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Keineswegs Routine: die Diagnostik und Therapie der Harnwegsinfektion im Säuglings- und Kindesalter
Urologik
Autor:
Prof. Wolfgang H. Rösch, FEAPU
Klinik für Kinderurologie in Kooperation mit der Universität Regensburg, Klinik St. Hedwig<br> E-Mail: wolfgang.roesch@barmherzige-regensburg.de
30
Min. Lesezeit
29.09.2016
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<p class="article-intro">Harnwegsinfektionen sind bei Kindern in den ersten Lebensjahren besonders häufig, lassen sich aber manchmal nur schwer zeitgerecht und zuverlässig diagnostizieren. Ein strukturiertes Vorgehen, das den besonderen Gegebenheiten in diesem Alter angepasst ist, erleichtert die Diagnose. So kann einerseits rasch eine adäquate Therapie eingeleitet werden, um Langzeitschäden zu vermeiden. Andererseits können unnötige Antibiotikatherapien im Zeitalter multiresistenter Keime vermieden werden.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>Der Anstieg der multiresistenten Keime auch in der Kinderurologie ist besorgniserregend.</li> <li>Sorgfältige Diagnostik ist entscheidender denn je („keine Beutelurine be­handeln“).</li> <li>Die Sonografie ist auch beim HWI inzwischen die wichtigste Bildgebung im Säuglings- und Kindesalter.</li> <li>Strenge Indikationsstellung zur radiologischen Diagnostik ist notwendig.</li> <li>Sorgfältige Indikationsstellung zur Antibiotikatherapie ist angezeigt.</li> <li>Die asymptomatische Bakteriurie bedarf auch im Kindesalter keiner Antibiose.</li> <li>Falls erforderlich sollte eine kalkulierte Antibiose unter Berücksichtigung von Alter, klinischer Situation, Resistenzlage und Begleitpathologien durchgeführt werden.</li> <li>Infektprophylaktische Zirkumzision ist eine sinnvolle Alternative bei männlichen Säuglingen mit Begleitpathologien des Harntraktes.</li> <li>„Dysfunctional voiding“ und BBD als Ursache für HWI und sekundären VUR werden noch häufig übersehen.</li> <li>Neue Therapieansätze sind zu erwarten.</li> </ul> </div> <p>In der Pädiatrie betrifft das Problem der multiresistenten Keime nicht nur die Neonatologie und Intensivmedizin, sondern unter anderem immer häufiger auch die Kinderurologie. Hier stehen vor allem multiresistente Stämme von E. coli und Klebsiellen im Vordergrund. Dringend empfohlene Gegenmaßnahmen des Robert-Koch-Institutes und der Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie, wie die Forderung nach einem sachgerechten Einsatz von Antibiotika, werden jedoch bislang nicht konsequent genug umgesetzt, was zu einem seit Jahren besorgniserregenden Anstieg dieser multiresistenten Keime führt.<br /> Spät, aber dennoch wird diesem Thema inzwischen auch in der Erwachsenenurologie die notwendige Aufmerksamkeit geschenkt. Überarbeitete Leitlinien der Fachgesellschaften und „antibiotic stewardship“ sind erste Schritte in die richtige Richtung. Aufgrund der völlig unterschiedlichen Epidemiologie, Ätiologie und (Patho-)Physiologie lassen sich aber die am Erwachsenenalter orientierten Empfehlungen nur bedingt auf das Säuglings- und Kindesalter übertragen.</p> <h2>Pathologischer Beutelurin rechtfertigt keine Antibiotikatherapie</h2> <p>Neben der oft unspezifischen Symptomatik kann bereits die Gewinnung eines nicht kontaminierten Urins für eine spezifische Diagnose im Säuglings- und Kleinkindesalter eine Herausforderung darstellen. In den 2011 aktualisierten Leitlinien der American Academy of Pediatrics (AAP)<sup>1</sup> wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Rate falsch positiver Befunde der Urinkulturen aus Urinklebebeuteln inakzeptabel hoch sei und deshalb ein solcher Befund keine Indikation für den Beginn einer antibiotischen Therapie sein dürfe. Hierzulande dagegen werden hochwirksame Antibiotika bei Kindern mit einer vermeintlich signifikanten Bakteriurie aus Klebebeutelurin scheinbar kritiklos eingesetzt – nicht selten auch wiederholt in kurzen Abständen und mit wechselnden Wirkstoffen. Dabei belegen zahlreiche Studien, die auch in den aktuell veröffentlichten neuen Leitlinien der EAU/ESPU<sup>2</sup> zitiert werden, dass die Wahrscheinlichkeit eines falsch positiven Urinbefundes aus dem Urinbeutel bei Mädchen 88 % , bei nicht zirkumzidierten Knaben 95 % beträgt! Neben der gut praktikablen, aber auf das frühe Säuglingsalter beschränkten „Clean-catch“-Uringewinnung<sup>3</sup> sollten die urethrale Katheterisierung oder die suprapubische Blasenpunktion zum Keimnachweis heute Voraussetzung sein, um eine antibiotische Therapie im Säuglings- oder frühen Kleinkindesalter zu beginnen.<br /> Ab dem Kleinkindesalter (Toilettengänger) ist es natürlich einfacher, einen Mittelstrahlurin zu gewinnen. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass durch zweimaliges Vorreinigen des Genitalbereiches mit einer milden Waschlotion die Kontaminationsrate von 24 auf 8 % reduziert werden kann.<sup>2</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Urologik_Uro_1603_Weblinks_seite12_1.jpg" alt="" width="627" height="505" /></p> <h2>Bildgebende Diagnostik bei Kindern: Sonografie</h2> <p>In den meisten Leitlinien zählt die Sonografie des oberen und unteren Harntraktes zur obligatorischen Basisdiagnostik. Mit ihrer Hilfe können eine bis dahin unerkannte kongenitale Anomalie oder eine Urolithiasis ausgeschlossen werden. Gerade bei kleineren Kindern und Säuglingen führt die Pyelonephritis oft zu einer raschen Volumenzunahme der betroffenen Niere, die im renalen Ultraschall gut zu erkennen ist. Was den unteren Harntrakt betrifft, können bereits die sonografische Restharnbestimmung und die Messung der Rektumweite wichtige Hinweise auf das Vorliegen einer Blasen- (und Darm-)Entleerungsstörung (BBD = „bladder-bowl dysfunction“) als Ursache für rezidivierende Bakteriurien geben (Abb. 1).<br /> Abhängig vom Alter, vom klinischen Zustand und vom Ultraschallbefund erfolgt die Entscheidung, ob eine parenterale Therapie erforderlich ist oder eine orale Therapie ausreicht (Tab. 1). In den aktuellen EAU/ESPU-Leitlinien wird eine konsequent parenterale Antibiose nur noch bei Neugeborenen und Säuglingen unter zwei Monaten empfohlen.<sup>2</sup><br /> Auch die kalkulierte Antibiotikawahl richtet sich nach dem Alter, dem klinischen Bild, der Resistenzlage und eventuellen Harntraktanomalien oder Entzündungszeichen in der Sonografie (Tab. 2).<br /> Eine Zystitis bedarf auch bei Kleinkindern einer weniger aggressiven Behandlung, eine asymptomatische Bakteriurie keiner antibiotischen Therapie!<sup>2</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Urologik_Uro_1603_Weblinks_seite12_2.jpg" alt="" width="381" height="491" /></p> <h2>Vorschul- und Schulalter: Blasenentleerungsstörungen als Ursache für rezidivierende Infektionen</h2> <p>Nach Abschluss der Behandlung ist eine neuerliche Basisdiagnostik (Sonografie, evtl. Miktionsprotokoll und Uroflow) sinnvoll, um Resi­duen oder Blasenent­leerungsstörungen auszuschließen. Die Miktionszysturethrografie (MCU) bleibt weiterhin der Goldstandard zum Nachweis eines vesikorenalen Refluxes (VUR).<sup>2</sup> Im Hinblick auf die Gefahr von Parenchymnarben im Zusammenhang mit dem VUR wird bei Kindern im Alter unter 12 Monaten auch weiterhin ein MCU nach dem ersten eindeutig nachgewiesenen fieberhaften HWI empfohlen.<sup>1, 2</sup><br /> Immer mehr Bedeutung in der VUR-Diagnostik gewinnt die DMSA-Szintigrafie. In der Akutphase (bis maximal sechs Wochen nach HWI) demarkieren Perfusionsdefekte den Entzündungsherd. Nierennarben können frühestens nach drei bis sechs Monaten nachgewiesen werden. Inwieweit sich die „Top-down“-Strategie durchsetzen wird, bei der zuerst die DMSA durchgeführt wird und nur in den Fällen mit nachgewiesenen Parenchymnarben ein MCU erfolgt, wird u.a. von den Ergebnissen laufender Longitudinalstudien an größeren Patientenkohorten abhängen.<br /> Männliche Säuglinge haben bekanntlich ein besonders hohes Risiko einer Reinfektion, für das in erster Linie die Keimbesiedelung des Smegmas verantwortlich ist. Daher sollte bei assoziierten kongenitalen Anomalien des Harntraktes, die eine Antibiotikaprophylaxe erforderlich machen (z.B. uni- oder bilateraler dilatierender Reflux), den Eltern eine Zirkumzision als Alternative zur Antibiotikatherapie angeboten werden. Die signifikante Reduktion des HWI-Risikos durch die Zirkumzision ist inzwischen belegt.<sup>1, 4, 5</sup><br /> Abgesehen vom Säuglingsalter sollte aber die Indikation zur radiologischen Diagnostik oder Endoskopie grundsätzlich sehr zurückhaltend gestellt werden.<br /> Vor allem im Vorschul- und Schulalter stehen funktionelle Störungen als Ursache für rezidivierende Infektionen im Vordergrund. Ein VUR ist in diesem Alter meist sekundär bedingt und nicht die primäre Ursache für die Infektionen. Eine urodynamisch wirksame Meatusstenose bei Mädchen ist eine absolute Rarität! Primär sollte deshalb bei diesen Kindern die gezielte Behandlung dieser funktionellen Ursachen (Aufklärung, Verhaltenstherapie, Stuhlregulierung etc.) angestrebt werden. Antibiotikalangzeitprophylaxe oder operative Maßnahmen sollten den therapieresistenten Patienten mit rezidivierenden Durchbruchsinfektionen aus dieser Gruppe oder den Patienten mit primären kongenitalen Anomalien vorbehalten bleiben.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Urologik_Uro_1603_Weblinks_seite12_3.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <h2>Fazit und Ausblick</h2> <p>Grundsätzlich sollten heute wiederholte Antibiotikagaben oder unnötige Antibiotikalangzeitprophylaxen möglichst vermieden werden, einerseits um Resistenzbildungen des Erregerspektrums vorzubeugen, andererseits um das Mikrobiom von Darm und Blase und damit die patienteneigene Infektabwehr nicht weiter zu beeinträchtigen. Wenngleich noch zahlreiche Fragen zur Pathophysiologie der HWI-Entstehung und zur diagnostischen und therapeutischen Bedeutung des Mikrobioms offen sind, ist die Existenz eines alters- und geschlechtsspezifischen Mikrobioms der Blase inzwischen zweifelsfrei belegt.<sup>6, 7</sup> Eine Arbeitsgruppe der Kinderklinik an der Erasmus-Universität in Rotterdam beschäftigt sich bereits seit mehreren Jahren mit dem Mikrobiom des Harntraktes. Die eindrucksvollen Ergebnisse wurden auf der EAU-Jahrestagung 2016 in München von Prof. Kok in einer State-of-the-Art-Lecture vorgestellt. Auch er wies in diesem Zusammenhang auf die negativen Folgen wiederholter Antibiotikagaben hin.<sup>8</sup><br /> Inwieweit künftig eine Probiotikaprophylaxe eine Alternative zur Langzeitantibiose sein könnte, gilt es zu klären. Im Hinblick auf Durchbruchsinfektionen, Refluxmaturation und Parenchymnarben im Säuglingsalter wiesen zum Beispiel erste Studien mit Lactobacillus acidophilus keine Unterschiede im Vergleich zu einer Antibiotikaprophylaxe auf.</p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Roberts KB et al: Urinary tract infection: clinical practice guideline for the diagnosis and management of the initial UTI in febrile infants and children 2 to 24 months. Pediatrics 2011; 128: 595-610 <strong>2</strong> Tekgül S et al: EAU guidelines on Paediatric Urology (2016) <a href="http://uroweb.org/guideline/paediatric-urology/" target="_blank">http://uroweb.org/guideline/paediatric-urology</a> <strong>3</strong> Herreros Fernandez ML et al: A new technique for fast and safe collection of urine in newborns. Arch Dis Child 2013; 98: 27-9 <strong>4</strong> Simforoosh N et al: Neonatal circumcision reduces the incidence of asymptomatic urinary tract infection: a large prospective study with long-term follow up using plastbell. J Pediatr Urol 2012; 8: 320-3 <strong>5</strong> Evans K et al: What is the risk of urinary tract infection in children with antenatally presenting dilating vesico-ureteric reflux? J Pediatr Urol 2015; 11: 93.e1-6 <strong>6</strong> Hilt EE et al: Urine is not sterile: use of enhanced urine culture techniques to detect resident bacterial flora in the adult female bladder. J Clin Microbiol 2014; 52: 871-6 <strong>7</strong> Wolfe AJ et al: Evidence of uncultivated bacteria in the adult female bladder. J Clin Microbiol 2012; 50: 1376-83 <strong>8</strong> Kok DJ: State-of-the-art lecture: The urine microbiome, relations to urinary tract infection, hormonal status, gender and age. EAU, 11.–5. März 2016, München <strong>9</strong> Lee SJ, Lee WL: Probiotics prophylaxis in infants with primary vesicoureteral reflux. Pediatr Nephrol 2015; 30: 609-13</p>
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</p>
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