Aktuelle Trends in der gelenkserhaltenden Hüftchirurgie
Autoren:
PD Dr. Rainer Biedermann
Teamleiter Kinderorthopädie, Neuroorthopädie und orthopädische Fußchirurgie
Universitätsklinik für Orthopädie und Traumatologie, Innsbruck
E-Mail: rainer.biedermann@i-med.ac.at
Vielen Dank für Ihr Interesse!
Einige Inhalte sind aufgrund rechtlicher Bestimmungen nur für registrierte Nutzer bzw. medizinisches Fachpersonal zugänglich.
Sie sind bereits registriert?
Loggen Sie sich mit Ihrem Universimed-Benutzerkonto ein:
Sie sind noch nicht registriert?
Registrieren Sie sich jetzt kostenlos auf universimed.com und erhalten Sie Zugang zu allen Artikeln, bewerten Sie Inhalte und speichern Sie interessante Beiträge in Ihrem persönlichen Bereich
zum späteren Lesen. Ihre Registrierung ist für alle Unversimed-Portale gültig. (inkl. allgemeineplus.at & med-Diplom.at)
Das zunehmende Wissen über die Biomechanik des Hüftgelenkes, das Konzept des Hüftimpingements und die Möglichkeit der chirurgischen Hüftgelenksluxation führten in den letzten zwei Jahrzehnten zur Entwicklung neuer und zur Verbesserung etablierter Operationsmethoden.
Keypoints
Die Möglichkeit der chirurgischen Hüftgelenksluxation unter Erhalt der
Durchblutung des Hüftkopfes eröffnete neue Therapiemöglichkeiten wie:die anatomische Reposition der Kopfkappe bei Epiphyseolysis capitis
femoris (modifizierte Dunn-Osteotomie)die Wiederherstellung der Sphärizität des deformierten Hüftkopfes bei
Morbus Perthes („femoral head reduction osteotomy“)die Therapie isolierter osteochondraler Läsionen am Hüftkopf nach partieller Hüftkopfnekrose durch direkte Knorpelreparatur oder mittels Allograft-Transplantation
Das Wissen um die Problematik des Hüftimpingements führte zu einer Neubewertung der Einstellung des Acetabulumfragmentes bei reorientierenden
Beckenosteotomien. Als Zielbereich der Einstellung des Acetabulums gelten die vollkommene Korrektur der Retroversion, ein lateraler CE-Winkel
zwischen 25° und 40°, ein anteriorer CE-Winkel von 25° bis 40° und ein Tönnis-Winkel von 0° bis 10°.
Neue Therapiemöglichkeiten durch den direkten Zugang zu Hüftkopf und Acetabulum
Die chirurgische Hüftgelenksluxation durch einen „Trochanteric flip“-Zugang wurde ursprünglich bei der Therapie der beiden Formen des Hüftimpingements angewandt, in dieser Indikation jedoch zunehmend von minimalinvasiven und arthroskopischen Techniken verdrängt. Die Möglichkeit der vollumfänglichen Einsehbarkeit beider Gelenkspartner eröffnete neue Dimensionen in der Therapie ausgeprägter Deformitäten, wie bei höhergradigen Formen der Epiphyseolysis capitis femoris, Folgezuständen der Legg-Calvé-Perthes-Erkrankung oder isolierten osteochondralen Läsionen am Hüftkopf.
Bei der Epiphyseolysis capitis femoris stellt das In-situ-Pinning das geringste Risiko für eine avaskuläre Nekrose dar und ist daher in vielen Kliniken die Behandlung erster Wahl. Der Nachteil der In-situ-Fixierung besteht darin, dass selbst große Deformitäten unkorrigiert bleiben, was zu einem Impingement der anterioren Metaphyse gegen den Hüftgelenksrand, dadurch zu einer Schädigung des Knorpels und Labrums führt und damit eine präarthrotische Deformität darstellt. In vielen Zentren werden daher heutzutage die hochgradigen Formen des Kopfkappenabrutsches offen durch eine chirurgische Hüftluxation behandelt. Mit dieser Modifikation der Dunn-Methode kann die dislozierte Kopfkappe anatomisch reponiert und transepiphysär refixiert werden (Abb.1a). Dafür ist die Mobilisation der Kopfkappe gemeinsam mit ihrer im Schenkelhalsperiost liegenden Gefäßversorgung notwendig (Abb.1b).
Abb. 1: a) 6-Monats-Ergebnis bei Zustand nach hochgradiger Epiphyseolysis capitis femoris und modifizierter Dunn-Osteotomie links sowie prophylaktischer perkutaner Epiphyseodese rechts, b) intraoperative Situation derselben Patientin nach Kopfkappenreposition und -verschraubung. Das Periost des Schenkelhalses mit den darin befindlichen Gefäßen zur Kopfkappenversorgung wurde mit Ausnahme des dargestellten anteriosuperioren Bereiches (Abrutschzone) an der Kopfkappe erhalten
Schwere pilzförmige Deformierungen des Hüftkopfes nach einer Legg-Calvé-Perthes-Erkrankung führen zu einer Inkongruenz der Gelenkspartner, einem Hebelabduktionsphänomen in der Frontalebene und einem Hüftimpingement. Diese seltene Deformität kann nicht ausreichend durch eine alleinige semizirkumferenzielle Resektion der Ausziehungen am Hüftkopf (femorale Osteochondroplastik) angegangen werden, da diese die Kopfvaskularität gefährden würde. Bei der „Head reduction“-Osteotomie durch einen „Trochanteric flip“-Zugang wird der verplumpte Femurkopf verkleinert, indem der zentrale nekrotische Anteil scheibenförmig reseziert und die beiden verbleibenden Hüftkopffragmente miteinander verschraubt werden. Dies verbessert die Sphärizität des Hüftkopfes und damit das Containment und die Hüftfunktion. Durch die Kombination mit den etablierten Methoden der Containmenttherapie und einer relativen Schenkelhalsverlängerung mit Wiederherstellung des Hebelarmes und der Abduktorenfunktion konnte mittelfristig eine Besserung der Schmerzen und der Hüftgelenksbeweglichkeit erreicht werden. Langzeitergebnisse stehen aufgrund der Neuheit der Methode noch aus.
Beide oben beschriebenen Operationsmethoden sind mit einer steilen Lernkurve und der immanenten Gefahr einer Hüftkopfnekrose verbunden und sollten daher Chirurgen mit entsprechender kinderorthopädischer Erfahrung und Zentren mit ausreichenden Fallzahlen vorbehalten bleiben.
Die Möglichkeit einer chirurgischen Luxation des Hüftkopfes unter Erhalt seiner Durchblutung eröffnet darüber hinaus die Chance einer gelenkserhaltenden Therapie isolierter osteochondraler Läsionen am Hüftkopf durch eine direkte Knorpelreparatur und bei größeren Läsionen durch die Einbringung eines Allografts. Derartige Läsionen treten als Folgezustand einer partiellen Hüftkopfnekrose häufig bei noch jungen Patienten in deren 30er- und 40er-Jahren auf. Die Kombination der Knorpelreparatur mit einer varisierenden/flektierenden intertrochantären Osteotomie stellt in dieser Patientengruppe eine vielversprechende Alternative zum künstlichen Gelenksersatz dar.
Generell sollte, um ein gutes klinisches Ergebnis zu erzielen, bei allen Formen einer chirurgischen gelenkserhaltenden Therapie der Erhalt oder die Rekonstruktion des Labrums angestrebt werden, wann immer dies möglich ist. Autologe Fascia-lata- oder Ligamentum-teres-Transplantate können im Bedarfsfall für eine Labrumrekonstruktion verwendet werden.
Abb. 2: a) Beidseitige kombinierte femorale und acetabuläre Hüftdysplasie, b) Zustand nach periacetabulärer Beckenosteotomie und Varisierungs-Derotationsosteotomie (VDRO) beidseits (zweizeitig)
Verbesserung der Ergebnisse der Beckenosteotomien
Die Erkenntnisse aus dem Konzept des Hüftimpingements eröffneten darüber hinaus eine neue Sichtweise hinsichtlich der idealen Einstellung des Acetabulums bei der operativen Reorientierung, um die Lebensdauer der nativen Hüfte nach einer Beckenosteotomie zu verbessern. Der laterale CE-Winkel und der Tönnis-Winkel stellen die am häufigsten verwendeten Parameter bei der Beurteilung der Ausrichtung der Hüftgelenkspfanne dar. In einer rezenten Studie wurde jedoch aufgezeigt, dass die optimale Einstellung der Retroversion und des anterioren CE-Winkels einen größeren Einfluss auf den natürlichen Verlauf hinsichtlich der Progression degenerativer Gelenksveränderungen hat. Als Zielbereich der Einstellung des Acetabulums werden hierbei die vollkommene Korrektur der Retroversion, ein lateraler CE-Winkel zwischen 25° und 40°, ein anteriorer CE-Winkel von 25° bis 40° und ein Tönnis-Winkel von 0 bis 10° angesehen.
Dabei werden die Vorteile der ursprünglich von Ganz beschriebenen Berner periacetabulären Osteotomie (Abb.2) gegenüber früheren Osteotomietechniken weiterhin offenkundig. Diese Methode bietet den Vorteil großer dreidimensionaler Korrekturmöglichkeiten, eine inhärente Stabilität des Hüftgelenkpfannenfragments durch die polygonale Osteotomieform und darüber hinaus die Erhaltung der hinteren Säule, welche eine Teilbelastung im Rahmen der Frühmobilisation erlaubt. Zudem wird der knöcherne Geburtskanal durch diese Osteotomie meist nicht kompromittiert. Die Methode wurde in den nachfolgenden Jahren von mehreren Autoren modifiziert und verfeinert, insbesondere hinsichtlich eines verbesserten perioperativen Managements, der Bewertung der Neueinstellung des Acetabulumfragmentes und der gleichzeitigen Behandlung zusätzlicher Hüftdeformitäten.
Andere chirurgische Verfeinerungen beinhalten eine kurze Hautinzision, eine Bikini-Schnitttechnik, einen lateraler gelegenen Zugangsweg innerhalb der Faszie des Tensor fasciae latae zur Schonung des Nervus cutaneus femoris lateralis, muskelschonende Zugänge mit Erhaltung der Abduktoren (Gluteus maximus und medius) und des Rectus femoris an seinem Ursprung und damit die Verbesserung der postoperativen Mobilisation.
Begleitende Korrekturoperationen bestehen in der Reparatur intraartikulären Weichgewebes (Labrumnaht und Knorpelreparatur), der femoralen Osteochondroplastie beim femoroacetabulären Impingement und einer proximalen Femurosteotomie zur Korrektur der femoralen Dysplasie oder schwerer Femurkopfdeformitäten.
Durch die geringere Zugangsmorbidität, die Verwendung eines „cell saver“ und auch durch die intraoperative Gabe von Tranexamsäure ist die Gabe von Erythrozytenkonzentratenim peri- und postoperativen Verlauf, auch bei gleichzeitiger Durchführung einer Korrekturosteotomie am proximalen Femur, nur mehr in Ausnahmefällen notwendig. Die Mobilisierung der Patienten erfolgt am ersten postoperativen Tag bzw. nach Entfernung der Periduralanästhesie unter Teilbelastung mit 1/3 des Körpergewichtes. Aufgrund der Schonung des Rektusursprungs durch die modifizierte „Rectus sparing“-Technik kann eine aktive Hüftflexion erlaubt werden.
Die beschriebenen Neuerungen der OP-Technik können noch keine Änderungen der Langzeitergebnisse bedingt haben. Die aktuellen Daten zu den langfristigen Ergebnissen stammen aus den in den 1980er-Jahren durchgeführten Operationen. Die wesentlichen Faktoren, die mit einem Fortschreiten der Arthrose einer periacetabulären Osteotomie in Verbindung gebracht wurden, sind: Alter >40 Jahre, ein hoher präoperativer Tönnis-Grad, eine verminderte präoperative Hüftgelenksinnenrotation und eine fehlerhafte Korrektur des Pfannenfragmentes, einschließlich einer übermäßigen Überdachung oder Hüftgelenksretroversion.
Ausgewählte Literatur:
● Ganz R et al.: Surgical dislocation of the adult hip a technique with full access to the femoral head and acetabulum without the risk of osteonecrosis. J Bone Joint Surg Br 2001; 83: 1119-24 ● Garrido CP et al.: Innovations in joint preservation procedures for the dysplastic hip “The periacetabular osteotomy”. J Arthroplasty 2017; 32(9S): S32-7 ● Hanke M et al.: Hip preservation. EFORT Open Rev 2020; 5: 630-40 ● Leunig M et al.: Subcapital correction osteotomy in slipped capital femoral epiphysis by means of surgical hip dislocation. Oper Orthop Traumatol 2007; 19: 389-410 ● Siebenrock KA et al.: Head reduction osteotomy with additional containment surgery improves sphericity and containment and reduces pain in Legg-Calvé-Perthes disease. Clin Orthop Relat Res 2015; 473: 1274-83 ● Wyles CC et al.: Hitting the target: natural history of the hip based on achieving an acetabular safe zone following periacetabular osteotomy. J Bone Joint Surg Am 2020; 102: 1734-40
Das könnte Sie auch interessieren:
Instabilität der Schulter und des Ellbogens im Wachstumsalter
Gelenksinstabilität der Schulter und des Ellbogens gelten immer noch als komplizierte Themen und haben eine relevante Dunkelziffer, ganz besonders bei Patient:innen im Wachstumsalter. Es ...
Das stabile Handgelenk – Übungsprogramme und deren Effekte
Ein instabiles Handgelenk resultiert aus einer Dysfunktion des Zusammenspiels der entsprechenden Strukturen. Durch die Anwendung von darauf abgestimmten Übungsprogrammen kann das ...
Die arthroskopische Behandlung von Kahnbeinpseudarthrosen
Kahnbeinpseudarthrosen stellen nach wie vor eine Herausforderung in der Handchirurgie dar. Unbehandelt führen sie häufig nach einigen Jahren zur Handgelenksarthrose und sind nur mehr ...