Der späte Kinderwunsch
Autor:
Prim. Dr. Georg Freude
Kinderwunschzentrum GYNANDRON,
Institut für Fortpflanzungsmedizin und Endokrinologie
E-Mail: dr.freude@sterilitaet.at
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In den letzten Jahrzehnten ist ein bedeutender gesellschaftlicher Wandel zu verzeichnen: Immer mehr Paare entscheiden sich dafür, erst später im Leben Kinder zu bekommen. Dieser Trend ist nicht nur in der westlichen Welt, sondern weltweit zu beobachten. Durch den gesellschaftlichen Wandel liegt jetzt die Rushhour des Lebens zwischen dem 27. und 35. Lebensjahr und hat sich somit zeitlich nach hinten verschoben.
Welche Gründe gibt es für diesen Wandel?
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Karriere und berufliche Selbstverwirklichung: Ein wesentlicher Grund für den späten Kinderwunsch ist das Bestreben, sich beruflich zu etablieren und finanziell abzusichern, bevor man eine Familie gründet. Die Möglichkeit, Karriere und Familie besser zu vereinbaren, hat ebenfalls dazu beigetragen, dass der Kinderwunsch nach hinten verschoben wird.
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Bildungsniveau und persönliche Entwicklung: Das gestiegene Bildungsniveau und längere Ausbildungszeiten spielen ebenfalls eine große Rolle. Viele Menschen absolvieren zunächst eine umfassende Ausbildung oder ein Studium, bevor sie an Familienplanung denken. Auch persönliche Entwicklung und Selbstfindung sind wichtige Faktoren. Die Suche nach dem richtigen Partner und die Festigung der Partnerschaft nehmen ebenfalls Zeit in Anspruch.
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Medizinische Fortschritte: Fortschritte in der Reproduktionsmedizin haben den Zeitraum, in dem Frauen Kinder bekommen können, deutlich erweitert. Techniken wie die In-vitro-Fertilisation (IVF) und die Kryokonservierung von Eizellen ermöglichen es Frauen, auch in fortgeschrittenem Alter schwanger zu werden. Dies hat dazu geführt, dass sich viele Paare sicherer fühlen, den Kinderwunsch zu einem späteren Zeitpunkt zu verwirklichen.
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Gesellschaftliche Veränderungen: Die Rollenbilder in der Gesellschaft haben sich gewandelt. Die traditionelle Rollenverteilung, bei der Frauen früh Kinder bekommen und sich um den Haushalt kümmern, hat an Bedeutung verloren. Heute teilen sich viele Paare die Verantwortung für Haushalt und Kindererziehung, was eine flexible Planung und Vereinbarung von Beruf und Familie ermöglicht.
Herausforderungen des späten Kinderwunsches
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Biologische Grenzen: Mit steigendem Alter sinkt die Fruchtbarkeit bei Frauen und auch die Qualität der Spermien bei Männern nimmt ab. Dies kann die Chancen auf eine natürliche Empfängnis verringern und das Risiko für Fehlgeburten erhöhen. Die biologischen Grenzen setzen dem späten Kinderwunsch somit gewisse Schranken, die oft auch mit medizinischer Unterstützung nicht überwunden werden können.
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Gesundheitsrisiken: Schwangerschaften in fortgeschrittenem Alter sind häufiger mit Komplikationen verbunden. Das Risiko für Präeklampsie, Schwangerschaftsdiabetes und Frühgeburten ist erhöht. Auch die Wahrscheinlichkeit von chromosomalen Anomalien wie dem Down-Syndrom steigt mit dem Alter der Mutter. Eine intensive medizinische Betreuung während der Schwangerschaft ist daher oft notwendig.
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Psychologische Aspekte: Der Druck, in einem bestimmten Zeitrahmen schwanger zu werden, kann emotional belastend sein. Viele Paare stehen unter großem Stress, wenn es nicht sofort klappt. Auch die Angst vor möglichen gesundheitlichen Problemen beim Kind spielt eine Rolle und kann die emotionale Belastung erhöhen.
Der späte Kinderwunsch und die konkreten Problemstellungen
Altersbedingte Abnahme der Schwangerschaftschance und -rate
Mit zunehmendem Alter nimmt die Fruchtbarkeit bei Frauen ab. Bereits ab dem 30. Lebensjahr sinkt die Chance auf eine natürliche Schwangerschaft kontinuierlich, ab dem 35. Lebensjahr deutlich. Die Qualität der Eizellen nimmt ab, was zu einer verringerten Schwangerschaftsrate führt. Bei Frauen über 40 liegt die monatliche Chance auf eine Schwangerschaft oft nur noch bei etwa 5 Prozent (Abb. 1).
Abb. 1: Monatliche Chance auf Konzeption nach Alter (modifiziert nach Sydney Local Health District 2023)4
Mit zunehmendem Alter der Frau nimmt die Fruchtbarkeit ab, jedoch steigt das Risiko für Fehlgeburten an. Studien zeigen, dass bei Frauen über 35 Jahre das Risiko für eine Fehlgeburt bei etwa 20 Prozent liegt, während es bei Frauen über 40 Jahre sogar auf bis zu 50 Prozent ansteigen kann. Diese erhöhte Abortrate ist häufig auf chromosomale Anomalien zurückzuführen, die mit dem Alter der Eizellen zunehmen.
Stellenwert des AMH-Spiegels bei spätem Kinderwunsch
Der Anti-Müller-Hormon(AMH)-Spiegel ist ein wichtiger Indikator für die ovarielle Reserve einer Frau. Ein niedriger AMH-Spiegel weist auf eine geringere Anzahl verbleibender Eizellen hin und ist oft ein Zeichen für eine eingeschränkte Fruchtbarkeit. Frauen, die ihren Kinderwunsch spät realisieren möchten, sollten ihren AMH-Spiegel überprüfen lassen.
Abnehmende Schwangerschaftschance bei IVF im Alter
Die In-vitro-Fertilisation (IVF) bietet vielen Paaren die Möglichkeit, ihren Kinderwunsch auch im fortgeschrittenen Alter zu realisieren. Allerdings sinkt auch hier die Erfolgschance mit zunehmendem Alter der Frau. Während die Erfolgsrate bei Frauen unter 35 Jahren bei etwa 40 Prozent pro Zyklus liegt, beträgt sie bei Frauen über 40 Jahre oft nur noch etwa 10 Prozent. Trotz der fortschrittlichen Techniken der Reproduktionsmedizin sind die biologischen Grenzen nicht vollständig überwindbar (Abb. 2)
Abb. 2: IVF-Erfolgsraten pro begonnenen IVF-Zyklus vs. Lebendgeburten (modifiziert nach CDC 2015 and Egg Donation Friends)5
Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin bei spätem Kinderwunsch
Die Reproduktionsmedizin hat in den letzten Jahren bedeutende Fortschritte gemacht und bietet verschiedene Möglichkeiten, den Kinderwunsch auch im fortgeschrittenen Alter zu verwirklichen:
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IVF und ICSI: Diese Techniken ermöglichen die Befruchtung außerhalb des Körpers und sind besonders hilfreich bei eingeschränkter Fruchtbarkeit.
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Eizellspende: Frauen, deren Eizellen nicht mehr geeignet sind, können auf Eizellen jüngerer Spenderinnen zurückgreifen. Damit kann eine Schwangerschaft erzielt werden.
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Kryokonservierung: Die Möglichkeit, Eizellen in jüngerem Alter einfrieren zu lassen („social egg freezing“), bietet Frauen die Flexibilität, ihren Kinderwunsch zu einem späteren Zeitpunkt zu realisieren.
Der Trend zur späten Vaterschaft
Nicht nur Frauen, sondern auch Männer entscheiden sich zunehmend später für Kinder. Auch wenn die Fruchtbarkeit bei Männern langsamer abnimmt, gibt es dennoch eine Alterung der Spermienqualität. Ab dem 40. Lebensjahr sinkt die Spermienmotilität und die Anzahl normal geformter Spermien, was die Fruchtbarkeit beeinträchtigen kann.
Abnehmende Spermienqualität mit zunehmendem väterlichem Alter
Die Qualität der Spermien nimmt mit dem Alter des Mannes ab. Dies betrifft nicht nur die Anzahl und Beweglichkeit der Spermien, sondern auch die DNA-Integrität. Eine schlechtere Spermienqualität kann zu längeren Zeiträumen bis zur Empfängnis und einem erhöhten Risiko für Fehlgeburten und genetische Anomalien führen. Daher ist auch bei Männern der Zeitpunkt der Familienplanung ein wichtiger Faktor für die Erfolgswahrscheinlichkeit.
Möglichkeiten und Zukunftsaspekte beim perimenopausalen Kinderwunsch
Für Frauen im perimenopausalen Alter, die noch einen Kinderwunsch haben, gibt es innovative Ansätze in der Reproduktionsmedizin:
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Eizellspende: Eine bewährte Methode für Frauen, deren eigene Eizellen nicht mehr geeignet sind, ist die Eizellspende. Diese Technik hat hohe Erfolgsraten und ermöglicht vielen Frauen eine späte Mutterschaft.
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Ovarian Rejuvenation: Hierbei werden Techniken angewendet, um die Funktion der Eierstöcke zu verbessern und die Fruchtbarkeit zu steigern. Dies kann durch verschiedene medizinische Eingriffe oder Stammzelltherapien geschehen.
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Uterine Rejuvenation: Techniken zur Verbesserung der Gebärmutterschleimhaut, wie die Gabe von Wachstumsfaktoren oder Stammzellen, können die Chancen auf eine erfolgreiche Einnistung und Schwangerschaft erhöhen.
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Mitochondrienspende: Die Mitochondrienspende ist ein spezialisiertes Verfahren der In-vitro-Fertilisation (IVF), bei dem die mitochondriale DNA (mtDNA) von einer dritten Person stammt, d.h., defekte Mitochondrien werden durch intakte aus einer gespendeten Eizelle ausgetauscht.
Fazit
Der späte Kinderwunsch ist ein komplexes Thema, das durch verschiedene gesellschaftliche, wirtschaftliche und medizinische Faktoren geprägt wird.
Letztlich bleibt der Zeitpunkt für ein Kind eine sehr persönliche Entscheidung, die individuell getroffen werden muss und durch die moderne Fortpflanzungsmedizin unterstützt werden kann.
Literatur:
1 American College of Obstetricians and Gynecologists Committee on Gynecologie Practice and Practice Committee: Female age-related fertility decline. Committee Opinion No. 589. Fertil Steril 2014; 101(3): 633-4 2 Brandstätter N et al.: Späte Mütter, späte Väter: Babyglück im besten Alter. Axel Jentzsch Verlag, 2004 3 Ruth KS et al.: Genetic insights into biological mechanisms governing human ovarian ageing. Nature 2021; 596(7872): 393-7 4 Sydney Local Health District 2023: https://www.slhd.nsw.gov.au/rpa/fertility/pathways-chances.html 5 CDC 2015 and Egg Donation Friends: Assisted reproductive technology, fertility clinic success rates; https://www.eggdonationfriends.com/ivf-success-rates-myths-figures-revealed/
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