© Thomas Hadinger

„In der Perimenopause ist ein einfühlsames Gespräch wichtiger als ein Rezept für Hormone“

Wir dürfen die Wechseljahre nicht pathologisieren. Es ist ein natürlicher Prozess, so wie die Pubertät, unter der die eine Frau mehr leidet und die andere weniger. Was evidenzbasiert gegen die Beschwerden hilft, wissen wir alle. Die Kunst ist, von der Evidenz auch einmal Abstand zu nehmen und der Frau individuell das vorzuschlagen, was ihr am besten hilft.

Warum ist eine Frau nicht bis ins hohe Alter fruchtbar, wo wir Männer doch noch im fortgeschrittenen Alter Kinder zeugen können? Die Natur – die im Wesentlichen auf Reproduktion ausgerichtet ist – hat sich wahrscheinlich Folgendes überlegt: Als der Mensch anfing, aufrecht zu gehen, hat sich eine Lendenlordose entwickelt. Parallel wurde das Hirnvolumen größer und damit auch der kindliche Kopf. Beides macht die Geburt schwierig. Der Säugling bedarf über längere Zeit der Fürsorge seiner Mutter, während zum Beispiel Hunde oder Katzen schon direkt nach der Geburt lostapsen. Das ist ein Kompromiss der Natur: Bliebe der menschliche Fötus so lange im Mutterleib, dass er nach der Geburt auch gleich loslaufen könnte, könnte die Geburt anatomisch nicht mehr funktionieren, weil das Kind zu groß wäre. Die menschliche Mutter muss nach einer Geburt viel länger leben als eine Hunde- oder Katzenmutter, denn ihr Kind braucht sie viel länger als die Tierkinder. Die Natur beendet die Fruchtbarkeit der Frau viele Jahre vor ihrem Tod, damit sie – selbst wenn sie mit der letzten Ovulation schwanger würde – noch genügend Zeit hat, sich um ihr Kind zu kümmern. Auf den Vater ist evolutionstechnisch kein Verlass – der zeugt und verschwindet.

In meiner 43-jährigen Berufszeit habe ich immer wieder erlebt, wie viel die Frauen allein durch ein einfühlsames Gespräch profitieren. Viele sind unsicher, haben Fragen und wissen nicht, was in dieser Lebensphase auf sie zukommt. Ich sehe den Frauenarzt als „Hausarzt der Frau“, als medizinischen Lebensbegleiter von Pubertät bis ins hohe Alter. Deshalb ist er auch der perfekte Ansprechpartner für die manchmal herausfordernde Phase rund um die Menopause. Wir alle kennen die Symptome aus den Lehrbüchern, aber in der Praxis muss man das differenzierter sehen. Die Spannbreite reicht von gar keinen Beschwerden bis zu ausgeprägten Hitzewallungen, Depressionen, Libidoverlust, Sexualitätstörungen durch trockene Scheide bis zu lästiger Harninkontinenz. Ich erlebe immer wieder, wie unterschiedlich die Frauen die Symptome empfinden. Die eine stört es schon, wenn sie einmal pro Tag eine Hitzewallung hat, die andere geht erst zum Frauenarzt, weil sie nachts fünf Mal wegen heftigen Schwitzens aufwacht und ständig die Bettwäsche wechseln muss. Manche bekommen Probleme in der Partnerschaft, wo man sehr vorsichtig nachfragen muss, ob das wirklich an der trockenen Scheide liegt oder an einem seit Jahren schwelenden Konflikt. Hofft die Frau, mit einer Östrogensalbe würde sich ihr Liebesleben bessern, ist das in letzterem Fall vermutlich nicht gegeben.

Viele Frauen fühlen sich in dieser Zeit auch seelisch belastet, der Partner ist beruflich stark engagiert, die Kinder ziehen sich pubertätsbedingt zurück oder sind schon ausgezogen. Der Frauenarzt kann diese emotionale Lücke zwar nicht schließen, aber er kann als Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Ich habe selten erlebt, dass eine Frau in dieser Situation eine umfangreiche Darlegung der verschiedenen wissenschaftlichen Studien besprechen möchte, sondern sie erwartet konkrete Empfehlungen für ihre spezifische Situation.

Zur Frage, was man der Frau in dieser Lebensphase empfiehlt, gibt es unterschiedliche Meinungen, die durch eine gängige Lehrmeinung mehr oder weniger konsistent unterstützt werden. Nachlesen lässt sich das in den Leitlinien. Mit Respekt vor der Autonomie der Patientin empfiehlt es sich, seine therapeutische Idee zwar klar darzulegen, aber darauf hinzuweisen, dass andere Experten das anders sehen mögen. Ich berate meine Patientinnen etwa folgendermaßen: Ich erkläre ihr, dass der Wechsel grundsätzlich eine natürliche Phase ist und dass die Änderungen des Zyklus nicht zwingend, aber möglicherweise mit Beschwerden einhergehen. Generell Hormone zu nehmen in dieser Phase ist nicht sinnvoll, verbessert nicht die Gesundheit und verlängert nicht das Leben. Es kann aber durchaus Sinn haben, dass eine Frau im individuellen Fall Hormone nimmt. Vorher muss man natürlich Risikofaktoren wie eine familiäre Belastung mit Brustkrebs und Osteoporose sorgfältig abklären.

Hormonbestimmungen kann man sich sparen. Da die Behandlung vornehmlich darauf abzielt, Beschwerden zu lindern, ist das subjektive Empfinden der Frau der entscheidende Beurteilungsparameter und nicht irgendeine Laborkosmetik. Ich nehme ein Gespräch über die Wechseljahre immer auch als Anlass, mit der Frau über ihren Lebensstil zu sprechen. Eine positive Veränderung des Verhaltens hat – auch noch zu diesem Zeitpunkt – nachweislich wesentlich mehr Einfluss auf Gesundheit und Langlebigkeit als jede nur denkbare Medikamenteneinnahme.

Ich empfehle den Frauen: auf das Gewicht achten, mindestens einmal, besser zweimal pro Woche Ausdauersport, Muskeltraining mit Entspannung in Form von Yoga oder Pilates, viel trinken, viel schlafen, wenig Alkohol und nicht rauchen. Sie sollten soziale Kontakte knüpfen, sich nicht für andere aufopfern und das Leben genießen. Mit diesen Maßnahmen bessern sich oftmals auch klimakterische Beschwerden.

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