Die selektive thorakale Fusion bei adoleszenten Double- und Triple-Major-Skoliosen
Autor:
Dr. Georg Grabmeier
Abteilung für Orthopädie und Traumatologie Klinik Donaustadt, Wien
Skoliosen mit thorakaler und lumbaler Krümmung stellen eine besondere chirurgische Herausforderung dar. Anhand bestimmter radiologischer und klinischer Kriterien ist es möglich, mit selektiver thorakaler Fusion eine kompensatorische lumbale Krümmung zu korrigieren, ohne diese fusionieren zu müssen – bei vollständigem Erhalt der mobilen Lendenwirbelsäule.
Die dorsale Korrekturspondylodese bei konservativ therapierefraktären Skoliosen über 45/50° Cobb-Winkel bei Wachstumsabschluss stellt unverändert den Goldstandard in der Skoliosechirurgie dar. Die Auswahl der zu fusionierenden Etagen ist einer der wichtigsten Faktoren in der präoperativen Planung. Skoliosen mit thorakalen und lumbalen Krümmungen (Lenke-Typ 3 und 6) stellen eine besondere Herausforderung diesbezüglich dar. Hierbei gilt es, speziell in der mobilen Lendenwirbelsäule bei maximaler Korrektur so wenig wie möglich zu fusionieren.
Lenke konnte in seiner Klassifikation zeigen, dass bei Double-Major-Kurven kompensatorische lumbale Krümmungen existieren, die mit einer selektiven thorakalen Fusion „mitkorrigiert“ werden, ohne dass die Lendenwirbelsäule in die Spondylodese miteinbezogen wird.
Typischerweise korrigiert eine lumbale kompensatorische Krümmung im Gegensatz zu einer strukturellen in der Bending-Aufnahme unter 25° und weist eine geringe lumbale apikale vertebrale Translation (LAVT) auf. Daher ist die Durchführung einer korrekten Bending-Aufnahme, die Seitneigung nach links und rechts in der Frontalebene im Rahmen der präoperativen Planung, essenziell (Abb. 1). Während die Hauptbewegung von Halswirbel und Lendenwirbelsäule durchgeführt wird, ist die Brustwirbelsäule durch Rippen und Sternum fixiert und weist daher von Natur aus eine geringe „range of motion“ (ROM) aus.
Abb. 1: a) Sportlich sehr aktive Patientin mit Lenke-3C-Skoliose mit niedrigem LAVT, lumbales Bending < 25°; b) unmittelbar postoperatives Ergebnis nach selektiver thorakaler Fusion bis Th 12, die vollständige mobile Lendenwirbelsäule konnte erhalten werden
Das Konzept der selektiven thorakalen Fusion bei Double-Major-Kurven beruht auf dem Prinzip der Flexibilität der sogenannten kompensatorischen nichtstrukturellen Krümmung. Unter selektiver Fusion versteht man eine Korrekturspondylodese der Hauptkrümmung bei gleichzeitiger Abweichung der Scheitel (Apices) der thorakalen und thorakolumbalen Krümmung von der C7 Plumb Line oder der zentralen sagittalen vertikalen Linie (CSVL-Linie). Besonders wichtig ist es daher, klinisch und radiologisch präoperativ zu identifizieren, welche Double-Major-Skoliosen für diese OP-Technik infrage kommen. Lenke et al. konnten radiologische Parameter definieren, die eine selektive thorakale Fusion rechtfertigen. Die radiologischen Kriterien für selektive thorakale Fusionen bei Double-Major-Skoliosen beinhalten:
-
das Verhältnis der Cobb-Winkel der thorakalen und thorakolumbalen/lumbalen Kurve ( > 1,2)
-
die apikale vertebrale Translation sowie die apikale vertebrale Rotation
-
eine flexible thorakolumbale/lumbale Kurve (<25° im Bending)
-
eine thorakolumbale Kyphose unter 10°.
Large et al. konnten im Rahmen einer 10-jährigen Verlaufsstudie zeigen, dass Patienten mit einer thorakalen selektiven Fusion bei Double-Major-Kurven im Vergleich zu lumbal (L3, L4) fusionierten Patienten signifikant weniger lumbale Schmerzen bei deutlich verbesserter Mobilität aufwiesen.
Besonders wichtig im Zusammenhang mit selektiver thorakaler Fusion ist die präoperative Aufklärung. Auch bei exakter und genauer Indikation muss über das Risiko für eine potenzielle Verschlechterung der nichtstrukturellen lumbalen Krümmung aufgeklärt werden. Studien von Lenke et al. zeigen jedoch, dass bei genauer Berücksichtigung der radiologischen und klinischen Parameter eine Dekompensation der lumbalen nicht versteiften Skoliose verhindert werden kann.
Zusammenfassend stellt die selektive thorakale Fusion bei entsprechenden vorhanden klinischen und radiologischen Kriterien eine gute Alternative zu langstreckigen thorakoluambalen Korrekturspondylodesen bei Double-Major-Skoliosen dar. Voraussetzung ist eine entsprechende Aufklärung.
Literatur:
beim Verfasser
Das könnte Sie auch interessieren:
Therapie der Patellaluxation
Die Inzidenz der Patellaluxation liegt zwischen 2 und 77 pro 100000 Menschen und ist eine der häufigsten Verletzungen des Kniegelenks. Vor allem junge Menschen zwischen 10 und 20 Jahren ...
Die Tibiaplateaufraktur: aktuelle Entwicklungen und Behandlungsstrategien
Tibiaplateaufrakturen stellen aufgrund ihrer oft komplexen Frakturmorphologie und der damit verbundenen hohen Anforderungen an die operative Versorgung nach wie vor eine Herausforderung ...
Operative und konservative Behandlungsmöglichkeiten von Knieknorpelschäden im Jahr 2024
Die Behandlung von Knorpelschäden des Kniegelenkes hat sich im Jahr 2024 durch Fortschritte in der regenerativen Medizin und Injektionstherapien erheblich verändert. Konservative ...