Das juvenile Angiofibrom – eine seltene Ursache von Nasenatmungsbehinderung
Autoren:
Ass. Dr. Gerold Rachbauer
OA Dr. Martin Bruch
HNO-Abteilung
Ordensklinikum Barmherzige Schwestern Linz
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Die Nasenatmungsbehinderung bei Kindern und Jugendlichen ist durchaus ein häufiges Problem, das HNO-Ärzte oder Pädiater nahezu täglich in irgendeiner Form begegnet. Die möglichen Ursachen sind vielfältig. Dieser Beitrag behandelt Patientenfälle bzw. ein Krankheitsbild, das zwar vergleichsweise selten vorkommt, aber dennoch von großer Bedeutung ist.
Keypoints
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Risikofaktoren sind jugendliches Alter und männliches Geschlecht.
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Cave: Es besteht eine hohe Blutungsgefahr bei ambulanter Biopsie.
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Die Diagnose wird klinisch-radiologisch gestellt.
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Die Therapie der Wahl ist die Exzision – möglichst minimal-invasiv und vollständig.
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Gutartig? Ja. Aber harmlos? Ganz und gar nicht!
Fallberichte
Im Zeitraum der letzten 5 Jahre wurden bei uns in der HNO-Ambulanz drei männliche Patienten im Alter zwischen 13 und 17 Jahren vorstellig,die neben ihrem männlichen Geschlecht und dem jugendlichen Alter eine wesentliche Gemeinsamkeitverband: Sie alle litten an einer chronischen Nasenatmungsbehinderung sowie an einer rezidivierenden, vorwiegend einseitigen Epistaxis. Ansonsten gab es keine wesentlichen medizinischen Belange. Routinemäßig wurde jeweils ein vollständiger HNO-Status durchgeführt. Diagnostisch wegweisend war die ambulante Endoskopie. Es zeigte sich eine rötlich schimmernde Raumforderung, welche die Nasenhöhle unilateral fast vollständig obstruierte. Der anatomische Ausgangspunkt war initial nicht einsehbar. Palpatorisch fand sich ein eher harter knolliger Tumor mit einer charakteristischen Schleimhautoberfläche. Aufgrund von Anamnese und klinischer Präsentation war von einem tumorösen Prozess auszugehen. In Anbetracht von Alter und Geschlecht musste ein juveniles Angiofibrom differenzialdiagnostisch in Betracht gezogen werden.
Hintergrund
Das juvenile Angio- oder Nasenrachenfibrom ist ein gutartiger vaskulärer Tumor, der sich durch sein lokal aggressives und teils auch destruktives Wachstum auszeichnet.1 Bei einer Jahresinzidenz von etwa 1:150000 ist es insgesamt eher selten anzutreffen.2 Interessanterweise sind fast ausschließlich männliche Jugendliche zwischen 10 und 20 Jahren betroffen.3 Warum ist das so? Ätiologisch werden verschiedene Hypothesen diskutiert. Androgene sollen eine große Rolle spielen. Womöglich handelt es sich aber vielmehr um eine Mischung verschiedenster Faktoren, aber so ganz sicher weiß man das bis heute nicht.3 Der Tumor wächst langsam. Folglich kann er zunächst in vielen Fällen lange asymptomatisch bleiben, wodurch eine frühe Diagnose erschwert wird. Wenn dann schließlich Symptome auftreten, dann sind das primär nasale Atembeschwerden (80%) oder eben einseitiges Nasenbluten (60%). Das klinische Bild kann aber von einer Reihe verschiedenster Symptome geprägt sein: Tubenfunktionsstörung, NNH-Symptomatik, Kopf- und Ohrenschmerzen, Exophthalmus mit Sehstörungen bis hin zu neurologischen Ausfällen.4 Entgegen typisch benigner Eigenschaften ist bei dieser Entität eine unangenehme Angewohnheit feststellbar: Das juvenile Angiofibrom wächst wie Unkraut und macht dabei auch vor empfindlichen Strukturen, wie beispielsweise der mittleren Schädelgrube (5–25%), nicht halt. Der Tumor nimmt seinen Ursprung typischerweise vom Foramen sphenopalatinum, breitet sich nachfolgend sekundär in alle Richtungen umliegender anatomischer Bezirke aus und verursacht dementsprechende Symptome.5,6
Diagnostische Schritte
Eine Biopsie, insbesondere im ambulanten Setting, ist von diagnostischer Seite nicht notwendig bzw. bedarf aufgrund der hohen Blutungsgefahr besonderer Vorsicht.4
Abb. 1: MRT, sagittal: kontrastmittelaufnehmende Tumorformation im dorsalen Aspekt der linken Nasenhaupthöhle bzw. im Epipharynx bei einem 13-jährigen Patienten
Die Diagnose wird grundsätzlich klinisch-radiologisch gestellt. CT und MRT(-Angio) stellen hierfür die wichtigsten diagnostischen Werkzeuge dar. Die Ausdehnung des Tumors und etwaige knöcherne Destruktionen können somit genau bestimmt werden.7
Exemplarisch präsentierte sich bei einem unserer Patienten (13 Jahre) bildgebend eine unregelmäßig konfigurierte kontrastmittelaufnehmende Tumorformation im dorsalen Aspekt der linken Nasenhaupthöhle bzw. im Epipharynx mit einem maximalen sagittalen Durchmesser von 5,5cm (Abb. 1). Tumorausläufer waren bis in die linke Keilbeinhöhle nachweisbar, weiters auch in die dadurch auch weit eröffnete linke Fossa pterygopalatina (Abb.2). Dabei zeigte sich auch eine bogige Verdrängung des Nasenseptums nach rechts.
Therapie
Abb. 2: Mit Kontrastmittel, koronar: Tumorausläufer waren bis in die linke Keilbeinhöhle nachweisbar, weiters auch in die dadurch auch weit eröffnete linke Fossa pterygopalatina
Aus therapeutischer Sicht liegt der Goldstandard in der vollständigen endoskopisch-endonasalen Tumorexzision.2,3 Das ist oft leichter gesagt als getan. Lokalisation und Ausdehnung machen eine Intoto-Resektion oftmals sehr kompliziert. In manchen Fällen ist dies sogar unmöglich, sodass ergänzend, neben einem invasiveren offen-chirurgischen Zugang, bei unvollständiger Resektion auch eine adjuvante oder selten primäre Strahlentherapie erwogen werden muss.4,7
Dementsprechend wurde auch gehandelt. Bei einer Klassifikation von Radkowski-IIa (Tab.1) haben wir uns in allen Fällen für eine alleinige endoskopisch-endonasale Resektion mit vorheriger präoperativer Tumorembolisation entschieden.3 Die Embolisation wurde von unseren interventionellen Radiologen in Narkose durchgeführt. Dies gelang in allen Fällen ohne Komplikationen.
Tab.1: Radkowski-Klassifikation des juvenilen Angiofibroms (modifiziert nach Radkowski D et al. 1996)10
Diesbezüglich kursieren immer wieder gegenteilige Überzeugungen. Studien belegen jedoch eindeutig den Benefit eines solchen blutärmeren Vorgehens, sofern ausreichend Ressourcen bzw. eine entsprechende Expertise seitens der radiologischen Abteilung gegeben ist.4,8,9 Insofern ist eine gute interdisziplinäre Zusammenarbeit unabdingbar.
Abb. 3: OP-Präparat
Postinterventionell konnte unser exemplarischer Patient auf direktem Wege in den HNO-OP transferiert werden. Nach abschwellenden Maßnahmen zeigten sich der hintere Septumknorpel und -knochen durch den Tumordruck stark ausgedünnt, teilweise sogar fehlend. Die rechtsseitige Septumdeviation bzw. Leistenbildung wurde mittels endoskopischer Septumplastik versorgt. Um einen beidseitigen Zugang zum Tumor zu erhalten, wurde dann in weiterer Folge das hintere Septumdrittel komplett reseziert. Nach Teilabtragung der Keilbeinhöhlenvorderwand sowie des intersphenoidalen Septums konnte die glatt begrenzte Tumorformation sukzessive stumpf von der Keilbeinhinterwand gelöst werden. Nun war es möglich, den Tumorzapfen weiter bis in die linke Fossa pterygopalatina zu verfolgen. Um auch hier einen möglichst breiten Zugang zu bekommen, wurden die teils aufgebrauchten Reste der linken unteren und mittleren Nasenmuschel entfernt. Weiters wurde ein weites Fenster zur linken Kieferhöhle angelegt, um nachfolgend auch die ebenfalls bereits massiv ausgedünnte Kieferhöhlenhinterwand entfernen zu können. Schlussendlich war der Tumor von allen Seiten gut zugänglich. Durch sanftes, stumpfes Präparieren konnte er schließlich vollständig herausgelöst werden. Aufgrund der Größe musste der Tumor über den Epipharynx nach kaudal luxiert werden, woraufhin er problemlos über die Mundhöhle geborgen werden konnte (Abb. 3). Die Aufarbeitung des OP-Präparats bestätigte das Vorliegen eines juvenilen Nasenrachenfibroms.
Post-OP-Management
Nach der Therapie ist die Arbeit nicht getan. Regelmäßige Nachuntersuchungen inklusive Bildgebung für mindestens 3 bis 5 Jahre sind unerlässlich, da doch eine gewisse Rezidivneigung (bis 45% in den ersten 36 Monaten) zu verzeichnen ist. Vorzugsweise dann, wenn der Tumor nicht vollständig entfernt werden konnte. Insgesamt ist die Prognose aber gut, vor allem bei frühzeitiger Diagnose.4,7 Unsere Patienten waren beim ersten Restaging, 4 Monate postoperativ, allesamt sehr zufrieden und ohne maßgebliche Beschwerden. In der jeweiligen endoskopischen Begutachtung fanden sich glücklicherweise tumorfreie Verhältnisse. Auch bildgebend gab es keinen Hinweis auf einen Residual- oder Rezidivtumor.
Fazit
HNO-Ärzte sollten die Symptome und Herausforderungen des juvenilen Angiofibroms gut kennen. Eine hohe Wachsamkeit bei Diagnose und ein gut geplantes Management, prä- und auch postoperativ, sind der Schlüssel, um betroffene Jugendliche erfolgreich zu behandeln.
Literatur:
1 Makhasana JAS et al.: Juvenile nasopharyngeal angiofibroma. J Oral Maxillofac Pathol 2016; 20(2): 330 2 Lund VJ et al.: European position paper on endoscopic management of tumours of the nose, paranasal sinuses and skull base. Rhinol Suppl 2010; 22(22): 1-143 3 Alshaikh NA, Eleftheriadou A: Juvenile nasopharyngeal angiofibroma staging: An overview. Ear Nose Throat J 2015; 94(6): E12-22 4 López F et al.: Nasal juvenile angiofibroma: Current perspectives with emphasis on management. Head Neck 2017; 39(5): 1033-45 5 Nicolai P et al.: Juvenile angiofibroma: evolution of management. Int J Pediatr 2012; 2012: 11 6 Wanpeng L et al.: Current perspectives on the origin theory of juvenile nasopharyngeal angiofibroma. Discov Med 2019; 27(159): 245-54 7 Linxweiler M, Yilmaz U: Current perspectives on imaging and treatment of juvenile angiofibromas: A review. Radiologe 2020; 60(11): 1013-7 8 Rosenbaum-Halevi D et al.: A safer endovascular technique for pre-operative embolization of juvenile nasopharyngeal angiofibroma: avoiding the pitfalls of external carotid artery – internal carotid artery anastomoses. J Cerebrovasc Endovasc Neurosurg 2020; 22(2): 97-105 9 Giorgianni A et al.: Twenty years of experience in juvenile nasopharyngeal angiofibroma (JNA) preoperative endovascular embolization: An effective procedure with a low complications rate. J Clin Med 2021; 10(17): 3926 10 Radkowski D et al.: Angiofibroma. Changes in staging and treatment. Arch Otolaryngol Head Neck Surg 1996; 122(2): 122-9
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