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Tibiakopffrakturen – moderne Klassifikationen und operative Strategie
Jatros
Autor:
Prim. Priv.-Doz. Dr. René El Attal
Klinik für Unfallchirurgie und Sporttraumatologie<br>Landeskrankenhaus Feldkirch<br>E-Mail: rene.elattal@vlkh.net
30
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20.09.2018
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<p class="article-intro">In der Behandlung von Tibiakopffrakturen konnten in den letzten 15 Jahren deutliche Fortschritte gemacht werden. Einerseits konnte die Diagnostik durch eine mittlerweile standardisierte CT-Abklärung und gegebenenfalls MRT-Abklärung verbessert werden, andererseits sind mittlerweile Zugangswege für jeden Bereich des Tibiakopfes gut beschrieben, sodass nach genauer Analyse ein sehr differenziertes Säulenkonzept für die Versorgung erstellt werden kann.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Unverändert ist der hohe Anspruch, die Gelenkflächen anatomisch zu rekonstruieren. Winkelstabile und anatomisch vorgeformte Implantate erleichtern gelegentlich das Leben der Traumatologen, wenngleich noch immer häufig Kompromisse gemacht werden müssen.<br />Deutlich mehr Aufmerksamkeit wird heute ligamentären Begleitverletzungen geschenkt, die am Ende jeder Osteosynthese durch Stressaufnahmen unter dem Bildwandler dokumentiert werden sollen. Ebenso müssen Varus- oder Valgusfehlstellungen der resultierenden Beinachse unbedingt vermieden und intraoperativ kontrolliert werden.<br />Frakturen des Tibiakopfes betreffen die Gelenkflächen und die Metaphyse der proximalen Tibia. Sie sind grundsätzlich selten und machen 1,2 % aller behandelten Frakturen aus. In Skiregionen kommt es jedoch zu einem deutlichen saisonalen Anstieg dieser Verletzungen. Hochenergietraumen betreffen vornehmlich jüngere Erwachsene, während ein zweiter Anstieg durch Niedrigenergietraumen im hohen Lebensalter zu beobachten ist. Überlebende von Stürzen aus großer Höhe und Motorradunfällen bei hoher Geschwindigkeit weisen besonders schwere Frakturformen mit gravierender Hautweichteiltraumatisierung sowie Nerven- und Gefäßverletzungen auf. Aufgrund der unterschiedlichen Entstehung dieser Frakturen und der daraus resultierenden großen Breite an Frakturmustern und Weichteilverletzungen müssen viele verschiedene Behandlungskonzepte verfolgt werden.</p> <h2>Frakturmechanismus</h2> <p>Kennedy und Bailey konnten bereits 1969 sämtliche Frakturmuster erzeugen, indem sie Präparate Varus- oder Valguskräften, isoliert oder kombiniert mit ansteigenden axialen Belastungen, aussetzten. Das Ausmaß der Krafteinwirkung bedingt nicht nur größere Fragmentierung, sondern auch eine größere Dislokation der Fragmente. Diese führt in der Klinik zu schweren Zusatzverletzungen des Hautweichteilmantels, aber auch der Menisci und sämtlicher Bandstrukturen. Kantenfragmente können als Hinweis auf einen Luxationsmechanismus gewertet werden.</p> <h2>Klassifikationen</h2> <p>Klassisch werden die Tibiakopffrakturen nach AO, nach Schatzker und nach Moore eingeteilt. Während die AO-Klassifikation eine zunehmende Schwere der Verletzung von A bis C beschreibt und v.a. in wissenschaftlichen Studien angegeben wird, sind Schatzker und Moore stärker im klinischen Gebrauch, weil leichter erinnerlich. Rein posteriore Scherfrakturen des Tibiaplateaus passen in keine dieser Klassifikationen. Diese werden heute häufiger beobachtet und seit 2005 auch in der Literatur beschrieben. Sie erfordern einen dorsalen Zugang (Abb. 1). Frakturen der Eminentiae intercondylaris können auch isoliert auftreten und stellen knöcherne Ausrisse der Kreuzbänder dar.</p> <h2>Folgen einer Fraktur des Tibiaplateaus</h2> <p>Wenn die knöcherne Anatomie und die Bandfunktion nicht hergestellt werden können, führt dies zu chronischer Instabilität, welche für sich genommen oder kombiniert mit Gelenkstufen zu früher posttraumatischer Arthrose führt. Auch sind massive Achsabweichungen zu erwarten. Verzögerte Mobilisierung führt rasch zu ausgeprägten und schwer behandelbaren Bewegungseinschränkungen des Kniegelenks. Selbst bei optimaler Behandlungsstrategie und optimalem Behandlungsergebnis kommt es in vielen Fällen zur Entwicklung arthrotischer Veränderungen des tibiofemoralen Gelenks, die auch auf das initiale Knorpeltrauma zurückzuführen ist.<br />Begleitverletzungen der Menisci sind häufig. In vielen Fällen handelt es sich um gut behandelbare, randständige Risse mit guter Prognose. Bei komplettem Verlust der Menisci ist mit entsprechend schwerwiegenden Folgen für das Kniegelenk zu rechnen. Besonders der Verlust des lateralen Meniskus führt zu massiven Druckspitzen des ohnehin geschädigten Knorpels, was eine rasche Arthroseentwicklung bedingt.<br />Auf eine Fraktur der Tuberositas tibiae ist besonders zu achten, da eine Dislokation den vollständigen Verlust der Streckfunktion des Kniegelenks bedingt.<br />Verletzungen von Gefäßen und Nerven treten zwar selten auf, sind jedoch in jedem Fall auszuschließen, da sonst der Verlust der Extremität droht. Im Zweifelsfall sollte eine CT-Angiografie durchgeführt werden. Auch die Entwicklung eines Kompartmentsyndroms muss antizipiert und überwacht werden; falls sich ein solches entwickelt, muss sofort entlastet werden.<br />Die proximale Tibia liegt, außer im dorsalen Anteil, subkutan und daher ist bei Hochenergietraumen – auch bei geschlossenen Frakturen – mit schweren Weichteilschäden zu rechnen. Diese demaskieren sich unter Umständen erst im Verlauf.<br />Hautnekrosen und ein schlecht gewählter Zeitpunkt der Operation führen zu sezernierenden Wunden, Infektionen und Osteomyelitis.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1805_Weblinks_s42_1.jpg" alt="" width="1417" height="821" /></p> <h2>Klinische Untersuchung</h2> <p>Aufgrund der genannten Frakturfolgen ist eine strukturierte und genaue klinische Untersuchung unerlässlich. Dies trifft auch und im Besonderen bei polytraumatisierten Patienten zu. Obwohl andere Verletzungen die Aufmerksamkeit ablenken können, sind in jedem Fall die Durchblutung, Motorik und Sensibilität am wachen Patienten zu überprüfen und ein Kompartmentsyndrom auszuschließen. Die Weichteilsituation ist zu beurteilen und bei offenen und geschlossenen Frakturen nach Gustilo bzw. Tscherne zu klassifizieren. Beim narkotisierten Patienten sind serielle Kontrollen des Kompartmentdrucks und eine Doppler-Sonografie der A. tibialis und A. dorsalis pedis durchzuführen. Bei Verdacht auf eine Gefäßverletzung ist eine CT-Angiografie durchzuführen. Bestätigt sich der Verdacht, sind eine sofortige Gefäßrekonstruktion nach Fixateur-externe-Anlage und Spaltung aller vier Logen des Unterschenkels notwendig, um die Extremität zu retten. Auch ohne Gefäßverletzung kann sich innerhalb der ersten Tage ein Kompartmentsyndrom entwickeln. Engmaschige Kontrollen innerhalb der ersten 48 Stunden sind erforderlich.</p> <h2>Bildgebung</h2> <p>Initial wird immer eine Standard-Röntgenaufnahme im Strahlengang ap (15° geneigt) und seitlich durchgeführt. Gerade bei komplexeren Frakturen gehört heute auch die Computertomografie des Kniegelenks zur standardisierten Abklärung. Diese sollte nach Reposition und Gipsanlage bzw. Fixateur-externe-Anlage erfolgen, wenn diese bereits geplant sind.<br />Bei komplexen Frakturen sind 3D-Rekonstruktionen (Abb. 2) sehr hilfreich, um die operative Rekonstruktion zu planen und ein Gesamtbild von der Fraktur zu erhalten. <br />Eine Magnetresonanztomografie wäre oftmals hilfreich, um Band- und Meniskusverletzungen zu diagnostizieren, ist aber leider meist nicht akut verfügbar. Bei akuter Anlage eines Fixateurs müssen MRT-taugliche Backen verwendet werden. Selbst dann wird eine MRT-Untersuchung bei liegendem Fixateur zu einem späteren Zeitpunkt von Radiologen nicht immer freigegeben.</p> <h2>Begleitverletzungen</h2> <p><strong>Proximale Fibulafraktur</strong></p> <p>Nach Versorgung des Tibiakopfes muss die Stabilität des lateralen bzw. posterolateralen Bandapparats geprüft werden. Bei eindeutiger Aufklappbarkeit bzw posterolateraler Rotationsinstabilität soll die Fibulafraktur mitversorgt werden, da sowohl laterales Seitenband, Bizepssehne als auch Teile des Arcuatumkomplexes (popliteofibulares Band) hier inserieren und damit die posterolaterale Stabilisierung des Kniegelenks erreicht werden kann.</p> <p><strong>Fraktur der Tuberositas tibiae</strong></p> <p>Diese wird meist bei Schatzker-V- und -VI-Frakturen beobachtet und bedeutet die Unterbrechung des Quadrizepsmechanismus, was unbehandelt zur weiteren Dislokation und in der Folge zum Verlust der Streckfunktion führen kann. Es muss daher nach diesen Frakturen aktiv gesucht und ihre Versorgung in das operative Behandlungskonzept eingeplant werden. Sowohl im Röntgen als auch im CT können diese Frakturen übersehen oder missinterpretiert werden, meist ist die 3D-Rekonstruktion hilfreich.</p> <p><strong>Meniskus</strong></p> <p>Die Häufigkeit von Meniskusverletzungen im Rahmen von Tibiaplateau-Frakturen wird zwischen 47 % und 91 % (je nach Methode und Definition) angegeben. Bei starker Dislokation und/oder Impression des medialen und/oder lateralen Plateaus muss von einer Verletzung zumindest der meniskokapsulären Strukturen ausgegangen werden. Allein durch die Reposition der Fraktur werden die meist sehr randständig gerissenen Anteile des Meniskus ebenfalls reponiert. In jedem Fall sollte bei medialen und lateralen Zugängen der Meniskus direkt inspiziert und in den meisten Fällen auch genäht oder gesichert werden. Auf die Bedeutung von Meniskusverlust und Arthroseentwicklung wurde bereits hingewiesen.</p> <p><strong>Seitenbandverletzungen</strong></p> <p>Die Voraussetzung, diese Verletzungen zu entdecken, ist eine genaue Stabilitätsprüfung nach Osteosynthese des Tibiakopfes, idealerweise unter Bildwandler, sollten die Verletzungen nicht schon im Rahmen der Frakturdarstellung augenscheinlich sein. Die Häufigkeit der Verletzungen des Seitenbandapparates wird generell zwischen 8 % und 45 % angegeben, mediale sind fast doppelt so häufig wie laterale. Bei drittgradiger Aufklappbarkeit in Streckstellung liegt immer auch eine Verletzung der posteromedialen oder posterolateralen Ecke vor. Meist können diese im Rahmen der Frakturversorgung von innen nach außen mitversorgt werden. Gelegentlich ist jedoch eine Zugangserweiterung oder Neuanlage notwendig. Für die Versorgung können heute neben dem reinen Repair auch gängige Augmentationstechniken mit Ankern und Tapes oder auch Sehnengewebe genutzt werden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1805_Weblinks_s42_2.jpg" alt="" width="915" height="869" /></p> <p><strong>Kreuzbandrupturen (VKB und HKB)</strong></p> <p>Bei Eminentia-Ausrissen sind diese augenscheinlich. In der Literatur werden signifikante VKB-Läsionen in 57 % der Fälle gefunden, komplette VKB-Rupturen am häufigsten bei Frakturen vom Schatzker-Typ II. Rupturen des HKB werden deutlich seltener (28 % ) beschrieben; wenn, dann meist als knöcherne Ausrisse des HKB typischerweise bei Schatzker-Typ-I-Frakturen. Insgesamt ist die Inzidenz an zusätzlichen Bandinstabilitäten beträchtlich und deren Vorliegen muss daher am Ende der knöchernen Versorgung überprüft werden beziehungsweise muss bei knöchernen Ausrissen die Versorgung in den operativen Behandlungsplan mitaufgenommen werden. Rein ligamentäre Kreuzbandrupturen werden in der Regel zweizeitig versorgt.</p> <p><strong>Neurovaskuläre Verletzungen</strong></p> <p>Obwohl Gefäß- und Nervenläsionen insgesamt selten auftreten, sind die Arteria poplitea und der Nervus peronaeus communis besonders gefährdet. Am häufigsten wurden diese folgenschweren Verletzungen bei Luxationsfrakturen (Schatzker V und VI) und Hochenergietraumen mit dorsalen Frakturanteilen dokumentiert. Wie bereits erwähnt, sind eine genaue klinische Untersuchung und der großzügige Einsatz einer CT-Angiografie in der initialen Behandlungsphase obligatorisch, um Gefäßverletzungen auszuschließen bzw. zu erkennen und notfallmäßig zu behandeln. Bei Vorliegen einer traumatischen Peronaeusläsion wird der Nerv im Rahmen der operativen Versorgung dargestellt. Im Vorfeld kann eine Nervensonografie Hinweise auf eine komplette Durchtrennung geben. In Abhängigkeit von der plastisch-chirurgischen Versorgungsmöglichkeit wird der Nerv in dieser Situation nach stabiler Osteosynthese entweder markiert oder gleich im Anschluss versorgt.</p> <p><strong>Hautweichteilmantel</strong></p> <p>Bei hochenergetischen Verletzungen mit direktem Anprall sind schwerwiegende Verletzungen der Haut und des Unterhautfettgewebes sehr häufig. Auch regelrechte geschlossene Décollements kommen vor. Die Einschätzung der Weichteilsituation am Anfang braucht sehr viel Erfahrung. Leider kommt es immer wieder zur dramatischen Unterschätzung der Weichteilverletzung. Eine über Tage andauernde Demarkierung von Haut-/Weichteilnekrosen unter Beteiligung der Zugangsinzisionen kann die Folge sein. Wundsekretion, Infektion, totaler Verlust der Weichteildeckung über den Implantaten und schließlich rascher Ausbau des Osteosynthesematerials mit schlechtem Outcome für den Patienten bis hin zum Verlust der Extremität werden durch eine zu aggressive Vorgehensweise beobachtet. Bei kritischer oder zweifelhafter Weichteilsituation bei Hochenergietraumen sollte daher immer ein zweizeitiges Verfahren mittels Fixateur externe gewählt werden.</p> <h2>Therapie</h2> <p><strong>Konservative Behandlung</strong></p> <p>Stabile Frakturen ohne Dislokation und Gelenkstufen von <3mm können grundsätzlich konservativ behandelt werden. Allerdings ist eine lange Entlastungsperiode in Kauf zu nehmen: in der Regel mindestens 8 Wochen mit anschließend langsamem Übergang zur Vollbelas­tung ab der 12. Woche. Auch ist zu bedenken, dass gerade betagte Patienten oft nicht in der Lage sind, eine entlastende oder teilbelastende Mobilisation durchzuführen. Die frühe Bewegungstherapie des Kniegelenks ist ein entscheidender Faktor für ein gutes Ergebnis. Daher sollten bei konservativer Therapie keinesfalls lange Gipsruhigstellungen verordnet werden. In den meisten Fällen ist die operative Stabilisierung bzw. Sicherung und anschließende sichere Übungsbehandlung vorzuziehen. In dieser Situation müssen Patienten besonders gründlich über konservative und operative Behandlungsoptionen aufgeklärt werden. Bei absoluter Kontraindikation für einen operativen Eingriff muss auf die Extensionsbehandlung nach Böhler zurückgegriffen werden.</p> <p><strong>Operative Behandlung</strong></p> <p>Grundsätzlich sind Tibiakopffrakturen operativ zu behandeln, wenn es sich um instabile Frakturformen handelt und Gelenkstufen von >3mm bestehen. Einfache Frakturformen, die nicht durch massive Energieeinwirkung entstanden sind und bei denen in der Regel die Weichteilsituation unproblematisch ist, können direkt oder nach kurzer Gipsruhigstellung im Oberschenkelgips operativ versorgt werden. Hochenergetische Verletzungen mit deutlicher Dislokation der Fragmente und kritischem Weichteilmantel werden „abgestuft“ versorgt. Initial wird ein gelenküberbrückender Fixateur externe aufgebaut. Dadurch können die Weichteile gepflegt, täglich beurteilt und der richtige Zeitpunkt für die definitive Versorgung abgewartet werden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1805_Weblinks_s42_3.jpg" alt="" width="1416" height="742" /></p> <p><strong>Notfalleingriffe</strong></p> <p>Absolute Operationsindikation besteht bei offenen Frakturen des Tibiakopfes, drohendem oder manifestem Kompartmentsyndrom und arteriellen Gefäßverletzungen.</p> <p><strong>Geschlossene Tibiakopffrakturen</strong></p> <p>Da es sich um eine lasttragende Gelenkfraktur handelt, ist die Versorgung der Tibiakopffraktur eine Domäne der offenen Reposition und internen Fixation. Es stehen heute zahlreiche anatomisch vorgeformte Plattensysteme für den lateralen und posteromedialen Tibiakopf zur Verfügung. Diese werden von zahlreichen Anbietern vertrieben und haben spezifische Vor- und Nachteile. Die versprochene Passgenauigkeit ist jedoch nicht immer gegeben und Anpassungen der Platten sind häufig notwendig. Zur Verplattung des dorsalen Tibiakopfes muss improvisiert werden, z.B. müssen winkelstabile T- und L-Platten des Handsiebes zurechtgebogen werden. Der Versorgung geht eine minutiöse Planung der Osteosynthese voraus. Mit dem geringsten Zugangstrauma und einem Minimum an Metall soll eine übungsstabile, anatomische und achsengerechte Osteosynthese erreicht werden, die auch sekundär nicht nachsinkt.<br />Bei bikondylären Frakturen sollte mit der einfacheren Frakturkomponente begonnen werden, um eine anatomische Referenz für die stärker komminute Fraktur zu erzeugen. Die Planung einer typischen bikondylären Fraktur mit Impression der lateralen Gelenkfläche könnte so aussehen: <br />Single-Shot-Antibiotikum (Cefuroxim 1,5g).<br />Lagerung in Rückenlage. Die betroffene Seite wird auf einen Keilpolster erhöht gelagert. <br />Die Extremität wird inklusive Zehen steril gewaschen und mobil mit Stockinette abgedeckt.<br />Der gleichseitige Beckenkamm wird steril gewaschen und abgedeckt. Eine Blutsperre wird angelegt, aber nicht geschlossen. <br />Dorsomedialer Zugang zum Tibiakopf und Reposition des medialen Kondyls. Anschließend Transfixation mit Kirschnerdrähten auf Gelenkhöhe und Abstützung der metaphysären Frakturkomponente mittels 4-Loch-Antiglide-Platte. Anterolateraler Zugang zum Tibiakopf mit Eröffnung der Gelenkkapsel und Anschlingen des lateralen Meniskus. Einsicht auf den lateralen Tibiakondyl nach Spülung. <br />Durch die laterale Fraktur wird die Impression der knorpeltragenden Fragmente mit einem Osteotom mobilisiert und hochgestößelt. Beurteilung der Reposition des Gelenks unter Sicht durch Varisierung. Transfixation mittels 1,4mm-Kirschnerdrähten, welche nicht bis zum medialen Kondyl reichen. Entnahme von Beckenkammspongiosa und Unterfütterung des Defekts unter den gehobenen Gelenkanteil mit kräftiger Impaktierung. Im Zweifel Überkorrektur.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1805_Weblinks_s42_4.jpg" alt="" width="815" height="1214" /><br />Schließen der lateralen Fraktur und Feinreposition des lateralen Kondyls.<br />Einschieben einer lateralen Tibiakopfplatte. Höhen- und Längenkontrolle der lateralen Platte und Sicherung mittels 1,2mm-Kirschnerdrähten.<br />Kompression des Tibiakopfes z.B. mittels Beckenzange zwischen der lateralen Platte und dem medialen Kondyl. Die anatomische Breite wird hergestellt.<br />Besetzen der proximalen Schrauben knapp unter dem Tibiaplateau bis zum medialen Rand des Tibiakopfes und damit Sicherung der medialen Frakturkomponente.<br />Kontrolle der Beinachse mittels Kabelmethode oder besser mit Achsstäben des Osteotomie-Sets und ggf. Korrektur. <br />Besetzen der distalen Schrauben mit mindestens 6 Kortices im gesunden Knochen des Schaftbereichs lateral.<br />Unter Bildwandler erfolgt nun die Stabilitätskontrolle der medialen und lateralen Seitenbänder sowie des vorderen und hinteren Kreuzbandes.<br />Versorgung der Seitenbänder bei Aufklappbarkeit in Streckstellung.<br />Gegebenenfalls Meniskusnaht lateral.<br />Naht der Gelenkkapsel und weiterer schichtweiser Wundverschluss. Einlage einer Drainage.<br />Sollte die Operation länger als 2,5 Stunden dauern, wird eine erneute Gabe eines Antibiotikums (Cefuroxim 1,5g) empfohlen.<br />Bei komplexeren Frakturen (Schatzker V und VI) mit sagittalen und dorsalen Frakturkomponenten ist die klassische bilaterale Verplattung manchmal nicht ausreichend beziehungsweise zielführend.</p> <p><strong>Neue Klassifikation der Tibiakopffrakturen zur OP-Planung </strong></p> <p>Luo et al. [J Orthop Trauma 2010; 24(11)] haben 2010 für diese Frakturformen ein „Dreisäulenmodell“ (Abb. 3) und eine Lagerungs- und Zugangsmodifikation etabliert. Leider erlauben die üblichen Klassifikationen keine direkte Ableitung zur Frakturversorgung, da vor allem auf die extraartikulären Komponenten in 2D eingegangen wird. Die Planung der Plattenlage erfolgt im 3-Säulen-Modell anhand einer axialen Schicht des CT auf Höhe des Tibiaplateaus. Die Frakturen werden zusätzlich zur Schatzker-Klassifikation in 1-, 2- und 3-Säulen-Frakturen eingeteilt. Die typische 3-Säulen-Fraktur ist die typische bikondyläre (mediale und laterale) Fraktur mit einem zusätzlichen posterolateralen Gelenkfragment. Dieses muss von dorsal adressiert werden. Über das 3-Säulen-Modell können auch die notwendigen Zugangswege geplant werden. Diese werden im Folgenden besprochen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1805_Weblinks_s42_5.jpg" alt="" width="1417" height="2174" /></p> <p><strong>Modifizierter dorsaler Zugang</strong></p> <p>Über einen dorsalen L-förmigen Zugang (Abb. 4) kann die posteriore und mediale Säule versorgt werden. Über einen klassischen anterolateralen Zugang wird die laterale Säule versorgt. Beide Zugänge können durch diese sogenannte „Floppy“-Lagerung ohne Umlagerung erreicht werden (Abb. 5). Abbildung 6 zeigt schematisch den Zugang und die erreichbare Exposition. Erfahrungsgemäß kann die ganze dorsale Tibia bis nach lateral dargestellt werden, ohne den medialen Gastrocnemiuskopf zu kerben. Zur Exposition kann das Knie etwas gebeugt werden. Dazu wird ein Polster unter den Unterschenkel gelegt. Zur Reposition und Fixation ist jedoch volle Streckung erforderlich. Nach Unterminieren oder Ablösen der Hamstrings kann der Zugang nach medial erweitert werden. Für den anterolateralen Zugang wird der Unterschenkel gebeugt und über den kontralateralen Unterschenkel gelegt. Nach Anlage beider Zugänge können auch beide Fenster zur Reposition bedient werden. Die Entnahme von Spongiosa erfolgt vom dorsalen Beckenkamm. Nach Reposition und vorübergehender Transfixation kann dann die Plattenosteosynthese abgeschlossen werden. Für die Versorgung dieser Frakturformen sind häufig zwei dorsale und eine anterolaterale Platte notwendig.<br />Abbildung 7 zeigt ein Versorgungsbeispiel einer 3-Segment-Fraktur über den dorsalen L-förmigen Zugang und den anterolateralen Zugang. Abbildung 8 zeigt ein Beispiel einer 2-Segment-Fraktur mit medial-dorsaler und lateral-dorsaler Fraktur. Eine mediale Abstützplatte wurde zur Erhöhung der Belastungsstabilität eingebracht. Darüber hinaus wurde kürzlich auch eine 10-Segment-Klassifikation beschrieben, um die Plattenlage zur stabilen Versorgung der betroffenen Gelenkabschnitte noch genauer planen zu können. Diese Planung setzt natürlich die Kenntnis sämtlicher Zugangswege zum Tibiakopf voraus.</p> <p><strong>Weitere Zugangswege zum Tibiakopf</strong></p> <p>Anterolateraler Standardzugang: <br />Dieser Zugang ist weit verbreitet und gut bekannt. Es kann auch ein Tuberositasfragment verschraubt oder verplattet werden. Direkt eingesehen werden kann jedoch nur das anterolaterale Drittel der Gelenkfläche. Abbildung 9a zeigt einen OP-Situs mit Gelenkstufe, Abbildung 9b die Situation nach Reposition der Gelenkstufe.<br />Posterolateraler Zugang:<br />Der posterolaterale Tibiakopf kann direkt posterior, von posteromedial oder von posterolateral mit und ohne Fibulaosteotomie adressiert werden. Frosch et al. haben einen weichteilschonenden posterolateralen Zugang beschrieben, welcher ohne Fibulaosteotomie auskommt und trotzdem die Beurteilung des posterolateralen und anterolateralen Gelenkanteils zulässt.<br />Erweiterte laterale Zugänge:<br />Große zentrale Impressionen der Gelenkfläche können weder über den anterolateralen noch über den posterolateralen Zugang eingesehen werden. Sollte eine indirekte Reposition nicht möglich sein, kann eine Osteotomie des lateralen Seitenbandansatzes zu einer deutlich größeren Übersicht nach zentral führen. Dabei kann der Ansatz der Popliteussehne geschont oder zur noch besseren Einsicht auf die zentralen Gelenkanteile in die Osteotomie miteinbezogen werden. Die Refixation erfolgt mit 2 kanülierten 4,0mm-Zugschrauben. Auch ein aufwendigerer transfibularer Zugang ist beschrieben.<br />Anteromedialer Zugang:<br />Über diesen Standardzugang, der typischerweise bei bikondylären oder isoliert medialen Frakturen zum Einsatz kommt, kann das vordere Drittel der Gelenkfläche eingesehen werden. Nach dorsal wird die Übersicht durch das mediale Seitenband gehemmt. Bei bikondylären Frakturen mit Anlage eines zusätzlichen anterolateralen Zuganges muss auf eine Weichteilbrücke von mindestens 7cm geachtet werden. Ein alleiniger anteriorer Zugang zur Versorgung bikondylärer Frakturen wurde aufgrund massiver Weichteilkomplikationen komplett verlassen.<br />Posteromedialer Zugang:<br />Für klassische posteromediale Abscherfrakturen ohne Impression ist der Zugang nach Lobenhoffer in Rückenlage gut geeignet, um eine gute Reposition und einen Überblick über distale Frakturausläufer zu erreichen. Posteromediale Abstützplatten verhindern das Abgleiten der Fraktur. Bei dorsomedialer Impression oder dorsalem Gelenkblock ist ein direkter dorsomedialer oder posteriorer Zugang in Bauchlage erforderlich. Dies kann über einen Längsschnitt über dem medialen Kopf des Gastrocnemius erreicht werden. Anschließend kann der Muskel unterminiert werden und die medialen dorsalen Anteile des Tibiakopfs können versorgt werden. Wie oben dargestellt, kann der Zugang L-förmig über die Beugefalte geführt und damit der ganze dorsale Aspekt des Tibiakopfes adressiert werden.<br />Erweiterter medialer Zugang:<br />Sollte eine direkte Einsicht der anterioren und zentralen Anteile des medialen Gelenkanteiles bei multifragmentären Frakturformen erforderlich sein, kann das Innenband inklusive des dorsalen Schrägbands durch eine Osteotomie des femoralen Seitenbandansatzes weichteilschonend weggehalten werden. Die Refixation erfolgt wiederum durch kanülierte Schrauben.<br />Minimal invasive Zugänge:<br />Diese sind bei geringen Gelenkstufen bzw. gering oder nicht dislozierten Frakturen durchaus sinnvoll. Über ein kortikales Fenster können Impressionen unter arthroskopischer Kontrolle gehoben und anschließend über kanülierte 4,0mm- oder 6,5mm-Schrauben über Stichinzisionen fixiert werden. Abbildung 10 zeigt die arthroskopisch gestützte Versorgung einer lateralen Impressionsfraktur mittels Aufstößelung von medial und Abstützung mit einer kanülierten 6,5mm-Schraube mittels Stichinzision. Bei Beteiligung der lateralen Kortikalis kann dies auch über eine zusätzliche eingeschobene klassische Platte erreicht werden. Auch die sogenannte „Jail“-Technik kann angewendet werden. Dabei werden unter den die Impression abstützenden kanülierten Schrauben weitere streng unterhalb liegende Schrauben zur zusätzlichen Abstützung eingebracht. Arthroskopische Verfahren sollen nur bei AO-Typ-B-Frakturen ohne potenzielle Kapselverletzung und mit geringem Druck eingesetzt werden. Ansonsten kann sich durch die Spülflüssigkeit rasch ein Kompartmentsyndrom entwickeln. Bleibt dieses unerkannt, droht der Verlust der Extremität.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1805_Weblinks_s42_6.jpg" alt="" width="2149" height="513" /></p> <p><strong>Offene Tibiakopffrakturen </strong></p> <p>Offene Frakturen der proximalen Tibia mit Gelenkstufen treten bei Massivtraumen auf. Diese Situation erfordert eine sofortige operative Therapie, welche als höchste Priorität die Verhinderung eines Infektes hat. Ausgiebiges Spülen und ein Débridement des gesamten verschmutzten, geschürften, kontusionierten und unterminierten Weichteilgewebes sind erforderlich. Jet-Lavagierung wird nicht empfohlen, da Schmutzpartikel dadurch noch tiefer ins Gewebe bzw. ins Gelenk eingebracht werden können. Spülung mit verdünnten Antiseptika oder Kochsalz und ein Entfernen aller makroskopisch verunreinigten Gewebeareale bzw. Knochenanteile mit dem Messer und Luer sind eine erfolgreiche Strategie. Sollte das Gelenk eindeutig eröffnet sein, empfiehlt sich anschließend die arthroskopische Niederdruckspülung des Gelenks mit mindestens 5 Litern. Auch sollte ein Gelenkverschluss angestrebt werden, wann immer möglich. <br />In der Regel handelt es sich um dislozierte Frakturen. Auf eine definitive Osteosynthese mit Verplattung sollte in dieser Situation natürlich verzichtet werden. Jedoch ist bei einigen Frakturformen mit geringen Mitteln eine Reposition und Fixation des Gelenkblocks mittels Verschraubung und/oder Kirschnerdrahtfixierung möglich. Wenn dies ohne zusätzliche oder nur minimale Weichteilverletzung möglich ist, sollte dies unbedingt angestrebt werden. Die meta-/diaphysäre Frakturkomponente wird mit einem Fixateur externe gestellt. Ein direkter Wundverschluss sollte keinesfalls durchgeführt werden, sondern der Defekt z.B. mit einem Vac-System abgedeckt werden. Nach weiteren geplanten Débridements sollte innerhalb von 5–7 Tagen der Weichteildefekt plastisch-chirurgisch verschlossen werden. Bei negativen Wundabstrichen kann dann gleichzeitig die definitive Plattenosteosynthese durchgeführt werden. Sollte dies nicht der Fall sein oder sollten andere Komplikationen (Polytraumapatient) das Prozedere verzögern, kann nach Weichteildeckung der Fixateur externe in einen Hybridfixateur umgebaut werden. Dadurch ist eine Sicherung des Gelenkplateaus mittels zahlreicher gespannter Drähte möglich, die meta-/diaphysäre Frakturkomponente kann in Achse gebracht und auch komprimiert werden. Somit kann auch die essenzielle Bewegungstherapie des Kniegelenks erfolgen. Für sehr komplexe Fälle ist so auch eine Ausbehandlung im Fixateur möglich. Jedoch ist auch ein Verfahrenswechsel nach 4–6 Wochen möglich.</p> <h2>Nachbehandlung</h2> <p>Das postoperative Management hängt von der Beeinträchtigung des Weichteilmantels und der Komplexität der Fraktur bzw. der erreichten Belastungs- und Übungsstabilität ab.</p> <p><strong>Einfachere Frakturen ohne relevante Begleitverletzungen</strong></p> <p>Motorschiene (CPM) ab dem 2.–5. Tag postoperativ. Keine Orthese und je nach erzielter Frakturstabilität Teilbelastung mit 15kg oder entlastende Mobilisation für 6 Wochen. Übergang zur Vollbelastung nach der 10. Woche postoperativ, abhängig vom Röntgenbefund. Physiotherapie mit dem Ziel der Schwellungskontrolle, Schmerzreduktion und Verbesserung der Beweglichkeit. CPM („Continous Passive Motion“) für zu Hause.</p> <p><strong>Komplexe Frakturen </strong></p> <p>Diese müssen vorsichtiger nachbehandelt werden. Aufgrund der Weichteilsituation sollte die passive Beübung auf einer Motorschiene erst nach dem 7.–10. Tag postoperativ begonnen werden. Plastisch-chirurgische Verfahren machen unter Umständen eine bis zu 4-wöchige Ruhigstellung erforderlich. Ebenso können Seitenbandverletzungen und Rekonstruktionen die Ruhigstellung in einer beweglichen Orthese erfordern. Komplette Entlastung für 6 Wochen, zunehmende Teilbelastung bis zur Vollbelastung nach der 12. Woche bzw. nach Röntgenbefund und Heilungszeichen sind übliche Behandlungsprotokolle.</p></p>
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<p>beim Verfasser</p>
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