
Schmerzen und begleitende Schlafstörungen gleichwertig behandeln
Klinikleiterin<br>Klinik für Psychosomatik und<br>Konsiliarpsychiatrie<br>Kantonsspital St.Gallen<br>Rorschacher Strasse 95<br>St. Gallen
Oberarzt mbF, Palliativzentrum<br>Oberarzt mbF/Ärztlicher Leiter IMST<br>Kantonsspital St.Gallen<br>Rorschacher Strasse 95<br>St. Gallen
Konsiliararzt<br>Klinik für Psychosomatik und<br>Konsiliarpsychiatrie<br>Kantonsspital St.Gallen<br>Rorschacher Strasse 95<br>St. Gallen
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Beim chronischen Schmerz wie auch bei anhaltenden Schlafstörungen handelt es sich in aller Regel um komplexe Gesundheitsstörungen, die in unterschiedlichen Verhältnissen sowohl von somatischen als auch psychosozialen Faktoren beeinflusst werden. Treten sie gemeinsam auf, ist von einer engen Wechselwirkung zwischen Schmerz und gestörtem Schlaf auszugehen, in der es zu einer gegenseitigen Verstärkung und vielschichtigen Modulation des Krankheitsgeschehens insgesamt kommt. Das gilt umso mehr, wenn komorbide psychische Störungen bestehen bzw. sich entwickeln. Häufig sind das die Folgen traumatischer Erfahrungen oder depressive Störungen. Die Feststellung eines Zusammenhanges gründet nicht allein auf epidemiologische und klinische Daten, ein enger Zusammenhang lässt sich auch neurobiologisch erkennen.1
Schlafstörungen haben Einfluss auf unser Schmerzempfinden
So wie uns Schmerzen schlecht schlafen lassen, ist auch belegt, dass ein Schlafdefizit die Schmerzwahrnehmung erheblich beeinflussen kann, im Sinne einer verstärkten Schmerzempfindung.2, 3 So konnte gezeigt werden, dass auch eine gezielte Störung von Schlaf zu einer verminderten Aktivität des Nucleus accumbens führt, der wiederum eine wichtige Rolle in der Modulation von Schmerz und Schlaf spielt und auch das Reward-System beeinflusst. D.h., aversive Stimuli werden verändert wahrgenommen und interpretiert, was bei chronischen Schmerzen ein relevanter therapeutischer Ansatz sein kann. Des Weiteren ist die zirkadiane Rhythmik zu nennen, die bei vielen Schmerzarten wie auch bei Schlafstörungen zu berücksichtigen ist und beeinflusst werden kann. Untersuchungen legen eine physiologische, anatomische wie auch genetische Konvergenz nahe. Dabei hat der Hypothalamus eine entscheidende Rolle in der Homöostase von Schmerz- sowie Schlafregulation auf diverse Stimuli.4 Klinisch folgt aus der offenbar bidirektionalen Beziehung von Schmerz und Schlafstörung, dass beiden Gesundheitsstörungen und ihren Interaktionen auf Symptomebene in Diagnose und Therapie gezielt nachzugehen ist, auch ausserhalb primär psychosomatischer oder psychiatrischer Kontexte.
5 Das Vorliegen einer somatischen oder psychischen Grunderkrankung schliesst diese Notwendigkeit nicht aus. In somatischer Hinsicht findet sich ein gemeinsames Auftreten von Schmerz und Schlafstörung in nahezu allen Bereichen, insbesondere bei Schädigungen des Nervensystems, entzündlichen Erkrankungen, onkologischen Erkrankungen und nach chirurgischen Interventionen.6–8 Ergeben sich anamnestisch entsprechende Hinweise, empfiehlt es sich, Schmerz und Schlafstörung gezielt und differenziert zu explorieren und die sich jeweils ergebenden Behandlungserfordernisse einzeln zu beurteilen. Darauf aufbauend wird in einem zweiten Schritt ein Bedingungsgefüge der relevanten somatischen und psychosozialen Einflussfaktoren beschrieben, aus dem heraus sich Schmerz und Schlafstörung manifestieren. So lassen sich Hypothesen generieren, wie die beiden – und ggfs. weitere – Gesundheitsstörungen in der Manifestation von Symptomen und Funktionsbeeinträchtigungen zusammenwirken könnten und welche diagnostischen und therapeutischen Erfordernisse sich aus der Zusammenschau ergeben. Das heisst aber auch, dass die Behandlung von Schmerz und Schlafstörungen als interdisziplinäre, an den Erfordernissen des einzelnen Falles ausgerichtete Teamarbeit zu konzipieren ist.
Traumatische Erfahrungen finden sich oft bei Patienten mit Schmerz- und Schlafstörungen
Im Rahmen von Traumafolgestörungen können komorbide Schmerz- und Schlafstörungen Ausdruck verkörperter Angst sein und zugleich sekundär weitere psychopathologische Probleme induzieren.9–11 Auch zwischen PTBS, Schmerz und Schlafstörungen liegen ungünstige Wechselwirkungen nahe.12–14 Ungelöste, subjektiv überwältigende existenzielle Fragestellungen finden sich aber auch ausserhalb unmittelbar traumatischer Lebenserfahrungen, etwa wenn es um die Bewältigung einer körperlichen Erkrankung oder – aktueller oder auch früherer – persönlicher Mangel- oder Verlusterfahrungen geht. Häufig handelt es sich dann um nicht ohne Weiteres kommunizierbare Inhalte. Zur Klärung ist deshalb ein diagnostisches Vorgehen erforderlich, das ein aktiv zugehendes Interesse mit emotionaler Zugewandtheit verbindet und zugleich Halt gibt. Ist der Untersucher dabei zu zurückhaltend, bleibt Wesentliches leicht im Dunkeln. Geht er zu forsch vor, besteht die Gefahr einer psychischen Destabilisierung. Unter Umständen muss man sich bei der Erstuntersuchung mit der Feststellung entsprechender Hinweise begnügen und in einem ersten Schritt den therapeutischen, gegebenenfalls stationären Rahmen schaffen, der eine sichere Thematisierung und therapeutische Bearbeitung des in Schmerz und Schlafstörung verborgenen Leids erlaubt.
Interdisziplinäre, multimodale Schmerztherapieprogramme (IMST) als Behandlungsansatz
Für die Behandlung von Patienten mit chronischer Schmerzerkrankung wurden interdisziplinäre, multimodale Schmerztherapieprogramme entwickelt, die sich am bio-psycho-sozialen Schmerzmodell orientieren. Das Behandlungsziel solcher Schmerztherapieprogramme ist die Verbesserung der objektiven und subjektiven Funktionsfähigkeit («functional restoration») mit Steigerung der Kontrollfähigkeit und des Kompetenzgefühls der am Schmerz erkrankten Patienten. Der Begriff «interdisziplinäre, multimodale Schmerztherapie» meint dabei die gleichzeitige, inhaltlich, zeitlich und in der Vorgehensweise und Zielsetzung abgestimmte Behandlung von chronisch Schmerzkranken, in der verschiedene somatische, körperlich übende, psychologisch übende und psychotherapeutische Verfahren nach strukturiertem Behandlungsplan enthalten sind.15 Eine solche Behandlung gilt bei Patienten mit erhöhtem Chronifizierungsrisiko oder fortgeschrittener Chronifizierung als wirksam, wenn auch bezüglich der Inhalte und der Durchführung dieser Schmerzbehandlung noch kein internationaler Konsens besteht und somit die Vergleichbarkeit und Bewertung der Studienergebnisse erschwert sind.16–18 Zur Evaluation multimodaler Schmerztherapieprogramme und ihrer Wirksamkeit wurden Empfehlungen für relevante Outcome-Parameter bzw. -Domänen konsentiert,19 spezifische schlafbezogene Parameter sind dabei nicht enthalten. Aus Sicht der Patienten mit chronischen Schmerzen stellt die Verbesserung des Schlafes jedoch ein wichtiges Behandlungsziel dar.20 Schlafstörungen können (untersucht bei Patienten, die eine multimodale Schmerztherapie beginnen) erhebliche Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit haben, wie z.B. vermehrte Tagesmüdigkeit, ausgeprägte Konzentrationsstörungen und mnestische Störungen, schnelle Reizbarkeit und vermehrte partnerschaftliche Konflikte sowie sozialer Rückzug.21
Schlafstörungen integriert mitbehandeln
Insgesamt werden Schlafstörungen in den publizierten Studien zur Wirksamkeit («functional restoration») nur wenig thematisiert bzw. gezielt untersucht. In klinischen Studien, die gezielt Schlafstörungen und deren Veränderung innerhalb eines interdisziplinären, multimodalen Therapieprogrammes bei Patienten mit chronischen Schmerzen untersucht haben, liegt die Prävalenz klinisch relevanter Insomnien bei etwa 60%.22, 23 Die Therapieergebnisse in Hinsicht auf die Veränderung des gestörten Schlafes sind nicht eindeutig, wenn sich auch insgesamt eine Tendenz zur Verminderung der Schlafstörung nach Therapieende abzeichnet. Hierbei mögen die verschiedenen schmerzbezogenen Therapieinhalte (und deren Intensität) der einzelnen Studien von Bedeutung sein.Harmann et al. untersuchten den Schlaf von Patienten mit chronischen Schmerzen hinsichtlich spezifischer schlafbezogener Interventionen (Schlafhygiene, individuelle Beratungen zur Schlafpositionierung). Die Verbesserungen bezogen sich dabei ausschliesslich auf die dysfunktionalen Einstellungen zum Schlaf, nicht auf die subjektive Schlafqualität.21 Asih et al. hingegen fanden unter Mitbehandlung der Schlafstörungen zusätzlich durch Psychoedukation, kognitives Verhaltenstraining und Entspannungverfahren in ihrem Schmerzprogramm signifikante Verbesserungen.22 V.a. die Studien, die kognitive Verhaltenstherapieelemente integrierten, wie auch die von Blake et al. beschriebene,24 erzielten in multimodalen Programmen bessere subjektive wie objektive Ergebnisse (Aktigrafie) bei Schlafstörungen. Aufgrund der Auswirkungen des gestörten Schlafes auf die Schmerzwahrnehmung und die Funktionalität bei Patienten mit chronischen Schmerzen sollten spezifische schlafmedizinische Elemente (sowohl diagnostischer als auch therapeutischer Art) in die interdisziplinären multimodalen Schmerzprogramme inkludiert werden, um deren Wirksamkeit aller Voraussicht nach dadurch zu steigern. Methodisch kann hierbei auf die fundierten, evidenzbasierten Erfahrungen in kognitiv-behavioralen Therapieprogrammen für Patienten mit Insomnie (CBT-I) zurückgegriffen werden, die verschiedene Therapieelemente wie Psychoedukation, Schlafrestriktion, Stimuluskontrolle, kognitiv-verhaltenstherapeutische Elemente und Entspannungsverfahren enthalten und auch bei Patienten mit chronischen Schmerzen angewendet werden können.25
Erste Ergebnisse solcher hybrider Behandlungsformen sind vielversprechend und aus schlafmedizinischer und schmerzmedizinischer Sicht unbedingt indiziert.26 Mit Blick auf den hohen klinischen und sozioökonomischen Stellenwert, gilt es in einem nächsten Schritt traumaspezifische Verfahren in Diagnostik und Behandlung zu integrieren.
Literatur:
1 Boakye PA et al.: A critical review of neurobiological factors involved in the interactions between chronic pain, depression, and sleep disruption. Clin J Pain 2016; 32(4): 327-36 2 Finan PH et al.: The association of sleep and pain: an update and a path forward. J Pain 2013; 14(12): 1539-52 3 Horlemann J, Zieglgänsberger W: Pain processing, pain memory and quality of sleep. Dtsch Med Wochenschr 2009; 134 Suppl 4: 127-31 4 Holland PR et al.: PACAP in hypothalamic regulation of sleep and circadian rhythm: importance for headache. J Headache Pain 2018; 19(1): 20 5 Cheatle MD et al.: Assessing and managing sleep disturbance in patients with chronic pain. Anesthesiol Clin 2016; 34(2): 379-93 6 Davis J et al.: Incidence and impact of pain conditions and comorbid illnesses. J Pain Res 2011; 331 7 Ferini-Strambi L et al.: Sleep disorder-related headaches. Neurol Sci 2019 8 Lang KP et al.: Exploring the role of insomnia in the relation between PTSD and pain in veterans with polytrauma injuries. J Head Trauma Rehabil 2014; 29(1): 44-53 9 van der Kolk AB: The Body keeps the score: Memory & the evolving psychobiology of post traumatic stress. Harv Rev Psychiatry 1994; 1(5): 253-65 10 LaMotte AD et al.: Sleep problems and physical pain as moderators of the relationship between PTSD symptoms and aggression in returning veterans. Psychol Trauma 2017; 9(1): 113-6 11 Brock MS et al.: Trauma associated sleep disorder: clinical developments 5 years after discovery. Curr Psychiatry Rep 2019; 21(9): 80 12 Liedl A, Knaevelsrud C: PTSD and chronic pain: development, maintenance and comorbidity - a review. Schmerz 2008; 22(6): 644-51 13 Sharp TJ, Harvey AG: Chronic pain and posttraumatic stress disorder: mutual maintenance? Clin Psychol Rev 2001; 21(6): 857-77 14 Sherbourne CD et al.: Early identification of co-occurring pain, depression and anxiety. J Gen Intern Med 2009; 24(5): 620-5 15 Arnold B et al.: Multimodale Schmerztherapie. Konzepte und Indikation. Schmerz 2009; 23: 112-20 16 Kamper SJ et al.: Multidisciplinary biopsychosocial rehabilitation for chronic low back pain. Cochrane Database Syst Rev 2014; 9 17 Kamper SJ et al.: Multidisciplinary biopsychosocial rehabilitation for chronic low back pain: Cochrane systematic review and meta-analysis. BMJ 2015; 350: h444 18 Kaiser U et al.: Multimodal pain therapy in chronic noncancer pain—gold standard or need for further clarification? Pain 2017; 158: 1853-9 19 Kaiser U et al.: Developing a core outcome domain set to assessing effectiveness of interdisciplinary multimodal pain therapy: the VAPAIN consensus statement on core outcome domains. Pain 2018; 159(4): 673-8 20 Casarett D et al.: Designing pain research from the patient‘s perspective: what trial end points are important to patients with chronic pain? Pain Med 2001; 2: 309-16 21 Harman K et al.: Insomnia in clients with chronic, work-related muskuloskeletal pain in a work recovery rehabilitation program. Work 2014; 48: 185-19 22 Asih S et al.: Does patient-reported insomnia improve in response to interdisciplinary functional restoration for chronic disabling occupational musculoskeletal disorders? Spine 2014; 39: 1384-92 23 Wilson KG et al.: Clinically important change in insomnia severity after chronic pain rehabilitation. Clin J Pain 2016; 32: 784-91 24 Blake C et al.: The Impact of a cognitive behavioral pain management program on sleep in patients with chronic pain: Results of a pilot study. Pain Med 2016; 17: 360-9 25 Finan PH et al.: Cognitive-behavioral therapy for comorbid insomnia and chronic pain. Sleep Med Clin 2014; 9: 261-74 26 Tang NK et al.: Hybrid cognitive-behaviour therapy for individuals with insomnia and chronic pain: a pilot randomised controlled trial. Behav Res Ther 2012; 50: 814-21
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