Frauenheilkunde und Proktologie
Autor:
Univ.-Prof. Dr. Max Wunderlich, FRCS
Facharzt für Chirurgie, Perchtoldsdorf
E-Mail: galaxy.wumax@gmail.com
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Die anatomische Nähe von weiblichem Genitale und Anorektum bedingt, dass sich Gynäkolog:innen gelegentlich mit Symptomen oder Befunden der benachbarten Region auseinandersetzen müssen. Daher ist es im Interesse der Patientinnen, wenn sie bei der gynäkologischen Konsultation auch eine gute proktologische Beratung erfahren.
Keypoints
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Akute Hämorrhoiden in der Gravidität und peripartal sollten möglichst konservativ behandelt werden.
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Asymptomatische Hämorrhoiden als Zufallsbefund bedürfen keiner Therapie. Bei hohem Leidensdruck ist bei Frauen das Risiko für eine F.I. nach Hämorrhoidektomie abzuwägen.
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Die Pudendusneuralgie kann eine Ursache für CPP sein. Charakteristisch sind Schmerzen vor allem beim Sitzen, nie aber in der Nacht.
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Stuhlinkontinenz in höherem Alter betrifft vor allem Frauen – am häufigsten jene, die Kinder geboren haben.
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Die schwere Enddarmobstipation (ODS) kann Folge eines Missbrauchs in Kindheit oder Jugend sein. In diese Richtung sollte gefragt werden, wenn eine Patientin über Probleme bei der Defäkation klagt.
Hämorrhoiden
Die bei jedem Menschen vorhandenen, von arteriellem Blut gespeisten Gefäßkissen werden in vier Grade eingeteilt (Abb. 1). Das nicht prolabierte Hämorrhoidalgewebe ist prinzipiell nicht tastbar, Grad III und IV werden am gynäkologischen Stuhl entweder beim Pressen oder auch in Ruhe erkannt. Die wesentlichen Symptome sind: hellrote Blutung sowie das unangenehme Gefühl von Prolaps und Druck bei den Graden III und IV, die auch oft mit Brennen, Nässen, Jucken, manchmal auch mit einer leichten Inkontinenz, einhergehen können, zusammengefasst Missempfindungen, die man auch unter „anal dyscomfort“ subsummiert.
Abb. 1: Hämorrhoiden Grad I–IV
Der für das Auge der Gynäkolog:innen möglicherweise irritierende Aspekt von permanent prolabierten Hämorrhoiden darf nie zum reflexartigen Anraten einer Operation veranlassen, ebenso wenig wie große Marisken. Interventionen bei Hämorrhoiden bergen fallweise ein Risiko auch schwerer Komplikationen, insbesondere wenn Klammerapparate im Rektum zur Anwendung kommen.1
Von den landläufig vermuteten Ursachen für die Vergrößerung von Hämorrhoiden (chronische Obstipation; sitzender vs. stehender Beruf, Sport vs. kein Sport etc.) sind einzig Schwangerschaft und Geburt statistisch gesichert. Im Zuge derer kann es auch zu einem akuten Hämorrhoidalprolaps kommen – irreponible, thrombosierte, indurierte Knoten, die höchst schmerzhaft sind. Die Therapie ist auch für Chirurg:innen ein Dilemma: Die orale Therapie mit Flavonoidfraktionen ist während Gravidität und Stillzeit kontraindiziert, sodass man sich mit lokalen Maßnahmen gedulden muss. Mit schmerzstillenden Salben und Mullkompressen, die mit 3% Kochsalzlösung zum Abschwellen getränkt sind, geht die quälende Symptomatik oft binnen einiger Tage zurück. Andernfalls muss man die schwangere oder eben geboren habende Frau doch der einzig möglichen Operation unterziehen: einer klassischen Hämorrhoidektomie aller Knoten, von der nässende, meist auch schmerzhafte Wunden mit langer Heilungsdauer resultieren.
Analer und pelviner Schmerz
Die Ursachen für anale und pelvine Schmerzen sind mannigfaltig. Die perianale Thrombose ist ein spontan entstandenes subkutanes Gerinnsel am Analrand, erkennbar an der bläulichen Verfärbung. Sie bedarf kaum je einer Inzision, die Patientin jedoch der verbalen Beruhigung, wenn man ihr die Harmlosigkeit der Läsion erklärt, die auch nicht zu einer Pulmonalembolie führen kann, welche von Laien naturgemäß mit dem Wort „Thrombose“ assoziiert wird.
Die gerötete schmerzhafte Schwellung eines oberflächlichen Analabszesses führt wohl bei Blickdiagnose sogleich zur Überweisung an die Chirurgie.
Die häufigste Ursache für anale Schmerzen ist die Analfissur – ein entzündeter Einriss des Anoderms, meist auf sechs Uhr in Steinschnittlage, bei Spreizen der Nates erkennbar, in der Regel spontan abheilend.
Eine einfache und häufig erfolgreiche Therapie bei Fissur und manch anderen analen Schmerzen taugt oft als erste Maßnahme: Ein simples Hämorrhoidalzäpfchen (ohne Cortison) wird an der Spitze mit reichlich lokalanästhesierender Salbe beschichtet und peranal eingeführt. Das Zäpfchen dient lediglich als Träger für die Salbe, die dann im Analkanal schmerzstillend wirkt. Dies ist für vier Wochen zumindest zweimal täglich zu wiederholen, insbesondere auch nach der Defäkation. Selbstverständlich ist bei Fortbestehen des analen Schmerzes die gründliche proktologische Untersuchung angezeigt – zunächst mit Prokto- und Rektoskopie in Linksseitenlage, ergänzt mit analem Schall und MRT.
Manchmal findet sich allerdings keine Erklärung für quälenden „chronic pelvic pain“ (CPP) in der analen und genitalen Region. In solchen Fällen ist unbedingt an die Pudendusneuralgie (PN) zu denken, welche häufiger ist, als man ahnt. Als Ursache wird eine mechanische Einengung („entrapment“) des Nervus pudendus an verschiedenen Stellen angenommen (Abb. 2).
Abb. 2: Ätiologie der Pudendusneuralgie
Auffallend ist ihre Häufung bei intensivem Radsport. Die PN kann anhand der Nantes-Kriterien diagnostiziert werden, von denen drei in der Ordination leicht festzustellen sind:2
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Schmerz verstärkt beim Sitzen, deutlich leichter im Stehen
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Nachts kein Schmerz
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Keine Sensibilitätsstörung in der betroffenen Region
Diagnostik und Therapie sind multidisziplinär. Bei Verdacht auf PN folgen der bildgebenden Darstellung des Nervus pudendus Therapieversuche, die von der Infiltration bis zur operativen Dekompression reichen und leider nicht selten frustran sind. Ein häufigeres Erkennen der PN könnte aber in Zukunft zu mehr Erfolgen in der Therapie führen.
Fäkale Inkontinenz (F.I.)
Während der natürlichen Geburt können zwei Traumata die zukünftige Funktion des Beckenbodens beeinträchtigen: Einerseits kann es perineal zu unbemerkten subkutanen Rissen des Sphincter ani externus (SAE) kommen;3 andererseits kann das Tiefertreten des Beckenbodens durch Zug am Nervus pudendus zur Läsion einzelner Nervenfasern führen, die in einer Beckenbodenneuropathie (Denervation und Reinnervation) mündet.4
Während die jungen Mütter glücklicherweise fast ausnahmslos narbige Defekte und eine noch geringfügige Reduktion des SAE kompensieren, führt Jahrzehnte später der physiologische Abbau von Muskulatur zur F.I. der älteren Frauen. Diese genieren sich so sehr, dass sie ihr Leiden verheimlichen und sich sozial zurückziehen.
Im Alter betrifft die F.I. zumindest 15% der Menschen, von denen etwa 90% Frauen sind. In Wien zum Beispiel wären das über 250000. Aus Scham befragen die allermeisten von ihnen selbst die vertrautesten Ärzt:innen nicht. Wird das Thema von diesen jedoch einmal angesprochen, wird die Gelegenheit, sich endlich mitteilen zu können, erleichtert wahrgenommen.
Dies eröffnet die Möglichkeit zu einem weiten Spektrum längst etablierter Therapien von Beckenbodentraining, Stuhlregulierung etc. bis zu Sphinkterrekonstruktionen. Aufgrund der schlechten Langzeitergebnisse sind Letztere allerdings dem Verfahren der Wahl, der sakralen Neuromodulation (SNM), unterlegen.
Für die gynäkologische Praxis genügt die Diagnose der F.I. Die weitere professionelle Betreuung liegt dann in den Händen der Kontinenz- und Stomaberaterinnen des spezialisierten Pflegedienstes (KSB) und von Beckenbodenzentren wie jenen der Medizinischen Kontinenzgesellschaft Österreich (MKÖ).
Obstipation
Während die Transitobstipation (Trägheit des gesamten Dickdarms) den Gastroenterologen vorbehalten ist, erscheint die Enddarmobstipation der Frau in bestimmten Fällen durchaus von Interesse für die Gynäkologie. Die quälende Schwierigkeit der Entleerung des Enddarms, aktuell obstruktives Defäkationssyndrom (ODS) genannt, ist durch eine Trias gekennzeichnet:
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anales Blockierungsgefühl
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Gefühl der inkompletten Entleerung
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frustrane Pressversuche
Anatomisch ist dies bedingt durch das Tiefertreten der ventralen Rektumwand, sodass deren Mukosa den Analkanal während des Defäkationsversuchs blockiert. In der Proktologie nennt man dies den anterioren Mukosaprolaps (AMP), der sich am untersten Ende einer ventralen Rectocele findet – eine Schwachstelle des Septum rectovaginale, welche auch bei der gynäkologischen Untersuchung getastet wird (Abb. 3).
Abb. 3: ODS: anteriorer Mukosaprolaps (AMP)
All dies lässt sich dynamisch darstellen mit der Defäkografie (einer seitlichen Bildgebung des Rektums während des Pressens), die sehr oft auch eine Intussuszeption des oberen in das untere Rektumdrittel zeigt.
Verständlicherweise nehmen die Betroffenen allzu oft laienhaft an, dass es Stuhl ist, der im Analkanal steckt und pressen umso mehr. Funktionell wird der Defäkationsversuch erschwert durch die unwillkürliche paradoxe Kontraktion des Musculus puborectalis anstatt der in dieser Phase normalen Erschlaffung.
Eine Ursache für dieses chronische Leiden kann – sehr viel häufiger als gedacht – ein Missbrauch in Kindheit oder Jugend sein.5 Dieser wurde im Laufe der Jahre nachhaltig verdrängt. Wenn das adäquate Vertrauensverhältnis gegeben scheint, dann sollte man Patientinnen, die während der gynäkologischen Konsultation über ein ODS klagen, im Gespräch nach der Untersuchung behutsam nach so einem Trauma in der Vergangenheit fragen. Viele Frauen erinnern sich sehr schnell und berichten mit sichtlicher Erleichterung.
Eine Enddarmobstipation mit diesem Hintergrund, letztlich entsprechend einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), bedarf naturgemäß ausschließlich einer Psychotherapie, unterstützt durch Psychopharmaka.6 Die Fahndung nach einem Missbrauch als Ursache eines ODS ist auch essenziell, weil allzuoft versucht wird, das vermeintlich rein mechanische Problem von AMP oder Intussuszeption operativ zu beheben. Geschieht dies mittels STARR („Stapled TransAnal Rectal Resection“), so kann eine schwere Inkontinenz resultieren, weil das rektale Fassungsvermögen durch die Resektion mit einem Klammerapparat verkleinert und die Sphinkterfunktion fallweise beeinträchtigt wird.1,7
Literatur:
1 Wunderlich M et al.: Therapie bei Rezidiv oder Komplikationen nach Behandlung des Hämorrhoidalleidens. Chirurgie 2007; 28-31 2 Labat JJ et al.: Diagnostic criteria for pudendal neuralgia by pudendal nerve entrapment (Nantes criteria). Neurourol Urodyn 2008; 306-10 3 Bellussi F, Dietz HP: Postpartum ultrasound for the diagnosis of obstetrical anal sphincter injury. Am J Obstet Gynecol MFM 2021 4 Wunderlich M, Parks AG: Physiology and pathophysiology of the anal sphincters. Int Surg 1982; 291-8 5 Wunderlich M: Sexueller Missbrauch – ein Thema für Proktologen. J Urol Urogynäkol 2018; 19-25 6 Laure S: Traumafolgestörungen in der Frauenheilkunde. JATROS Gynäkologie und Geburtshilfe 2024; 24-6 7 Podzemny V et al.: Management of obstructed defecation. World J Gastroenterol 2015; 1053-60
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