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Update: Multisystematrophie

<p class="article-intro">Autonomes Versagen, Parkinson-Syndrom, zerebelläre Ataxie und Pyramidenbahnzeichen: Das sind die klinischen Hauptsymptome einer Multisystematrophie (MSA). Dieses atypische Parkinson-Syndrom ist von der klassischen Parkinson-Erkrankung – dem Morbus Parkinson – zu differenzieren, was sich in frühen Stadien der Erkrankung aufgrund der überlappenden Symptome oft als schwierig erweist. Strukturelles und funktionelles Neuroimaging wird daher in der Diagnostik häufig für eine optimale therapeutische Behandlung eingesetzt.</p> <hr /> <p class="article-content"><h2>Was ist MSA?</h2> <p>Die Multisystematrophie (MSA) ist eine rasch progrediente, neurodegenerative und letale Erkrankung des zentralen und autonomen Nervensystems. Gekennzeichnet ist die MSA durch autonomes Versagen, Parkinson-Syndrom, zerebell&auml;re Ataxie und Pyramidenbahnzeichen in jeglicher Auspr&auml;gung und Kombination. Klinisch werden zwei motorische Subtypen der MSA unterschieden: MSA-P (Parkinson- Variante) und MSA-C (zerebell&auml;res Syndrom).<br /><br /> Der MSA-P-Subtyp tritt bei 70&ndash;80 % der Patienten der westlichen Hemisph&auml;re auf und ist haupts&auml;chlich durch ein Vorherrschen der Parkinson-Symptomatik gekennzeichnet. Diese Symptomatik ist neuropathologisch auf eine striatonigrale Degeneration (SND) zur&uuml;ckzuf&uuml;hren. Das klinische Bild der MSA-P kann unter anderem eine rasch progrediente Akinese, Rigidit&auml;t sowie einen irregul&auml;ren posturalen Tremor, Ruhetremor, orofaziale Dystonie (h&auml;ufig assoziiert mit einer prominenten Dysarthrie), disproportionierte Antekollis und posturale Instabilit&auml;t umfassen. Besonders das Auftreten von Tremor, Akinese und Rigidit&auml;t erschweren die Differenzialdiagnose von MSA-P und Morbus Parkinson. Dies betrifft vorwiegend fr&uuml;he Stadien der MSA. Eine L-Dopa-Behandlung f&uuml;hrt bei nur 30 % der MSA-PPatienten zu einer Besserung des Parkinson- Syndroms. Jedoch ist die L-Dopa-induzierte Besserung in den meisten F&auml;llen passager und nur 10 % aller MSA-P-Patienten sprechen langfristig auf die symptomatische Therapie an. Die definitive klinische Diagnose der MSA-P setzt eine Ausbildung des gesamten klinischen Bildes voraus und ist meist erst f&uuml;nf Jahre nach Krankheitsbeginn m&ouml;glich. &Auml;hnliche diagnostische Herausforderungen birgt der MSA-C-Subtyp, welcher in der westlichen Hemisph&auml;re bei 20&ndash;30 % aller MSA-Patienten auftritt.<br /><br /> MSA-C ist durch eine &uuml;berwiegende zerebell&auml;re Ataxie charakterisiert, welche auf eine olivopontozerebell&auml;re Atrophie (OPCA) zur&uuml;ckzuf&uuml;hren ist. Gangataxie, Gliedma&szlig;enataxie und Dysarthrie sowie zerebell&auml;re Okulomotorikst&ouml;rungen sind die Konsequenz dieses Neurodegenerationsmusters. Im sp&auml;teren Krankheitsverlauf treten zudem auch nicht zerebell&auml;re Symptome auf. Bis zu diesem Zeitpunkt ist eine Differenzierung von der klassischen idiopathischen und sp&auml;t beginnenden zerebell&auml;ren Ataxie jedoch nicht m&ouml;glich.<br /><br /> Interessanterweise ist die Verteilung der zwei MSA-Subtypen innerhalb der asiatischen Population entgegengesetzt. Hier sind etwa zwei Drittel der MSA Patienten von der MSA-C betroffen und nur ein Drittel von der MSA-P. Die Gr&uuml;nde hierf&uuml;r sind noch nicht zur G&auml;nze gekl&auml;rt. Es wird vermutet, dass genetische, aber auch epigenetische Faktoren eine bedeutende Rolle spielen k&ouml;nnen.<br /><br /> Zus&auml;tzlich zu den f&uuml;r MSA-C und MSA-P charakteristischen motorischen Symptomen entwickeln die meisten MSA-Patienten fr&uuml;hzeitig Zeichen eines autonomen Versagens. H&auml;ufig auftretende autonome St&ouml;rungen sind urogenitale Dysfunktion, fr&uuml;he Impotenz bei M&auml;nnern, St&ouml;rungen der Miktion, Obstipation und orthostatische Hypotonie. Die orthostatische Hypotonie tritt bei 68 % der Patienten auf, verursacht aber nur bei 15 % der MSA-Patienten wiederholte Synkopen. Zus&auml;tzlich kann eine L-Dopa-Behandlung die Symptome einer orthostatischen Hypotonie verst&auml;rken. Patienten k&ouml;nnen mit h&auml;ufigen und kleinen Mahlzeiten, ausreichender Fl&uuml;ssigkeitszufuhr und dem Tragen von St&uuml;tzstr&uuml;mpfen oder abdominalen Bandagen verhindern, dass der Blutdruck &uuml;berm&auml;&szlig;ig absinkt. Weitere Symptome, welche im Krankheitsverlauf auftreten k&ouml;nnen, sind Depressionen, Pers&ouml;nlichkeitsver&auml;nderungen (emotionale Inkontinenz), Schlaf-, Sprech- und Schluckst&ouml;rungen.</p> <h2>Diagnose</h2> <p>Die Diagnose der Multisystematrophie erfolgt klinisch anhand international anerkannter Diagnosekriterien (Tab. 1). Das Vorhandensein verschiedener klinischer Symptome und bestimmte Ausschlusskriterien erm&ouml;glichen eine Einstufung in &bdquo;m&ouml;gliche&ldquo;, &bdquo;wahrscheinliche&ldquo; oder &bdquo;sichere MSA&ldquo;. Aufgrund des beschriebenen und komplexen Erscheinungsbildes der MSA gestaltet sich eine zuverl&auml;ssige Diagnose aller Subtypen allerdings als schwierig. Bildgebende Untersuchungsmethoden, wie Magnet-Resonanz-Tomografie (MRT) und Positronen-Emissions-Tomografie (PET) finden in der klinischen Praxis Anwendung, um die Diagnose zu st&uuml;tzen. Eine endg&uuml;ltige Diagnose ist aber erst post mortem nach histologischer Untersuchung des Gehirns verstorbener Patienten m&ouml;glich. Diese Analyse erbringt den Nachweis typischer L&auml;sionsmuster und Synukleinpositiver Einschlussk&ouml;rperchen in den Oligodendroglia der Patienten. Daher wird die MSA auch, zusammen mit Morbus Parkinson und Lewy-K&ouml;rper-Demenz, zur Gruppe der a-Synukleinopathien gez&auml;hlt. Der genaue Mechanismus, wie es zur Bildung der Einschlussk&ouml;rperchen kommt, ist jedoch noch unerforscht.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Neuro_1701_Weblinks_s6_tab1.jpg" alt="" width="1417" height="2257" /></p> <h2>Ursachen und Mechanismen</h2> <p>Bis heute gibt es keine Therapie, welche den Abbauprozess der MSA verlangsamt. Auch ist unbekannt, welche Mechanismen zum Entstehen der Krankheit nachweislich beitragen.<br /><br /> Basierend auf den Daten von pr&auml;klinischen und Post-mortem-Studien wird die MSA als prim&auml;re Oligodendrogliopathie mit sekund&auml;rer Neurodegeneration eingestuft. Diese Daten liefern folgendes Szenario zur Entstehung der MSA:<br /> Das erste pathogene Ereignis ist eine p25a-Anreicherung im Soma der Oligodendroglia, bevor a-Synuklein sich dort ebenfalls sammelt. Es wird vermutet, dass dies zu einem Anschwellen der Oligodendroglia und einer abnormen erh&ouml;hten Aufnahme und/oder einer &Uuml;berexpression von a-Synuklein f&uuml;hrt. Die Interaktion zwischen p25a und a-Synuklein f&uuml;hrt zu verst&auml;rkter Phosphorylierung und a-Synuklein-Aggregation, was wiederum zu Proteinfehlfaltung und Bildung von unl&ouml;slichen Oligomeren f&uuml;hrt. Als letzter Schritt bilden sich aus den Oligomeren die oligodendroglialen zytoplasmatischen Einschlussk&ouml;rperchen (auch: &bdquo;oligodendroglial cytoplasmic inclusions&ldquo;, GCIs). Die krankhafte Bildung der oligodendroglialen zytoplasmatischen Einschlussk&ouml;rperchen hat wiederum zur Folge, dass die Oligodendroglia ihre normale Rolle in gesunden Zellen nicht mehr korrekt ausf&uuml;hren k&ouml;nnen. Daher kommt es zu einem Verlust der neuronalen Versorgung, welcher von einer Entz&uuml;ndungsreaktion begleitet wird. Diese neuroinflammatorische Mikrogliaaktivierung steht im Verdacht, Neurodegeneration anzukurbeln. Als Folge entlassen die massiv gesch&auml;digten Oligodendroglia a-Synuklein in den extrazellul&auml;ren Raum, wo das falsch gefaltete Protein von benachbarten Neuronen und auch anderen Oligodendroglia aufgenommen werden kann. Es wird vermutet, dass sich das pathogene a-Synuklein auf diese Weise im Gehirn ausbreitet und somit die Neurodegeneration in vielen funktionellen Hirnregionen vorantreibt, was schlussendlich das facettenreiche Krankheitsbild der MSA auszeichnet.</p> <h2>Epidemiologie</h2> <p>Die MSA betrifft sehr h&auml;ufig Menschen zwischen dem 40. und dem 60. Lebensjahr (durchschnittliches Erkrankungsalter: 58 Jahre). Die Pr&auml;valenz betr&auml;gt 4,4 auf 100.000 Einwohner. Der Morbus Parkinson tritt im Vergleich dazu rund 45-mal h&auml;ufiger auf. Die Inzidenz der MSA betr&auml;gt 3 auf 100.000 Einwohner pro Jahr.<br /> Aktuelle Zahlen zeigen, dass in &Ouml;sterreich ca. 1.000 Personen von der MSA betroffen sind. Im Vergleich dazu sind es rund 30.000 Personen, welche an Morbus Parkinson erkrankt sind, was die Seltenheit der MSA widerspiegelt.</p> <h2>Praktische Therapie</h2> <p>Wie bereits erw&auml;hnt gibt es keine Heilung der MSA, symptomatische Therapien (Tab. 2) versuchen allerdings die Beschwerden der MSA-Patienten zu lindern. Die zerebell&auml;re Ataxie, welche charakterisierend f&uuml;r die MSA-C ist, l&auml;sst sich mit Medikamenten kaum beeinflussen. Lokale Injektionen mit Botulinumtoxin A k&ouml;nnen Blepharospasmus und auch Gliedma&szlig;endystonie unter Umst&auml;nden lindern. Parkinson-Symptome bei MSA-P werden in erster Linie mit L-Dopa bis zu 1.000mg/ Tag (sofern n&ouml;tig und toleriert) behandelt. Bei Nichtansprechen auf L-Dopa k&ouml;nnen als zweite Wahl Dopaminagonisten angedacht werden. Zus&auml;tzlich kann Amantadin (100mg/Tag) eingesetzt werden, das m&ouml;glicherweise einen positiven Einfluss auf die Parkinson-Symptomatik haben kann.<br /> Da medikament&ouml;se Therapeutika oftmals eine unzureichende Wirksamkeit bei der MSA aufzeigen, sollten alle nicht medikament&ouml;sen Strategien ebenfalls genutzt werden. Dies beinhaltet Physiotherapie, um die Mobilit&auml;t aufrechtzuerhalten und auch logop&auml;dische &Uuml;bungen, um Sprache und Schluckverm&ouml;gen zu verbessern. Patienten mit ausgepr&auml;gter Dysphagie kann mittels nasogastrischer Sonde oder einer perkutanen endoskopischen Gastrostomie (PEG) geholfen werden. Zudem sollte eine Ergotherapie in Betracht gezogen werden, um die feinmotorischen Beeintr&auml;chtigungen der Patienten zu verbessern, welche durch die vielen Behinderungen entstehen k&ouml;nnen. Aufgrund des schnellen Krankheitsverlaufs der MSA, durch den Patienten nach etwa f&uuml;nf Jahren nach Auftreten der ersten Symptome rollstuhlpflichtig werden, sollte eine psychologische Betreuung der Patienten und auch ihrer Angeh&ouml;rigen in Betracht gezogen werden.<br /> Autonomen St&ouml;rungen, wie der orthostatischen Hypotonie, sollte zun&auml;chst nicht pharmakologisch entgegengewirkt werden. Elastische St&uuml;tzstr&uuml;mpfe und abdominale Bandagen, h&auml;ufige und kleine Mahlzeiten, n&auml;chtliches Hochstellen des Bettkopfes und langsames Aufstehen aus einer sitzenden Position k&ouml;nnen orthostatische Symptome verbessern. Bei Progredienz der Symptomatik kann eine medikament&ouml;se Therapie mit unter anderem Midodrin (2,5&ndash;10mg 3x t&auml;glich), Fludrocortison (0,1&ndash;0,3mg), L-threo-DOPS (300mg 2x t&auml;glich) oder Ephedrin (25&ndash;45 mg 3x t&auml;glich) angedacht werden. Zur Behandlung der urogenitalen Funktionsst&ouml;rungen werden bei Nykturie Desmopressin (Spray: 10&ndash;40&micro;g pro Nacht oder Tablettenform: 100&ndash;400&micro;g pro Nacht) und bei einer Detrusor&uuml;beraktivit&auml;t einhergehend mit Pollakisurie und Dranginkontinenz Anticholinergika (z.B. Oxybutynin 2,5&ndash;5mg 2&ndash;3x t&auml;glich) empfohlen. Bei Restharnbildung mit &gt;100ml sollte eine intermittierende Katheterisierung durchgef&uuml;hrt werden. Erektiles Versagen kann mit Sildenafil (50&ndash;100mg pro Tag) oder alternativ mit Yohimbin (2,5&ndash;5mg 3x t&auml;glich) behandelt werden. Intrakavernosale Injektionen mit Papaverin oder ein Penisimplantat stellen zudem weitere Optionen dar. Eine &Uuml;bersicht &uuml;ber diese und andere existente symptomatische Therapien kann Tabelle 2 entnommen werden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Neuro_1701_Weblinks_s6_tab2.jpg" alt="" width="1419" height="2615" /></p> <h2>Aktuelle Entwicklungen</h2> <p>Aktuelle Studien involvieren die Suche nach effizienten Biomarkern und effektiven Therapeutika. Bis heute zeigten indizierte Substanzen nur in Studien an MSA-Modellen Erfolg, was die L&uuml;cke zwischen den pr&auml;klinischen MSA-Modellen und der menschlichen Krankheit aufzeigt. Tabelle 3 zeigt eine &Uuml;bersicht &uuml;ber die Substanzen, welche in randomisierten klinischen Studien getestet worden sind. Neurotoxische Modelle helfen bei der Erforschung verschiedener Grade von Neurodegeneration, v.a. des betroffenen nigrostriatalen Systems, reproduzieren jedoch nicht andere Charakteristika der MSA, wie oligodendrogliale Einschlussk&ouml;rperchen. Dies kann im Kontrast dazu sehr gut in transgenen Mausmodellen gezeigt werden, welche auf einer Expression des humanen a-Synuklein in Oligodendroglia basieren. Die transgenen Mausmodelle zeigen wiederum nur milde Neurodegeneration und einen langsameren Krankheitsfortschritt, und auch die konstante Proteinexpression schw&auml;cht das translationale Potenzial dieser Modelle. Trotz der Schw&auml;chen stellen diese Modelle das Mittel der Wahl dar, wenn es darum geht, neue Substanzen zu testen. Neue Entwicklungen zeigen die Anwendung von Zellmodellen, welche auf humanen Stammzellen (induzierte pluripotente Stammzellen) basieren, an. Diese &ouml;ffnen eine breite Palette an Vorteilen und k&ouml;nnten einen Weg in Richtung personalisierter Medizin weisen, da die ben&ouml;tigten Zellen direkt vom betroffenen Patienten stammen.<br /> Daneben wird ein weiterer innovativer Ansatz verfolgt. Aktuell pr&uuml;fen Firmen in Kollaboration mit EU-gef&ouml;rderten Projekten die Effektivit&auml;t von passiven und aktiven Impfungen. Diese zielen darauf ab, mit Antik&ouml;rpern gegen a-Synuklein das extrazellul&auml;re Ausbreiten der pathogenen Proteinvariante zu verhindern, was zumindest zu einem Stoppen des Krankheitsverlaufes f&uuml;hren soll.<br /><br /> Noch liegen keine Ergebnisse vor und die zuk&uuml;nftigen Entwicklungen werden zeigen, welcher dieser vielen Ans&auml;tze schlussendlich zum Ziel &ndash; Heilung der MSA &ndash; f&uuml;hren wird.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Neuro_1701_Weblinks_s6_tab3.jpg" alt="" width="2151" height="1492" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Neuro_1701_Weblinks_s6_abb1.jpg" alt="" width="2149" height="2057" /></p></p>
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