Medikamentöse Migränetherapie
Autor:
Dr. Michael Küster
Facharzt für Innere Medizin, Allgemeinmedizin und Anästhesiologie; Spezielle Schmerzmedizin
Lehrbeauftragter der Universitäten Bonn und Köln
Leiter des Regionalen Schmerz- und Palliativzentrums Bonn – Bad Godesberg (D-53177 Bonn)
E-Mail: kuester@praxis-kuester.de
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Chronische Kopfschmerzleiden, vorrangig Migräne, verursachen häufig erhebliche Belastungen für die Betroffenen. Diese zweiteilige Übersicht bietet Einblicke in die medikamentöse Akutbehandlung von Migräne (Teil 1) und stellt neue vorbeugende Medikamente vor ( Teil 2 ).
Ungefähr 11% der europäischen Bevölkerung sind von Migräne betroffen. Migräne führt nicht nur zu Beeinträchtigungen im beruflichen Leben, sondern auch im privaten Umfeld. Dabei ist die Versorgung in den Bereichen der Sofortbehandlung und Vorbeugung oft unzureichend. Eine akute Behandlung erfolgt, wenn der Patient aufgrund der Schwere der Symptome eine Therapie für notwendig hält. Eine vorbeugende Behandlung wird empfohlen, wenn die Häufigkeit, Schwere, begleitende Umstände oder spezifische individuelle Merkmale die Lebensqualität signifikant beeinträchtigen. Dennoch wird ein erheblicher Teil der Migränepatienten, die von einer prophylaktischen Behandlung profitieren könnten, nicht adäquat therapiert.
Die Kopfschmerzepisoden stellen für die Betroffenen eine starke Belastung dar. Zudem führen ungenügende medizinische Versorgung und daraus resultierende migränebedingte Arbeitsunfähigkeit zu erheblichen volkswirtschaftlichen Kosten.
Klassifikation der Migräne
Migräne stellt eine verbreitete, stark beeinträchtigende Form der primären Kopfschmerzerkrankung dar, die bedeutende sozioökonomische und individuelle Folgen hat(ICHD-3). Gemäß dem Global Burden of Disease Survey 2019 istsie weltweit die zweithäufigste Ursache für alltägliche Behinderungen.
Die aktuelle 3. Auflage der Internationalen Kopfschmerzklassifikation, ICHD-3, teilt die Migräne in zwei Haupttypen ein:
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Die Migräne ohne Aura stellt ein klinisch definiertes Syndrom dar, das sich durch ein spezifisches Muster von Kopfschmerzen und begleitenden Symptomen auszeichnet. Diese Form der Migräne wird als eine wiederholte Kopfschmerzstörung beschrieben, die sich, wenn sie unbehandelt bleibt oder die Behandlung erfolglos ist, in Episoden manifestiert, die zwischen 4 und 72 Stunden andauern können. Die charakteristischen Merkmale der Kopfschmerzen umfassen eine unilateral auftretende Lokalisierung, einen pulsierenden Schmerz, mittlere bis starke Schmerzintensität, eine Verschärfung des Schmerzes durch routinemäßige körperliche Aktivitäten sowie das Auftreten von Übelkeit und/oder einer Überempfindlichkeit gegenüber Licht und Lärm. Für die Diagnosestellung ist das Erleiden von mindestens fünf solcher Attacken – nachdem sekundäre Ursachen klinisch ausgeschlossen wurden –erforderlich.
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Die Migräne mit Aura ist durch wiederholte Attacken gekennzeichnet, die für Minuten andauern und sich in einseitigen, hauptsächlich temporär fokalen neurologischen Symptomen äußern, die oft den Kopfschmerzen vorausgehen oder gleichzeitig mit ihnen auftreten. Darüber hinaus berichten einige Betroffene von einer Prodromalphase, die den Kopfschmerzen Stunden oder sogar Tage vorhergehen kann, sowie von einer Erholungsphase nach dem Abklingen des Kopfschmerzes. Symptome, die während der Prodromal- und Erholungsphasen auftreten können, umfassen erhöhte oder verringerte Aktivität, depressive Verstimmungen, spezifische Essgelüste, häufiges Gähnen, Erschöpfung sowie Nackensteifigkeit und/oder -schmerzen.
Die Behandlung der Migräne ist immer dann angezeigt, wenn der Patient unter den Beschwerden leidet. Hierbei wird zwischen der Behandlung akuter Attacken und der Prophylaxe sowie zwischen medikamentösen und nichtmedikamentösen Therapieansätzen unterschieden.
Medikamentöse Therapie der Migräneattacke
Leichte bis möglicherweise auch mittelschwere Migräneattacken lassen sich mit den etablierten Nichtopioid-Schmerzmitteln behandeln, üblicherweise in einer Dosierung, die doppelt so hoch ist wie die Standarddosis. Die Triptane gelten als Goldstandard für die Behandlung von mittelschweren bis schweren Attacken. Neuere Optionen in der Attackentherapie stellen die Ditane und Gepante dar.
Triptane
Für Patienten, deren Migräneanfälle nicht hinreichend auf die Therapie mit Nichtopioid-Schmerzmitteln reagieren, ist der Einsatz von Serotonin-5-HT1B/D-Rezeptoragonisten (Triptane) vorgesehen. Almotriptan, Eletriptan, Frovatriptan, Naratriptan, Rizatriptan, Sumatriptan und Zolmitriptan stellen die bevorzugten Medikamente für die Behandlung der akuten Schmerzphase einer Migräneattacke dar. Die Effektivität der Triptane wurde durch umfassende, placebo-kontrollierte Studien belegt und mittels Metaanalysen bewertet.
Der Beginn der Wirkung eines Triptans nach der ersten Einnahme kann innerhalb von etwa 15 bis 120 Minuten erwartet werden, wobei das Ziel die vollständige Rückbildung der Migräneattacke oder die Erreichung von Schmerzfreiheit innerhalb von 2 Stunden ist. Allerdings erlebt eine Gruppe von Patienten (15–40%) das Phänomen des Wiederauftretens von Kopfschmerzen. In solch einem Fall ist eine erneute Einnahme des Medikaments möglich, wobei auch bei dieser weiteren Anwendung ein Erfolg der Behandlung antizipiert werden kann. Ein Wiederkehrkopfschmerz tritt auf, wenn die Schmerzintensität zunächst von sehr stark oder mittelstark auf leicht oder gar keinen Kopfschmerz zurückgeht, innerhalb von zwei bis 24 Stunden jedoch erneut auf ein mittelstarkes bis starkes Schmerzniveau ansteigt. Daraus folgt, dass mit der Effektivität eines Medikaments auch die Wahrscheinlichkeit für einen Wiederkehrkopfschmerz steigt. Sollte ein Medikament während eines Anfalls keine Wirkung zeigen, resultiert daraus kein Wiederkehrkopfschmerz. Demzufolge ist das Risiko eines Wiederkehrkopfschmerzes bei der Verwendung von weniger wirksamen Triptanen (zum Beispiel Frovatriptan oder Naratriptan) tendenziell niedriger. Effektive Triptane, wie subkutan verabreichtes Sumatriptan, weisen hingegen eine höhere Rate an Wiederkehrkopfschmerzen auf. Auch die Eliminationshalbwertszeit des Medikaments hat einen Einfluss auf die Häufigkeit des Wiederauftretens von Migräne. Längere Halbwertszeiten, wie sie bei Naratriptan und Frovatriptan zu finden sind, reduzieren die Wahrscheinlichkeit eines erneuten Auftretens der Migräne.
Wenn die erste Verabreichung eines Triptans in der höchstzulässigen Anfangsdosis keine Linderung während eines Anfalls bewirkt, ist eine wiederholte Einnahme desselben Triptans währenddieses Anfalls nicht Erfolgversprechend. Sollte die ursprüngliche Dosis erbrochen worden sein, könnte eine erneute Einnahme jedoch wirksam sein. Bei ausbleibender Anfangswirksamkeit des Triptans wird empfohlen, auf ein Alternativmedikament mit einem unterschiedlichen Wirkmechanismus zu wechseln. Hierbei kommen Analgetika oder nichtsteroidale Entzündungshemmer (NSAR) in Betracht.
Während eines Anfalls ist es nicht ratsam, verschiedene Triptane zu kombinieren. Wenn ein Triptan bei einem bestimmten Anfall nicht wirkt, kann es bei zukünftigen Anfällen dennoch effektiv sein. Triptane erweisen sich bei ungefähr acht von zehn Anfällen als wirksam, was bedeutet, dass trotz generell guter Wirksamkeit bei einigen Anfällen die Effektivität fehlen kann. Obwohl Triptane in durchschnittlichen Vergleichen keine statistisch signifikanten Unterschiede aufweisen, können individuelle Variationen in der Reaktion und Verträglichkeit bestehen. Daher kann eine Rotation zwischen verschiedenen Triptanen in bestimmten Fällen angebracht sein.
Die Verbindung von Sumatriptan mit einem NSAR, das eine lange Halbwertszeit aufweist, wie zum Beispiel Naproxen (mit einer Halbwertszeit von ungefähr zwölf Stunden), könnte die Chance auf das Wiederauftreten von Kopfschmerzen verringern. In diesem Zusammenhang sorgt das Triptan zuerst für einen raschen Wirkungseintritt, während der langsam ansteigende Plasmaspiegel des NSAR potenziell das Wiederauftreten von Kopfschmerzen nach einer initialen Besserung vermeiden kann. Es ist nicht ratsam, das NSAR erst dann einzusetzen, wenn der Wiederkehrkopfschmerz bereits eingetreten ist. Aufgrund der langen Halbwertszeit des NSAR entfaltet sich der Plasmaspiegel verzögert, weshalb nicht davon auszugehen ist, dass ein bereits eingetretener Wiederkehrkopfschmerz damit effektiv behandelt werden kann. In solch einem Fall sollte das ursprünglich verabreichte Triptan bei einem Wiederkehrkopfschmerz erneut eingenommen werden. Die zusätzliche Gabe von Metoclopramid kann sich positiv auf die vegetativen Begleitsymptome auswirken.
Triptane sollten idealerweise frühzeitig zu Beginn der Schmerzphase einer Migräne angewandt werden, jedoch ist ihre Anwendung auch zu einem späteren Zeitpunkt während der Schmerzphase noch effektiv.
Aufgrund ihrer agonistischen Wirkung an Serotoninrezeptoren entfalten Triptane eine vasokonstriktorische Wirkung. Aus Gründen der Sicherheit ist ihr Einsatz bei Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen, insbesondere bei unbehandeltem Bluthochdruck, Herzinfarkten in der Vorgeschichte, Schlaganfällen, transienten ischämischen Attacken, koronarer Herzkrankheit und peripherer arterieller Verschlusskrankheit, nicht zu empfehlen. Zudem ist die Verabreichung von Triptanen bei Vorliegen von Morbus Raynaud, während der Schwangerschaft oder Stillzeit sowie bei schwerer Leber- oder Niereninsuffizienz kontraindiziert. Es sollte jedoch angemerkt werden, dass schwere Nebenwirkungen äußerst selten auftreten.
Lasmiditan
Lasmiditan, der bisher einzige Wirkstoff aus der Gruppe der Ditane, wirkt als Agonist am 5-HT1F-Rezeptor. Im Gegensatz zu Triptanen hatdiese Substanz keine vasokonstriktorischen Effekte. Ihr Wirkmechanismus führt zur Hemmung der Plasmaprotein-Extravasation in der Dura mater sowie der C-Fos-Induktion im Nucleus caudalis des Trigeminusnervs und unterbindet somit die neurogene Entzündung.
In umfassenden Phase-III-Studien hat sich Lasmiditan bei der Behandlung akuter Migräneattacken in Dosierungen von 50mg bis 200mg als effektiv herausgestellt. Ein konsistentes Ansprechen der Therapie konnte über mehrere Migräneanfälle hinweg beobachtet werden. Die Behandlung zeigt auch bei Patienten, die nicht auf Triptane reagieren oder bei denen Unverträglichkeiten oder Kontraindikationen gegenüber Triptanen vorliegen, Wirksamkeit.
In den Phase-III-Studien zu Lasmiditan, die auf die Behandlung akuter Migräneattacken abzielten, wurden auch Teilnehmer mit kardiovaskulären Risikofaktoren wie koronarer Herzkrankheit, Herzrhythmusstörungen und nicht ausreichend kontrollierter arterieller Hypertonie einbezogen. Kardiovaskuläre Nebenwirkungen traten nur in sehr seltenen Fällen auf, wobei vor allem über Herzklopfen oder eine erhöhte Herzfrequenz berichtet wurde. Langzeitstudien ergaben, dass die am häufigsten beobachteten Nebenwirkungen Schwindel (18,6%), Müdigkeit (8,5%) und Parästhesien (6,8%) waren, wobei schwerwiegende Nebenwirkungen nicht festgestellt wurden.
Zwei Stunden nach der Verabreichung von 100mg Lasmiditan erreichten 26,9% der Patienten, die eine Migräneattacke erlitten, eine vollständige Schmerzfreiheit; bei einer Dosierung von 200mg Lasmiditan stieg dieser Anteil auf 32,4%. Die Effektivität von Lasmiditan ist vergleichbar mit der von Triptanen und übertrifft die der Gepante hinsichtlich der Wirksamkeit.
Lasmiditan ist insbesondere für die Behandlung von Migräneattacken bei Patienten geeignet, die aufgrund von Kontraindikationen keine Triptane verwenden können und bei denen Nichtopioid-Schmerzmittel keine Wirkung zeigen. Allerdings limitieren die zentralen Nebenwirkungen den Einsatzbereich dieses Medikaments.
Kontraindikationen für die Verwendung von Lasmiditan umfassen schwere Leberfunktionsstörungen, Schwangerschaft und Stillzeit. Aufgrund der signifikanten zentralen Nebenwirkungen wird empfohlen, für mindestens acht Stunden nach der Einnahme von Lasmiditan keine Aktivitäten auszuführen, die volle geistige Klarheit verlangen. Dies betrifft insbesondere das Fahren von Kraftfahrzeugen oder die Bedienung von gefährlichen Maschinen.
Lasmiditan ist zur akuten Behandlung der Kopfschmerzphase bei Migräneanfällen bei Erwachsenen, sowohl mit als auch ohne Aura, zugelassen.
Gepante
Gepante wirken als CGRP(„calcitonin gene-related peptide“)-Rezeptorantagonisten. In den USA sind Rimegepant und Ubrogepant für die Behandlung akuter Migräneattacken genehmigt, während in Europa eine Zulassung für Rimegepant vorliegt. In mehreren Phase-III-Studien wurde die Überlegenheit von Rimegepant in einer Dosierung von 75mg gegenüber Placebo demonstriert: Zwei Stunden nach Einnahme erreichten 19,6% der mit Rimegepant Behandelten Schmerzfreiheit, verglichen mit 12% in der Placebogruppe.
Die Verträglichkeit von Rimegepant ist allgemein gut, wobei Übelkeit, Harnwegsinfektionen und Schwindel am häufigsten als Nebenwirkungen genannt werden. Bei einer Langzeittherapie über zwölf Monate wurde eine geringfügige Reduktion der Anzahl der Migränetage pro Monat festgestellt: von durchschnittlich 10,9 auf 8,9 Tage nach einem Jahr.
Einen zusammenfassenden Überblick über die aktuell verfügbaren medikamentösen Attackentherapeutika gibt Abbildung 1.
Abb. 1: Übersicht über die medikamentöse Therapie von Migräneattacken (modifiziert nach Diener HC et al. 2022)
Literatur:
Die detaillierten Referenzen dieses Artikels sowie umfassende Informationen zu diesem Thema finden Sie in den unten angeführten Leitlinien der DGS sowie der DGN.
IHS Classification ICHD-3: https://ichd-3.org/de/1-migrane/ ; zuletzt aufgerufen am 11.10.2023
Global Burden of Disease Survey [GBD] 2019: https://www.healthdata.org/research-analysis/gbd ; zuletzt aufgerufen am 11.10. 2023
Göbel H et al.: Medikamentöse Anfallsbehandlung und Vorbeugung der Migräne –Aktualisierung der DGS-Praxisleitlinie „Primäre Kopfschmerzerkrankungen“. Schmerzmedizin 2022; 38 (6): 28-51
Diener HC et al.: Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne, S1-Leitlinie 2022; www.dgn.org/leitlinien; zuletzt aufgerufen am 11.10.2023
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