Komplementärmedizin bei Kopfschmerzen

Studie zeigt Effekte bei Migräne und Spannungskopfschmerzen

<p class="article-intro">Immer wieder fragen Patienten mit Kopfschmerzen nach komplementärmedizinischen Massnahmen. Kürzlich fassten Wissenschaftler von der Mayo Clinic in den USA die Evidenz zusammen.1 Wir fragten einen Neurologen und einen Psychiater, was sie von Komplementärmedizin bei Kopfschmerzen halten.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>91,3 % der Europ&auml;er haben irgendwann in ihrem Leben Kopfschmerzen, und pro Jahr leiden 78,6 % unter irgendeiner Form von Kopfschmerzen.<sup>2</sup> Haben Menschen in der Schweiz auch so h&auml;ufig Kopfschmerzen?<br /> <em>P. Sandor:</em> Wir haben f&uuml;r die Schweiz keine eigene Statistik, nehmen aber an, dass unsere Zahlen &auml;hnlich sind. <br /> <em> Wie h&auml;ufig fragen die Patienten Sie nach komplement&auml;rmedizinischen Massnahmen?</em><br /> <em>P. Sandor:</em> Die allermeisten m&ouml;chten das, und in den letzten Jahren haben sich immer mehr daf&uuml;r interessiert. Dass komplement&auml;rmedizinische Methoden &ndash; wir k&uuml;rzen das mit CAM ab &ndash; immer beliebter werden, best&auml;tigen auch Studien. In einer Umfrage in europ&auml;ischen Kopfschmerz-Kliniken nutzten 81,7 % der Patienten CAM,<sup>3</sup> und in einer &Uuml;bersichtsarbeit waren es in den einzelnen Studien zwischen 28 % und 82 % .<sup>4</sup> <br /> <em> Warum wollen immer mehr Menschen komplement&auml;rmedizinische Methoden?</em><br /> <em>P. Sandor:</em> Seit einiger Zeit werden diese Massnahmen zunehmend mit wissenschaftlichen Methoden untersucht, wie wir sie auch in der klassischen Schulmedizin anwenden. Gleichzeitig erkennen immer mehr Universit&auml;ten komplement&auml;rmedizinische Methoden an. Wir haben in der Schweiz sogar am Unispital Z&uuml;rich einen eigenen Lehrstuhl daf&uuml;r, das Institut f&uuml;r komplement&auml;re und integrative Medizin. Das zeigt also, dass die Komplement&auml;rmedizin Einzug in die Wissenschaft gefunden hat. Immer mehr &Auml;rzte sehen Komplement&auml;rmedizin nicht mehr als Alternative &ndash; was ja der &uuml;berholte Begriff &laquo;Alternativmedizin&raquo; suggeriert &ndash;, sondern als sinnvolle Erg&auml;nzung zu &laquo;klassischen&raquo; schulmedizinischen Behandlungen. Bei Kopfschmerzen ist das zum Beispiel Akupunktur als Erg&auml;nzung zu Medikamenten. Das finde ich sehr sinnvoll. Auch Patienten sehen jetzt die Komplement&auml;rmedizin mehr als Erg&auml;nzung denn als Alternative. <br /> <em>Basiert die Wirkung von Akupunktur bei Kopfschmerzen auf einem Placebo-Effekt oder wirkt sie tats&auml;chlich?</em><br /> <em>P. Sandor:</em> Bei jeder Therapieform &ndash; also auch bei Kopfschmerz-Medikamenten &ndash; haben wir einen Placebo-Wirkungs-Anteil zus&auml;tzlich zur Verum-Wirkung. Akupunktur hat nach Studien ebenfalls eine signifikante Verum-Wirkung, die &uuml;ber den Placebo-Effekt hinausgeht.<br /> <em>Welchen Patienten w&uuml;rden Sie Akupunktur empfehlen?</em><br /> <em>P. Sandor:</em> Zus&auml;tzlich zur Pharmakotherapie. Entscheidend ist f&uuml;r mich der Wunsch des Patienten. Will er Akupunktur probieren, best&auml;rke ich ihn darin. Ich denke, am meisten eignet sich Akupunktur bei Migr&auml;ne und Spannungstypkopfschmerzen &ndash; das erlebe ich in der Zusammenarbeit mit Kollegen, die Traditionelle Chinesische Medizin anwenden.<br /> <em>In der Studie hing das Ansprechen auf Akupunktur mit der St&auml;rke und Chronizit&auml;t der Kopfschmerzen zusammen. Den gr&ouml;ssten Benefit hatten Patienten mit h&auml;ufigeren Attacken und pulsierenden Kopfschmerzen. Warum ist das so?</em><br /> <em>P. Sandor:</em> Das k&ouml;nnte daran liegen, dass Akupunktur an verschiedenen Schmerz&uuml;bertragungspunkten wirkt. Bei schweren Kopfschmerzen wissen wir, dass mehrere Signalwege involviert sind. <br /> <em> Welche Rolle spielt die Erwartungshaltung bei der Linderung von Schmerzen?</em><br /> <em>G. Hasler:</em> Die Erwartung an eine Behandlung hat einen sehr grossen Einfluss. Sie verst&auml;rkt oder schw&auml;cht den Placebo-Effekt. Dieser Effekt ist wichtig, weil der volle Effekt immer aus der realen Wirkung, dem Verum-Effekt, und dem Placebo-Effekt besteht. <br /> <em> Wie erkl&auml;rt man seinen Patienten, dass die Erwartungshaltung eine so grosse Rolle spielt?</em><br /> <em>P. Sandor:</em> Vielleicht am Beispiel der medizinischen Hypnose. Hypnose wirkt durch Suggestion, also indem die Erwartungshaltung beeinflusst wird. Dadurch sinkt quasi die Wahrscheinlichkeit, dass der Betroffene Schmerzen wahrnimmt. Mittlerweile gibt es Forscher, die versuchen, diese Wahrscheinlichkeit mit modernen bildgebenden Verfahren und mathematischen Modellen zu berechnen.<br /> <em>G. Hasler:</em> Man k&ouml;nnte es auch so erkl&auml;ren: Wenn ich fest an eine Sache glaube, wirkt sie besser. Bereits kleine Verbesserungen f&uuml;hrt der Patient dann auf die Therapie zur&uuml;ck. Der Placebo-Effekt kann stetig zunehmen, das ist eine Konditionierung. Eine positive Erwartung macht vermutlich aber auch den K&ouml;rper empf&auml;nglicher f&uuml;r die Therapie. Bei Krankheiten, bei denen ein Dopamin-Mangel eine Rolle spielt &ndash; etwa Schmerzen oder Depressionen &ndash;, ist der Placebo-Effekt besonders gross. Das spricht daf&uuml;r, dass der Placebo-Effekt die Dopamin- Aussch&uuml;ttung f&ouml;rdert. Auch die Compliance wird besser und Nebenwirkungen werden eher toleriert.<br /> <em> Auch manuelle Therapie wirkte in den Studien gegen Kopfschmerzen. Funktioniert das wirklich und wenn ja, wie?</em><br /> <em>P. Sandor:</em> Durch die manuelle Therapie scheint es m&ouml;glich zu sein, Verspannungen in Muskeln zu l&ouml;sen, was zur Schmerzlinderung beitr&auml;gt. Eine manuelle Therapie sollte man Patienten empfehlen, die dann wahrscheinlich auch davon profitieren werden, also zum Beispiel denjenigen mit verspannter Nackenmusku&shy;latur.<br /> <em> Kann bei manueller Therapie nicht einiges passieren, wenn man am Kopf &laquo;herumdreht&raquo;?</em><br /> <em>P. Sandor:</em> In der Schweiz wird in der manualmedizinischen Ausbildung besonderer Wert darauf gelegt, dass die Therapeuten so vorsichtig wie m&ouml;glich vorgehen. Meine Patienten, die manualmedizinisch behandelt wurden, hatten bisher keine Probleme. <br /> <em> Kann Yoga helfen?</em><br /> <em>P. Sandor:</em> Yoga ist als Methode sehr heterogen, was in den bisherigen Publikationen nicht in gen&uuml;gendem Masse ber&uuml;cksichtigt worden ist. So gibt es 20 oder mehr Yoga-Arten, von ruhigem Meditations-Yoga bis zu aktivem Power-Yoga. So m&uuml;sste man in Studien genau definieren, welche Methode untersucht werden soll. Viele Patientinnen und Patienten berichten positive Effekte. Eine Beurteilung aus wissenschaftlicher Sicht erscheint jedoch verfr&uuml;ht. <br /> <em> Wie sieht es mit Nahrungserg&auml;nzungsmitteln, einer bestimmten Ern&auml;hrung oder pflanzlichen Pr&auml;paraten aus?</em><br /> <em>P. Sandor:</em> Einige Nahrungserg&auml;nzungsmittel zeigten positive Wirkungen in der Migr&auml;neprophylaxe, insbesondere Riboflavin, Coenzym Q10 und Magnesium. Es gibt Hinweise darauf, dass eine ketogene Di&auml;t prophylaktisch wirkt &ndash; aktuell l&auml;uft hierzu eine Studie an der Universit&auml;t Basel unter der Leitung von Prof. Dirk Fischer, bei der man Patienten noch anmelden kann*. Bei pflanzlichen Mitteln wie Pestwurz gibt es inzwischen ganz gute Evidenz. Sie k&ouml;nnen helfen bei Migr&auml;ne, k&ouml;nnen aber ziemliche Nebenwirkungen verursachen, zum Beispiel Interaktionen mit Medikamenten oder eine Lebersch&auml;digung. Ein m&ouml;glicher Einsatz muss vor diesem Hintergrund gut evaluiert werden.<br /> <em>G. Hasler:</em> Bei den pflanzlichen Heilmitteln sehe ich Potenzial beim Lavendel. Wir haben immer mehr Daten aus klinischen Studien, die belegen, dass Lavendel Angst- und depressive Symptome reduzieren kann. Diese Symptome treten bei Kopfschmerzen oft komorbid auf und verschlimmern die k&ouml;rperlichen Beschwerden. Lindert man Angst und depressive Verstimmung, k&ouml;nnen dadurch auch die Kopfschmerzen besser werden.<br /> <em> In der Studie halfen einigen Patienten Mind-Body Medicine, Biofeedback, Meditation oder &laquo;emotional freedom technique&raquo;. Welcher Kopfschmerz-Patient k&ouml;nnte davon profitieren?</em><br /> <em>G. Hasler:</em> Das h&auml;ngt vom Patienten, seiner pers&ouml;nlichen Geschichte und seiner aktuellen Lebenssituation ab. Wichtig scheint mir, dass man mit den komplement&auml;rmedizinischen Massnahmen Ressourcen st&auml;rkt, die bereits vorhanden sind. Dass das achtsamkeitsbasierte Methoden k&ouml;nnen, ist ganz gut belegt. Ausserdem lernt der Patient, seine Aufmerksamkeit vom Schmerz weg auf etwas anderes zu fokussieren. Zum Beispiel, gemeinsam mit Freunden zu kochen oder eine Wanderung zu machen. Und er lernt, seine K&ouml;rperempfindungen nicht &uuml;berzuinterpretieren und st&auml;ndig darauf zu warten, ob es wieder weh im Kopf tut. Alle diese Techniken helfen, Schmerzen zu lindern und sie besser zu ertragen. Zusammengefasst kann man sagen: Wenn man resilient ist, ertr&auml;gt man Schmerzen besser, weil man sie nicht so sehr an sich herankommen l&auml;sst. Der Wir-Faktor spielt bei der Resilienz eine zentrale Rolle. <br /> <em> Warum spielt der Wir-Faktor eine so grosse Rolle und was ist das &uuml;berhaupt?</em><br /> <em>G. Hasler:</em> Bei der Resilienz gegen&uuml;ber Stress und Belastungen wie auch chronischen Schmerzen spielen soziale Faktoren eine wichtige Rolle. Unter anderem die soziale Unterst&uuml;tzung, die Verwurzelung in einer Familie oder Gemeinschaft und der direkte soziale Austausch. In meinem Buch &uuml;ber den &laquo;Wir-Faktor&raquo; zeige ich im Detail, wie diese Faktoren wirken und wie man sie f&ouml;rdern kann. Wichtig bei den komplement&auml;rmedizinischen Massnahmen scheint mir die therapeutische Beziehung. Gute Therapeuten nehmen sich viel Zeit f&uuml;r ihre Patienten und betrachten die Beschwerden ganzheitlich. Auch bei k&ouml;rperorientierten Therapien ist das Zwischenmenschliche von grosser Bedeutung. Damit liefern die komplement&auml;rmedizinischen Methoden den Wir-Faktor, der bei der Resilienz so wichtig ist. <br /> <em> Welche Rolle spielt die Psyche b</em>ei der Chronifizierung von Kopfschmerzen? <br /> <em>G. Hasler:</em> Die Psyche kann eine Rolle spielen, muss es aber nicht. Man sollte sich in Acht nehmen, Schmerzen voreilig zu &laquo;psychologisieren&raquo;. Chronische Gallensteine machen auch chronische Schmerzen. Bei der psychogenen Schmerz-Chronifizierung spielen oft hypochondrische &Auml;ngste, fehlerhaftes Furchtlernen, k&ouml;rperliche und mentale Inaktivit&auml;t, sozialer R&uuml;ckzug, &Uuml;ber- und Unterforderung am Arbeitsplatz, famili&auml;re Konflikte und muskul&auml;re Verspannung eine Rolle. Aber auch das totale Ignorieren und Unterdr&uuml;cken von Schmerzen kann zur Chronifizierung beitragen.<br /> <em> Warum helfen einige komplemen&shy;t&auml;rmedizinische Massnahmen bei Migr&auml;ne oder Spannungskopfschmerzen und nicht bei Clusterkopfschmerzen?</em><br /> <em>P. Sandor:</em> Ich erkl&auml;re es mir damit, dass Clusterkopfschmerzen eine andere Art von Krankheit sind. Immer wieder werden sie als das &laquo;Monster&raquo; unter den Kopfschmerzen bezeichnet &ndash; und das zu Recht. Die Schmerzen sind so heftig, dass man sie vielleicht mit den eher &laquo;milden&raquo; komplement&auml;rmedizinischen Massnahmen nicht richtig angehen kann. Bei Cluster scheinen nur sehr intensive Behandlungen &uuml;berhaupt zu wirken, etwa eine starke Pharmakotherapie.<br /> <em>G. Hasler:</em> Clusterschmerzen sind sehr stark und treten sehr pl&ouml;tzlich auf. Da bleibt der Psyche wenig Zeit, Resilienz dagegen aufzubauen. Ich kann mir aber vorstellen, dass die komplement&auml;rmedizinischen Massnahmen pr&auml;ventiv bei Clusterkopfschmerzen wirken k&ouml;nnten. Doch dazu fehlen die Daten.<br /> <em> Wie sieht f&uuml;r Sie die Zukunft der Kopfschmerz-Behandlung aus?</em><br /> <em>P. Sandor:</em> Sie wird sehr individuell sein, idealerweise massgeschneidert. Dies bedeutet in erster Linie, dass der Neurologe individuell auf den einzelnen Patienten eingeht und neben medizinischen Aspekten auch solche der Lebensgestaltung oder der Lebensumst&auml;nde ber&uuml;cksichtigt, und auch das, was der Patient m&ouml;chte. Biomarker und Pharmakogenetik k&ouml;nnten ebenfalls zu einer massgeschneiderten Behandlung beitragen. Aber f&uuml;r mich steht im Zentrum, den einzelnen Menschen &laquo;mit Haut und Haaren&raquo; zu erfassen.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Millstine D et al.: BMJ 2017; 357: j1805 <strong>2</strong> Steiner TJ et al.: J Headache Pain 2014; 15: 31 <strong>3</strong> Gaul C et al.: Cephalalgia 2009; 29: 1069-78 <strong>4</strong> Adams J et al.: Headache 2013; 53: 459-73</p> </div> </p>
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