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Neue Erkenntnisse zum Prostatakarzinom

Die Jahrestagung der American Society of Clinical Oncology (ASCO) fand 2022 in Chicago statt und war sowohl vor Ort als auch virtuell zu besuchen. Im Folgenden werde ich die wesentlichen Erkenntnisse, die zum Prostatakarzinom präsentiert wurden, stadienabhängig darlegen.

Das lokoregionäre Stadium

Die Salvage-Radiotherapie (sRT) nach radikaler Prostatektomie (RPE) zeigt einen Vorteil im Gesamtüberleben (OS), wenn sie wie in der RTOG-9601-Studie1 mit einer Androgendeprivation (ADT) und mit der Gabe von Bicalutamid über 24 Monate durchgeführt wird. Außerdem kommt es in der GETUG-AFU-16-Studie2 in Kombination mit einer sechsmonatigen ADT-Monotherapie zu einem Vorteil beim progressionsfreien Überleben (PFS). Die dreiarmige RADICALS-HD-Studie ohne ADT sowie mit ADT über sechs und 24 Monate harrt noch ihrer Daten.

In der nun auf der ASCO-Jahrestagung von Phuoc Tran vorgestellten doppelblinden, multiinstitutionellen, randomisierten Phase-II-Studie SALV-ENZA3wurde sRT mit Enzalutamid (Enza) vs. sRT mit Placebo (Plc) hinsichtlich des FFPP („freedom from prostate-spezific antigen [PSA] progression“) getestet. Nach 34 Monaten Follow-up (FU) liegt ein Benefit mit einer HR von 0,42 und einem p=0,031 vor. Für Daten zum Gesamt- und metastasenfreien Überleben gibt das FU noch keine Aufschlüsse. Unter sämtlichen getesteten Subgruppen hatten jene mit pT3-Tumoren (nach TNM-Klassifikation) und positivem Schnittrand (R+) den größten Benefit. Ein Assessment des klinischen Benefits wird nun ausschlaggebend sein.

Mit dem monoklonalen Antikörper Enoblituzumab4 werden auf Basis einer ADCC („antibody-dependant cellular cytotoxicity“) negative immunmodulatorische Signale aggressiver B7-H3-Tumorzellen blockiert und damit wird die zytotoxische Lymphozytenfunktion verstärkt. In einer neoadjuvanten Sequenz von Prostatabiopsie – Tumorsequenzierung – Verabreichung von sechs wöchentlichen Enoblituzumab-Zyklen – RPE mit neuerlicher Tumorzellsequenzierung einer ‚Very high‘-Risikogruppe von 33 Patienten fand sich bei der Hälfte ein PSA-Abfall und bei 66% eine PSA-Progressionsfreiheit nach einem Jahr.

Fatigue und grippeähnliche sowie geringe neurologische Symptome beweisen neben der Durchführbarkeit und den verbesserten klinischen Resultaten auch die Sicherheit dieses neuen Therapieansatzes im neoadjuvanten Tumorstadium.

Abb. 1: Die ENZAMET-Studie: Medianes Gesamtüberleben (OS) und Fünf-Jahres-Überleben

Das metastasierte hormonsensitive Stadium

Zur ENZAMET-Studie5 wurde nach 68 Monaten ein FU gemacht (Abb.1). Diese Phase-III-Studie zum metastasierten hormonsensitiven Prostatakarzinom (mHSPC) ergab, dass ADT in Kombination mit Enzalutamid zu einem längeren OS und PFS führt als ADT mit einem ARI (Androgenrezeptorinhibitor) älterer Generation wie Bicalutamid. Interessant war, dass in der Studie ca. 45% aller Patienten auch Docetaxel (Doce) erhielten.

Dabei zeigten 2019 nur die sekundären Endpunkte einen Trend zum Vorteil des Triplets ADT/Enza/Doce, nicht aber das OS. Der OS-Benefit der Gesamtpopulation bleibt weiterhin mit einer HR von 0,7 bestehen und verbesserte sich um 10% in fünf Jahren mit einem ausgeprägten Crossover von 76%.

Der Endpunkt medianes Überleben ist in der Enzalutamid-Gruppe noch nicht erreicht und liegt in der Vergleichsgruppe bei 73 Monaten. Da die ENZAMET-Studie eine repräsentative All-Comer-Studie ist, konnten in einer deskriptiven explorativen Analyse der Einfluss des Ausmaßes der Metastasierung („high volume“ vs. „low volume“), der Zeitpunkt derselben (syn- oder metachron) und der Einfluss der gleichzeitigen Docetaxel-Gabe untersucht werden.Der größte Benefit für Enzalutamid wurde dabei in der „Low volume“-Gruppe gefunden, ein Trend zugunsten von Docetaxel lag in der denovo „High volume“-Gruppe vor.

Die Autoren der kürzlich publizierten ARASENS-Studie, die den Überlebensvorteil des Triplets ADT/Darolutamid und Docetaxel gegenüber ADT und Docetaxel bewiesen, fanden in einer Post-hoc-Analyse,6 dass ein nicht nachweisbarer PSA-Wert nach 24 und 36 Monaten bei der Kombination mit Darolutamid häufiger erreicht und das OS gegenüber den Patienten verlängert wurde, deren PSA nachweisbar blieb. Auch wurde die PSA-Progression verzögert und ein länger dauerndes Ansprechen erreicht.

Abb. 2: Gesamtüberleben (OS) in der Interventionsgruppe beim Drei-Jahres-Follow-up der TheraP-Studie

Das metastasierte kastrationsresistente Stadium: 177Lu-PSMA-617/223Ra

Michael Hofman stellte ein Update der TheraP-Studie7 nach drei Jahren vor, die OS als sekundären Endpunkt hatte. Diese Phase-III-Studie verglich die Gabe von 177Lu-PSMA-617 mit Cabazitaxel bei Patienten mit einem mCRPC nach Vortherapie mit Docetaxel. Das OS ist nun mit einer HR von 0,97 nicht signifikant unterschiedlich zu Cabazitaxel und lag beim medianen Gesamtüberleben bei 19 Monaten. 28% der Patienten der ITT-Population waren allerdings aufgrund von „screening failures“ nicht qualifiziert, sodass die Studie hinsichtlich des OS als „underpowered“ gilt. Außerdem zeigte diese Population ein schlechteres klinisches Ergebnis (Abb. 2).

Zusammenfassend muss festgehalten werden, dass 177Lu-PSMA-617 mit einer höheren PFS-Rate nach zwölf Monaten von 19% vs. 3%, einer besserem PSA-Response, einer günstigeren Lebensqualität (QoL) und einem nun mit dem bei Behandlung mit Cabazitaxel, einer ebenfalls lebensverlängernden Substanz, identen OS zweifellos zum Armamentarium der Therapie des mCRPC gehört.

Weiters wurde eine Post-hoc-Subgruppenanalyse der VISION-Studie8 vorgestellt. Diese Phase-III-Zulassungsstudie für 177Lu-PSMA-617 in den USA untersuchte das Radionuklid gegen den SoC (Standard of Care) bei Patienten mit einem mCRPC, die zuvor zumindest einen ARI und eine taxanhaltige Chemotherapie bekommen hatten. Beide primären Endpunkte, rPFS (radiografisches PFS) und OS, waren zugunsten von 177Lu-PSMA-617 verlängert (Abb.3).

Nun wurde die Konsistenz des Therapieeffekts in den Subgruppen mit vorher und gleichzeitig gegebenen Therapien, wie ARI, BHA („bone health agents“) und Radiotherapie, untersucht. Dabei blieben sowohl der PFS- als auch der OS-Benefit aufrecht, unabhängig von den Therapien, die Patienten zuvor und während der 177Lu-PSMA-617-Gabe erhalten hatten.

Interessant und hypothesengenerierend war auch, dass das OS etwas länger war, wenn die Patienten gleichzeitig einen ARI (fragliche Upregulation von prostataspezifischem Membranantigen [PSMA]) oder zuvor nur eine Chemotherapie bekamen. Weiters wurde in der VISION-Studie untersucht, ob ein SUV(„standard uptake value“)-Wert in der diagnostischen Ga-68-markierten Positronenemissionstomografie (PET) vor 177Lu-PSMA-617-Gabe mit dem klinischen Outcome assoziiert sein kann.9 Tatsächlich hatten die Patienten, deren medianer SUV >10 lag, ein mit 21 Monaten vs. 14,5 Monate längeres OS als die, deren SUV niedriger als sechs war. Ähnliches gilt mit elf Monaten vs. sechs Monate auch für das PFS. Somit könnte der mediane SUV >10 ein sowohl prognostischer als auch prädiktiver Biomarker sein bzw. werden. Das Fehlen von PSMA-positiven Läsionen im Knochen und in der Leber war mit einem besseren Outcome assoziiert und bedeutet, dass Lymphknotenmetastasen am besten ansprechen.

Eine weitere Post-hoc-Analyse10 ergab, dass insgesamt über 50% der Patienten fünf bis sechs Zyklen von 177Lu-PSMA-617 verabreicht wurden, ohne dass die Frequenz von „treatment-emergent adverse events“ (TEAE) und „treatment-related adverse events“ (TRAE) sich veränderte. In der REASSURE-Studie, einer laufenden prospektiven, nichtinterventionellen Sicherheitsstudie zu 223Ra, konnte die prominente Studiengruppe um Nicholas James zeigen, dass ein Absinken der alkalischen Phosphatase (ALP) zwölf Wochen nach der ersten Radiumgabe mit einem längeren Gesamtüberleben assoziiert ist (Abb.4).11

Dabei wurde ein Cut-off von 147U/l herangezogen. Sowohl der Abfall der ALP bei Patienten mit einem Baseline-Wert über 147U/l als auch bei jenen mit einem Wert unter 147U/L führte zu einem längeren Gesamtüberleben (median 12,9 und 23 Monate) als bei den Patienten, die kein Absinken zeigten. Ein Ausgangswert unter 147U/l brachte nach Absinken dabei den größten Benefit mit 23 Monaten vs. 16,4 Monate ohne Absinken. Die Berücksichtigung der anderen Variablen wie PSA oder Hämoglobin (Hgb) veränderte dieses Ergebnis nicht, sodass mit der Dynamik der ALP zukünftige Patienten für eine 223Ra- Therapie selektioniert werden können.

Eine retrospektive Analyse der RALU-Studie12, die an deutschen nuklearmedizinischen Zentren den Effekt und die Sicherheit von 177Lu-PSMA-617 nach der Gabe von 223Ra untersuchte, bestätigte die Durchführbarkeit der Sequenz mit einer akzeptablen Hämatotoxizität. 43% der Patienten wiesen eine G3/4-Nebenwirkung auf. Dabei war die Anämie mit 35% vor der Thrombopenie mit 12% in der G3/4-Toxizität führend. Die Ansprech- und Überlebensraten entsprachen denen in der VISION-Studie und bestätigten den frühzeitigen Einsatz von 223Ra vor 177Lu-PSMA-617, der zu einer optimierten Sequenz zweier „life prolonging agents“ führt.

Abb. 3: Primärer Endpunkt PSA-Ansprechen in der TheraP-Studie

Die immunonkologische (IO) Therapie konnte bislang beim fortgeschrittenen Prostatakarzinom noch keine wirklichen Vorteile zeigen, weil der Tumor als immunologisch „kalt“ eingestuft wird (Pembrolizumab in der KEYNOTE-199-Studie, Ipilimumab/Nivolumab in der CheckMate650-Studie und Atezolizumab). Zwar noch in der Phase I, aber doch mit bemerkenswerten Daten stellte sich jetzt in der PRINCE-Studie13 die Kombination aus 177Lu-PSMA-617 mit Pembrolizumab beim mCRPC dar (Abb.5). Nach entsprechendem PSMA-PET-Imaging mit nachfolgenden sechs Zyklen 177Lu-PSMA-617 und 35 Zyklen Pembrolizumab fand sich bei 76% der 37 unselektierten Patienten eine PSA-Reduktion von >50%. Dieses Ergebnis deutet einen synergistischen Effekt der IO- und der Radioliganden-Therapie an (46% in der VISION-Studie; 6–10% in den IO-Studien).

Eine Abbruchrate von 19% für Pembrolizumab ist allerdings bei einem 12,2-mo- natigen PFS und einem 17,8-monatigen OS in diesem prognostisch schlechten Tumorstadium durchaus als tolerabel zu werten.

Abb. 4: Absinken der alkalischen Phosphatase in der REASSURE-Studie, Woche 12 und Gesamtüberleben

PARP-Inhibitoren beim mCRPC

Nach den beiden Phase-III-Kombinationsstudien mit PARP-Inhibitoren, der unselektierten PROPEL-Studie mit Abirateron und Olaparib und der nach Biomarker selektierten MAGNITUDE-Studie mit Abirateron und Niraparib, stellen sich verschiedene Fragen. So besteht unter anderem Interesse am synergistischen Effekt beider Substanzklassen (vorhanden bei BRCA2-mutierten Tumoren), der Biomarker(BM)-Positivität als Voraussetzung für ein klinisches Ansprechen (derzeit noch unklar), der Tolerabilität der Kombination (gegeben) und daran, ob weitere BM gefunden werden können (wahrscheinlich).

In einem hervorragenden Design der Phase-II-Studie BRCAAWAY von Maha Hussain14 wurden auf BRCA1/2- und ATM-Mutation positiv getestete Patienten ohne Vortherapie mit Abirateron, Olaparib oder der Kombination beider Wirkstoffe behandelt und untersucht. Im Falle einer Progression konnte ein Crossover in die jeweils andere Kohorte gemacht werden, sodass sowohl die Vorab-Kombination als auch die Sequenz getestet werden konnten. Mit 75% war BRCA2 die häufigste Alteration (20% ATM, 5% BRCA1). Bei noch unreifer Datenlage mit noch fehlendem medianem PFS erbrachte die Kombination hinsichtlich des PFS nach zwölf Monaten mit 95% vs. 49% für Olaparib und 40% für Abirateron eine deutlich bessere Performance als die Monotherapien.

In einer von Antoine Thiery-Vuillemin vorgestellten Tolerabilitätsanalyse der PROpel-Studie15 zu Olaparib und Abirateron war eine mit 16% relativ hohe Transfusionsnotwendigkeit wegen schwerer Anämie festgestellt worden. Dies führte zu Dosisreduktionen bei 11% der Patienten. 7% der Patienten wiesen Thromboembolien auf, von denen 70% zufällig entdeckt wurden und asymptomatisch blieben, jedoch eine Antikoagulation nach sich zogen.

Eine „Gene by Gene“-Analyse der MAGNITUDE-Studie von Shahneen Sandhu16 wies auch einen Benefit für Patienten mit PALB-, CHEK2- und HDAC2-Genalterationen auf, die neben den Patienten mit BRCA2-Mutationen von der Kombination ADT/Abirateron/Niraparib im mCRPC-Setting profitierten. ATM-Mutationen zeigten ein gemischtes Ansprechen, während Patienten mit CDK12-Mutationen erwartungsgemäß keinen Benefit erfuhren und eher auf eine Immuntherapie ansprechen dürften.

In einer von Heather Cheng herausragend geführten Diskussion wurde eine Vereinheitlichung der Bestimmungsmethoden für Biomarker gefordert, um zukünftige Daten vergleichen zu können, wie z.B. ob die Bestimmung aus Gewebe- oder aus Plasma-ctDNA, im archivierten oder biopsierten Gewebe oder bei somatisch oder Keimbahn-mutierten Tumoren durchgeführt werden soll.

Abb. 5:Primärer Endpunkt PSA-Ansprechen in der PRINCE-Studie

Zusammenfassung

Wenn auch ein wirklicher Gamechanger in diesem Jahr fehlte, so helfen uns die vielen Updates der großen Studien aus dem letzten Jahr mit ihren bestätigten evidenzbasierten Ergebnissen doch insofern, als wir diese Therapien unseren Patienten mit gutem Gewissen anbieten können.

Die zahlreichen neuen Therapieansätze, die in Phase-I- und Phase-II-Studien präsentiert wurden, lassen wiederum die Hoffnung auf ehebaldige klinische Anwendung einiger Erfolg versprechender Substanzen erwarten.

1 Shipley Wu et al.: Radiation with or without antiandrogen therapy in recurrent prostate cancer. N Engl J Med 2017; 376(5): 417-28 2 Carrie C et al.: Short-term androgen deprivation therapy combined with radiotherapy as salvage treatment after radical prostatectomy for prostate cancer (GETUG-AFU 16): a 112-month follow-up of a phase 3, randomised trial. Lancet 2019; 20(12): P1740-9 3 Tran P et al.: Phase II, double-blind, randomized study of salvage radiation therapy (SRT) plus enzalutamide or placebo for high-risk PSA-recurrent prostate cancer after radical prostatectomy: The SALV-ENZA Trial. ASCO 2022; Abstr. #5012 4 ASCO 2022; Abstr. #5015 5 ASCO 2022; Abstr. #LBA 5004 6 ASCO 2022; Abstr. #5078 7 ASCO 2022; Asbtr. #5000 8 ASCO 2022; Abstr. #5001 9 ASCO 2022; Abstr. #5002) 10 ASCO 2022; #5047 11 ASCO 2022; Abstr. #5041 12 ASCO 2022; #5040 13 ASCO 2022; Abstr. #5017; 14 ASCO 2022; Abstr. #5018 15 ASCO 2022; Abstr. #5019 16 ASCO 2022; Abstr. #5020

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