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Der ÖGGH-Präsident im Gespräch

„Wir benötigen ein einheitliches Darmkrebs-Vorsorgeprogramm“

Der Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Gastroenterologie und Hepatologie (ÖGGH), Prim. Univ.-Prof. Dr. Harald Hofer, Wels-Grieskirchen, spricht im Interview über die neuesten Entwicklungen in seinem Fachbereich, die Bedeutung der Nachwuchsförderung und vorrangige Maßnahmen zur Gesundheitsvorsorge.

Der renommierte Experte auf dem Gebiet der Gastroenterologie und Hepatologie leitet seit 2016 die Abteilung Innere Medizin I im Klinikum Wels-Grieskirchen. Im Gespräch mit JATROSerzählt Prim. Univ.-Prof. Dr. Harald Hofer, welche vorrangigen Ziele er als ÖGGH-Präsident hat, wie die Fachgesellschaft junge Gastroenterolog:innen und Hepatolog:innen fördern will und welche Entwicklungen in der medizinischen Versorgung ihm Freude und Sorgen bereiten.

Wie sind Sie zur Gastroenterologie/Hepatologie gekommen? Wann stand für Sie fest, dass Sie in diesem Fachbereich tätig sein wollen?

H. Hofer: Für mich war es während des Medizinstudiums schon klar, dass ich Internist werden möchte. Die Gastroenterologie hat sich dann in weiterer Folge herauskristallisiert. Ich habe bereits während des Studiums wissenschaftlich auf dem Gebiet des kolorektalen Karzinoms gearbeitet. Nach dem Abschluss habe ich als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe von Univ.-Prof. Peter Ferenci an der gastroenterologischen Abteilung im Wiener AKH begonnen. Dort habe ich die Gastroenterologie und Hepatologie auch sehr zu schätzen gelernt und bin sukzessive über die wissenschaftliche Arbeit in das Fachgebiet hineingewachsen.

Was könnte junge Mediziner:innen dazu motivieren, sich für das Fachgebiet zu entscheiden?

H. Hofer: Das Fachgebiet der Gastroenterologie und Hepatologie ist aus meiner Sicht aufgrund seines breiten Betätigungsfeldes attraktiv. Es bietet einen spannenden Zugang zu unterschiedlichen Arten der klinischen Tätigkeit. Genau diese Breite des Fachgebiets und auch das Praktische, die Möglichkeit der Hands-on-Tätigkeit in der Endoskopie und im Ultraschall, sind für junge Kolleg:innen –glaube ich – spannend und abwechslungsreich. Die Fortschritte und Entwicklungen sind rasant, sowohl was die medikamentösen Therapien als auch die Fortschritte in der Endoskopie betrifft. Zudem werden von der ÖGGH sehr viele Aktivitäten für die Nachwuchsförderung gesetzt.

Wie sehen diese Aktivitäten der ÖGGH im Detail aus?

H. Hofer: Wir haben initial einen Beirat für Nachwuchs- und Frauenförderung sowie in weiterer Folge eine eigene Arbeitsgruppe, die young ÖGGH, mit Abbildung im Vorstand gegründet. Die Arbeitsgruppe, die auch von jungen Kolleg:innen geleitet wird, hat sich sehr rasch, sehr positiv entwickelt. Die jungen Kolleg:innen sind überaus engagiert. Sie organisieren beispielsweise ein Pre-Meeting im Rahmen der Jahrestagung, schreiben Artikel und organisieren die Summer School der ÖGGH für Student:innen und junge Kolleg:innen, die dieses Jahr wieder im September stattgefunden hat, sehr gut besucht war und auch sehr gutes Feedback erhalten hat. Wir sind insgesamt sehr stolz auf die Entwicklung und das Engagement unserer jungen Kolleg:innen und ich möchte ihnen auch dafür danken.

Welche Innovationen bzw. Entwicklungen in der Gastroenterologie/Hepatologie der letzten Zeit sind aus Ihrer Sicht besonders bemerkenswert?

H. Hofer: Zunächst gab es auf dem Gebiet der Hepatologie im Bereich der steatotischen Lebererkrankungen rezente Änderungen in der Nomenklatur, die sich rasch in der klinischen Praxis etabliert haben. Die neuen Begriffe und die Einteilung spiegeln aus meiner Sicht sehr gut die klinische Realität von Patient:innen mit Steatose wider. Erfreulich in dem Zusammenhang ist auch, dass mit dem Thyroidhormonrezeptor-β-Agonisten Resmetirom erstmalig eine Therapie für MASH-Patienten mit Fibrose der Grade 2 und 3 entwickelt wurde, die in den USA bereits zugelassen ist und in Europa demnächst erwartet wird. Für die Zukunft sind hier viele Substanzen in der Pipeline, darunter die dualen GIP/GLP-1-Agonisten, die Glukagon-/GLP-1-Rezeptor-Agonisten und die FGF21-Agonisten, die in Phase-II- und -III-Studien sehr vielversprechende Ergebnisse zeigen. In diesem Feld kann man die Entwicklungen als wirklich rasant bezeichnen.

Ebenso beachtenswert sind die Fortschritte in der Behandlung des hepatozellulären Karzinoms, bei dem die Immuntherapie mit Immuncheckpoint-Inhibitoren zur First-Line-Therapie geworden ist. Hier gibt es rezente interessante Studien im Sinne einer Kombination mit chirurgischem Vorgehen oder auch in Kombination mit der interventionellen Radiologie. Im Bereich der cholestatischen Lebererkrankungen werden die PPAR-Agonisten Elafibranor und Seladelpar bei der Therapie der primär biliären Cholangitis in Kürze zugelassen und für Patient:innen verfügbar sein.

<< Abnehmende Gesundheitskompetenz der Bevölkerung, eingeschränkte Lenkmöglichkeiten der Patientenströme verbunden mit gesteigertem Anspruchsdenken sind Entwicklungen, die in der klinischen Medizin Sorgen bereiten.>>

Bei der Hepatitis-Delta-Virus(HDV)-Infektion ist Bulevirtid als neue Therapiemöglichkeit zu nennen. Zudem ist bei den chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen in den vergangenen Jahren eine Reihe von Substanzen verfügbar geworden, die das Armamentarium für die Therapie von Morbus Crohn und Colitis ulcerosa deutlich erweitert und für die Patient:innen eine deutliche Verbesserung gebracht haben. Eine weitere Entwicklung betrifft die eosinophile Ösophagitis. Für diese – gegenwärtig sicher noch unterdiagnostizierte – Erkrankung gibt es mit Dupilumab ein Biologikum, das für die Second-Line-Therapie zugelassen ist.

Die künstliche Intelligenz hat Einzug in die Endoskopie gehalten und interventionelle endoskopische Verfahren sind ebenfalls auf dem Vormarsch. Und nicht zuletzt sollte man auch das Mikrobiom erwähnen. Dazu werden immer wieder faszinierende Studienergebnisse publiziert, die auch für die Zukunft viel Gutes erwarten lassen.

Gibt es Entwicklungen in der Medizin, die Sie mit Sorge verfolgen?

H. Hofer: Die Personalsituation ist für die klinische Medizin gegenwärtig sicher eine besonders große Herausforderung. Das betrifft neben der ärztlichen Versorgung auch die Pflege. Das ist ein allgegenwärtiges Thema und die Engpässe werden zunehmend sichtbar. Die demografische Entwicklung ist zwar kein neues Thema, aber sie verschärft die Situation natürlich. Wir sehen, dass uns auf der einen Seite der Nachwuchs in der Betreuung fehlt, auf der anderen Seite gibt es einen demografischen Zuwachs der Patient:innen, die Betreuung brauchen. Diese Entwicklung macht mir Sorgen. Ich persönlich würde es begrüßen, wenn wir jungen Menschen, die sich z.B. in der Pflege oder als Sanitäter:innen bewährt haben, den Zugang zum Medizinstudium erleichtern. Ich glaube, das wäre ein Mehrwert für die Gesellschaft. Ein weiteres großes Thema ist die Digitalisierung. Das ist ein Bereich, in dem wir insgesamt Aufholbedarf haben – wir hinken den Möglichkeiten hinterher. Abnehmende Gesundheitskompetenz der Bevölkerung, eingeschränkte Lenkmöglichkeiten der Patientenströme verbunden mit gesteigertem Anspruchsdenken sind ebenfalls Entwicklungen, die in der klinischen Medizin Sorgen bereiten.

Wie lauten Ihre Ziele für Ihre Amtszeit als ÖGGH-Präsident?

H. Hofer: Die ÖGGH hat ein breites Aus- und Fortbildungsprogramm. Ziel ist es, dieses nach den vorhandenen Bedürfnissen weiterzuentwickeln. Eine Befragung der jungen Kolleg:innen in der ÖGGH hat gezeigt, dass die Ausbildung für Ultraschall und gastrointestinale Funktionsdiagnostik als durchaus verbesserungswürdig eingestuft wird. Daher werden wir versuchen, die Fortbildungsangebote auch in diese Richtung zu erweitern. Insgesamt ist die Nachwuchsförderung – wie schon angesprochen – natürlich ein großes Thema und auch ein Schwerpunkt. Darüber hinaus wollen wir auch versuchen, für Fachärzt:innen, die jetzt schon in der Gastroenterologie Fuß gefasst haben, gewisse Profilierungs- und Entwicklungsmöglichkeiten zu schaffen. Da gibt es zum Beispiel das Diplom für interventionelle Endoskopie, das wir nunmehr fertiggestellt haben. Somit können in der interventionellen Endoskopie sehr fortgeschritten ausgebildete Kolleg:innen ihre Fähigkeiten von der ÖGGH auch abgebildet bekommen. Ein weiterer Schwerpunkt ist sicher auch die Darstellung unseres Fachgebietes gegenüber Entscheidungsträger:innen und der Öffentlichkeit. Die Aufnahme unseres Fachgebietes in den Österreichischen Strukturplan Gesundheit halten wir als Gesellschaft weiterhin für wichtig und erstrebenswert.

Ein Dauerbrenner in der ÖGGH ist die Darmkrebsvorsorge. Das ist und bleibt ein sehr wichtiges Anliegen. Wir haben in Österreich noch immer kein bundesweit organisiertes strukturiertes Darmkrebs-Vorsorgeprogramm. Dem stehen 15 bis 20 Patient:innen pro Tag in Österreich gegenüber, die die Diagnose Darmkrebs bekommen, mit allen assoziierten Folgen – obwohl die Entstehung des Darmkrebses mit der Vorsorgekoloskopie verhinderbar wäre. Die Vorsorgekoloskopie schützt die Gesundheit, rettet Leben und schont langfristig auch Ressourcen! Wir benötigen daher ein organisiertes, einheitliches, qualitätsgesichertes Vorsorgeprogramm in Österreich. Hier versuchen wir, unser Wissen und langjährige Kompetenz konstruktiv einzubringen.

Ein Wunsch für die Zukunft?

H. Hofer: Es gibt ein sehr amikales, konstruktives Miteinander innerhalb der ÖGGH. Mein persönlicher Wunsch für die Zukunft ist, dass wir dieses Miteinander fortführen, in den angestrebten Zielen vorankommen und die ÖGGH weiterhin eine gute Entwicklung nimmt. Zudem wird 2025 die ÖGGH-Jahrestagung in Wels stattfinden. Darauf freuen wir uns – ich hoffe auf viele Besucher:innen und dass die Jahrestagung gut über die Bühne geht. In dem Zusammenhang möchte ich mich beim Vorstand der ÖGGH und beim Programmkomitee der Jahrestagung für die Mithilfe bedanken. Nicht zuletzt möchte ich mich auch bei meinem Team im Klinikum bedanken, das mein Engagement bei der ÖGGH unterstützt und mitträgt und tagtäglich sehr viel leistet.

Vielen Dank für das Gespräch!
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