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Im Gespräch mit Prim. Univ.-Prof. Dr. Sascha A. Ahyai

„Täglich Neues lernen und sich entwickeln“

Univ.-Prof. Sascha A. Ahyai ist seit Ende 2021 Vorstand der Urologie der Medizinischen Universität Graz. Weshalb ist er nach Graz gekommen? Was interessiert ihn an der Urologie? Und was ist ihm wichtig?

Herr Professor Ahyai, warum haben Sie sich entschieden, nach Graz zu gehen?

S. Ahyai: Die Ausschreibung eines Ordinariates hat mich sehr gereizt, weil man als Arzt viele spannende Möglichkeiten zum Arbeiten bekommt. Graz war als renommierte Klinik mit einem großen Einzugsgebiet natürlich besonders interessant. Dazu kommen noch Aspekte wie eine schöne Gegend, die Möglichkeit, im Winter Schi zu fahren, im Sommer auf die Berge zu gehen und in der Nähe von Italien zu leben – da hat also auch das Emotionale eine wichtige Rolle gespielt.

Sie waren zuvor in Deutschland tätig. Wo sehen Sie Unterschiede zu Österreich?

S. Ahyai: Das deutsche „Diagnose-related group“(DRG)-System ist sehr leistungsorientiert. Je mehr und komplexer gearbeitet wird, desto besser wird man beurteilt. In der Regel geht man in Deutschland in Vorleistung. Wenn man über die Erwartungshaltung oder das vereinbarte Leistungsspektrum hinausgeht, kann man Personal oder eventuell Gerätschaften nachfordern. Es geht also darum, immer mehr zu machen, irgendwann wird das aber immer schwieriger. In Österreich gibt es ein Grundbudget, der Leistungsaspekt in der Abrechnung steht nicht so stark im Fokus wie in Deutschland. In beiden Systemen gibt es natürlich den Auftrag zur Patientenversorgung. Die zwei Systeme mit unterschiedlichem Ansatz lösen bei mir aber das Gleiche aus, nämlich die Patienten möglichst zeitnah und gut zu versorgen.

Was kann man in Österreich von Deutschland lernen? Was macht Österreich besser?

S. Ahyai: Schwierige Frage. Beides sind sehr gute Gesundheitssysteme, in denen qualitativ hochwertige Medizin praktiziert wird. Aus meiner Sicht waren die Standardisierung und die Prozessoptimierung in Deutschland schon früh ein großes Thema und sind daher auch weiter vorangeschritten. Es gab und gibt sehr viele SOPs und Zertifizierungsmaßnahmen. Diese stehen hier in Österreich zum Teil noch an, wobei aber schon einiges gemacht wurde. Neben der ärztlichen Leistung und meinen unmittelbaren Kollegen, die ich sehr wertschätze, beeindruckt mich auch die Leistung der Pflege. Der Pflegestandard, der qualitativ hohe Anspruch an sich selbst und die Arbeit im Kontakt sowohl auf der Station, der Ambulanz wie auch im OP sind sehr hoch. Im OP erlebe ich ein sehr aufmerksames Team, das mit dem Operateur arbeitet, und dadurch auch eine sehr gute Teamarbeit.

Was hat Sie in Ihrer Ausbildung geprägt?

S. Ahyai: Ich hatte das Glück, mehrere Mentoren zu haben, die mich entscheidend geprägt haben, sowohl persönlich, menschlich als auch fachlich. Ich habe meine Ausbildung in Berlin begonnen, wo mein Mentor Prof. Rainer Kuntz war, der bekannt für die Etablierung der HoLEP-Enukleation der Prostata ist. Zu dieser habe ich promoviert, mich habilitiert und auch klinisch gearbeitet. Auch heute noch sind die benigne Prostataobstruktion und ihre chirurgische Therapie einer meiner Schwerpunkte.

Mein zweiter Mentor war Prof. Hartwig Huland, ein ganz Großer, wenn es um die operative Therapie des Prostatakarzinoms geht. Bei ihm durfte ich die chirurgisch-onkologische Therapie der Urologie auf höchstem Niveau erwerben. Sein wissenschaftlicher Ansatz der evidenzbasieren Arbeit war für mich prägend, aber auch, dass man Evidenz in Form von Datenakquise selbst schaffen kann. Wir haben große Datenbanken etabliert, die prospektiv geführt wurden, und diese mit dem operativen „patient-related“ Outcome verglichen. Dieser Ansatz ist auch in Graz mein Ziel. Wir werden Patientendaten prospektiv aufnehmen, wissenschaftlich auswerten und neben der Wissenschaft auch die Möglichkeit zur Qualitätskontrolle haben. Das eigene Tun zu überprüfen und zu hinterfragen, indem man seine (operativen) Ergebnisse auswertet, habe ich von Prof. Hartwig Huland übernommen.

Als Prof. Margit Fisch, meine dritte Mentorin, nach Hamburg gekommen ist und als erste urologische Ordinaria den Lehrstuhl übernommen hat, durfte ich von ihr die rekonstruktive und prothetische Urologie erlernen – ein Bereich, den nur wenige bespielen und beherschen. Dies aus erster Quelle zu beziehen, war sehr hilfreich und gibt mir in Graz die Gelegenheit, Patienten auch in diesem Bereich auf hohem Niveau zu versorgen.

Als Mentor möchte ich auch Prof. Friedhelm Schreiter erwähnen, der mit über 80 Jahren immer noch ein guter Ansprechpartner ist. Er hat mir die Prothetik, wie Penisprothesen oder künstlichen Schließmuskel, beigebracht.

Graz ist eine Ausbildungsklinik. Warum soll sich jemand für eine Ausbildung in Urologie entscheiden?

S. Ahyai: Für mich ist es das großartigste Fach, das es gibt, weil es extrem vielseitig ist. Dies fängt an bei kleinen operativen Eingriffen und geht bis hin zu großen und komplizierten Operationen. Hat jemand mehr Interesse an der Diagnostik und konservativen, medikamentösen Therapie, kann man sich auch nur diesem widmen. Begleitend können wir auch viel wissenschaftlich arbeiten. Ich glaube, es gibt wenige Fächer, die von der Diagnostik bis zur Therapie alles von A bis Z machen. Darüber hinaus bietet die Urologie viele innovative Verfahren. Obwohl die Urologie als ein kleines Fach gilt, ist die weitere Subspezialisiung der Trend – z.B. zum Nierenspezialisten, Prostata- oder Prostatakarzinomspezialisten oder zum Spezialisten für die Blase.

Das Landeskrankenhaus Universitätsklinikum Graz ist ein Klinikum der Maximalversorgung mit einer großen urologischen Abteilung, einem großen Einzugsgebiet und einem entsprechend breiten Spektrum. In der Ausbildung sieht und macht man also alles, was die Urologie zu bieten hat; von kleinen bis zu großen chirurgischen Eingriffen, die gesamte Uroonkologie, die rekonstruktive Urologie, die Steintherapie, wir bieten alle Unterfächer der Urologie an und arbeiten auch interdisziplinär. Das ist der Bonus eines Universitätsklinikums. Es ist wichtig, in die Zukunft zu blicken, damit die Urologie entsprechenden Nachwuchs hat. Daher ist ein wichtiger Punkt, dass wir eine gute Lehre und eine sehr gute Ausbildung ermöglichen.

Sie arbeiten viel zur Prostatahyperplasie, zur urologischen Onkologie und zur funktionellen rekonstruktiven Urologie. Was ist für Sie das Besondere an diesen Teilgebieten der Urologie?

S. Ahyai: Die Uroonkologie ist sehr wichtig: Der häufigste bösartige Tumor beim älteren Mann ist Prostatakrebs, der Hodentumor ist es bei den jungen Männern. Häufig wird von Vertretern anderer Fächer oder von Berufseinsteigern die Rolle der Uroonkologie in der Onkologie unterschätzt. Das Spannende, sowohl klinisch als auch wissenschaftlich, ist die Dynamik in der medikamentösen Tumortherapie. Beschäftigt man sich nicht ständig damit, ist man nach ein paar Monaten nicht mehr up to date. Es ist also sehr wichtig, am Ball zu bleiben.

Die gutartige Prostatavergrößerung ist ein sehr leidiges Thema für die Patienten. Jeder dritte Mann über 60 hat Beschwerden beim Wasserlassen. Da ist es sehr wichtig, den Patienten entsprechend ihrer Charakteristika verschiedene Therapien anzubieten zu können, als Universitätsklinik natürlich auch chirurgischer Art. Für mich ist es sehr befriedigend, eine BPH-Therapie auf den Patienten zuschneiden zu können.

In der rekonstruktiven Urologie hat man viel mit Narbenbildung zu tun, mit Traumata etc. Es ist ein Fach, das immer seinen Stellenwert behalten wird. Die rekonstruktive Urologie erfordert spezielles Know-how und gleichzeitig Kreativität. Beherrscht man verschiedene Techniken, kann man diese intraoperativ wählen und gestalterisch wirken und so einen enormen Beitrag zur Lebensqualität des Patienten leisten.

Was ist Ihr roter Faden bei der Behandlung eines Patienten?

S. Ahyai: Wenn ich einen Patienten sehe, dann gilt es zunächst, das Krankheitsbild vollständig zu erfassen. Also: Was hat der Patient bzw. die Patientin klinisch, was ist der aktuelle, wissenschaftlich belegte Therapiestand? Dann ist es wichtig, den Patienten mit seinen Komorbiditäten, aber auch seinen Erwartungen und Wünschen zu erfassen. Dies in Einklang miteinander zu bringen, halte ich für die Kunst in der Patientenberatung und -behandlung. Eine Therapie, die zur Genesung führt, das ist das primäre Therapieziel, aber auch der Abgleich mit den Patientenwünschen, -erwartungen und dem Erhalt an Funktionalität.

Worauf achten Sie in Ihrer Arbeit?

Sehen Sie das ungekürzte Interview mit Prim. Sascha A. Ahyai unter: www.universimed.com/oegu-video-ahyai

S. Ahyai: Mir ist wichtig, dass Arbeit Spaß macht und erfüllend ist. Ich arbeite seit 2000 in der Urologie und es gibt keinen Tag, an dem ich nicht gerne zur Arbeit gegangen bin. Für mich war und ist wichtig, jeden Tag die Möglichkeit zu haben, Interessantes zu lernen und sich zu entwickeln. Diese Möglichkeit möchte ich auch meinen Mitarbeitern geben. Jeder soll ein Konzept davon haben, was er in diesem Jahr lernen möchte. Das soll transparent und besprochen sein und dem Mitarbeiter bzw. der Mitarbeiterin, aber auch den anderen bekannt sein. Wichtig ist mir auch Feedback im gemeinsamen Gespräch. Außerdem ist mir ein wohlwollender, freundlicher und wertschätzender Umgang miteinander sehr wichtig. Zuzuhören und auf Augenhöhe zu kommunizieren ist im täglichen Umgang miteinander in meinem Fokus, sei es mit Kollegen, mit der Pflege oder den Patienten. Ein ehrliches Interesse am Gegenüber ist mir wichtig.

Eine persönliche Frage: Unser Gesundheitsminister geht gerne klettern und Schitouren. Was machen Sie gerne?

S. Ahyai: Sie haben mich am Anfang gefragt, was mich hierher in die Steiermark gebracht hat. Das ist unter anderem auch die Natur. Meine Familie, drei Töchter, meine Frau und ich wohnen sogar halb im Wald, was uns früher in Göttingen möglich war und jetzt wieder geht. Das schätze ich sehr. Wir haben einen Hund, ich reite gerne und bin auch Jäger. Ich verbringe tatsächlich viel Zeit in der Natur mit Menschen und beobachte selbst gerne Wild.

Vielen Dank für das Gespräch!
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