Immunologisch ist das Glas halb voll
Am diesjährigen Treffen der American Society of Clinical Oncology (ASCO) konnten wieder viele neue Daten zur Immuntherapie präsentiert und kritisch interpretiert werden. Auch aus negativen Studien lassen sich wichtige Lehren ziehen, und diese helfen so bei der weiteren Erforschung einer effizienten und vorhersagbaren Immuntherapie mit.
Ein grosses Highlight am ASCO-Jahrestreffen 2022 war eine Studie zur PD-L1-Blockade bei Patienten mit Rektumkarzinom und DNA-Mismatch-Repair-Defekt.1 In diese wurden 18 Patienten inkludiert, die über sechs Monate neoadjuvant in einem kurativen Therapieansatz bei lokal fortgeschrittenem Rektumkarzinom mit dem PD-L1-Blocker Dostarlimab behandelt wurden. Alle Patienten hatten einen DNA-Mismatch-Repair-Defekt.
Nun ist in dieser Studie bei den gezeigten 18 Patienten die Ansprechrate 100%. Damit ist sie höher als die zu erwartende 50–60%-Ansprechrate, welche für alle Patienten mit einem DNA-Mismatch-Repair-Defekt, die mit einer PD-L1-blockierenden Therapie behandelt wurden, in einer Metaanalyse gezeigt werden konnte.2
Ich möchte betonen, dass ich den klinischen Wert dieser Daten sehr zu schätzen weiss. Es handelt sich um eine Situation, in der alles Mögliche versucht werden muss, um im kurativen Ansatz möglichst wenig langfristig zu schaden, da jeder Eingriff zu einem Verlust an Lebensqualität führt. Aber ich möchte aus immunologischer Sicht auch ganz klar darauf hinweisen, dass hier eine kleine Subgruppe mit einem sehr speziellen molekularen Profil behandelt wurde, von der man schon länger weiss, dass diese besonders gut auf eine Checkpointblockade anspricht.
Ich möchte an dieser Stelle an eine frühe Studie zum Rektumkarzinom vom ESMO(European Society for Medical Oncology)-Kongress 2015 erinnern. In dieser wurden alle Patienten mit einem metastasierenden Rektumkarzinom mit einer PD-L1-Blockade behandelt. Nur ein Patient sprach an. Retrospektiv konnte man zeigen, dass dieser Patient einen DNA-Mismatch-Repair-Defekt hatte.3
Auch bei der zuvor erwähnten Metaanalyse ist zu bemerken, dass es sich ausschliesslich um das Ansprechen in der zweiten Linie handelt. Zudem gibt es aufgrund der eher kurzen medianen Nachbeobachtungszeit von 6,8 Monaten auch keinen Hinweis darauf, dass es zu einer Heilung kommt. Auch sehe ich keine klare wissenschaftliche Evidenz, dass die rektale Mukosa eine immunologische Spezialität aufweist, die ein derartig gutes Therapieansprechen erklären würde.
Ich möchte also hiermit davor warnen, die Daten als Zeitenwende der Checkpointblockade zu sehen, denn es kann auch bei dieser Therapie sehr wohl zu Rückfällen kommen. Bei grösserer Patientenpopulation sind ausserdem auch hier primäre und sekundäre Resistenzen zu erwarten. Beide Punkte relativieren diese am ASCO-Jahrestreffen vorgestellten Daten.
Jedoch möchte auch ich die Hoffnung teilen, dass auf Basis dieser Ergebnisse einem sehr kleinen Anteil von Patienten mit Rektumkarzinom belastende Eingriffe erspart bleiben können.
MACE: Nebenwirkung im klinischen Alltag
Da sich nun die Checkpointblockade in fast allen Bereichen als eine mögliche Therapielinie etabliert hat, steigt die absolute Zahl an behandelten Patienten permanent weiter an. Somit werden vermeintlich sehr seltene Nebenwirkungen dann doch eine Realität im klinischen Alltag.
Daher finde ich ein Abstract zu den kardiologischen Nebenwirkungen der Checkpointblockade wichtig und spannend.4 Fast 7000 Patienten, die zwischen 2015 und 2019 eine Checkpointblockade in einer klinischen Studie erhalten hatten, wurden gescreent. Die Hälfte der Patienten erhielt eine Checkpointblockade als Monotherapie. Es zeigte sich, dass ein «major adverse cardiac event» (MACE) bei 0,47% der Patienten mit einer Monotherapie auftrat.
Darüber hinaus sah man eine Steigerung der Häufigkeit von MACE in der Kombinationstherapie (0,9% Anti-CTLA-4- plus Anti-PD-L1-Blockade, 2,1% bei Anti-PD-L1-Blockade plus zielgerichteten Substanzen und 0,8% bei Checkpointblockade plus Chemotherapie). MACE kam am häufigsten in Kombination mit einer Myositis (27%) und Transaminitis (25%) vor. Dies zeigt, dass ein MACE-Ausdruck einer schweren und globalisierten Aktivierung des Immunsystems entspricht. Das wird durch die Beobachtung unterstrichen, dass 22% der Patienten mit einer MACE starben.
Somit lohnt es sich aus meiner Sicht, im klinischen Alltag mittels EKG und Troponin-Wert einen Ausgangsbefund zu erheben und im Verlauf bei klinischen Hinweisen niederschwellig oder sogar im Rahmen eines Screenings nach MACE zu suchen. Dieses Vorgehen scheint mir besonders relevant bei Patienten mit kardiologischen Komorbiditäten.
CAR-Technologie stimmt optimistisch
Es ist für die weitere Etablierung und Anwendung der zellulären Therapie gut zu sehen, dass diese bei malignen hämatologischen Erkrankungen nicht ein «one-trick pony» gegen die Zielstruktur CD19 geblieben ist. So werden inzwischen auch die Zielstruktruren BCMA und CD20 genutzt.
Am ASCO-Jahrestreffen wurden Ergebnisse einer klinischen Studie vorgestellt, die BSMA als Zielstruktur nutzt.5 82,5% der 97 schwer vorbehandelten Patienten (im Median mit sechs Vortherapien) erreichten ein stringentes komplettes Ansprechen (CR). Mindestens eine hämatologische Nebenwirkung zeigte sich bei der Mehrzahl der Patienten (95%). Als besondere Neurotoxizität bei diesem Therapieansatz fiel ein parkinsonoides Symptombild auf.
Ein weiteres Beispiel für die Anwendungen der CAR-Technologie ist in einem Abstract zur Phase-I-Studie POLARIS mit CAR-T-Zell-Therapie bei Patienten mit rezidiviertem oder refraktärem multiplem Myleom zu finden.6 Erste Daten mit elf Patienten zeigten eine Ansprechrate von 100% mit vor allem hämatologischen Nebenwirkungen und ohne das Auftreten von neurologischen Nebenwirkungen.
Keine Synergien bei TIGIT/PD-L1
TIGIT («T-cell immunoreceptor with immunoglobulin and ITIM domains») ist ein interessanter weiterer Checkpoint, für den am AACR(American Association for Cancer Research)-Treffen 2020 mit dem Antikörper Tiragolumab in Kombination mit Atezolizumab beim NSCLC (nichtkleinzelliges Lungenkarzinom) erste erfolgversprechende Daten gezeigt wurden.7
Im Rahmen der SKYSCRAPER-Studien wurde Tiragolumab weiter getestet.Eine Pressemitteilung zur Studie SKYSCRAPER-01 berichtete über Tiragolumab (Anti-TIGIT-Antikörper), das bei Patienten mit metastasiertem NSCLC mit einer PD-L1-Expression von mehr als 50% in Kombination mit Atezolizumab (Anti-PD-L1-Antikörper) eingesetzt wurde.8 Im Vergleich zum alleinigen Einsatz von Atezolizumab zeigte sich in der Kombination mit Tiragolumab kein Vorteil.
Am ASCO-Jahrestreffen wurde nun die Studie SKYSCRAPER-02 zum kleinzelligen Bronchialkarzinom vorgestellt.9 Die Kombination von Tiragolumab und Atezolizumab führte auch in dieser Studienpopulation zu keiner Verbesserung des klinischen Ansprechens und Überlebens.
Nun stellt sich zu Recht die Frage, warum die Kombination aus anti-TIGIT und anti-PD-L1 in Phase-III-Studien keinen synergistischen Effekt zeigt. Hier kann nun spekuliert werden, ob neben TIGIT auch die Checkpoints CD96 und CD226 eine wichtige Rolle spielen könnten. Alle drei Checkpoints agieren in einem Netzwerk von Signalen.10
Fazit
Grundsätzlich zeigt auch die Entwicklungsgeschichte von Tiragolumab erneut, dass Immunmodulation mit dem Ziel eines klinischen Effekts durch eine therapeutische Immunantwort gegen Malignome eine grosse Herausforderung ist. Aus meiner Sicht benötigt sie viel mehr den Einsatz der Systembiologie, die multipelste Signalwege zu einer prädiktiven Aussage kumuliert. Hierfür ist ein rezentes Beispiel die Charakterisierung von resilienten T-Zellen.11
Abschliessend lässt sich sagen, dass vor allem die zelluläre Therapie in der Hämatoonkologie grosse Fortschritte macht und für die Entwicklung von Kombinationstherapien weitere Forschung nötig ist, um die Mechanismen besser zu verstehen. Grosse klinische Studien ohne klare Rationalität und die Spekulation auf Synergien sind nicht zielführend und sind eine unnötige Belastung der Forschungsstrukturen und vor allem der Patienten.
Literatur:
1 Cercek A et al.: Single agent PD-1 blockade as curative-intent treatment in mismatch repair deficient locally advanced rectal cancer. J Clin Oncol 2022; 40(Suppl 17): Abstr. #LBA5 2 Petrelli F et al.: Outcomes following immune checkpoint inhibitor treatment of patients with microsatellite instability-high cancers: a systematic review and meta-analysis. JAMA Oncol 2020; 6(7): 1068-71 3 Topalian SL et al.: Safety, activity, and immune correlates of anti-PD-1 antibody in cancer. N Engl J Med 2012; 366(26): 2443-54 4 Naqash AR et al.: Major adverse cardiac events (MACE) with immune checkpoint inhibitor (ICI)-based therapies for cancer: A pooled analysis of investigational clinical trials sponsored by the National Cancer Institute Cancer Therapy Evaluation Program (NCI-CTEP) in the United States and Canada. J Clin Oncol; 40(Suppl 16): Abstr. #2508 5 Martin T et al.: Ciltacabtagene autoleucel, an anti–B-cell maturation antigen chimeric antigen receptor T-Cell therapy, for relapsed/refractory multiple myeloma: CARTITUDE-1 2-year follow-up. J Clin Oncol 2022 6 Huang H et al.: Phase I open-label single arm study of GPRC5D CAR T-cells (OriCAR-017) in patients with relapsed/refractory multiple myeloma (POLARIS). J Clin Oncol 2022; 40(Suppl 16): Abstr. #8004 7 Bendell JC et al.: Phase Ia/Ib dose-escalation study of the anti-TIGIT antibody tiragolumab as a single agent and in combination with atezolizumab in patients with advanced solid tumors. Cancer Res 2020; 80(16_Suppl): Abstr. #CT302 8 Sava J: SKYSCRAPER-01 trial misses co-primary end point of PFS in PD-L1-high NSCLC. Targeted Oncology 2022; Online unter https://www.targetedonc.com/view/skyscraper-01-trial-misses-co-primary-end-point-of-pfs-in-pd-l1-high-nsclc . Abgerufen am 13.09.2022 9 Rudin CM et al.: SKYSCRAPER-02: Primary results of a phase III, randomized, double-blind, placebo-controlled study of atezolizumab (atezo) + carboplatin + etoposide (CE) with or without tiragolumab (tira) in patients (pts) with untreated extensive-stage small cell lung cancer (ES-SCLC). J Clin Oncol 2022; 40(Suppl 17): Abstr. #LBA8507 10 Banta KL et al.: Mechanistic convergence of the TIGIT and PD-1 inhibitory pathways necessitates co-blockade to optimize anti-tumor CD8+ T cell responses. Immunity 2022; 55(3): 512-26.e9 11 Zhang Y et al.: A T cell resilience model associated with response to immunotherapy in multiple tumor types. Nat Med 2022; 28: 1421-31
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