann und die bis circa auf das 5-Fache verlängerte Operationsdauer dafür in Kauf genommen werden sollte.1

Auch für die multilobären und lobären epilepsiechirurgischen Eingriffe haben sich Diskonnektionstechniken etabliert bzw. wurden solche vorgeschlagen. Während einige davon dem Konzept, die Größe des Eingriffes zu verkleinern, folgen und sehr elegante, sichere und effektive Operationsmethoden sind, handelt es sich bei anderen um ein Gratwanderung zwischen bloß elegant und zielführend.8

Je früher, desto besser

In den letzten Jahren hat sich in zahlreichen unterschiedlichsten Untersuchungen gezeigt, dass die Dauer der Epilepsieerkrankung vor einer Operation ein wesentlicher Determinator für das Outcome ist. Je kürzer die präoperative Epilepsiedauer, desto höher die Wahrscheinlichkeit, nach einem epilepsiechirurgischen Eingriff anfallsfrei zu werden und zu bleiben. Die Rationale dabei ist: i) eine fokale Epilepsie mit umschriebener Anfallsursprungszone daran zu hindern, ausgedehnte Netzwerke auszubilden und zu verändern; ii) eine durch anhaltende Anfälle bedingte fortschreitende epileptische Enzephalopathie zu unterbrechen, iii) die Anfallsmedikation zu beenden, um deren negativen Einfluss auf die Entwicklung des Gehirns zu verhindern.

© Matthias Tomschik/MUW

Abb. 1: Dieses Bild zeigt ein intraoperatives MRT mit einer Laserfaser (A) von okzipital in Längsrichtung des Hippocampus eingeführt. Mit markiert sieht man die Hitzeentwicklung (Regenbogenfarben) um die Laserspitze und mit markiert in Orange die errechnete Größe der Läsion. Sobald die Läsion die gewünschte Größe erreicht hat, wird der Laser abgeschaltet (üblicherweise 2–5 Minuten)

In der Arbeit von Lamberink HJ et al. wurden dazu 9147 Patientinnen und Patienten untersucht und die Autoren kamen zum Schluss, dass die histopathologische Diagnose, das Alter zum Zeitpunkt der Operation und die Dauer der Epilepsie die Chance, durch eine Operation anfallsfrei zu werden, entscheidend beeinflussen.7

Die Frage, die sich beim Konzept „Je früher, desto besser“ stellt, ist, ob es eine Grenze gibt oder wo diese anzusiedeln ist. Ganz grundsätzlich ist zurzeit für die Indikation zu einem epilepsiechirurgischen Eingriff die Prüfung der medikamentösen Resistenz notwendig. Wenngleich dies bei vielen Epilepsieerkrankungen uneingeschränkte Gültigkeit hat, so zeigen jüngere Arbeiten, dass bei einer klaren Läsion im MRT wie beispielsweise einem „long-term epilepsy-associated tumor“ (LEAT) auf eine Resistenzprüfung verzichtet werden kann, um den Zeitpunkt des epilepsiechirurgischen Eingriffes nicht unnötig zu verzögern. In einer Studie von Pellicia et al. aus Milan waren 95,5% der Patientinnen und Patienten, welche an einer klaren Läsion im MRT ohne medikamentöse Resistenz operiert wurden, anfallsfrei.13 Diese Rate war zudem signifikant höher als in der Gruppe der Patientinnen und Patienten, welche nach Prüfung der Resistenz und nach längerer Epilepsiedauer operiert wurden.

Dem gegenüber steht das zunehmend etablierte Modell, dass jede Epilepsie eine Netzwerkepilepsie ist und nicht nur eine Erkrankung eines bestimmten Areals im Gehirn. In der Arbeit von Sinha et al. beispielsweise wird veranschaulicht, welch ausgedehnten Netzwerke vermeintlich läsionelle Epilepsien haben können und dass daher der pragmatische Zugang einer bloßen Entfernung der Läsion mitunter nur die Spitze des Eisbergs adressiert.16

In Bezug auf die Altersgrenze müssen zwei weitere Aspekte angesprochen werden: die Vulnerabilität des Gehirns gegenüber jeder chirurgischen Manipulation und jene des Herz-Kreislauf-Systems gegenüber operationsbedingten Wasser- und Elektrolytverschiebungen bei sehr kleinen Kindern. Hier ist die Altersgrenze in den letzten Jahren immer weiter zurückgegangen und es werden Kinder mit einer katastrophalen lebensbedrohlichen Epilepsie schon im Alter von wenigen Wochen operiert.4 Dabei spielt die Erfahrung des gesamten perioperativen, interdisziplinären und multiprofessionellen Teams eine entscheidende Rolle, dieser Eingriff sollte keinesfalls unbedacht und nur unter geeigneten Voraussetzungenerfolgen.

Technische Innovationen und ihre Einflüsse auf die Landschaft der Epilepsiechirurgie

Technische Innovation und Fortschritt sind wesentliche Treiber in der Verbesserung der epilepsiechirurgischen Methoden. Während sie wichtige Beiträge in der Entwicklung einer sicheren und effektiven Epilepsiechirurgie geleistet haben, sollte jede neue Technologie kritisch betrachtet werden, bevor sie eingesetzt wird. Auch Markteinflüsse spielen dabei neben rein medizinischen Aspekten eine Rolle.

Invasive Abklärung

© Karl Rössler/MUW

Abb. 2: Intraoperativer Situs nach Implantation der Laserfaser über den Fixierungsanker

Die größte Veränderung in der Epilepsiechirurgie der letzten 10 Jahre war der Wechsel von subduralen Platten- und Streifenelektroden zur Implantation von Tiefenelektroden. Bis vor circa 10 Jahren gab es weltweit 2 „Schulen“ . In Frankreich, Italien und Montreal (Kanada) wurden seit Beginn der invasiven Abklärung in den späten 1950er-Jahren Tiefenelektroden verwendet, wohingegen fast alle anderen Zentren subduralen Platten- und Streifenelektroden den Vorzug gaben.11 Die Gründe dafür sind mannigfaltig. Gleichsam über Nacht hat sich dieses Bild gedreht und die meisten Zentren weltweit sind von subduralen Elektroden auf Tiefenelektroden umgestiegen. Während die geringere Komplikationsrate und die gute Verträglichkeit einer Tiefenelektrodenimplantation sehr viel zu diesem Wechsel beigetragen haben, haben Innovationen in der Software und Hardware der Implantationstechnik sowie die Entwicklung von Robotern das Ihre dazu beigetragen.5 Dabei spielten Markteinflüsse, zumindest meiner Meinung nach, unter gewissen Rahmenbedingungen eine größere Rolle, als es vielleicht sein sollte.

LITT – „laser interstitialthermal therapy“

Die Laserablation (LITT) ist eine minimalinvasive Technik, bei der eine Lasersonde im epileptogenen Gehirnareal implantiert wird, welches durch Hitze destruiert wird. Offene Operationen können so vermieden und die Patientinnen und Patienten nach einem sehr kurzen Spitalsaufenthalt von wenigen Tagen wieder nach Hause entlassen werden. Die Laserablation wurde 2007 in den USA zugelassen und hat dort seither die Landschaft der Epilepsiechirurgie komplett umgestellt. Zwei Epilepsieformen und deren Behandlung sind dabei besonders hervorzuheben: die mesiale Temporallappenepilepsie und das Hypothalamushamartom.

Die Laserablation der mesialen Temporallappenepilepsie führt bei etwa 60% der Patientinnen und Patienten zur Anfallsfreiheit. Während diese Rate etwas schlechter ist als die berichteten 70–80% nach offenen operativen Methoden und Langzeitergebnisse noch fehlen, so sind die geringe Morbidität und gute Verträglichkeit des Eingriffes entscheidend für den Erfolg.20 Auch beim Hypothalamushamartom sind die sehr geringen Morbiditätsraten bei gleichzeitig gutem Anfalls-Outcome beachtlich.2 Dies führte dazu, dass in den USA die Indikationsstellung zur LITT-Therapie stetig erweitert wird.2,9,12,14,17

Trotzdem hat sich diese Technik in Europa seit ihrer CE-Zulassung im Jahr 2019 noch nicht so durchgesetzt, wie man es erwarten würde. Ein Grund dafür sind wohl die sehr hohen Behandlungskosten der LITT-Technik, wobei eine Laserfaser üblicherweise bei 10.000–12.000 Euro anzusiedeln ist. Andere Gründe sind aber sicher die gut etablierten operativen Behandlungsformen und die unklaren Langzeitergebnisse.

Dieser Beitrag basiert auf einem Vortrag des Autors bei der Jahrestagung der ÖGfE und der OeGKN 2024.

1 Chandra PS et al.: Robotic thermocoagulative hemispherotomy: concept, feasibility, outcomes, and safety of a new “bloodless” technique. J Neurosurg Pediatr 2021; 27(6): 688-99 2 Curry DJ et al.: MR-guided laser ablation for the treatment of hypothalamic hamartomas. Epilepsy Res 2018; 142: 131-4 3 Delalande O et al.: Vertical parasagittal hemispherotomy. Surgical procedures and clinical long term outcomes in a population of 83 children. Neurosurgery 2007; 60: 19-32 4 Dorfer C et al.: Vertical perithalamic hemispherotomy: a single-center experience in 40 pediatric patients with epilepsy. Epilepsia 2013; 54(11): 1905-12 5 Katz JS, Abel T: Stereoelectroencephalography Versus Subdural Electrodes for Localization of the Epileptogenic Zone: What Is the Evidence? Neurotherapeutics 2019; 16(1): 59-66 6 Kwan P et al.: Definition of drug resistant epilepsy: Consensus proposal by the Ad Hoc Task Force of the ILAE Commission on Therapeutic Strategies. Epilepsia 2010; 51(6): 1069–77 7 Lamberink HJ et al.: Seizure outcome and use of antiepileptic drugs after epilepsy surgery according to histopathological diagnosis: a retrospective multicentre cohort study. Lancet Neurol 2020; 19(9): 748-57 8 Massager N et al.: Long-term outcome of surgical disconnection of the epileptic zone as an alternative to resection for nonlesional mesial temporal epilepsy. J Neurol Neurosurg Psychiatry 2013; 84(12): 1378-83 9 McCracken DJ et al.: Magnetic resonance thermometry-guided ste-reotactic laser ablation of cavernous malformations in drug-re-sistant epilepsy: imaging and clinical results. Oper Neurosurg (Hagerstown) 2016; 12(1): 39-48 10 Oppenheimer DR, Griffith HB: Persistent intracranial bleeding as a complication of hemispherectomy. J Neurol Neurosurg Psychiatry 1966; 29(3): 229-40 11 Ostendorf A et al.: United States epilepsy center charactersitics: a data analysis from the national association of epilepsy centers. Neurology 2022; 98(5): e449-e458 12 Palma AE et al.: Corpus callosotomy via laser interstitial thermal therapy: a case series. J Neurosurg Pediatr 2018; 23(3): 303-7 13 Pelliccia V et al.: Early epilepsy surgery for non drug-resistant patients. Epilepsy & Behavior Reports 2022; 19: 100542 14 Perry MS et al.: Magnetic resonance imaging-guided laser interstitial thermal therapy as treatment for intractable insular epilepsy in children. J Neurosurg Pediatr 2017; 20(6): 575-82 15 Rasmussen T: Postoperative superficial hemosiderosis of the brain, its diagnosis, treatment and prevention. Trans Am Neurol Assoc 1973; 98: 133-7 16 Sinha N et al.: Structural Brain network abnormalities and the probability of seizure recurrence after epilepsy surgery. Neurology 2021; 96(5): e758-e771 17 Tovar-Spinoza Z et al.: Single and staged laser interstitial thermal therapy ablation for cortical tubers causing refractory epilepsy in pediatric patients. Neurosurg Focus 2018; 45(3): E9 18 Villemure JG, Mascott CR: Peri-insular hemispherotomy: surgical principles and anatomy. Neurosurgery 1995; 37(5): 975-81 19 Wiebe S et al.: A randomized controlled trial for temporal lobe epilepsy. N Eng J Med 2001; 345(5): 311-8 20 Wu C et al.: Effects of surgical targeting in laser interstitial thermal therapy for mesial temporal lobe epilepsy: A multicenter study of 234 patients. Epilepsia 2019; 60(6): 1171-83

Back to top