Allergie: wie es beginnt
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Allergien sind multifaktorielle Erkrankungen, die in jedem Lebensalter, vornehmlich aber in den ersten Lebensdekaden auftreten. Auch Asthma bronchiale ist eine heterogene, multifaktorielle Erkrankung. Die Ursachen für eine allergische Sensibilisierung und das Auftreten allergischer Erkrankungen sind vielschichtig und individuell. Ursächlich ist ein Zusammenspiel aus Umweltfaktoren, Allergenen und Mensch.
Keypoints
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Allergien sind hochkomplexe, multifaktorielle Erkrankungen.
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Der Erkrankungsbeginn liegt meist in der Kindheit.
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Zwischen den Faktoren Allergen, Umwelt und Mensch gibt es Interaktionen.
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Es werden passagere und persistierende Allergien beobachtet.
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Der „allergic march“ verläuft unterschiedlich: Nicht alle Allergiker bekommen „alles“.
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Es existieren protektive Faktoren, eine Prophylaxe ist bisher nur bedingt möglich.
Exposition zu Umweltallergenen
Mit dem Zeitpunkt der Geburt sind unsere Haut und unsere Schleimhäute (Darmepithel, respiratorisches Epithel) mit Keimen, Umweltfaktoren und Allergenen konfrontiert, wobei sich ein individuelles Mikrobiom der einzelnen Schleimhäute aufbaut. Generell ist zu sagen, dass eine hohe mikrobielle Diversität als protektiv gesehen wird, eine niedrige mikrobielle Diversität kann zu einer Typ-2-Reaktion führen. Ein weiterer wesentlicher Punkt ist die Barrierefunktion der Epithelien. Leider ist hier wieder der Allergiker im Nachteil, zumal ein Epitheldefekt mit erhöhter Permeabilität für Keime, Allergene und Umweltnoxen besteht.
Diverse protektive oder allergiefördernde Faktoren wie Genetik, Mikrobiom, Umweltfaktoren wie Rauchen, faserarme Ernährung (Fast Food), Antibiotikagabe, moderne Hygiene und Wohnverhältnisse beeinflussen die multifaktorielle Genese der Allergie (Abb. 1).1 Ausschlaggebend sind auch Rezeptor-Polymorphismen,2 die individuell das Allergie- beziehungsweise Asthmarisiko steuern. Pollen ist an sich wenig allergen, da Pollen unter anderem Adenosin sezerniert, das bei Gesunden eine Allergentoleranz indiziert.3,4 Leider ist dieser Toleranzmechanismus bei Allergikern gestört. Es gibt aber auch Allergene wie etwa das Hausstaubmilbenallergen, welches über Aktivierung der „toll-like“ Rezeptoren zur Sensibilisierung führt.
Abb. 1: Allergieentstehung: Das Zusammenspiel der protektiven und allergiefördernden Einflüsse ist individuell und komplex. Hier gibt es kein allgemeingültiges, protektives Patentrezept, lediglich Rauchen ist ein einseitig allergiefördernder Faktor
„Allergic march“
Allergien haben bestimmte Zeitfenster.5 Die ersten Manifestationen sind kutan in Form der Neurodermitis und alimentär im Sinne der Lebensmittelallergie. Die Nahrungsmittelallergie mit Sensibilisierung auf Milch und Ei ist als Kleinkindererkrankung zu sehen, die sich in den meisten Fällen von selbst „auswächst“. Andererseits gibt es Allergene wie die Speicherproteine, die lediglich in 20% der Fälle eine Remission zeigen, obwohl die Patienten eine strenge Allergenkarenz einhalten. Offenbar gibt es einen Unterschied in der Perpetuierung oder Persistenz der allergischen Reaktion, wobei dies eventuell am Vorhandensein von IgG-Memory-B-Zellen liegen kann.6–8
Asthma bronchiale kann sowohl im frühen Kindesalter vor der Entwicklung einer allergischen Rhinokonjunktivitis auftreten als auch als Komplikation Letzterer bei älteren Kindern. Bei Erwachsenen kann aus allergischer Rhinitis, insbesondere bei Sensibilisierung auf ein perenniales Allergen wie Hausstaubmilbe oder Katze, Asthma bronchiale entstehen – der „Etagenwechsel“.Der Beginn der Rhinokonjunktivitis fällt meist mit dem Volksschulalter bzw. später zusammen. Allergische Rhinokonjunktivitis bei Kleinkindern ist eher selten, kommt aber durchaus vor.
Der „allergic march“ (allergischer Marsch) betrifft nicht alle Allergiker gleich. Kohortenstudien zeigen, dass lediglich 3% der Allergiker Neurodermitis, Asthma und Rhinokonjunktivitis entwickeln, die anderen Patienten zeigen bunte Kombinationen aus den 3 oben genannten Erkrankungen.5 Eine weitere Besonderheit der „Allergie“ besteht darin, dass lediglich 50 Prozent der sensibilisierten Personen auch eine klinisch manifeste Allergie entwickeln.9
Die Geschichte vom Bauernhof und der Milch …
Es ist allgemein bekannt, dass das Aufwachsen auf einem Bauernhof, insbesondere der intensive Kontakt zum Kuhstall und das Trinken von unpasteurisierter Milch, vor Allergien schützt. Dieser Effekt stellt sich allerdings nur ein, wenn das Kind das erste Lebensjahr am Bauernhof verbringt, ein späterer Bauernhofkontakt zeigt keinen protektiven Effekt mehr. Generell ist der Bauernhofeffekt für die Rhinitis beschrieben, bei Asthma bronchiale ist kein klarer Langzeiteffekt zu sehen.10
Immuntoleranz
Dass Allergien im Laufe der Jahre schwächer werden oder verschwinden, ist bekannt. Ein interessantes Phänomen findet sich bei der Katzenallergie. Nicht selten berichten Patienten, dass sie zwar auf Katzen allergisch seien, aber ihre Katze vertragen. Inwieweit hier psychogene Faktoren wirksam sind, muss offenbleiben, sie sind aber sehr wahrscheinlich. Nach Ableben der „tolerierten“ Katze und einigen Jahren Katzenpause verschwindet dieses Toleranzphänomen recht häufig und die neue Katze wird zum Problem. Dazu passend gibt es auch Untersuchungen, die zeigen, dass allergische Katzenbesitzer deutlich höhere blockierende IgG4-Antikörper gegen das Katzenallergen haben als Katzenallergiker ohne Katze.11,12 Das Abnehmen der Immuntoleranz kennen wir auch bei der spezifischen Immuntherapie, die längerfristig Beschwerdefreiheit bringt. Allerdings kommen bei manchen Patienten die allergischen Symptome nach einigen Jahren wieder zurück.
Seltene Allergene
Neben der natürlichen Exposition zu den ubiquitären Umweltallergenen wie Pollen, Milben und Tieren gibt es auch seltene, berufsbezogene Allergien, die man im Alltag nicht findet. Wir haben in den letzten Jahren einige Fälle von offensichtlicher inhalativer Sensibilisierung auf tierische und pflanzliche Futtermittel gesehen. Etwa fanden wir eine Allergie gegen Kürbispressmehl, das zur Schweinemast verwendet wurde. Der Landwirt klagte nach jeder Fütterung über Rhinitis und gelegentliche Dyspnoe.
Auch die Inhalation von Grünlippenmuschelextrakt hat bei einem Patienten zu einer Sensibilisierung geführt. Der Patient hatte über Jahre das Grünlippenmuschelpulver von der Großpackung in kleine Fläschchen umgefüllt und dabei offenbar den Staub inhaliert. Bei dieser Tätigkeit traten auch die ersten Symptome auf.
Eine weitere, seltene Futtermittelallergie stellt die Hirseallergie dar, die zumeist Vogelhalter betrifft. Hier erfolgt die Sensibilisierung durch das Reinigen des Käfigs. Die Patientin hatte um ihr 40. Lebensjahr Wellensittiche gehalten, diese aber wegen „Allergie“ abgegeben. Vierzig Jahre später erlitt sie eine systemische Reaktion nach dem erstmaligen Verzehr einer Hirsesuppe. Die Allergietestung auf Hirse war positiv. Dieser Fall zeigt, dass trotz Allergenkarenz gewisse Allergien auch über Jahrzehnte bestehen können. Eine exotische Allergie auf Lanzenotterngift ist vom Instituto Butantan, welches Schlangengegengift produziert, beschrieben. Die dortigen Mitarbeiter entwickelten beim Aliquotieren des Schlangengiftes respiratorische Symptome. Die gefundenen s-IgE-Werte von bis zu 100kU/L (!) beweisen die Sensibilisierung.13
Neophyten
Im Rahmen der Klimaveränderung kommt es auch zum Auftreten neuer Allergiepflanzen. Der Klassiker ist der Ragweed (Ambrosia), der seit Jahrzehnten Österreich vom Osten her besiedelt. Im letzten Sommer hat allerdings der Götterbaum von sich reden gemacht. Diese ursprünglich aus Asien stammende Pflanze wächst auch schon in Österreich. Zuletzt wurde berichtet, dass der Götterbaum mehr Pollen als die Gräser in die Luft abgibt. Eine deutsche Studie versucht das darzustellen, allerdings zeigt sich bei näherem Hinsehen, dass die Pollenbelastung lediglich ein Zwanzigstel der Gräserpollenbelastung darstellt.14 Der vermeintliche Effekt ist auf die Verwendung unterschiedlicher Pollen-skalen in einer Grafik zurückzuführen. Des Weiteren finden die Autoren mehr als 40% sensibilisierte Patienten im Raum Leipzig. Leider ist eine Allergie gegen den Götterbaum derzeit nur mittels Allergenchip festzustellen. In unseren Untersuchungen fanden sich bisher keine positiven Patienten.
Literatur:
1 Zubeldia-Varela E et al.: Microbiome and allergy: new insights and perspectives. J Investig Allergol Clin Immunol 2022; 32(5): 327-44 2 Vercelli D: Discovering susceptibility genes for asthma and allergy.Nature Rev Immunol 2008; 8: 169-82 3 Radauer C et al.: Allergens are distributed into few protein families and possess a restricted number of biochemical functions. Allergy Clin Immunol 2008: 121(4): 847-52 4 Gilles S et al.: Pollen metabolome analysis reveals adenosine as a major regulator of dendritic cell-primed T(H) cell responses. J Allergy Clin Immunol 2011: 127: 454-61 5 Davidson WF et al.: Report from the National Institute of Allergy and Infectious Diseases workshop on „Atopic dermatitis and the atopic march: mechanisms and interventions“. J Allergy Clin Immunol 2019; 143: 894-913 6 Jahn-Schmid B et al.: Antigen presentation of the immunodominant T-cell epitope of the major mugwort pollen allergen, Art v 1, is associated with the expression of HLA-DRB1 *01. J Allergy Clin Immunol 2005; 115(2): 399-404 7 Aranda CJ et al.: IgG memory B cells expressing IL4R and FCER2 are associated with atopic diseases. Allergy 2023; 78(3): 752-66 8 Ding Z et al.: The origins and longevity of IgE responses as indicated by serological and cellular studies in mice and humans. Allergy 2023; 78(12): 3103-17 9 Ballardini N et al.: IgE antibodies in relation to prevalence and multimorbidity of eczema, asthma, and rhinitis from birth to adolescence. Allergy 2016; 71(3): 342-9 10 Strieker S et al.: Farm living and allergic rhinitis from childhood to young adulthood: prospective results of the GABRIEL study. J Allergy Clin Immunol 2022; 150(5): 1209-15 11 Olivieri M et al.: Risk factors for new-onset cat sensitization among adults: a population-based international cohort study. J Allergy Clin Immunol 2012; 129(2): 420-5 12 Renand A et al.: Chronic cat allergen exposure induces a TH2 cell-dependent IgG4 response related to low sensitization. J Allergy Clin Immunol 2015; 136(6): 1627-35 13 De Medeiros CR et al.: Predictors of Bothrops jararaca venom allergy in snake handlers and snake venom handlers. Toxicon 2008; 51(4): 672-80 14 Prenzel F et al.: Invasive growth of Ailanthus altissima trees is associated with a high rate of sensitization in atopic patients. J Asthma Allergy 2022; 15: 1217-26
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