Die Pavlik-Riemenbandage
Autoren:
Dr. Manuel Gahleitner
Priv.-Doz. DDr. Lorenz Pisecky
Abteilung für Orthopädie und Traumatologie
Kepler Universitätsklinikum Linz
Seit dem Jahr 1991 ist in Österreich eine orientierende Hüftsonografie des Neugeborenen in der 1. sowie in der 6.–8. Lebenswoche ein fester Bestandteil der routinemäßigen Untersuchungen des Säuglings. Ziele sind die Feststellung einer angeborenen Hüftreifungsverzögerung oder gar einer Hüftluxation (DDH) und die sofortige Einleitung einer eventuell nötigen Therapie, um eine frühe Abnutzung des Hüftgelenks im Sinne einer Dysplasiecoxarthrose zu vermeiden.
Laut World Health Organization (WHO) wurden im Zeitraum von 2000 bis 2015 10–15% der endoprothetischen Hüftversorgung bei unter 50-Jährigen aufgrund von infantiler Hüftdysplasie durchgeführt. Die Screeningmethode mittels Sonografie ist 33% weniger kostenaufwendig als nachfolgende Behandlungen, welche ohne Screening erst bei klinischer Relevanz begonnen werden konnten.1,2 Die Einteilung der Hüften erfolgt gemäß den Typen nach Prof. Graf, auf dessen Verdienst und Erfolg im Zusammenhang mit der Hüftsonografie die gesamte Therapie und das Screening basieren. So sind zum Beispiel Hüften der Typen I und IIa per se nicht therapiebedürftig, während Hüfttypen IIc und schlechter unbedingt mit Abspreiztherapie behandelt werden müssen. Ausschlaggebend hierfür ist der sogenannte Alpha-Winkel, der Winkel zwischen der Grundlinie, welche sich am Os Ilium orientiert, und der Pfannendachlinie (Abb. 1).
Abb. 1: Ausschlaggebend für die Indikation einer Abspreiztherapie ist der sogenannte Alpha-Winkel
Die Therapie der Wahl ist im Falle einer geburtlichen Hüftreifungsverzögerung die Abspreiztherapie, welche grundsätzlich in drei Phasen abläuft. Während bei dezentrierten Hüften zuerst eine Reposition und anschließend eine Retention und Ausreifung stattfinden müssen, kann bei Hüfttyp IIc und Typ IIIa auf die erste Phase verzichtet werden. Behandlungsprinzip der Abspreiztherapie ist, das noch wachsende Acetabulum mit Druck des Femurkopfes zu formen, um ein kongruentes Hüftgelenk zu erhalten. Aufgrund des Druckes sind in der Literatur auch daraus resultierende mögliche aseptische Hüftkopfnekrosen beschrieben.3
Unter den vielen Methoden der Abspreiztherapie, vom Fettweisgips über die Spreizhose bis zum Frejeka-Becker-Kissen etc., fiel die Wahl der Therapie am Kepler Universitätsklinikum in Linz auf die Pavlik-Riemenbandage, welche 1958 von Prof. Pavlik erstmals vorgestellt wurde.4 Ein wesentlicher Grund, sich für diese Variante zu etnscheiden, ist die Möglichkeit, alle drei Phasen der Therapie mit einem Produkt abdecken zu können. Gemäß dem Slogan „One fits all“ können damit auch dezentrierte Hüfttypen IIIb und IV versorgt werden (Abb. 2). Die Dokumentation dieser Behandlung reicht an unserer Abteilung bis ins Jahr 1994 zurück.
Abb. 2: Pavlik-Riemenbandage, in Verwendung am Kepler Universitätsklinikum Linz5
Für die Präsentation unserer Ergebnisse wurde ein Kollektiv von in den Jahren 1995 bis 2006 am Kepler Universitätsklinikum Linz Behandelten ausgewählt. Es handelt sich um 7372 Neugeborene, welche in diesem Zeitraum im Rahmen des Screenings einem Hüftultraschall unterzogen wurden. Davon waren 159 Kinder mit insgesamt 203 betroffenen Hüften therapiebedürftig. Diese wurden von Beginn an ausschließlich mit Pavlik-Riemenbandagen therapiert. Bei einem Drop-out von 9 Patient:innen aufgrund von Problemen wie Compliance der Eltern, zu niedrigem Körpergewicht (<1500g), Hautirritationen etc. konnten am Schluss die vollständigen Resultate von 150 Teilnehmer:innen mit 189 betroffenen dysplastischen Hüften präsentiert werden.
Patient:innen mit einem initialen Hüfttyp IIc wurden durchschnittlich 50 Tage lang therapiert, während Patient:innen mit Typ IIIa/b und IV die Pavlik-Riemenbandage durchschnittlich 65 Tage trugen. Insgesamt konnte im gesamten Patientenkollektiv nach einer durchschnittlichen Tragedauer von 53 Tagen ein Alpha-Winkel von über 60° erreicht werden (Tab. 1). Zum Zeitpunkt der Aufarbeitung zeigten sich keine Fälle einer avaskulären Hüftkopfnekrose. Damals wie heute erwiesen sich vor allem die engmaschige Führung, die konsequenten Kontrollen und die gute Zusammenarbeit mit den Eltern als Schlüssel zum Erfolg.5
Tab. 1: Übersicht über das Patientenkollektiv im Zeitraum 1995–2006, welches ausschließlich mit Pavlik-Riemenbandagen behandelt wurde (nach Gahleitner M et al.)5
Vor allem im asiatischen Raum treten häufiger residuelle Restdysplasien (bis zu 17% laut Shaw et al.) im jungen Erwachsenenalter auf.6 Hier beziehen sich die Untersucher vordergründig auf den CE-Winkel nach Wiberg und den Sharp-Winkel. Zusätzlich wird noch der Migrationsindex nach Reimers zur Vermessung der Überdachung des Femurkopfes erwähnt beziehungsweise eine Objektivierung der klinischen Untersuchung mittels bekannter Scores wie Harris Hip Score, Oxford Hip Score und Schulthess-Hüft-Score durchgeführt.
Wir reaktivierten in einer explorativen, nicht randomisierten und nicht kontrollierten Studie das oben genannte Kollektiv. Insgesamt konnten 53 Patient:innen mit 71 betroffenen Hüften einem gesamten Follow-up unterzogen werden. Sieben Patient:innen lehnten eine neuerliche Röntgenbildgebung ab, weshalb hier nur auf die klinischen Scores zurückgegriffen werden konnte. Die hohe „Lost to follow-up“-Quote lässt sich auf die Probleme der Einberufung zurückzuführen. Die Patient:innen waren häufig das letzte Mal im Säuglingsalter im Krankenhaus, in der Zwischenzeit hatten sich Nachname sowie Wohnadresse teilweise öfter als zweimal verändert, was die Teilnehmer:innen unauffindbar machte. Insgesamt zeigt sich ein mittleres Follow-up von 20,46 Jahren (max. 25,97 Jahre) und eine Verteilung von männlich zu weiblich von 5:55.
In den durchgeführten Messungen im Low-dose-ap-Röntgen des Beckens zeigte sich ein durchschnittlicher CE-Winkel von 29,2°. Lediglich zwei Hüften bei zwei unterschiedlichen Patient:innen zeigten eine minimale residuelle Dysplasie mit einem CE-Winkel von knapp unter 20°.
In Bezug auf den Sharp-Winkel zeigten sich ähnliche Werte. Vier Hüften bei vier unterschiedlichen Patient:innen waren minimal auffällig mit einem Sharp-Winkel von knapp über 42° (42,4–44°, Abb. 3). In der Auswertung der klinischen Scores konnte die Zufriedenheit der Befragten ausgewertet werden (Abb. 4).
Abb. 3: a) Aktuelles Low-dose-Hüftvergleichsröntgen vor Vermessung; b) Röntgenbild nach erfolgreicher Vermessung von Sharp-Winkel, CE-Winkel und Reimers-Migrations-Index (nach Gahleitner M et al.)7
Abb. 4: a) Gesammelte Ergebnisse Harris-Hip-Score. b) Gesammelte Ergebnisse Oxford-Hip-Score (nach Gahleitner M et al.)7
Als Zufallsbefund konnte vor allem bei jüngeren schlankeren Frauen eine Coxa saltans beobachtet werden, dies kann allerdings nur schwerlich auf die einstige Behandlung mittels Pavlik-Riemenbandagen zurückgeführt werden.7,8
Nach eingehender Datenanalyse und Beschäftigung mit der Abspreiztherapie kann die Pavlik-Riemenbandage empfohlen werden. Es können hiermit sowohl grenzwertige Typ-IIa-Hüften, in denen die knöcherne Formgebung im Ultraschall als schlecht erscheint und mehr als die Hälfte des Femurkopfes als ausserhalb des Acetabulums liegend imponiert, als auch dislozierte Typ-IV-Hüften therapiert werden. Natürlich gibt es mittlerweile Produkte, die hinsichtlich des Tragekomforts und des Handlings vermutlich etwas einfacher zu handhaben sind. Hier ist vor allem die Tübinger Schiene zu erwähnen. Galt diese bis vor Kurzem nur als Retentions- und Nachreifungsmethode, kann nach dem Erscheinen der Publikationen von Lyu et al. auch bei dezentrierten Hüften wie Typ IIIb und Typ IV auf eine Tübinger Schiene zurückgegriffen werden.9 Es gilt hier jedoch zu bedenken, dass diese Variante der Abspreiztherapie über der Kleidung getragen wird, das bedeutet, dass die Eltern die Schiene mindestens vier- bis fünfmal pro Tag abnehmen müssen, beim Wechseln der Kleidung des Säuglings und auch beim Wechseln der Hygieneprodukte. Hier entscheidet also die Compliance der Eltern über den Erfolg, denn es kann zu einem Verlust der Korrektur kommen, wenn die Schiene oft abgenommen und anschließend nicht mehr völlig korrekt angelegt wird. Mit der Pavlik-Riemenbandage ist in der Regel nicht mit solchen Problemen zu rechnen, da diese direkt auf der Haut, also unterhalb der Kleidung sitzt und somit höchstens zum Baden abgenommen werden muss. Ein Wickeln ist problemlos mit angelegten Bandagen möglich.
Ein früher Therapiestart sowie straffe Kontrollintervalle sind empfohlen. An der Abteilung für Orthopädie und Traumatologie am Kepler Universitätsklinikum in Linz wird die Therapie nach Möglichkeit in der ersten Lebenswoche gestartet und anschließend, je nach Hüfttyp, eine klinische Kontrolle und eine Kontrolle der Abspreizposition alle zwei durchgeführt. Jede 4. Woche wird zusätzlich mittels Sonografie der Therapiefortschritt kontrolliert. Bei anfänglich dezentrierten Situationen sind vor allem die sonografischen Kontrollen noch engmaschiger.
Literatur:
1 Graf R: Hip sonography: background; technique and common mistakes; results; debate and politics; challenges. Hip Int 2017; 27(3): 215-9 2 Fröhlich S et al.: State of the Art der Hüftsonografie bei Säuglingen. Orthopädie & Rheuma 2018; 21: 24-35 3 Grill F et al.: The Pavlik harness in the treatment of congenital dislocating hip: report on a multicenter study of the European Paediatric Orthopaedic Society. J Pediatr Orthop 1988; 8: 1-8 4 Pavlik A.: Die funktionelle Behandlungsmethode mittels Riemenbügel als Prinzip der konservativen Therapie bei angeborener Hüftverrenkung der Säuglinge. Z Orthop 1958; 89: 341-52 5 Gahleitner M et al.: Short term results of early treatment of developmental dysplasia of the hip or luxation with Pavlik harness in human position. Medicina (Kaunas) 2022; 58(2): 206 6 Shaw KA et al.: Late acetabular dysplasia after successful treatment for developmental dysplasia of the hip using the Pavlik method: a systematic literature review. J Orthop 2019; 16(1): 5-10 7 Gahleitner M et al.: Long-term results of developmental hip dysplasia under therapy with Pavlik harness. J Pediatr Orthop 2023; 44(3): 135-40 8 Niethard FU et al. (Hg.): Kinderorthopädie. 2nd ed. Stuttgart: Thieme Verlag 2009 9 Lyu X et al.: Tübingen hip flexion splint more successful than Pavlik harness for decentred hips after the age of three months. Bone Joint J 2021; 103-B(5): 991-8
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