
Neues zum myelodysplastischen Syndrom
Autor:
Univ.-Prof. Dr. Michael Pfeilstöcker,MBA
Oberarzt
3. Medizinische Abteilung mit Onkologie
Hanusch-Krankenhaus, Wien
E-Mail: michael.pfeilstoecker@oegk.at
Vielen Dank für Ihr Interesse!
Einige Inhalte sind aufgrund rechtlicher Bestimmungen nur für registrierte Nutzer bzw. medizinisches Fachpersonal zugänglich.
Sie sind bereits registriert?
Loggen Sie sich mit Ihrem Universimed-Benutzerkonto ein:
Sie sind noch nicht registriert?
Registrieren Sie sich jetzt kostenlos auf universimed.com und erhalten Sie Zugang zu allen Artikeln, bewerten Sie Inhalte und speichern Sie interessante Beiträge in Ihrem persönlichen Bereich
zum späteren Lesen. Ihre Registrierung ist für alle Unversimed-Portale gültig. (inkl. allgemeineplus.at & med-Diplom.at)
Die virtuelle Frühjahrstagung der Österreichischen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie bot im Rahmen von Best-of-Sessions die Gelegenheit, „State of the Art“-Therapien zu reflektieren und Ausblicke in unterschiedliche Teilgebiete der Hämatologie und Onkologie vorzunehmen. So gab es auch zum myelodysplastischen Syndrom (MDS) eine bereichernde Best-of Session.
Keypoints
-
Biologie: mögliche zunehmende Bedeutung molekularer Subgruppen mit therapeutischer Konsequenz
-
EPO-refraktäre transfusionsbedürftige Niedrigrisiko-Patienten: Luspatercept als neu zugelassene Option bei SF3B1-Mutation/Ringsideroblasten – Imetelstat als neue Substanz in der Pipeline
-
Neue Substanzen für Hochrisiko-Patienten in Erprobung: Kann die Azacytidin-Monotherapie als Standard ergänzt oder ersetzt werden?
-
Stammzelltransplantation weiterhin valide Option für geeignete Patienten – wichtig: rasche Spendersuche und frühzeitige Transplantation
Biologie, Klassifikation und Prognoseabschätzung
In den letzten Jahren ist das Wissen zur Biologie des MDS, insbesondere über grundlegende molekulare Prozesse, stetig gewachsen.1 Allerdings stellen auch heute noch die Klassifikation der WHO (World Health Organisation) in der Version von 2016, die nur zwei genetisch definierte Parameter (Deletion 5q und SF3B1-Mutation als Surrogat für Ringsideroblasten) berücksichtigt,2 sowie der IPSS-R zur Prognoseabschätzung, der nur Zytogenetik, aber keine molekularen Prognoseparameter berücksichtigt,3,4 die Standardinstrumente in der MDS-Diagnostik dar.
Das Problem in der weiteren Entwicklung sind die hohe Heterogenität bei den verschiedenen MDS-Formen sowie das parallele Auftreten mehrerer Mutationen bei ein und demselben Patienten. So wird der Vorschlag, alle Formen des SF3B1-mutierten MDS als eigene Entität zu klassifizieren,5 nicht zuletzt wegen der Effekte unterschiedlicher Ko-Mutationen kontrovers diskutiert.6
Die Entwicklung eines molekularen Prognosescores ist zu erwarten, mittlerweile finden die genetischen Veränderungen bereits wie im Folgenden beschrieben Eingang in Therapieentscheidungen.
Neue Optionen bei Niedrigrisiko-MDS
Eines der Hauptproblemfelder bei Niedrigrisiko-MDS ergibt sich mit transfusionsbedürftigen, Erythropoetin(EPO)-refraktären Patienten, die zum Großteil nach wie vor mit chronischer Transfusion und Eisenchelation behandelt werden müssen. Bei 5q-Minus-Syndrom steht in diesem Fall bereits seit Langem erfolgreich Lenalidomid zur Verfügung. Bei Patienten mit Ringsideroblasten (Abb. 1) oder SF3B1-Mutation wurde 2020 mit dem Ausreifungsaktivator Luspatercept eine neue Option zugelassen. Grundlage waren die Daten der MEDALIST-Phase-III-Studie,7 in der EPO-refraktäre Niedrigrisiko-MDS-Patienten mit Ringsideroblasten oder SF3B1-Mutation randomisiert Luspatercept oder Placebo erhielten. Der primäre Endpunkt Transfusionsunabhängigkeit ≥8 Wochen wurde bei 47,1% der Patienten bei guter Verträglichkeit erreicht. Der therapeutische Einsatz wurde bereits in die aktualisierten Onkopedia Guidelines aufgenommen (Abb. 2). Offen und Thema weiterer Studien sind Fragen nach dem Einsatz in der Erstlinie, in anderen Populationen sowie als Kombinationstherapie.
In der gleichen Fragestellung werden bei anderem genetischem Hintergrund weitere Substanzen untersucht. Die am Jahreskongress der American Society of Hematology (ASH) 2020 präsentierten Langzeit-Phase-II-Daten zu Imetelstat sind vielversprechend:8 Bei hoher Transfusionslast konnte eine Transfusionsunabhängigkeit ≥8 Wochen bei 42% erzielt werden, 29% blieben über ein Jahr transfusionsfrei. In Hinblick auf den Wirkmechanismus könnte auch ein krankheitsmodifizierender Effekt möglich sein.
Wohin geht die Reise bei Hochrisiko-MDS?
Für nicht transplantable Patienten stellt die Monotherapie mit Azacytidin weiterhin die einzige sinnvolle Therapieoption dar (Abb. 3). Trotz aller bisherigen Fehlschläge werden Kombinationstherapien mit unterschiedlichen Partnern für das Backbone der hypomethylierenden Substanzen (HMA) intensiv weiterverfolgt, wie folgende Beispiele zeigen:
Venetoclax wird in Kombination mit Standard-Azacytidin u.a. bei MDS untersucht:9Mittlerweile sind 78 Patienten auswertbar. AEs Grad ≥3, die bei 96% verzeichnet wurden, waren meist hämatotoxischer Natur. Die Gesamtansprechrate betrug 79%, (komplette Remissionen [CR] und komplette Knochenmarkremissionen [mCr] jeweils 39,7%), die Schätzungen für die Rate des Ein- bzw. Zwei-Jahres-Überlebens betrugen 76,8% bzw. 59,6%.
Pevonedistat ist eine neue zielgerichtete Substanz, die in den proteasomalen Abbau wesentlicher Proteine eingreift. Am ASH-Kongress 2020 wurde aus einer randomisierten Phase-II-Studie ein Update der Subgruppe der Hochrisiko-MDS-Patienten präsentiert.10 Der primäre Endpunkt ereignisfreies Überleben (EFS) wurde erreicht: Das EFS betrug median 20,2 für die Kombination vs. 14,8 Monate für die Azacytidin-Monotherapie (p=045). Das mediane Gesamtüberleben (OS) war nicht signifikant verlängert (23,9 vs. 19,1 Monate – die Studie war hierfür aber nicht gepowert), ebenfalls besser war die CR-Rate (52% vs. 27%). Bemerkenswert ist, dass die Kombination ein vergleichbares Sicherheitsprofil wie die Azacytidin-Monotherapie aufwies und die Myelosuppression nicht verstärkte.
Das Auftreten einer p53-Mutation ist bei MDS mit einer schlechten Prognose und auch schlechterem Therapieansprechen (einschließlich schlechter Ergebnisse bei Stammzelltransplantation) verbunden. Daher ist es wichtig, für diese Patienten neue Optionen zu entwickeln. APR 246 ist eine Substanz, die durch Mutation veränderte Konformation und damit die Wirksamkeit des p53-Proteins wiederherstellen kann. APR 246 wurde in der Erstlinie in einer Phase-Ib/II-Studie in Kombination mit Azacytidin untersucht. Auffällig war eine beherrschbare Off-target-Neurotoxizität. Die Ergebnisse sind mit einer Rate des objektiven Ansprechens (ORR) von 73%, CR 50%,einer Rate des kompletten zytogenetischen Ansprechens (CyCR) von 58% sowie einem medianen OS von 10,8 Monaten ermutigend.11 Die entsprechende Phase-III-Studie ist abgeschlossen, die Daten sind jedoch noch nicht publiziert.
Viel verspricht man sich auch von der Einführung neuer immunologischer Wirkmechanismen in die MDS-Therapie: Magrolimab ist ein Anti-CD47-Antikörper, der ein „Don’t eat me“-Signal auf Leukämiezellen hemmt und damit Phagozytose induziert. Sabatolimab ist als Anti-TIM-3-Antikörper ein Checkpoint-Inhibitor mit neuem Targetmolekül. Beide Antikörper wurden jeweils in Studien zur Erstlinie in Kombination mit Standard-HMA untersucht.12,13 Immunmediierte Nebenwirkungen sind selten, sodass die Verträglichkeit ähnlich der bei HMA-Monotherapie ist. Die Ansprechraten sind überraschend hoch. Für Magrolimab: ORR 91% mit 42% CR, 24%mCR; für Sabatolimab: ORR 64% mit CR 23%, 28% mCR, wobei insbesondere in der Magrolimab-Studie viele Hochrisikopatienten auch mit p53-Mutation behandelt wurden.
Während also für nicht transplantationsgeeignete MDS-Patienten die Azacytidin-Monotherapie Standard außerhalb von Studien bleibt, haben neue Kombinationspartner das Potenzial zur Verbesserung. Von Vorteil ist bei einigen neuen Substanzen die geringe zusätzliche Toxizität, was für multimorbide ältere MDS-Patienten ein Vorteil sein und eventuell auf mögliche zukünftige Tripeltherapien weisen kann. In allen Fällen gilt es jedoch, die Ergebnisse der laufenden Phase-III-Studien abzuwarten.
Transplantation bei MDS
Bei Fehlen aussagekräftiger randomisierter Studien ist der Stellenwert der Transplantation für die Mehrzahl der MDS-Patienten unklar. Eine multizentrische zweiarmige Studie mit biologischem Assignment hat sich dieses Themas erneut gewidmet.14 Bei für eine RIC(„reduced intensity conditioning“)-Transplantation geeigneten Hochrisiko-MDS-Patienten zwischen 55 und 75 Jahren wurde vor Therapiebeginn eine Spendersuche (90 Tage) eingeleitet, Patienten mit Familienspendern oder 8/8 gematchten Fremdspendern wurden dem Transplantationsarm zugeordnet. Patienten ohne Spender oder solche, die während der Spendersuche verstorben waren, wurden dem No-Donor-Arm zugeordnet. 384 Patienten wurden eingeschlossen (Donor 260, No-Donor 124). Eine Non-Compliance-Rate von 26,3% musste verzeichnet werden: 44 Patienten im Spenderarm wurden nicht, 26 statt RIC myeloablativ transplantiert. Im No-Donor-Arm wurde bei 31 Patienten zu einem späteren Zeitpunkt doch ein Spender gefunden und eine Transplantation durchgeführt. Der primäre Endpunkt der Studie wurde erreicht: In der Intent-to-treat-Analyse betrug das OS nach 3 Jahren 47,9% gegenüber 26,6% (Donor vs. No-Donor). Die Studie unterstreicht den Vorteil einer erfolgreichen allogenen Stammzelltransplantation gegenüber konventioneller Therapie für ausgewählte MDS-Patienten (das Einschlusskriterium des Alters allein schließt bereits knapp die Hälfte der MDS-Patienten aus, eine Eignung für die RIC-Transplantation muss ebenfalls gegeben sein). Für einen Erfolg der Prozedur ist es jedenfalls wichtig, möglichst rasch einen Spender zu finden und die Therapietoxizität bis zur Transplantation möglichst gering zu halten. Daher sollte für alle geeigneten Patienten unter 75 Jahren sofort eine Spendersuche initiiert werden und sie sollten rasch einem Transplantationszentrum vorgestellt werden.
Literatur:
1 Cazzola M: Myelodysplastic syndromes. N Engl J Med 2020; 383: 1358-74 2 Arber DA et al.: The 2016 revision to the World Health Organization classification of myeloid neoplasms and acute leukemia. Blood 2016; 127(20): 2391-405 3 Greenberg P et al.: Revised international prognostic scoring system for myelodysplastic syndromes. Blood 2012; 120(12): 2454-65 4 Pfeilstöcker M et al.: Time-dependent changes in mortality and transformation risk in MDS. Blood 2016; 128(7): 902-10 5 Malcovati L et al.: SF3B1-mutant MDS as a distinct disease subtype: a proposal from the International Working Group for the Prognosis of MDS. Blood. 2020; 136(2): 157-70 6 Abhishek A et al.: Prognostic interaction between bone marrow morphology and SF3B1 and ASXL1 mutations in myelodysplastic syndromes with ring sideroblasts. Blood Cancer Journal 2018; 8(2): 187 Fenaux P et al.: Luspatercept in patients with lower-risk myelodysplastic syndromes. NEngl J Med 2020; 382(2): 140-15 8 Platzbecker U et al.: Imerge: a phase 3 study to evaluate imetelstat in transfusion-dependent subjects with IPSS low or intermediate-1 risk myelodysplastic syndromes (MDS) that is relapsed/refractory to erythropoiesis-stimulating agent (ESA) treatment. Blood 2020; 136(Suppl 1): 17 9 Garcia JS et al.: Safety, efficacy, and patient-reported outcomes of venetoclax in combination with azacitidine for the treatment of patients with higher-risk myelodysplastic syndrome: a phase 1b study. Blood 2020; 136(Suppl 1): 55-7 10 Sekeres MA et al.: Efficacy and safety of pevonedistat plus azacitidine vs azacitidine alone in higher-risk myelodysplastic syndromes (MDS) from study P-2001 (NCT02610777). ASH-Meeting 2020; Abstr. #653 11 Sallman DA et al.: Eprenetapopt (APR-246) and Azacitidine in TP53-Mutant Myelodysplastic Syndromes. J Clin Oncol 2021; 39(14): 1584-94 12 David S et al.: The first-in-class anti-Cd47 antibody Hu5f9-G4 is active and well tolerated alone or in combination with azacitidine in AML and MDS patients: initial phase 1b results. EHA-Kongress 2020; Abstr. #S187 13 Brunner AM et al.: Efficacy and safety of sabatolimab (MBG453) in combination with hypomethylating agents (HMAs) in patients with acute myeloid leukemia (AML) and high-risk myelodysplastic syndrome (HR-MDS): updated results from a phase 1b study. Blood 2020; 136(Suppl 1): 1-2 14 Nakamura R et al.: A multi-center biologic assignment trial comparing reduced intensity allogeneic hematopoietic cell transplantation to hypomethylating therapy or best supportive care in patients aged 50-75 with advanced myelodysplastic syndrome: blood and marrow transplant clinical trials network study 1102. Blood 2020; 136(Suppl 1): 19-21 15 Hofman et al.: Onkopedia Guidelines MDS; Stand März 2021. Online unter: onkopedia.com/de/onkopedia/guidelines/myelodysplastische-syndrome-mds/@@guideline/html/index.html
Das könnte Sie auch interessieren:
Adjuvantes Osimertinib reduziert ZNS-Rezidive bei EGFR-mutierter Erkrankung
Etwa 30% der Patienten mit nicht kleinzelligem Lungenkarzinom (NSCLC) präsentieren sich mit resezierbarer Erkrankung und werden einer kurativen Operation unterzogen. Viele Patienten ...
Highlights zu Lymphomen
Assoc.Prof. Dr. Thomas Melchardt, PhD zu diesjährigen Highlights des ASCO und EHA im Bereich der Lymphome, darunter die Ergebnisse der Studien SHINE und ECHELON-1
Aktualisierte Ergebnisse für Blinatumomab bei neu diagnostizierten Patienten
Die Ergebnisse der D-ALBA-Studie bestätigen die Chemotherapie-freie Induktions- und Konsolidierungsstrategie bei erwachsenen Patienten mit Ph+ ALL. Mit einer 3-jährigen ...