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Komplexes regionales Schmerzsyndrom

Überblick zum aktuellen pathophysiologischen Konzept

<p class="article-intro">Vieles in der Pathophysiologie des komplexen regionalen Schmerzsyndroms ist noch unklar. PD Dr. med. et Dr. phil. Florian Brunner, Chefarzt Abteilung für Physikalische Medizin und Rheumatologie an der Universitätsklinik Balgrist, Zürich, gab an der Schmerztagung im Schweizer Paraplegiker-Zentrum Nottwil einen Einblick in den aktuellen Wissensstand zu diesem Thema.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Beim komplexen regionalen Schmerzsyndrom (CRPS) handelt es sich um eine &uuml;berm&auml;ssige, dysproportionale Reaktion des K&ouml;rpers auf ein Trauma&raquo;, erkl&auml;rte PD Dr. med. Florian Brunner, Z&uuml;rich, zu Beginn seines Vortrags. Dabei k&ouml;nne es sich durchaus lediglich um ein Bagatelltrauma handeln. &laquo;Schlussendlich spielt es keine Rolle, was der Ausl&ouml;ser ist. Denn das Trauma ist lediglich ein Trigger f&uuml;r eine Reaktion, die sich danach entwickelt und die eigentlich abgekoppelt vom urspr&uuml;nglich ausl&ouml;senden Ereignis abl&auml;uft.&raquo;<br /> Auf klinischer Ebene pr&auml;sentiert sich das CRPS sehr heterogen. Es kommt zu sensiblen, vasomotorischen, sudomotorischen, trophischen und motorischen Ver&auml;nderungen (Tab. 1).<sup>1</sup> &laquo;Das Schwierige ist, dass sich diese klinischen Manifestationen bei den Patienten individuell entwickeln und sich &uuml;ber die Zeit auch ver&auml;ndern&raquo;, so Brunner.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Innere_1604_Weblinks_Seite97.jpg" alt="" width="750" height="342" /></p> <h2>Einblick in die Pathophysiologie</h2> <p>&laquo;Die Pathophysiologie des CRPS ist eine komplexe Angelegenheit&raquo;, erkl&auml;rte der Redner. Trotz intensiver Forschungen sei es beispielsweise nach wie vor nicht klar, weshalb gewisse Personen ein CRPS entwickeln w&uuml;rden und andere nicht. Grunds&auml;tzlich scheinen drei Vorg&auml;nge pathophysiologisch von Bedeutung zu sein: eine &uuml;berschiessende neurogene Inflammation, eine vasomotorische Dysfunktion und eine maladaptive Neuroplastizit&auml;t.<sup>2</sup> &laquo;Bei der &uuml;berschiessenden neurogenen Entz&uuml;ndung stehen beim CRPS vermutlich nicht die zellul&auml;ren Komponenten, sondern die verschiedenen Zytokine im Vordergrund&raquo;, f&uuml;hrte Brunner weiter aus. Zu entsprechenden Erkenntnissen f&uuml;hrten Untersuchungen von Hautbiopsien, Serum- und Liquorproben. &laquo;Anhand von Serumproben konnte z.B. festgestellt werden, dass die proinflammatorischen Zytokine in der Fr&uuml;hphase des CRPS erh&ouml;ht, die antiinflammatorischen dagegen vermindert sind&raquo;, so der Redner. In einer Metaanalyse wurde untersucht, ob sich bei Patienten mit einem CRPS ein spezifisches Entz&uuml;ndungsprofil im Serum nachweisen l&auml;sst und ob sich dieses im Verlauf der Erkrankung ver&auml;ndert.<sup>3</sup> Dabei zeigte sich, dass in der Fr&uuml;hphase eines CRPS (median 3 Monate) vor allem Interleukin-8, der Tumor-Nekrose-Faktor &alpha; (TNF-&alpha;), die l&ouml;slichen TNF-Rezeptoren I und II, das CGRP (&laquo;calcitonin gene-related peptide&raquo;) und die Substanz P eine wichtige Rolle spielen. &laquo;Bekannt ist, dass die Freisetzung von CGRP bei der neurogenen Entz&uuml;ndung zu einer Vasodilatation und die Freisetzung der Substanz P zu einer Proteinextravasation f&uuml;hrt&raquo;, erkl&auml;rte Brunner. Folgen davon seien eine Schwellung, R&ouml;tung und &Uuml;berw&auml;rmung der betroffenen Extremit&auml;t. Wie er zudem erg&auml;nzte, sind Versuche, therapeutisch am CGRP oder der Substanz P anzusetzen, bisher leider gescheitert. &laquo;Die &uuml;berschiessende neurogene Inflammation f&uuml;hrt schliesslich zu einer peripheren und zentralen Sensibilisierung sowie zu einem sympathisch unterhaltenen Schmerz, der schliesslich zur Chronifizierung beitr&auml;gt.&raquo;</p> <h2>Rolle der vasomotorischen Dysfunktion</h2> <p>Der zweite wichtige pathophysiologische Prozess beim CRPS stellt die vasomotorische Dysfunktion dar. Diese &auml;ussert sich klinisch in einer asymmetrischen Farbe und Temperatur der Haut.<sup>1</sup> &laquo;&Uuml;blicherweise ist die betroffene Extremit&auml;t in der Fr&uuml;hphase der Erkrankung warm, in der Sp&auml;tphase meist kalt. Allerdings findet sich bei etwa 20 % der Patienten bereits zu Beginn des CRPS eine kalte Extremit&auml;t&raquo;, gab Brunner zu bedenken. Die Gr&uuml;nde f&uuml;r diese Besonderheit sind bisher nicht bekannt.<br /> Die warme Phase eines CRPS l&auml;sst sich einerseits auf die vorg&auml;ngig beschriebene Wirkung des CGRP und der Substanz P zur&uuml;ckf&uuml;hren. Andererseits scheint es in der akuten Phase eines CRPS zu einer Hemmung sympathischer vasokonstriktorischer Fasern und damit zu einer reduzierten Noradrenalinaussch&uuml;ttung zu kommen.<sup>4</sup> &laquo;Man nimmt an, dass sich diese sympathische Unterfunktion und die Noradrenalinaussch&uuml;ttung beim &Uuml;bergang in die chronische Phase wieder erholen, es dann aber zu einer Supersensitivit&auml;t kommt, indem an den Gef&auml;ssen vermehrt Noradrenalin-Rezeptoren exprimiert werden&raquo;, so Brunner. Zus&auml;tzlich k&ouml;nnte pathophysiologisch ein lokaler Prozess in den Extremit&auml;ten eine Rolle spielen. So konnte in einer Arbeit gezeigt werden, dass es bei Patienten mit einem chronischen CRPS zu einer Endotheldysfunktion kommt, die schliesslich zu einer lokalen Vasokonstriktion f&uuml;hrt.<sup>5</sup></p> <h2>Folgenschwere Wahrnehmungsst&ouml;rungen</h2> <p>Als dritter pathophysiologischer Prozess sind beim CRPS neuroplastische Ver&auml;nderungen von Bedeutung. &laquo;Dies ist kein f&uuml;r das CRPS spezifischer Prozess, wissen wir doch, dass solche Ver&auml;nderungen auch bei anderen chronischen Schmerzerkrankungen eintreten&raquo;, so der Redner. Es handle sich hierbei um funktionelle und strukturelle Ver&auml;nderungen, die sich im sensiblen und motorischen Kortex manifestierten und zu einer zentralen Sensibilisierung mit Spontanschmerzen, Hyperalgesie und Allodynie f&uuml;hrten. Im funktionellen MRI liess sich nachweisen, dass sich die Repr&auml;sentation der betroffenen Extremit&auml;t im somatosensorischen Kortex bei einem CRPS im Vergleich zur gesunden Kontrollseite verkleinert.<sup>6</sup> Dieser Vorgang erwies sich jedoch als reversibel, wenn es z.B. durch eine Therapie zu einer Verbesserung des Zustands kam.<br /> Besonders interessant ist zudem, dass diese zentralen neuroplastischen Ver&auml;nderungen auch zu einer ver&auml;nderten Wahrnehmung der betroffenen Extremit&auml;t f&uuml;hren. &laquo;Fragen Sie einmal Ihre CRPS-Patienten, wie sie die betroffenen Gliedmasse wahrnehmen&raquo;, schlug Brunner vor. &laquo;Sie werden viele interessante Antworten bekommen. Die Patienten sind zudem oft froh, wenn sie endlich einmal danach gefragt werden, weil ihnen da schon lange etwas aufgefallen ist, sie sich aber nicht getraut haben, dar&uuml;ber zu sprechen.&raquo; Die Antworten erg&auml;ben schliesslich bunte Bilder im Bezug auf Gr&ouml;sse, Form, Position und Temperatur einer Extremit&auml;t. Insgesamt gesehen k&ouml;nnen sich eine ausgesprochene Abneigung und ein Fremdk&ouml;rpergef&uuml;hl manifestieren. Bereits vor einiger Zeit wurde denn auch beschrieben, dass Patienten mit CRPS immer wieder auch den Wunsch nach einer Amputation &auml;ussern.<sup>7</sup> &laquo;Auch wir erleben diese Situation mehrmals pro Jahr&raquo;, meinte Brunner. Er lasse seine CRPS-Patienten zudem h&auml;ufig eine Zeichnung der betroffenen Extremit&auml;t anfertigen. &laquo;Diese liefert uns unter Umst&auml;nden viele Informationen dar&uuml;ber, wie die Patienten den entsprechenden K&ouml;rperteil wahrnehmen. Dieses Wissen k&ouml;nnen wir dann f&uuml;r die Therapie nutzen. Denn das Wiedererlangen einer korrekten Wahrnehmung eines K&ouml;rperteils stellt f&uuml;r uns ein wichtiges therapeutisches Ziel dar.&raquo;<br /> <br /> Und schliesslich f&uuml;hrt ein CRPS auch zu neuroplastischen Ver&auml;nderungen im motorischen Kortex. &laquo;Durch eine zentrale Enthemmung kommt es zu einer vermehrten Erregbarkeit motorischer Bahnen. Dies kann zu Bradykinesien oder Dystonien, h&auml;ufig auch zu Tremor und Myoklonien f&uuml;hren.&raquo; <br /> Zusammenfassend sagte Brunner: &laquo;Die Pathophysiologie des CRPS ist ein komplexes Geschehen, in welches eine neurogene Entz&uuml;ndung, eine vasomotorische Dysfunktion und eine maladaptive Neuroplastizit&auml;t involviert sind. Wie sich diese Prozesse gegenseitig beeinflussen bzw. ob und wie sie voneinander abh&auml;ngig sind, ist bisher nicht bekannt. Die pathophysiologischen Modelle bilden aber eine potenzielle Basis, von der aus wir in Zukunft hoffentlich wirksame therapeutische Interventionen ableiten k&ouml;nnen.&raquo;</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Harden RN et al: Proposed new diagnostic criteria for complex regional pain syndrome. Pain Med 2007; 8: 326-31 <br /><strong>2</strong> Marinus J et al: Clinical features and pathophysiology of complex regional pain syndrome. Lancet Neurol 2011; 10: 637-48 <br /><strong>3</strong> Parkitny L et al: Inflammation in complex regional pain syndrome: a systematic review and meta-anal-<br />ysis. Neurology 2013; 80: 106-17 <br /><strong>4</strong> Wasner G et al: Vascular abnormalities in reflex sympathetic dystrophy (CRPS I): mechanisms and diagnostic value. Brain 2001; 124: 587-99 <br /><strong>5</strong> Groeneweg JG et al: Increased endothelin-1 and diminished nitric oxide levels in blister fluids of patients with intermediate cold type complex regional pain syndrome type 1. BMC Musculoskelet Disord 2006; 7: 91 <br /><strong>6</strong> Maih&ouml;fner C et al: Cortical reorganization during recov-ery from complex regional pain syndrome. Neurology 2004; 63: 693-701 <br /><strong>7</strong> Lewis JS et al: Body perception disturbance: a contribution to pain in complex regional pain syndrome (CRPS). Pain 2007; 133: 111-9</p> </div> </p>
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